Synagoge (Görlitz)
Die Synagoge in Görlitz ist ein zwischen 1909 und 1911 errichtetes jüdisches Gotteshaus mit überwiegend neoklassizistischen Merkmalen. Während der Novemberpogrome am 9. November 1938 erlitt sie nur leichte Beschädigungen und wurde als einzige Synagoge auf dem heutigen Gebiet von Sachsen in dieser Nacht nicht verwüstet. Da es nach dem Zweiten Weltkrieg in Görlitz keine jüdische Gemeinde mehr gab, verfiel das Gebäude in den folgenden Jahrzehnten zusehends. 1991 begann die umfassende Sanierung und Restaurierung, die im Dezember 2020 abgeschlossen wurde. Aufgrund der Covid-19-Pandemie wurde die feierliche Eröffnung ins Jahr 2021 verschoben;[1] sie erfolgte am 12. Juli 2021.[2][3]
Kulturforum Görlitzer Synagoge | |
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Görlitzer Synagoge | |
Daten | |
Ort | Otto-Müller-Straße 3, Görlitz, Deutschland |
Baumeister | Lossow & Kühne |
Baustil | Neoklassizismus, Jugendstil |
Baujahr | 1911 |
Koordinaten | 51° 9′ 9″ N, 14° 59′ 30″ O |
Geschichte
Die jüdische Gemeinde wuchs zwischen 1852 und 1880 von 150 auf 643 Mitglieder.[4] Die Alte Synagoge in der Langenstraße in der Altstadt von Görlitz, deren Errichtung im Jahre 1853 als Zeichen der damaligen Toleranz gesehen wurde,[5] wurde rasch zu klein für die wachsende jüdische Gemeinde. Die neue Synagoge wurde nach den Plänen der Dresdner Architekten Lossow & Kühne errichtet. An der künstlerischen Ausgestaltung waren der Glasmaler Josef Goller und der Bildhauer Karl Groß beteiligt. Die Architekten verwendeten wie bei ihrem Hauptwerk, dem Leipziger Hauptbahnhof (1909–1915), die Ausdrucksmittel des Neoklassizismus, die im Inneren mit Elementen des ausklingenden Jugendstils bereichert wurden.[6] Das unterscheidet diesen Sakralbau von den Synagogen früherer Jahrzehnte (vgl. Neue Synagoge in Berlin, erbaut 1859–1866) im maurischen Stil.[7] Nach zwei Jahren Bauzeit wurde die Synagoge am 7. März 1911 eröffnet. Die Synagoge hat zwei Betsäle; u. a. einen großen Kuppelsaal, der ursprünglich für ca. 550 Betende und nach der 2021 beendeten Sanierung noch für 310 Betende ausgelegt ist. Die Wochentagssynagoge ist für 50 Betende bestimmt.
Von 1933 bis 1945 unter der Herrschaft der Nationalsozialisten flohen Juden aus Görlitz oder wurden deportiert. Während der Novemberpogrome 1938 erlitt die Synagoge nur leichte Beschädigungen. Die Feuerwehren im gesamten Reich hatten den Befehl erhalten, die in Brand gesteckten jüdischen Gebäude nicht zu löschen und sämtliche Hilfe zu verweigern. Die Görlitzer Berufsfeuerwehr erhielt diesen Befehl zu spät. Als die Synagoge Feuer fing, rückten die Löschwagen aus und konnten das Feuer erfolgreich bekämpfen. Der letzte Gottesdienst fand im September 1940 statt. Ohne eine intakte jüdische Gemeinde verblieb das Gebäude ungenutzt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg übertrug die sowjetische Militäradministration die Synagoge an die nächstgelegene jüdische Gemeinde in Dresden. Die Gemeinde konnte die Unterhaltungskosten nicht aufbringen und verkaufte das Gebäude im November 1963 an die Stadt Görlitz.[8] Diese erklärte die Synagoge zum Kulturdenkmal, verzichtete aber auf Instandhaltungsinvestitionen, so dass das Gebäude in der folgenden Zeit verfiel.
