V54
Der V54, auch V-54 geschrieben, war ein rumänischer Straßenbahn-Triebwagen des Herstellers Electroputere (EP) aus Craiova. Das Unternehmen – eigentlich ein Lokomotivhersteller – fertigte in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre insgesamt 265 dieser Großraumwagen. Sie kamen bei der Straßenbahn Bukarest, bei der Straßenbahn Oradea und bei der Straßenbahn Timișoara zum Einsatz. Die Typenbezeichnung ist eine Kurzform für vagon de anul 1954 – rumänisch für Wagen des Jahres 1954 – und leitet sich aus dem Konstruktionsjahr ab. In Oradea und Timișoara wurden die Vierachser, in Anlehnung an die – teilweise von der US-amerikanischen Pullman Palace Car Company produzierten – PCC-Wagen, auch als Typ Pullman bezeichnet.[1][2]
V54 | |
---|---|
Anzahl: | V951: 37 V54: 265 |
Hersteller: | Electroputere |
Baujahr(e): | V951: 1951–1953 V54: 1955–1959 EP/V3A: 1976–1982 |
Achsformel: | B'B' |
Spurweite: | 1435 mm (Normalspur) |
Länge über Kupplung: | 14.805 mm |
Länge: | 14.200 mm |
Breite: | 2.292 mm |
Drehzapfenabstand: | 6.010 mm |
Drehgestellachsstand: | 1.800 mm |
Leermasse: | 18.000 kg |
Stromsystem: | 600 V = (Oradea, Timișoara) bzw. 750 V = (Bukarest) |
Stromübertragung: | Oberleitung |
Anzahl der Fahrmotoren: | 4 |
Betriebsart: | Einrichtungsfahrzeug |
Sitzplätze: | 22 |
Besonderheiten: | nicht mehrfachtraktionsfähig, ausgelegt für Fahrgastfluss |
Vorgängerbaureihe V951
Der V54 ist weitgehend baugleich mit dem drei Jahre älteren Bukarester Typ V951, der auch den Beinamen Festival trug. Namensgebend waren hierbei die Weltfestspiele der Jugend und Studenten, die 1953 in Bukarest stattfanden. Die 37 Exemplare mit den Betriebsnummern 3001 bis 3037 wurden jedoch noch direkt durch die Hauptwerkstätte der Bukarester Verkehrsbetriebe – damals Întreprinderea de Transport București beziehungsweise kurz I.T.B. – hergestellt. Der Prototyp wurde 1951 fertiggestellt, die Serienwagen folgten in den Jahren 1952 (sechs Stück) und 1953 (30 Stück). Nach dem ab 1948 produzierten Typ Gb 2/2 der Straßenbahn Timișoara war der V951 der zweite moderne Großraumstraßenbahnwagen Rumäniens.
Wie später der Typ V54 besaßen auch die Festival-Wagen konventionelle Tatzlagermotoren und eine Direktschaltung, infolgedessen konnten sie auch nicht in Mehrfachtraktion betrieben werden. Wagen 3037 gelangte 1954 zu Electroputere nach Craiova und diente als Baumuster für die spätere Baureihe V54, in diesem Zusammenhang wurde die Konstruktion etwas überarbeitet und verbessert.
