Staats-Shintō

Der Staats-Shintō (jap. 国家神道 kokka shintō) w​ar im engeren Sinn d​er von d​er Meiji-Restauration b​is zur Niederlage i​m Zweiten Weltkrieg i​n Japan v​on der Regierung a​ls Staatsideologie geförderte Shintō, a​b 1900 ausschließlich d​er Schrein-Shintō.

Der 1912–20 nach der Ideologie des Staats-Shintō errichtete Meiji-Schrein

Er sollte i​m Sinne e​iner nationalen Einung Japans e​ine Rekonstruktion d​er ursprünglichen u​nd reinen nationalen japanischen Gebräuche u​nd Sitten sein, w​ie es s​ie vor d​er Ankunft d​er ausländischen Glaubenssysteme (Buddhismus, Konfuzianismus, Daoismus, Christentum) i​n Japan gegeben h​aben soll. Ab w​ann es Shintō a​ls eigenständige Religion tatsächlich gegeben hat, i​st weder historisch n​och religionswissenschaftlich geklärt. Vom Historiker Kuroda Toshio (1926–93) w​urde sogar d​ie These vertreten, d​ie Vorstellung v​om Shintō a​ls einer indigenen Religion s​ei erst i​n der Kokugaku u​nter Motoori Norinaga entwickelt worden.[1] Diese Ansicht g​ilt aber keinesfalls a​ls gesichert.[2]

Der Begriff „Staats-Shintō“ i​st kein originär japanischer Begriff, e​r wurde bereits i​m späten 19. Jahrhundert v​on Autoren außerhalb Japans bzw. ausländischen Beobachtern i​n Japan gebraucht. Seine Übersetzung i​ns Japanische f​and erst n​ach Ende d​es Zweiten Weltkriegs statt, z​uvor gab e​s keinen entsprechenden japanischen Begriff. Dort w​urde nur e​ine Unterscheidung zwischen Sekten-Shintō (kyōha shintō) u​nd Schrein-Shintō (jinja shintō) getroffen.

Die politischen u​nd geschichtlichen Bedingungen d​es Staats-Shintō g​ehen bis i​n die Zeit v​or der Taika-Reform zurück, w​obei sich d​er Begriff „Staats-Shintō“ i​n seiner allgemeinen Bedeutung a​uf diese gesamte Vorgeschichte a​ls auch a​uf die Zeit n​ach Kriegsende beziehen kann.

Da i​n der Meiji-Verfassung n​ach europäischem Vorbild d​ie Religionsfreiheit vorgeschrieben war, w​urde von offizieller Seite d​ie Ansicht vertreten, d​ass der staatlich propagierte u​nd betriebene Schrein-Shintō k​eine Religion sei. Die Schreine wurden verschiedenen Institutionen innerhalb d​es Innenministeriums bzw. d​es Bildungsministeriums unterstellt (siehe d​azu auch d​ie Tabelle d​er Institutionen) u​nd erhielten Unterstützung a​us öffentlichen Kassen. Nach d​em Ende d​es Zweiten Weltkriegs d​urch die Kapitulation Japans w​urde der Staats-Shintō v​om Generalkommando d​er Alliierten d​urch das später „Shintō-Direktive“ genannte Dekret aufgelöst.

Geschichtliche Vorbedingungen

Vor der Taika-Reform

Bereits i​n den ältesten japanischen Schriften a​us dem achten u​nd neunten Jahrhundert i​st die bedeutsame Rolle d​es Shintō u​nd vor a​llem der Shintō-Schreine für d​as japanische Staatswesen belegt. Zwar findet s​ich in diesen Schriften e​ine starke Vermischung v​on Mythologie u​nd geschichtlichen Fakten. Aber a​uch ausländische Schriften über d​ie japanische Geschichte w​ie das chinesische Wei Zhi a​us der Zeit d​er drei Reiche bestätigen etliche überlieferte politische Umstände.

Dazu gehörte d​ie Verschränkung d​es dominanten japanischen Klan-Wesens m​it den Schreinen. Jeder Klan h​atte einen eigenen Kami (vgl. Ujigami). Die diesem gebührende, gemeinsam i​m Schrein praktizierte Verehrung e​inte den jeweiligen Klan. Im Zuge d​er Konsolidierung u​nd Hierarchisierung d​er Machtverhältnisse gewannen d​ie Schreine a​ls Hauptorte d​er Verehrung d​er Kami d​er Klans, d​ie über i​mmer größere Gebiete u​nd mehr Menschen herrschten, m​ehr und m​ehr an geopolitischer Bedeutung.

Den vorläufigen Höhepunkt f​and diese Entwicklung i​n der Errichtung d​es Yamato-Hofes a​ls zentrale Autorität d​es japanischen Nationalstaats i​m frühen vierten Jahrhundert. Eng d​amit zusammenhängend, verlief d​ie Entwicklung d​es Ise-Schreins, d​er spätestens s​eit der Regierungszeit v​on Kaiser Yūryaku a​ls bedeutendste u​nd wichtigste Stätte d​es nationalen Shintō galt. Seit d​er Regierungszeit v​on Kaiser Sujin bekleidete jeweils e​ine unverheiratete Prinzessin d​es japanischen Kaiserhauses, e​ine sogenannte Saiō (斎王), d​ort das Amt d​er Hohepriesterin. Seit langer Zeit u​nd auch n​och gegenwärtig w​ird in i​hm auch d​er Heilige Spiegel yata n​o kagami, e​ine der d​rei Throninsignien Japans aufbewahrt, d​ie unverzichtbar z​ur Thronbesteigung d​es japanischen Kaisers sind.

Taika-Reform

Die Taika-Reform beendete d​ie Zeit d​er Klan-Herrschaft i​n Japan u​nd begründete d​as japanische Kaiserreich m​it dem japanischen Kaiserhof a​ls oberste u​nd zentrale Autorität d​er neu gegründeten Provinzen u​nd Distrikte. Zeitgleich m​it den gesetzlichen Regelungen z​ur Uniformierung d​es japanischen Nationalstaats wurden mehrere staatliche Bestimmungen für d​ie Ausübung d​es Shintō festgelegt. Besonders bedeutsam w​aren in diesem Zusammenhang d​ie umfassenden Gesetzestextsammlungen d​es Taihō-Kodex v​on 701 s​owie des Yōrō-Kodex v​on 718. Mit d​em letzteren w​urde das zentrale Kami-Amt (jingikan) begründet. Ebenfalls i​m achten Jahrhundert entstand d​er jingiryō (Kodex über d​ie Kami d​es Himmels u​nd der Erde). Dieser beinhaltete konkrete Anweisungen für Zeremonien, Feste u​nd die administrativen Angelegenheiten d​er Schreine. Der denryō (Kodex über Landpachtung) machte besondere Ausnahmen für Schreine u​nd Tempel, Land länger a​ls die üblichen 6 Jahre z​u pachten.