1988 wurde eine Gedenktafel für die jüdischen Opfer aus der Zeit des Nationalsozialismus angebracht. 1991 wurde die Synagoge auf Beschluss des Sächsischen Landtags und des Görlitzer Stadtparlaments baulich gesichert.
Der damalige Außenminister Joschka Fischer sprach in der Synagoge als Laudator zur Verleihung des Internationalen Brückepreises. Kurz danach wurde die entsprechende Nutzungserlaubnis aus bauaufsichtlichen Gründen widerrufen.
Im November 2008 wurde das Gebäude nach der notwendigen Teilrestaurierung als konfessionsübergreifende Kultur- und Begegnungsstätte wiedereröffnet. Danach erfolgte eine aufwendige Detailsanierung. Unter anderem mussten die einstigen acht Hängeleuchter des Kuppelsaals rekonstruiert werden.[9] Die ursprünglich für den Dezember 2020 angekündigte Eröffnung nach vollständiger Sanierung wurde wegen der anhaltenden Covid-19-Pandemie auf das Jahr 2021 verschoben. Die Sanierung kostete ca. 10 Millionen Euro.[10]
Am 13. Oktober 2020 fand in der Synagoge ein Konzert mit der Pianistin Martha Argerich und dem Cellisten Mischa Maisky statt.[11]
Nach wie vor gibt es keine größere jüdische Gemeinde in Görlitz, die die Räumlichkeiten auslasten und unterhalten könnte. Deshalb sieht das Nutzungskonzept vor, dass der Kuppelsaal für Veranstaltungen und Konferenzen gebucht werden kann. In der Synagoge wird es Führungen zur jüdischen Geschichte geben. Die Wochentagssynagoge soll den Gottesdiensten der jüdischen Gemeinde vorbehalten bleiben.[12]
Am 20. August 2021 wurde in der Synagoge nach über 80 Jahren der erste jüdische Gottesdienst gefeiert.[13]
Am 16. Dezember 2021 wurden Fragmente der in der Pogromnacht verloren geglaubten Thora-Rolle der Stadt Görlitz übergeben. Sie befanden sich über 50 Jahre in der Obhut des Kunnerwitzer Pfarrers.[14] Alex Jacobowitz kritisierte, dass die Übergabe in Abwesenheit von Vertretern der jüdischen Gemeinde stattfand.[15]
Rekonstruktion des Davidsterns
Der Davidstern auf der Kuppelspitze wurde während der Novemberpogrome 1938 entfernt und „unter großem Johlen auf der Straße zertrümmert“.[16] Dadurch war die Synagoge entweiht. Die Pläne zur Sanierung Anfang der 1990er Jahre sahen keine Rekonstruktion des Davidsterns vor. Bis 2017 sprach sich auch die Jüdische Gemeinde in Dresden gegen eine Rekonstruktion aus. Diese Meinung hat sich inzwischen geändert.
Sowohl der Förderkreis Görlitzer Synagoge e.V., der Mitte 2020 mit einem offenen Brief die Diskussionen erneut angestoßen hatte,[17][18] als auch die Stadtverwaltung und die Jüdische Gemeinde Dresden sind für eine Wiedererrichtung des Davidsterns.[19]
Bei der Sanierung des Daches 1992 wurde noch keine Möglichkeit geschaffen, wieder einen Davidstern zu installieren. Durch einen Stadtratsbeschluss im Dezember 2020 wurde der Bürgermeister beauftragt, dafür ein Tragwerksgutachten zur technischen Machbarkeit in Auftrag zu geben. Das Ergebnis dieses Gutachtens erlaubt die geplante Errichtung des Davidsterns auf dem Dach. Der Musiker und Vorsitzende der Görlitzer jüdischen Gemeinde, Alex Jacobowitz, sagte einen fünfstelligen Betrag zu.[20] Ein anonymer Spender überwies der Stadt Mitte Mai 2021 für diesen Zweck zusätzlich 70.000 Euro. Der Davidstern soll nun bis Ende des Jahres 2021 aufgesetzt werden.[21]
Galerie
- Portal
- Eingang
- Kuppel
- Toraschrein
- Kuppelsaal
- Wochentagssynagoge
Literatur
- The New Synagogue in Görlitz, Alex Jacobowitz, first edition, Verlag Hentrich & Hentrich (Publisher) Berlin, 2021, ISBN 978-3-95565-507-5
- Die Neue Görlitzer Synagoge, Alex Jacobowitz, Erstausgabe, Verlag Hentrich & Hentrich Berlin, 2021, ISBN 978-3-95565-463-4.
