Ulrich Becher
Ulrich Becher (* 2. Januar 1910 in Berlin; † 15. April 1990 in Basel) war ein deutscher Schriftsteller und Stückeschreiber. Er ist der Vater von Martin Roda Becher.
Leben
Ulrich Becher wurde in Berlin als Sohn des Rechtsanwalts Richard Becher und der Pianistin Elisabeth Ulrich geboren. Nach dem Besuch der Freien Schulgemeinde in Wickersdorf, an der die musischen Fähigkeiten besonders geschult wurden, begann er in Berlin das Studium der Rechte. Gleichzeitig begann er eine Ausbildung zum Kunstmaler. Schon während der Schulzeit hatte er die Bekanntschaft von George Grosz gemacht, der sein grafisches Talent erkannte und ihn als einzigen Meisterschüler aufnahm.
Aber seine Fähigkeiten lagen auch auf poetischem Gebiet. Ab 1932 war er Mitglied der PEN und erschien Bechers Novellenband Männer machen Fehler bei Rowohlt, doch schon 1933 wurde sein Werk als „entartete“ Literatur öffentlich verbrannt. Am Tag nach dem Reichstagsbrand flüchtete Becher aus Deutschland nach Österreich und nahm die österreichische Staatsbürgerschaft an. Dies kommentierte er so: „Ich bin Österreicher geworden, weil ein Österreicher namens Hitler Deutscher geworden ist.“[1]. Bis zum Anschluss lebte er vor allem in Wien, aber auch in verschiedenen anderen europäischen Städten wie Paris, Prag und London. Am 11. November 1933 heiratete er eine frühere Kommilitonin von der Juristischen Fakultät, Dana Roda, die Tochter des berühmten österreichisch-ungarischen Schriftstellers Alexander Roda Roda und nahm in der Folge die österreichische Staatsbürgerschaft an.
Als Sohn der Schweizer Pianistin Elisabeth Ulrich hoffte er, in der Schweiz als Schriftsteller leben zu können, doch in den Augen der Schweizer Behörden verstieß seine antifaschistische Haltung gegen das Neutralitätsprinzip. Die Fremdenpolizei versagte ihm die Arbeitserlaubnis und legte ihm nahe, ins Ausland zu emigrieren. Daraufhin schloss sich das Ehepaar Becher der Gruppe um Hermann Mathias Görgen an, mit der dem Paar im März 1941 die Flucht über Portugal nach Brasilien gelang.
Die Bemühungen um ein Visum für die USA zogen sich drei Jahre hin. Als sie endlich die Einreisegenehmigung erhielten, übersiedelten sie 1944 nach New York zu den Schwiegereltern.
1948 kehrte Ulrich Becher nach Europa zurück, mit einem Theaterstück Der Bockerer im Gepäck, das er zusammen mit Peter Preses verfasst hatte. Das Stück sollte in Wien zu einem großen Erfolg werden. 1954 ließ er sich in Basel nieder. 1969 erschien bei Rowohlt sein autobiographisch geprägter Roman „Murmeljagd“,[2] in welchem er die vermeintliche und tatsächliche Bedrohung, die Einsamkeit und Verlassenheit eines nach 1938 politisch in Österreich verfolgten in die Schweiz exilierten Journalisten thematisch verarbeitet. 1976 erhielt er den Gesamtwerkspreis der Schweizerischen Schillerstiftung.
Sein Nachlass befindet sich im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern und im Exil-Archiv der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt.