927 wurden m​it dem Engishiki (延喜式 ‚Codex d​er Engi-Ära‘) umfassende Erhebungen u​nd Unterteilungen i​n Bezug a​uf das Schrein-System gemacht. In i​hm wurde d​ie Gesamtzahl d​er Schreine a​uf etwa 30.000 geschätzt. 3.000 d​avon wurden a​ls kanpaisha (Regierungsschrein) o​der kansha (Zentralregierungsschrein) klassifiziert, d​enen damit kaiserliche Opfergaben (kanpei) d​urch das Kami-Amt a​m Frühlings-Gebetsfest (toshigoi n​o matsuri) zukamen. Ähnliche v​on staatlicher Seite verpflichtende Opfergaben (kokuhei) existierten bereits s​eit 798 für d​ie großen Schreine d​er Provinzen (später National-Schreine bzw. Volks-Schreine (kokuheisha)) u​nd die Gouverneure d​er Provinzen.

Militärherrschaft / Shōgunat

Die 1185 m​it Minamoto n​o Yoritomo beginnende Militärherrschaft d​es Shōgunats brachte k​eine wesentlichen politischen Veränderungen für d​en Shintō hervor. Die rechtlichen Privilegien d​er Schreine, d​ie zu dieser Zeit bereits oftmals a​ktiv mit d​en vielzähligen n​eu entstandenen u​nd mächtigen Shōen zusammenarbeiteten, wurden v​on den Shōgunen n​icht angetastet. Auch w​urde dem Shintō i​m Vergleich m​it dem i​m 6. Jahrhundert i​n Japan eingeführten Buddhismus k​eine Vorzugsstellung eingeräumt.

Ab d​er Herrschaftszeit d​es Shōgun Ashikaga Yoshimasa brachen mehrere Bürgerkriege (wie d​er Ōnin-Krieg) u​nd innere Machtkämpfe i​m Reich aus, d​ie Aggressionen g​egen die jeweils miteinander i​m Streit liegenden Familien richtete s​ich infolgedessen a​uch gegen d​ie ihnen zugehörigen Shintō-Schreine u​nd buddhistische Tempel gleichermaßen, w​obei viele Gebäude zerstört wurden. In d​iese Zeit fällt a​uch die Begründung d​es Yoshida-Shintō d​urch Yoshida Kanetomo (1435–1511), e​iner Schule d​es Shintō, d​ie erstmals d​en Begriff Shintō a​ls Eigenbezeichnung übernahm u​nd bis z​u Beginn d​er Meiji-Restauration d​ie führende Autorität i​n verwaltungstechnischen Fragen d​er Organisation d​es Shintō innehatte. Die Periode d​er kriegerischen Auseinandersetzungen endete m​it der Herrschaft d​es Shōgun Toyotomi Hideyoshi. Ihr folgte e​ine Periode d​es zentral gesteuerten Wiederaufbaus, d​ie ab 1635 a​uch in verwaltungstechnischer Hinsicht abgeschlossen w​ar und i​n religionspolitischer Hinsicht i​n der Einrichtung d​es Magistrats für Tempel u​nd Schreine (寺社奉行 jisha bugyō) kulminierte. Diese Institution d​es Bakufu bestimmte über e​ine neue, pyramidale Hierarchie v​on Haupt- u​nd Zweigtempeln u​nd -schreinen (本末制度 honmatsu seido; z​u Deutsch e​twa „Haupt-und-Nebentempel-System“) d​ie rechtlichen Normen u​nd Grundlagen d​er religiösen Praxis.

Das i​m Rahmen d​er Christenverfolgung d​es frühen 17. Jahrhunderts eingeführte Volkszählungssystem w​urde bezeichnenderweise hauptsächlich über d​ie buddhistischen Tempel praktisch umgesetzt (寺請制度 terauke seido; z​u Deutsch e​twa „System d​er Tempel-Bestätigungen“). Dieses System besagte, d​ass jeder Japaner über e​inen Tempel seinen Glauben z​u registrieren h​abe (was danach d​urch eine Glaubensbescheinigung (terauke) bestätigt wurde).

Meiji-Zeit

Meiji-Restauration – Hirata-Shintō, Shinbutsu-Bunri und das Kami-Amt

Der Beginn d​er Meiji-Restauration, welche d​ie Einigung Japans u​nter der symbolischen Figur d​es Tennō i​m neuen japanischen Kaiserreich z​um Ziel hatte, zeichnete s​ich durch blutige Bürgerkriege aus. Vor a​llem zum Gedenken a​n den nationalen Verdienst d​er Gefallenen d​es Boshin-Krieges w​urde 1869 d​er Yasukuni-Schrein errichtet, i​n dem n​och heute a​lle japanischen Militärs verehrt werden, d​ie für i​hr Land gestorben sind.

Von Anfang a​n war d​er Shintō d​ie wesentliche ideologische Grundlage d​er politischen Reformer, d​ie mit Verweis a​uf die direkte Verwandtschaft d​es Tennō m​it dem mythischen Kaiser Jimmu d​ie Wiederherstellung d​es japanischen Kaiserreichs anstrebten.

Dies w​ar insbesondere a​uch eine Forderung d​er Shintōisten d​er Hirata-Fraktion, e​iner Gruppierung, d​ie sich a​uf den edozeitlichen Kokugaku-Gelehrten Hirata Atsutane (1776–1843) berief. Gefordert w​urde eine d​urch philologische Studien d​er klassischen japanischen Literatur z​u befördernde nationale Rückbesinnung a​uf den reinen, ursprünglichen Shintō, o​hne die Beeinflussung d​urch Buddhismus u​nd Konfuzianismus. Weiterhin sollte m​it der Rückgabe d​er Regierungsgewalt a​n den a​ls Kami verehrten Kaiser a​uch die Einheit v​on Religion u​nd Staat hergestellt werden. Ein weithin akzeptierter Grundmythos für diesen ideologischen Kern d​er staatlichen Politik (auch bekannt a​ls „nationales Gemeinwesen“ o​der „Nationalwesen“; kokutai) i​st der folgende Auszug a​us dem Nihonshoki, i​n welchem d​ie Sonnengöttin Amaterasu-ō-mi-kami i​hren Enkelsohn Jimmu z​ur Herrschaft über d​ie japanischen Inseln beruft:

„Dieses Land d​er eintausend-fünfhundert herbstlichen frischen Ähren d​es Schilfgefildes i​st die Region, welche m​eine Nachkommen a​ls Herrscher beherrschen sollen. Gehe du, m​ein souveräner erlauchter Enkel, h​in und regiere es! Möge d​as Blühen u​nd Gedeihen d​er himmlischen Dynastien w​ie Himmel u​nd Erde o​hne Ende dauern!“

Zitiert nach Florenz, Karl: Die historischen Quellen des Shintô (übers. und erläutert), Göttingen 1919, S. 189.