- Norbert Haase: Die Synagoge zu Görlitz. (= Jüdische Miniaturen, Band 31) Hentrich & Hentrich, Berlin 2010, ISBN 978-3-942271-02-8.
- Lauren Leiderman: Das Poesiealbum von Eva Goldberg, Erstausgabe, Verlag Hentrich & Hentrich Berlin Leipzig, 2021, ISBN 978-3-95565-501-3
Weblinks
Einzelnachweise
- Amtsblatt der Großen Kreisstadt Görlitz, Ausgabe 2020, Nr. 12: Ansprache des Bürgermeisters, Seite 4.
- Jüdische Allgemeine: Kulturforum Görlitzer Synagoge wird eröffnet vom 4. Juli 2021.
- Synagoge in Görlitz wird wieder zum Ort für Begegnung und Gebet, mdr.de vom 12. Juli 2021.
- Alte Synagoge Literaturhaus: Jewish Görlitz.
- Die Einweihung der katholischen Kirche zu Marklissa. In: Illustrirte Zeitung, 29. Juli 1854, S. 3 (online bei ANNO). : „Eine erfreuliche Erscheinung der in unseren Tagen herrschenden Toleranz ist es, daß auch in Städten, wo eine Confession die vorherrschende ist, die schwächere Partei ihre Gotteshäuser und Schulen frei errichten darf. So hat die nicht sehr zahlreiche katholische Gemeinde zu Görlitz im vorigen Jahre eine Kirche und die Judengemeinde daselbst eine Synagoge erhalten.“
- ehem. Synagoge – Görlitz. In: Deutsche Stiftung Denkmalschutz. Deutsche Stiftung Denkmalschutz, abgerufen am 13. Juli 2021.
- Förderkreis Görlitzer Synagoge e. V.: Geschichte und Bedeutung.
- Förderkreis Görlitzer Synagoge e. V.: Das Gebäude.
- Sächsische Zeitung: Synagoge bekommt ihre Leuchter zurück, 3. September 2020.
- Sächsische Zeitung: So schön, aber noch verschlossen, Artikel vom 30. Dezember 2020.
- Lausitz Festival: Martha Argerich & Mischa Maisky LIVE aus der Synagoge Görlitz auf YouTube, 13. Oktober 2020.
- Nutzungs-und Betriebskonzept für das Kulturforum Görlitzer Synagoge, goerlitz.de. Stand 29. September 2017.
- Sächsische Zeitung: „Görlitz: Juden feiern ersten Gottesdienst nach 80 Jahren“, 22. August 2021.
- Sächsische Zeitung: „Pfarrer lüftet Geheimnis um Görlitzer Thora“, 16. Dezember 2021.
- Thomas Gerlach: Christliche Freude, jüdische Tränen. In: Die Tageszeitung. 12. Januar 2022, S. 5.
- Deutschlandfunk Kultur – Aus der jüdischen Welt: Restaurierung der früheren Görlitzer Synagoge – Städtisches Kulturzentrum – mit oder ohne Davidstern?, 4. September 2020.
- Förderkreis Görlitzer Synagoge e.V.: Setzt den Davidstern wieder auf die Görlitzer Synagoge!, 11. November 2020.
- Berliner Zeitung: „Das darf nicht das letzte Wort der Geschichte sein“, 25. September 2020.
- Sächsische Zeitung: Stadtrat für Rückkehr des Davidsterns, 28. November 2020.
- Sächsische Zeitung: Jüdische Gemeinde spendet für neuen Davidstern 1. März 2021.
- Radio Erzgebirge: Anonymer Spender überweist Görlitz 70.000 Euro, 21. Mai 2021.