Eine Auswahl seiner Bücher, Graphiken und Zeichnungen aus den zwanziger und dreißiger Jahren wurde im Mai 2012 in der Galerie Rotes Antiquariat in Berlin ausgestellt. Es erschien eine kleine Publikation mit farbigen Abbildungen seiner Arbeiten. Eröffnet wurde die Ausstellung u. a. von Martin Roda Becher.[3]
Werke
- Männer machen Fehler. Erzählungen. Rowohlt, Berlin 1932
- Niemand. Neuzeitliches Mysterienspiel. Julius Kittl Nachf., Mährisch-Ostrau 1934
- Die Eroberer. Geschichten aus Europa. Geleitwort Ernst Glaeser, Oprecht, Zürich 1936
- Das Märchen vom Räuber, der Schutzmann wurde. Moritat. Vorwort Willy Keller. Notgemeinschaft Deutscher Antifaschisten, Rio de Janeiro 1943. Reihe: Notbücherei deutscher Antifaschisten, 1
- Der Bockerer. Tragische Posse. Zusammen mit Peter Preses. Sexl, Wien 1946
- Reise zum blauen Tag. Verse. Volksstimme, St. Gallen 1946
- Der Pfeifer von Wien. Zusammen mit Peter Preses, 1950
- Nachtigall will zum Vater fliegen. Ein Zyklus Newyorker Novellen in vier Nächten. Sexl, Wien & Weismann, München 1950[4]
- Brasilianischer Romanzero. Frick, Wien & Classen, Zürich 1950
- Kurz nach 4. Roman. Rowohlt, Hamburg 1957; wieder Arco, Wuppertal 2011 ISBN 978-3-938375-45-7
- Spiele der Zeit.[5] Rowohlt, Hamburg 1957
- Männer machen Fehler. Geschichten der Windrose. Rowohlt, Hamburg 1958
- Das Herz des Hais. Roman. Rowohlt, Reinbek 1960
- Spiele der Zeit. Band 2.[6] Berlin 1968
- Männer machen Fehler. Zwölf Kurzgeschichten. Rowohlt, Hamburg 1970
- Ihre Sache, Madame! und andere Erzählungen. Aufbau, Berlin (DDR) 1973
- Murmeljagd. Roman. Rowohlt, Reinbek 1969; wieder Schöffling, Frankfurt 2009
- Das Profil. Roman. Rowohlt, Reinbek 1973
- William's Ex-Casino. Roman. Benziger, Köln 1973
- New Yorker Novellen. Benziger, Köln 1974[7]
- Siff. Selektive Identifizierung von Freund und Feind. Essays. Benziger, Köln 1978
- Franz Patenkindt. Romanze von einem deutschen Patenkind des François Villon in fünfzehn Bänkelsängen. Berliner Handpresse, Berlin 1979
- Vom Unzulänglichen der Wirklichkeit. Zehn nicht so nette Geschichten; Lenos, Basel 1983
- Die Eroberung einer Kleinstadt. Sprechtheater, Schauspiel. In Das Beste, Auswahlbücher, Nr. 483, Stuttgart 1983 ISBN 3-87070-196-X; wieder Thomas Sessler, Wien 2001
- Abseits vom Rodeo. Novelle. Lenos, Basel 1991
- "Ich lebe in der Apokalypse". Briefe an die Eltern. Hrsg. + Einleitung Martin Roda Becher in Zusammenarbeit mit Marina Sommer und Dieter Häner. Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft, Wien 2012, ISBN 978-3-901602-39-9
- Murmeljagd. Roman. Neuausgabe mit einem Nachwort von Eva Menasse. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2020, ISBN 978-3-89561-454-5.
- New Yorker Novellen. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Moritz Wagner. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2020, ISBN 978-3-89561-453-8.
Siehe auch
Literatur
- Jeroen Dewulf: Brasilien mit Brüchen. Schweizer unter dem Kreuz des Südens. NZZ Verlag, Zürich 2007. ISBN 978-3-03823-349-7.
- Daniela Hessmann: Kanonbildung, Türhüter und Diskursmächte im literarischen Leben Österreichs am Beispiel der Rezeption von Exilliteratur seit 1945. Praesens, Wien 2005 ISBN 3-7069-0309-1[8]
- Christoph Haacker: Ulrich Bechers „Kurz nach 4“ und die „leergeschossene Generation havarierter Europäer“ im Nachkrieg. Nachwort zu Kurz nach 4. Arco, Wuppertal 2011 ISBN 978-3-938375-45-7.