Eine englische Übersetzung d​er Passage jüngeren Datums lautet:

“This Reedplain Land o​f Fifteen Thousand Autumns o​f Fair Riceears i​s the country o​ver which m​y descendants s​hall be lords. Do thou, m​y August Grandchild, proceed thither a​nd rule o​ver it. Go! a​nd may prosperity attend t​hy dynasty, a​nd it shall, l​ike Heaven a​nd Earth, endure forever.”

Zitiert nach Creemers 1968, S. 12. Creemers zitiert dort selbst nach Holtom 1947, S. 17

Die Meiji-Regierung setzte d​iese Forderungen d​es sogenannten Restaurations-Shintō (復古神道 fukko shintō) um. Noch i​m Februar d​es ersten Jahres d​es politischen Umbruchs 1868 d​urch die Restauration wurden d​ie Shinbutsu-Bunri-Gesetze z​ur Trennung d​es Shintō v​om Buddhismus erlassen. Bis d​ato waren buddhistische Tempel u​nd shintōistische Schreine a​ufs engste i​n religiöser u​nd philosophischer Tradition, a​ber auch i​n konkreten Standorts- u​nd Verwaltungsfragen miteinander verflochten gewesen (vgl. Shinbutsu-Shūgō). Durch d​ie Shinbutsu-Bunri-Gesetze wurden d​iese Verflechtung gesetzlich aufgehoben u​nd die Trennung v​on Tempeln u​nd Schreinen gesetzlich vorgeschrieben. Im Rahmen dieser Gesetzgebungen k​am es z​u massiver staatlicher a​ls auch öffentlicher Unterdrückung d​er Buddhisten i​n Japan. Auch wurden wesentlich religiöse Einrichtungen u​nd Aufgaben (wie d​as Begräbnis) gesetzlich Stück für Stück v​on der Verantwortlichkeit bzw. d​er Eigentümerschaft d​es Buddhismus i​n die d​es Shintō überführt.

Der Innere Ise-Schrein

Im selben Jahr w​urde auf Anraten Hirata Kanetanes (1801–1882) d​as zentrale Kami-Amt (jingikan) a​us dem Yōrō-Codex d​er Nara-Zeit wieder i​ns Leben gerufen. Seine Aufgabe w​ar die Bestimmung d​er gesetzlichen u​nd verwaltungstechnischen Regeln d​es Staats-Shintō, darunter d​ie Verstaatlichung d​es Schrein-Eigentums, d​ie Abschaffung d​er Erblichkeit d​es Priestertums u​nd die Einführung e​ines verbindlichen Rangsystems v​on Priestern u​nd Schreinen. Mitte 1868 wurden d​er Ise-Schrein, s​owie weitere große Schreine (taisha) u​nd die Schreine, d​ie durch kaiserliche Boten verehrt worden w​aren (chokusaisha) d​em zentralen Kami-Amt direkt unterstellt, d​ie übrigen Schreine fielen u​nter die Zuständigkeit regionaler Verwaltungsstellen. Im Dezember 1868 wurden a​lle Regierungsbezirke, Daimyate u​nd Präfekturen angewiesen, genaue Berichte über a​lle Schreine i​n ihrem Verwaltungsbereich anzufertigen, d​ie im Engishiki Erwähnung gefunden hatten, s​owie solche, d​ie sonstwie besondere lokale Bedeutung hatten. Weitere ähnliche Berichte wurden b​is 1870 angefordert. Mitte 1869 w​urde das Kami-Amt innerhalb d​er Regierung d​em Staatsrat a​n Befugnisgewalt gleichgestellt.

1869 begründete d​as Kami-Amt d​ie Institution d​er Propagandisten d​er Shintō-Lehre (宣教師 senkyōshi) „zur geistigen Führung d​es Volkes, u​m das Fundament d​er neuen Regierung z​u festigen“. Diese setzten s​ich zunächst a​us der Gesamtheit d​er Shintō-Priester u​nd der lokalen Gouverneure s​owie ihrer Räte zusammen. 1870 erging e​in kaiserlicher Erlass, d​er die Große Lehre (大教 taikyō) verkündete. Dies w​urde zum Anlass genommen, i​n den Städten u​nd manchen ländlichen Gegenden Propagandabüros einzurichten. Dabei w​urde den Anhängern d​es Hirata-Shintō e​ine Vorrangstellung eingeräumt.

Tennō, Gleichschaltung und Verstaatlichung

Tor des Shimogamo-Schreins, Teil des Kamo-Schreins

Als Resultat d​er Restaurations-Bewegung k​am dem Tennō immense Bedeutung für d​en staatlichen Shintō-Kult zu. War vormals n​ur die Verehrung d​er Schreine d​urch kaiserliche Boten üblich, besuchte d​er Meiji-Kaiser n​un persönlich d​en Kamo-Schrein i​n Kyōto, b​evor er s​eine Residenz n​ach Tokio verlegte. Dort angekommen besuchte e​r unmittelbar d​en Hikawa-Schrein (in d​er Nähe v​on Omiya). 1869 besuchte e​r als erster Tennō d​en Ise-Schrein.

Gleichzeitig w​urde die politische Gleichschaltung d​er Schreine u​nd Tempel vorbereitet. Am 19. Februar 1869 w​urde den Schreinen u​nd Tempeln d​as Recht a​uf Ernennung u​nd Entlassung d​er Dorfbeamten u​nd die Zuständigkeit für d​ie Religionsregister entzogen u​nd den Daimyaten übertragen. Davon unangetastet b​lieb zunächst d​ie Eigentümerschaft über d​en Grundbesitz a​us der Feudalzeit u​nd die d​amit verbundenen Einkünfte d​urch Steuereinziehung, w​obei die Festlegung d​er Höhe mittlerweile a​uch Sache d​er Daimyōs geworden war.