Die Bukarester Hauptwerkstatt selbst nutzte hingegen die freigewordenen Kapazitäten, um die teilweise noch aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg stammenden Altbauwagen mit Holzaufbau zu modernisieren. Auf diese Weise entstanden ab 1955 die Reko-Beiwagen des Typs V10 und schließlich ab 1956 die Reko-Triebwagen des Typs V56
Einsatzbetriebe V54
Bukarest
Nach Bukarest wurde in den Jahren 1955 bis 1959 mit 231 Triebwagen der mit Abstand größte Anteil der V54-Produktion geliefert, der erste Wagen verließ dabei am 8. Januar 1955 die Werkshallen in Craiova. Die V54 wurden dort unter den Betriebsnummern 3038 bis 3268 in den Bestand eingereiht, wobei der als Baumuster dienende Festival-Wagen Nummer 3037 fortan teilweise ebenfalls als V54 geführt wurde. Mangels elektrischer Ausrüstungen mussten jedoch 106 von ihnen zunächst als Beiwagen laufen und trugen während dieser Phase die Typenbezeichnung V13, sie konnten erst in den 1960er-Jahren komplettiert werden:
1961: | 26 nachträglich motorisiert |
1962: | 20 nachträglich motorisiert |
1963: | 18 nachträglich motorisiert |
1964: | 21 nachträglich motorisiert |
1965: | 21 nachträglich motorisiert |
Die nachträglich motorisierten Beiwagen wiederum wurden durch eigens für diesen Zweck neu produzierte zweiachsige V12-Beiwagen ersetzt, von denen 1964 weitere 43 Stück und 1965 nochmal 60 Stück in Betrieb gingen.
Ein Festival- und drei V54-Triebwagen schieden 1968 schon relativ früh aus dem Bestand. Die 264 verbliebenen Fahrzeugen modernisierte die Hauptwerkstätte der Bukarester Straßenbahn – die mittlerweile unter Uzina de Reparaţii Atelierele Centrale, kurz U.R.A.C., firmierte – schließlich in den Jahren 1976 bis 1982 umfangreich. Hierbei wurden wiederum 92 Triebwagen demotorisiert. Dadurch entstand – aufgrund der von der Baureihe V3A übernommenen modernen Drehgestelle – die neue Baureihe EP/V3A, die neu entstandenen Beiwagen wurden alternativ aber auch als Typ V14 bezeichnet:
modernisiert | modernisiert und zu Beiwagen umgebaut | ||
---|---|---|---|
1976: | 6001 | 6201 | |
1977: | 6002–6023 | 6202–6223 | davon zwölf Festival |
1978: | 6024–6043 | 6224–6243 | davon acht Festival |
1979: | 6044–6068 | 6244–6268 | davon zwei Festival |
1980: | 6069–6093 | 6269–6286, 6288–6292 | davon elf Festival |
1981: | 6094–6162 | davon zwei Festival | |
1982: | 6163–6172 |
Außer an den neuen Drehgestellen waren die umgebauten Wagen an den neuen Einholmstromabnehmern, der einteiligen Frontscheibe samt neuer Linienverlaufsanzeige sowie den Klappfalttüren zu erkennen. Zuvor besaßen sie zweiteilige Schiebetüren, eine zweigeteilte Frontscheibe sowie eine einfache Liniennummernanzeige. Zudem erhielten sie eine neue elektrische Ausrüstung. Ab 1980 baute U.R.A.C. dann außerdem – speziell für den Einsatz hinter den EP/V3A-Triebwagen – 80 ältere Zweiachsbeiwagen zu Vierachsbeiwagen um und versah diese mit neuen Nummern:
1980: | 6287 |
1981: | 6294–6362 |
1982: | 6363–6372 |
Als Spenderwagen dienten dabei die V12-Beiwagen aus den 1950er- und 1960er-Jahren. Die Umbauwagen erhielten ebenfalls V3A-Drehgestelle und wurden daher als V12/V3A bezeichnet, alternativ aber auch als V15. Somit standen den 172 vierachsigen EP/V3A-Triebwagen fortan exakt 172 vierachsige Beiwagen zur Verfügung. Aufgrund zahlreicher schadhafter Triebwagen bildete die Bukarester Verkehrsgesellschaft allerdings ab 1988 auch Electroputere-Dreiwagenzüge mit einem Triebwagen und zwei Anhängern.[3] In der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre ersetzten schließlich gebraucht aus Westdeutschland übernommene Straßenbahnen die EP/V3A, die wie folgt aus dem Bestand schieden:
1995: | 55 Triebwagen und 55 Beiwagen (32 EP/V3A und 23 V12/V3A) ausgemustert |
1999: | 51 Triebwagen und 60 Beiwagen (30 EP/V3A und 30 V12/V3A) ausgemustert |
2000: | 66 Triebwagen und 57 Beiwagen (30 EP/V3A und 27 V12/V3A) ausgemustert |
Die letzten Electroputere-Züge in Bukarest verkehrten somit im Jahr 2000, einige blieben darüber hinaus als Arbeitswagen erhalten.[4]
Timișoara
Die 20 Wagen für Timișoara wurden wie folgt abgeliefert:
- 1955: 5 Wagen (208–212)
- 1956: 7 Wagen (213–219)
- 1959: 8 Wagen (220–227)
Die Nummerierung erfolgte im Anschluss an die sieben Großraumwagen des Typs Gb 2/2 mit den Nummern 201 bis 207. Die Wagen 208 und 209 erhielten 1964 aus systematischen Gründen die neuen Nummern 228 und 229, weshalb in manchen Quellen 22 Wagen erwähnt werden.[5] Zeitweise wurde der Typ V54 in Timișoara auch als T.8 bezeichnet. Die V54 kamen in Timișoara zunächst nur solo zum Einsatz. In den Jahren 1961 bis 1966 beschaffte die ab 1962 Întreprinderea de Transport Timișoara (I.T.T.) genannte Straßenbahngesellschaft schließlich bei I.T.B. 41 zweiachsige Beiwagen des Typs V12. Von ihnen waren 24 für den Einsatz hinter den V58 vorgesehen, die übrigen 17 hingegen für die V54. In den 1960er-Jahren erhielten die Electroputere-Triebwagen außerdem wie folgt pneumatische Falttüren nachgerüstet:
- 1965: 210 und 228
- 1966: 211, 215, 220 und 229
- 1967: 212, 213, 214, 216, 218, 219 und 226
- 1968: 217, 221, 222, 224, 225 und 227
- 1969: 223
Weil das Netz der Straßenbahn Timișoara in den 1950er-Jahren noch überwiegend auf den Zweirichtungsverkehr ausgelegt war, konnten die ersten V54 nur auf der Linie 2 (1962 in Linie 1 umbenannt) sowie der Ringlinie 6 eingesetzt werden. Erst im Oktober 1959 kam durch die Einrichtung einer zweiten Ringlinie – der Linie 5, die 1962 in Linie 7 umbenannt wurde – eine dritte Einsatzstrecke hinzu. Der Ringschluss im Stadtbezirk Fabric ermöglichte schließlich ab Ende 1959 auch den Einsatz auf der Linie 3, die 1962 in Linie 2 umbenannt wurde. Nachdem jedoch der Ringverkehr auf der Linie 7 infolge der Stilllegung der Strecke durch die damalige Calea Șagului 1969 wieder unterbrochen worden war, entfiel die Linie 7 nach zehn Jahren wieder als Einsatzgebiet.
Zwischen 1972 und 1976 wurden die V54 dann auch auf den Hauptlinien 1, 2 und 6 durch Timiș-2-Züge ersetzt. In der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre waren sie auf der 1973 neu eingeführten Linie 8 anzutreffen sowie ab 1976 kurzzeitig auch auf der Linie 4, zuletzt dann bis Mitte der 1980er-Jahre auf der Linie 7, die ab 1980 wieder als Ringlinie mit Einrichtungswagen betrieben wurde. Mit Ausnahme des Wagens 229, der einige Jahre als Arbeitswagen diente, wurden alle Timișoaraer V54 verschrottet. Nachdem 1996 auch Wagen 229 abgebrochen worden war, beschaffte das örtliche Verkehrsunternehmen – damals noch Regia Autonomă de Transport Timișoara genannt – im Jahr 1999 aus Bukarest den Triebwagen 6026, um aus historischen Gründen auch in Timișoara einen V54 vorweisen zu können. Der Triebwagen wurde 2008 restauriert und mit der Nummer 229 versehen.