- Izabela Maria Furtado Kestler: Die Exilliteratur und das Exil der deutschsprachigen Schriftsteller und Publizisten in Brasilien Peter Lang, Frankfurt 1992 ISBN 3-631-45160-1
- Eva Menasse: So lacht die Hölle. Ulrich Bechers gewaltiger Roman "Murmeljagd" wird endlich wieder entdeckt. In: Die Welt. 17. Oktober 2009. (welt.de).
- Brigitte Marschall: Ulrich Becher. In: Andreas Kotte (Hrsg.): Theaterlexikon der Schweiz. Band 1, Chronos, Zürich 2005, ISBN 3-0340-0715-9, S. 139.
- Giorgia Sogos, Deutschland gestern und heute. Die Darstellung der Fremde in der Exil- und Migrationsliteratur im deutschsprachigen Kontext. Eine vergleichende Analyse, Free Pen Verlag, Bonn 2020, ISBN 978-3-945177-74-7
- Ulrich Weber/Marina Sommer (Hrsg.): Ulrich Becher. Quarto, Zeitschrift des Schweizerischen Literaturarchivs, Nr. 29, Slatkine, Genf 2009, ISSN 1023-6341, Inhaltsangabe, Editorial.
- Volker Weidermann: Ein Gelächter in der Hölle. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. 3. Januar 2010, S. 19. (faz.net).
- Nancy A. Zeller: Ulrich Becher: a computer-assisted case study of the reception of an Exile, Bern 1983 (Zugl.: Austin, Univ. of Texas, Diss.).
Weblinks
- ulrich-becher.ch
- Publikationen von und über Ulrich Becher im Katalog Helveticat der Schweizerischen Nationalbibliothek
- Nachlass von Ulrich Becher in der Archivdatenbank HelveticArchives der Schweizerischen Nationalbibliothek
- Basler Literarisches Archiv
- Literatur von und über Ulrich Becher im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- FAZ, 18. Dezember 2009, zur Neuauflage seines wichtigsten Romans, von Ernst Osterkamp
- Ulrich Becher in der Internet Movie Database (englisch)
- Website über den Roman Murmeljagd
- Teilnachlass Ulrich Becher im Deutschen Exilarchiv der Deutschen Nationalbibliothek
Einzelnachweise
- Ulrike Oedl: Das Exilland Österreich zwischen 1933 und 1938. S. 8 (literaturepochen.at [PDF]).
- Online. Neuauflage 2009 siehe Literatur. Rezension dazu in der FAZ siehe Weblinks. Beim Medienlabel Spektral als ungekürztes Hörbuch, Sprecher Wolfram Berger, Rezension dazu im Magazin Hörbücher, 4, 2010
- Männer machen Fehler, Der Tagesspiegel, 11. Mai 2012
- Mit 396 Seiten. Darin: 1. Nacht: “Die Frau und der Tod”, 2. “Der schwarze Hut”, 3. “Beim Apfelwein”, 4. “Nachtigall will zum Vater fliegen”. Rezension Online. Die vier Erzählungen wurden oft, auch nur teilweise und in anderer Zusammenstellung, nachgedruckt, siehe Benziger 1974 (3 von 4 Nächten); oder Mitteldeutscher Verlag, 1974 udT Der schwarze Hut. 101 Seiten oder Rowohlt, Hamburg 1955: Die ganze Nacht, rororo-Leinenbändchen 155, nur die 1. & 2. Nacht, 184 Seiten
- "Samba", "Feuerwasser", "Die Kleinen und die Großen"
- "Niemand", "Makumba", "Mademoiselle Löwenzom"
- zuerst 1950, siehe oben, jedoch nur 3 der 4 Nächte, 328 Seiten
- Online im Handel lesbar. Mit Liste früher Rezensionen zu Becher kurz nach 1945