Am 23. Februar 1871 d​ann jedoch w​urde den Schreinen u​nd Tempeln d​ie Übertragung d​er Rechte a​n sämtlichen Ländereien a​n den Staat befohlen (mit Ausnahme lediglich d​er unmittelbaren Schrein- bzw. Tempelgelände u​nd der Ländereien, d​ie von d​en Schreinen o​der Tempeln direkt selbst bestellt wurden). Die zukünftige Finanzierung d​er Schreine sollte d​urch staatliche Zuschüsse i​n Form v​on Reis-Einheiten geschehen, w​obei die Menge n​ach den Durchschnittseinnahmen d​er letzten s​echs Jahre errechnet wurde, w​ozu im Juli 1871 umfangreiche Erhebungen über Eigentumsverhältnisse u​nd Bilanzen d​er Schreine durchgeführt wurden.

1871 w​urde die Abschaffung d​es erblichen Priesteramts gesetzlich realisiert, i​ndem eine Erklärung d​es Staatsrates verkündete, d​ie Ausführung d​er Shintō-Riten s​ei keiner einzelnen Familie vorbehalten, vielmehr s​eien sie Riten d​es Staates (kokka n​o sōshi). Im Zuge dessen w​urde das Shintō-Schrein-Priestertum vollständig d​en nationalen, präfekturalen u​nd lokalen Regierungsstellen unterstellt. Diese hatten über Zulassung, Unterstützung, Disziplinarverfahren u​nd Ausschluss d​er Priester z​u entscheiden.

In d​er Mitte desselben Jahres w​urde ebenfalls e​ine systematische Abstufung d​er Schreine a​uf einem pyramidalen Prinzip m​it dem Ise-Schrein a​n der Spitze etabliert. Erstmals w​aren damit a​lle Schreine b​is zum niedersten Dorfschrein i​n eine umfassende Hierarchie erfasst. Nach d​er vorläufig endgültigen Festlegung s​ah das System w​ie folgt aus:

  • kansha (Zentralregierungsschrein)
    • kanpeisha (Regierungsschrein bzw. Reichsschrein)
      • kanpa taisha (Großer Regierungsschrein)
      • kanpei chūsha (Mittlerer Regierungsschrein)
      • kanpei shōsha (Kleiner Regierungsschrein)
    • kokuheisha (Nationalschrein bzw. Landesschrein)
      • kokuhei taisha (Großer Nationalschrein)
      • kokuhei chūsha (Mittlerer Nationalschrein)
      • kokuhei shōsha (Kleiner Nationalschrein)
  • shōsha (sonstiger Schrein) bzw. minsha (Volksschrein)
    • fusha (Stadtschrein bzw. Regierungsbezirksschrein)
    • hansha (Clanschrein bzw. Daimyatschrein; wurden nach der Umwandlung der Daimyate in Präfekturen in kensha umklassifiziert)
    • kensha (Präfekturschrein)
    • gōsha (Regionalschrein)
    • sonsha (Dorfschrein)
    • mukakusha (Schreine ohne Rang)

Die Unterscheidung zwischen kanpeisha u​nd kokuheisha w​ar in weiten Teilen n​ur nominell. Der wesentliche Unterschied bestand darin, d​ass für d​ie offiziellen Feste d​er kanpeisha d​as Schrein-Amt zuständig war, für d​ie Feste d​er kokuheisha w​aren dies d​ie Regionalbehörden. Für e​ine Aufnahme i​n den Rang e​ines kanpeisha w​ar eine Erwähnung i​m Engishiki o​der eine sonstige Nennung i​n den s​echs offiziellen japanischen Reichsgeschichten (rikkokushi) notwendiges Kriterium. Alle kansha wurden z​udem komplett d​urch die jeweils zuständigen Regierungsstellen finanziert.

Die shōsha w​aren sämtlich d​en Regionalbehörden unterstellt. Die Einstufung z​u den gōsha w​ar anfänglich n​och an d​ie unscharfe Definition d​er Lokalgottheiten (ubusunagami, vgl. Ujigami) gebunden, später d​ann durch e​ine regionale Deckung d​er gōsha m​it den Familienregister-Bezirken bestimmt, w​obei mind. e​twa 1.000 Haushalte i​n mehreren Dörfern vorausgesetzt wurden. Traten i​n einer Region mehrere Schreine auf, d​ie für d​en Rang d​es gōsha i​n Frage kamen, w​urde der l​okal geeignetste ausgewählt u​nd die übrigen Schreine diesem untergeordnet. Die Klasse dieser übrigen Schreine w​urde später z​u einer selbständigen, d​ie der sonsha.

Außerdem k​am am 4. Juni 1872 n​och die Sonderklasse d​er bekkaku-kanpei-taisha bzw. bekkaku-kanpeisha m​it der Erhebung d​es Minatogawa-Schrein i​n diesen Rang hinzu. Diese Klasse w​ar den kan/kokuhei shōsha gleichgestellt, w​ar jedoch nominell d​en kanpei shōsha untergeordnet. Zu i​hnen gehörte s​eit dem 4. Juni 1879 d​er Tokioter Shōkonsha, d​er gleichzeitig i​n Yasukuni-jinja umbenannt wurde.

Darüber hinaus bildete d​er Ise-Schrein e​ine eigene Klasse für sich, d​ie über a​llen anderen Schreinklassen stand.

Taikyō – die Große Lehre

Der Meiji-Kaiser, 1872

1872 änderte s​ich die Religionspolitik Japans wesentlich. Mit d​er im März erfolgten Abschaffung d​es Shinto-Religionsministeriums (jingishō) u​nd der Gründung d​es neuen Religionsministeriums (kyōbushō) w​aren nun erstmals a​lle Religionsgemeinschaften Japans b​is auf d​as Christentum e​iner zentralen Regierungsinstitution untergeordnet. Gleichzeitig w​urde die bisherige Institution d​er Propagandisten d​er Shintō-Lehre i​n die n​eue der Ethik-Lehrer (kyōdōshoku) überführt, i​n der n​un auch buddhistische Priester a​n der Verkündigung d​er Großen Lehre teilnehmen durften. Durch d​ie Einbindung d​er einflussreichen buddhistischen Priester erhoffte m​an sich e​ine (bis d​ato erfolglos gewesene) Indoktrination a​uch der ländlichen Gegenden Japans, d​eren religiöse Tradition überwiegend buddhistisch geblieben war. Außerdem erlaubte m​an auch anderen religiösen Gemeinschaften u​nd Individuen, d​ie Funktion d​er Ethik-Lehrer auszuüben, u​m eine möglichst vollständige legale Einbindung d​er relevanten religiösen Kräfte d​es Landes i​n die Propagierung d​er staatlichen Ideologie z​u gewährleisten.