Oradea
Oradea bekam mit 14 Wagen die geringste Stückzahl zugeteilt, sie wurden wie folgt dorthin geliefert:
1956: | Triebwagen 44, 45 und 46 |
1957: | Triebwagen 47 und 48 |
1958: | Triebwagen 49, 50 und 51 |
1959: | Triebwagen 52, 53 und 54 Beiwagen 111, 112 und 113 |
Die drei zuletzt gelieferten Beiwagen wurden schon in der ersten Hälfte der 1960er Jahre nachträglich motorisiert und erhielten in diesem Zusammenhang die neuen Nummern 58, 59 und 60. Besonders charakteristisch für die Oradeaer V54 war ihr Lyrastromabnehmer. Wie in den beiden anderen Städten kamen sie sowohl solo als auch zusammen mit zweiachsigen I.T.B.-Beiwagen zum Einsatz. Während Ende 1980 noch alle 14 Triebwagen vorhanden waren, befanden sich Ende 1986 nur noch fünf V54 im Bestand, bevor auch diese im Laufe des Jahres 1989 ausgemustert und durch Timiș-2-Züge sowie V2A- und V3A-Gelenkwagen ersetzt wurden.[6] In Oradea trugen die Wagen ferner den Spitznamen săgeata roşie, rumänisch für Roter Pfeil.[7]
Fahrgastfluss
Eine Besonderheit war das ursprünglich angewandte Fahrgastflussverfahren beim V54. Der Einstieg erfolgte anfangs über den etwas breiteren Türbereich in der Mitte, der dort sitzende Schaffner fertigte zwei Fahrgäste gleichzeitig ab. Diese rückten dann entweder nach links oder nach rechts in den Wagen auf, der Durchgang zwischen den beiden Wagenhälften wurde durch eine Stange verhindert. Der Ausstieg erfolgte über die etwas schmaleren Türen vorne und hinten. Dieses Prinzip bewährte sich jedoch nicht, weshalb die Wagen später auf einen gewöhnlichen Fahrgastfluss mit Einstieg an der Hecktüre – wo sich fortan auch der Schaffnersitz befand – umgebaut wurden.[8]
Literatur
- Dorin Sarca, Gh. Radulovici: Centenarul tramvaielor din Timișoara, Monografie 1869–1969. Timișoara 1969.
- Hans Lehnhart und Claude Jeanmarie: Straßenbahn-Betriebe in Osteuropa II. Verlag Eisenbahn, Villingen 1977, ISBN 3-85649-032-9.
- 1869–1994, 125 de ani de circulație cu tramvaiul în Timișoara, Monografie. Timișoara 1994.
- A. Günther, S. Tarkhov, C. Blank: Straßenbahnatlas Rumänien 2004. Arbeitsgemeinschaft Blickpunkt Straßenbahn e. V., Berlin 2004, ISBN 3-926524-23-5.
Einzelnachweise
- Favázas N.V.V. kocsik auf eminescu.rdsor.ro (Memento des Originals vom 4. März 2016 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Zeitung Drapelul roșu
- Uzina de Reparaţii – Atelierele Centrale auf www.ratb.ro
- Straßenbahnatlas Rumänien 2004. Seite 10
- 1869–1994, 125 de ani de circulație cu tramvaiul în Timișoara, Monografie. Timișoara 1994.
- Borcea Liviu, Mihai Apan, Moisa Gabriel: De la o stație la alta. Editura Arca, Oradea 2006, S. 120.
- Ronald Hochhauser, Nagy István: 110 ani de transport public cu tramvaiul electric în Oradea, 2016, S. 138, online auf crisia.mtariicrisurilor.ro, abgerufen am 31. März 2020
- Hans Lehnhart: Die Straßenbahnbetriebe in Rumänien. Sonderdruck aus der Fachzeitschrift DER STADTVERKEHR Heft 11/12-1966 und 3/1967, S. 4.