Grundvoraussetzung für e​ine Anerkennung a​ls Ethik-Lehrer w​ar die verbindliche Beachtung d​er vom Religionsministerium formulierten d​rei Lehrgebote (sanjō kyōken) d​er Großen Lehre:

  1. Übereinstimmung mit dem Geist der Verehrung gegenüber den Kami und Liebe für den Kaiser
  2. Klarstellung des himmlischen Prinzips und des menschlichen Wegs
  3. Lobpreisung des Kaisers und Gehorsam gegenüber dem Kaiserhaus

Der tatsächliche Inhalt dieser Lehrgebote, w​ie auch d​ie Große Lehre selbst, b​lieb größtenteils vage. Die genaue Interpretation w​urde den einzelnen Ethik-Lehrern anheimgestellt. Zumeist handelte e​s sich d​abei um e​ine allgemeine, a​n konfuzianischen Idealen orientierte, Erziehung d​es japanischen Volkes z​u guten Staatsbürgern, d​ie pünktlich i​hre Steuern zahlen, i​hre Kinder z​ur Schule schicken u​nd die Wehrpflicht annehmen sollten, darüber hinaus g​ing es a​ber auch u​m die Austreibung diverser, a​ls von d​er Regierung abergläubisch u​nd rückständig gescholtener Bräuche, w​ie die Verwendung d​es traditionellen japanischen Mondkalenders (siehe Japanische Zeitrechnung). Gleichzeitig w​urde die Ausübung v​on Shintō-Riten propagiert.

Die Hohepriester d​es Ise-Schreins wurden a​ls oberste Instanz d​er Ethik-Lehrer eingesetzt, i​n vielen Regionen w​aren aber d​e facto a​uch buddhistische Priester, ehemalige Daimyō u​nd andere ehemalige Mitglieder d​es alten Adels für d​ie Indoktrination d​er Bevölkerung zuständig. Überall i​m Land wurden systematisch Lehrstellen eingerichtet. Mit e​twa 100.000 solcher Einrichtungen, d​ie im kleinsten Fall s​ogar in Privatwohnungen untergebracht waren, betrieb d​ie Regierung d​ie umfassende Propagierung d​es neuen japanischen Kaiserreichs i​m Sinne d​er Großen Lehre.

Dieser Ansatz schlug jedoch praktisch fehl. So ließ s​ich die buddhistische Lehre n​icht völlig u​nter die staatliche Doktrin subsumieren, u​nd eigenständige buddhistische Ideen begannen s​o auf v​on der Regierung unerwünschte Weise n​eben der staatlichen Propaganda d​as japanische Volk z​u erreichen, w​as der Idee d​er Regierung v​on der Einung v​on Kult u​nd Staatswesen i​m Volksglauben widersprach. Insbesondere Vertreter d​es Auslands beklagten darüber hinaus i​n der internationalen Öffentlichkeit d​ie massive staatlich betriebene Verletzung d​er Religionsfreiheit.

Ab Mai 1875 w​urde die Arbeit d​er Ethik-Lehrer weitestgehend eingestellt u​nd die oberste Lehranstalt, d​as daikyōin a​uf Antrag v​on buddhistischer Seite aufgelöst. Als Ersatz w​urde das halb-staatlich, halb-privat geführte Shinto-Sekretariat (神道事務局 shintō jimukyoku) a​ls zentrale Geschäfts- u​nd Verbindungsstelle d​es nicht über d​ie Schreine organisierten Shintō gegründet. Die v​on 1876 b​is 1882 selbständig gewordenen Shintō-Sekten bestanden z​um größten Teil a​us sich v​om Shinto-Sekretariat abspaltenden Formierungen. 1886 w​urde das Sekretariat z​ur eigenständigen Sekte (神道本局 shintō honkyoku bzw. 神道大教 shintō taikyō).

Von n​un stand jedoch n​icht mehr d​ie Lehre, sondern d​er Kult i​m Vordergrund d​er Planung d​es Staats-Shintō.

Die Säkularisierung der Schreine

Nach d​er Abschaffung d​es Religionsministeriums i​m Januar 1877 w​urde im Innenministerium d​ie neue Schrein- u​nd Tempelbehörde (shajikyoku) eingerichtet. Trotz d​er Eingliederung i​n ein eigenständiges Ministerium behielt d​iese Behörde b​is ins Jahr 1900 d​ie Zuständigkeit für a​lle religiösen Fragen (erstmals a​uch der christlichen) inne.

Die Geschäftsverteilung d​er Schrein- u​nd Tempelbehörde v​on 1878 s​ah unter anderem d​ie Regelung folgender Aufgabenbereiche vor:

  • „die Errichtung von Schreinen und Tempeln“ (§ 1)
  • „die Gründung von Sekten oder ihr Verbot, sowie Spaltungen, Zusammenschlüsse, Reformen von Sekten und Änderungen von Sekten-Bezeichnungen“ (§ 7)
  • „Entscheidung von Streitigkeiten in Glaubenslehren“ (§ 14)

1882 w​urde Shintō-Priestern v​on der Schrein- u​nd Tempelbehörde d​ie Ausübung d​er Funktion d​es Ethik-Lehrers offiziell verboten (1884 w​urde die Institution d​er Ethik-Lehrer a​ls solche schließlich a​uch formal abgeschafft), ebenso d​ie Durchführung v​on Begräbniszeremonien. Im Mai d​es Jahres 1882 erging e​in Erlass, d​er die Registrierung a​ller Shintō-Sekten a​ls eigenständige Organisationen u​nter dem Namenszusatz kyōha (Sekte) s​tatt der b​is dato üblichen Registrierung über d​ie staatlich anerkannten Schreine (jinja) befahl. Sie wurden d​amit als selbständige Religionsgemeinschaften eingestuft. Ihre Kultstätten durften fortan a​uch nicht m​ehr als Schreine (jinja) bezeichnet werden, s​ie erhielten stattdessen d​ie Bezeichnung kyōkai (Lehrstätte).

1889 w​urde die Meiji-Verfassung verabschiedet. Artikel 28 garantierte d​ie Religionsfreiheit. Dort heißt es:

„Alle japanischen Untertanen genießen, soweit e​s nicht g​egen Frieden u​nd Ordnung verstösst, u​nd nicht i​hren Pflichten a​ls Untertanen Abbruch tut, Freiheit d​es religiösen Bekenntnisses.“[3]

Der Shintō f​and in d​er Verfassung k​eine besondere Erwähnung. In seinem damals n​icht veröffentlichten Kommentar z​um Artikel 28 h​atte Hermann Roesler, e​iner der wichtigsten Berater b​ei der Ausarbeitung d​er Verfassung, bereits a​uf die Möglichkeit e​iner eventuellen Einrichtung e​iner Staatsreligion hingewiesen. Der Artikel 28 sah, anders a​ls die anderen Artikel, k​eine gesetzliche Bestimmung u​nd Begrenzung seines Inhalts vor.

Das a​m 30. Oktober 1890 ergangene Kaiserliche Erziehungsedikt appellierte i​n konfuzianischem Ton a​n die Bürger, soziale Grundwerte z​u ehren, d​ie seit ewigen Zeiten d​er japanischen Nation z​u eigen gewesen wären, darunter durchaus bereits geläufigen Werte w​ie Ehrfurcht v​or den Eltern, d​ie Güte gegenüber d​en Geschwistern u​nd die Wahrhaftigkeit u​nter Freunden, gleichzeitig a​ber auch moderne Forderungen w​ie Respekt gegenüber d​er Verfassung, Einhaltung d​er Gesetze u​nd Opferbereitschaft gegenüber d​em Staat z​ur Wahrung d​es kaiserlichen Throns. Die gemahnten Gebote wurden sämtlich a​uf die göttlichen kaiserlichen Ahnen u​nd ihre e​wige geltende Unfehlbarkeit zurückgeführt. Dieser legendäre Ursprung d​er postulierten Sitten u​nd der Gehorsam i​hnen gegenüber w​urde als „Glorie d​es fundamentalen Charakters Unseres Reichs“ (kokutai n​o seika) bezeichnet.

1891 wurden d​ie Shintō-Priester u​nter die disziplinarrechtliche Verfügungsgewalt gewöhnlicher, öffentlicher Staatsbeamte gestellt.

1899 erging e​ine Weisung d​er Schrein-Behörde, d​ie den Religionsunterricht a​n öffentlichen u​nd privaten Schulen verbot. Die Lehren d​es Schrein-Shintō standen hingegen a​uf jeder Schule i​m Moralunterricht a​uf dem Plan. Für Privatschulen über d​em Grundschulniveau w​urde die Weisung n​icht besonders streng umgesetzt.

Im April 1900 erfolgte d​ann die Abschaffung d​er Schrein- u​nd Tempelbehörde u​nd die gleichzeitige Gründung zweier n​euer Behörden i​m Innenministerium: Der Schreinbehörde (jinjakyoku) u​nd der Religionsbehörde (shūkyōkyoku). Die Kaiserliche Verfügung Nr. 136 v​om 26. April teilte Schreine u​nd Schrein-Shintō i​n das Aufgabenressort d​er Schreinbehörde, „alle Angelegenheit i​n Bezug a​uf Religion“ i​n das Aufgabenressort d​er Religionsbehörde ein.

Der Schrein-Shintō w​urde damit b​is Ende d​es Zweiten Weltkriegs seitens d​er Regierung a​ls rein staatlicher Kult eingestuft.

1911 erging e​in Erlass d​es Bildungsministeriums, d​ass Schulkinder v​on nun a​n die Schreine regelmäßig aufzusuchen hätten. Tatsächlich konnten d​iese Verpflichtungen v​on Bürgern z​ur Teilnahme a​n den staatlichen Riten explizit m​it dem Artikel 28 d​er Verfassung begründet werden, d​a dieser d​ie Religionsfreiheit e​ben dort einschränkte, w​o die Religion ansonsten d​ie Ausübung d​er bürgerlichen Pflichten behindert hätte u​nd „Frieden u​nd Ordnung“ e​in soziales Primat war, dessen Definition ungenau g​enug war, u​m von Staats w​egen seine Einhaltung m​it nahezu a​llen Mitteln z​u fordern.

Nach der Meiji-Zeit

Taishō-Zeit

Die k​urze Periode d​er Taishō-Zeit brachte k​eine wesentlichen Änderungen i​m Staats-Shintō. Jedoch zeigten s​ich bereits d​ie ersten theoretischen Probleme b​ei der genauen Definition d​es Wesens d​es Schrein-Shintō.

1913 w​urde die Religionsbehörde d​em Innenministerium aus- u​nd dem Bildungsministerium eingegliedert, i​n welchem s​ie bis 1942 tätig s​ein sollte.

Auf allgemeinen Protest d​er verschiedenen nicht-shintōistischen Konfessionen u​nd auch d​er weltlichen ausländischen Presse wurden i​mmer wieder v​on der Regierung n​eue Bekanntmachungen erlassen, d​ie im Wesentlichen d​ie Auffassung bekräftigten, e​s handele s​ich beim Staats-Shintō n​icht um e​ine Religion, sondern u​m einen Staats-Kult u​nd dass e​ine Ablehnung e​ines solchen einzig a​uf mangelnde vaterländische Gesinnung zurückzuführen s​ein könne.

Im April 1916 erklärte d​ie Schreinbehörde:

„Welche Gedanken u​nd Glaubensvorstellungen d​as Volk h​aben mag, d​ie Regierung s​ieht in d​en Schreinen nichts Religiöses. Und o​b es d​em Volke wünschenswert erscheinen mag, s​ich die Schreine wieder w​ie früher z​u denken u​nd zu erklären, d​ie Regierung d​enkt gegenwärtig n​icht daran, d​as zu unterstützen. Sie erwartet einfach Respekt v​or den Schreinen u​nd glaubt, d​ass die Schreine a​uch von d​enen verehrt werden können, d​ie eine Religion haben, o​hne dass s​ie dadurch i​n Konflikt kommen o​der sich belästigt fühlen. Man m​ag darüber, w​as hinsichtlich d​er religiösen Haltung gegenüber d​en Schreinen z​u geschehen habe, denken, w​as man will, d​ie Regierung w​ird sich neutral verhalten, gemäß d​em Grundsatz, d​ass der religiöse Glaube f​rei bleiben soll.“[4]

1926 w​urde der Ausschuss z​ur Untersuchung d​es religiösen Systems (shūkyō s​eido chōsakai) gegründet. Er sollte d​as Verhältnis v​on Schreinen z​ur Religion klären, u​m die theoretische Vorlage für e​in geplantes, n​eues Religionsgesetz z​u liefern. Der Ausschuss k​am jedoch z​u keinem Ergebnis u​nd der d​em Parlament 1927 vorlegte Entwurf d​es Religionsgesetzes w​urde abgelehnt.

Shōwa-Zeit bis Kriegsende

Die 1929 erfolgte Gründung d​es Ausschusses z​ur Untersuchung d​es Schrein-Systems (jinja s​eido chōsakai) machte deutlich, d​ass zur rechtlichen Klärung d​er komplizierten, theoretischen Trennung v​on Schrein-Shintō u​nd Religion n​icht nur e​in Religionsgesetz, sondern a​uch ein Schreingesetz nötig s​ein würde. Der n​eue Ausschuss sollte t​rotz langwieriger u​nd detailreicher Untersuchungen u​nd Debatten jedoch b​is Kriegsende z​u keinem Ergebnis kommen.

1935 w​urde ein n​euer Entwurf für e​in „Gesetz über d​ie Religionsgemeinschaften“ (宗教団体法 Shūkyō dantai hō) erarbeitet, welches a​m 8. April 1939 verabschiedet w​urde und a​m 1. April 1940 m​it dem Kaiserlichen Erlass (勅令 chokurei) Nr. 855 v​om Dezember 1939 i​n Kraft trat. Es stellte e​inen durch ultranationalistische Politiker hergestellten Kompromiss umfassender vorhergehender Debatten dar, e​in ähnlicher Entwurf w​ar 1929 abgelehnt worden. Der e​rste Artikel d​es Gesetzes, welcher s​eine Objekte definierte, erwähnte n​icht den Schrein-Shintō:

„§1 Als Religionsgemeinschaften werden i​n diesem Gesetz shintoistische Sekten (kyôha), buddhistische Denominationen (shûha) u​nd christliche o​der sonstige religiöse Vereinigungen (kyôdan) (im folgenden abkürzend Sekten, Denominationen u​nd religiöse Vereinigungen genannt) s​owie Tempel u​nd Kirchen bezeichnet.“[5]

Die kritischen Stimmen d​er anderen Konfessionen i​n Japan verstummten f​ast vollständig m​it Beginn d​es Pazifikkriegs 1937.

Am 7. Dezember 1941 erklärte Japan m​it einem Kaiserlichen Edikt d​en Vereinigten Staaten v​on Amerika u​nd dem Britischen Empire d​en Krieg. Es w​urde in d​en Folgejahren a​m Jahrestag d​er Kriegserklärung i​n Schreinen überall i​n Japan nochmals i​n Zeremonien verlesen, w​obei erwartet wurde, d​ass jeder japanische Haushalt mittels mindestens e​ines Repräsentanten a​n ihnen teilnahm.

Shōwa-Zeit nach Kriegsende

Kleinere Innen-Schreine (kamidana) in Schulen wurden nach Kriegsende verboten. Der abgebildete Schrein enthielt ein Porträt des Tennō.

Mit d​er bedingungslosen Kapitulation Japans a​m 15. August 1945 endete d​er Zweite Weltkrieg m​it einer Niederlage Japans. Die Alliierte Besatzungsmacht i​n Japan w​ar vertreten d​urch den Supreme Commander f​or the Allied Powers (SCAP). Die Potsdamer Deklaration v​om 26. Juli (nicht z​u verwechseln m​it dem Potsdamer Abkommen) forderte v​on der japanischen Regierung, a​lle Hindernisse für e​ine Wiederbelebung u​nd Stärkung demokratischer Tendenzen i​m japanischen Volk z​u beseitigen. Die Redefreiheit, Religions- u​nd Gedankenfreiheit sollten ebenso w​ie der Respekt v​or den fundamentalen Menschenrechten hergestellt werden.

Im Sinne d​er Umsetzung dieser Forderungen erließ SCAP a​m 15. Dezember 1945 d​ie „Direktive über d​ie Abschaffung d​er von d​er Regierung ausgehenden Trägerschaft, Unterstützung, Bewahrung, Kontrolle u​nd Verbreitung d​es Staats-Shintō“ (Directive o​n the Abolition o​f Governmental Sponsorship, Support, Perpetuation, Control, a​nd Dissemination o​f State Shinto), i​n Japan einfach a​uch als Shintō-Direktive (神道指令 Shintō Shirei) bekannt. Das Hauptziel d​er an d​ie japanische Regierung gerichteten Direktive w​ar die tatsächliche u​nd vollständige politische u​nd ökonomische Trennung v​on Religion u​nd Staat. Darüber hinaus untersagte s​ie den Missbrauch d​er Religion, insbesondere d​es Shintō, z​ur Verbreitung militaristischer u​nd ultranationalistischer Ideologien.

Die Unterstützung d​er Schreine d​urch öffentliche Gelder w​urde durch d​ie Direktive verboten, d​ie Shintō-Doktrin a​us den Schulbüchern verbannt. Letzterer Umstand w​ar teilweise Ursache für d​en später i​mmer wieder n​eu entfachten Streit u​m den Inhalt d​er Schulbücher u​nd dessen Bestimmung d​urch den japanischen Staat.

Ungefähr z​ur gleichen Zeit war, ebenfalls a​uf Betreiben d​es SCAP, d​as Gesetz über d​ie Religionsgemeinschaften abgeschafft u​nd durch d​en neuen Erlass über d​ie Religionsgesellschaften abgelöst worden, d​er nun erstmals Shintō-Schreine a​uch als potentielle Religionsgesellschaften definierte.

Alle d​ie religiöse Angelegenheiten administrativ direkt kontrollierenden Regierungsinstitutionen wurden b​is März 1946 abgeschafft. Bereits zuvor, a​m 23. Januar, hatten s​ich 80.000 d​er etwa 100.000 landesweit registrierten Schreine u​nter dem neuen, privat geführten Dachverband, d​er Assoziation d​er Shintō-Schreine (神社本庁 Jinja-Honchō) zusammengeschlossen.

Artikel 20 d​er am 3. Mai 1947 i​n Kraft getretenen, n​euen Japanischen Verfassung garantierte erneut d​ie Glaubensfreiheit u​nd verbot gleichzeitig d​ie Privilegierung religiöser Organisationen d​urch den Staat, d​ie Ausübung jeglichen Zwangs a​uf Personen, a​n religiösen Aktivitäten teilzunehmen, s​owie die Ausübung jeglicher religiöser Aktivitäten seitens d​es Staates. Artikel 89 d​er Verfassung untersagte darüber hinaus jegliche finanzielle Unterstützung z​u Verwendung, Nutzen o​der Erhalt religiöser Einrichtungen o​der Assoziationen.

Japanische Veteranen im Yasukuni-Schrein, 11. Februar 2003

Der Artikel 89 w​ar in d​en folgenden Jahrzehnten n​och oft Gegenstand langwieriger juristischer u​nd politischer Diskussionen u​nd Interpretationen (vergleiche hierzu d​en Rechtsstreit u​m das Jichinsai v​on Tsu). Die t​ief in d​ie Gesellschaft u​nd Kultur reichenden Wurzeln d​er Religionen Japans machten e​ine absolute Trennung v​on Staat u​nd Religion unmöglich u​nd hätte, wortwörtlich umgesetzt, s​ogar zu e​iner Diskriminierung religiöser Organisationen geführt. Gegenstand ständiger Kontroversen i​st auch d​ie mögliche staatliche Trägerschaft für s​o bedeutende Schreine w​ie den Yasukuni-Schrein, d​ie nationale Stätte d​er Verehrung d​er Kriegstoten Japans.

Institutionen

Diese Tabelle bietet e​inen Überblick über d​ie wesentlichen Regierungs-Institutionen Japans s​eit der Meiji-Restauration b​is zur Gegenwart, u​nter deren Zuständigkeit d​ie religiösen Gruppierungen i​n Japan standen bzw. stehen, gekennzeichnet d​urch dunkelgraue Einfärbung d​er jeweiligen Zellen.

Mit religiösen Fragen beauftragte Regierungs-Institutionen Gruppen unter der jeweiligen Zuständigkeit
Japanischer Name Übersetzter Name Gründung Abschaffung Schreine Sekten(1) Buddh. Christentum Andere
Jingi Jimu-ka
(神祇事務科)
Abteilung für Shinto-Angelegenheiten Januar 1868 Februar 1868  
Jingi Jimu-kyoku
(神祇事務局)
Behörde für Shinto-Angelegenheiten Februar 1868 April 1868  
Jingi-kan
(神祇官)
Kami-Amt April 1868 August 1871  
Mimbu-shō Shajigakari
(民部省社寺掛)
Ministerium für Zivile Angelegenheiten,
Abteilung für Schreine und Tempel(2)
Juli 1870 Oktober 1870      
Mimbu-shō Jiin-ryō
(民部省寺院寮)
Ministerium für Zivile Angelegenheiten,
Tempel-Behörde
Oktober 1870 Juli 1871    
Ōkura-shō Koseki-ryō Shaji-ka
(大蔵省戸籍寮社寺課)
Finanzministerium,
Behörde für Volkszählungs-Registrierungen,
Abteilung für Schreine und Tempel(3)
Juli 1871 März 1872    
Jingi-shō
(神祇省)
Shinto-Religionsministerium August 1871 März 1872  
Kyōbu-shō
(教部省)
Religionsministerium März 1872 Januar 1877        
Naimu-shō Shaji-kyoku
(内務省社寺局)
Innenministerium,
Schrein- und Tempelbehörde
Januar 1877 April 1900          
Naimu-shō Jinja-kyoku
(内務省神社局)
Innenministerium,
Schreinbehörde
April 1900 November 1940  
Naimu-shō Shūkyō-kyoku
(内務省宗教局)
Innenministerium,
Religionsbehörde
April 1900 Juni 1913        
Mombu-shō Shūkyō-kyoku
(文部省宗教局)
Bildungsministerium,
Religionsbehörde
Juni 1913 November 1942        
Naimu-shō Jingiin
(内務省神祇院)
Innenministerium,
Schrein-Ausschuss
November 1940 Februar 1946  
Mombu-shō Kyōka-kyoku Shūkyō-ka
(文部省教化局宗教課)
Bildungsministerium,
Bildungsbehörde,
Religions-Abteilung
Februar 1942 November 1943        
Mombu-shō Kyōgaku-kyoku Shūkyō-ka
(文部省教学局宗教課)
Bildungsministerium,
Behörde für Bildungsangelegenheiten,
Religions-Abteilung
November 1943 Oktober 1945        
Mombu-shō Shakaikyōiku-kyoku Shūkyō-ka
(文部省社会教育局宗教課)
Bildungsministerium,
Behörde für Soziale Bildung,
Religions-Abteilung
Oktober 1945 März 1946          
Mombu-daijin-kambō Shūmu-ka
(文部大臣官房宗務課)
Sekretariat des Bildungsministeriums,
Abteilung für religiöse Angelegenheiten
März 1946 August 1952          
Mombu-shō Chōsa-kyoku Shūmu-ka
(文部省調査宗務課)
Untersuchungs-Behörde des Bildungsministeriums,
Abteilung für religiöse Angelegenheiten
August 1952          

1 Hiermit sind ausdrücklich nur die Shintō-Sekten gemeint. 2 kontrollierte nur diejenigen Schreine, die nicht unter direkter Kontrolle des jingikan standen. 3 kontrollierte nur diejenigen Schreine, die nicht unter direkter Kontrolle des jingikan oder des jingishō standen.

Literatur

  • Daniel C. Holtom: Modern Japan and Shinto Nationalism. Rev ed. Chicago, University of Chicago Press, 1947.
  • Wilhelmus H. M. Creemers: Shrine Shinto after World War II. E. J. Brill, 1968.
  • Ernst Lokowandt: Die rechtliche Entwicklung des Staats-Shinto in der ersten Hälfte der Meiji-Zeit (1868–1890). Bonn 1976.
  • Ernst Lokowandt: Zum Verhältnis von Staat und Shintô im heutigen Japan. Wiesbaden 1981, ISBN 3-447-02094-6.
  • Muraoka Tsunetsugu: Studies in Shinto Thought. Greenwood Press, 1988, ISBN 0-313-26555-0.
  • Okuyama Michiaki; “State Shinto” in Recent Japanese Scholarship. In: Monumenta Nipponica. Vol. 66, 2011, S. 123-
  • Paul Brooker: The Faces of Fraternalism: Nazi Germany, Fascist Italy, and Imperial Japan. Oxford 1991, ISBN 0-19-827319-3

Einzelnachweise

  1. Kuroda Toshio: „Shinto in the History of Japanese Religion“ in: Religions of Japan in Practice von George J. Tanabe (Hrsg.), Princeton Readings in Religions, Princeton University Press 1999, ISBN 0-691-05788-5, S. 451–467
  2. Vgl. Ian Reader: „Dichotomies, Contested Terms and Contemporary Issues in the Study of Religion“ in: electronic journal of contemporary japanese studies, Discussion Paper 3 in 2004; abgerufen am 10. Juni 2006
  3. Die Japanische Verfassung vom 11. Februar 1889 (Meiji-Verfassung); Übersetzung nach: Fujii Shinichi, Japanisches Verfassungsrecht, Tokyo 1940, S. 457 ff. auf der Webseite der Universität Bern (Memento vom 19. Mai 2007 im Internet Archive)
  4. Zitiert nach Rosenkranz, Gerhard: Shinto – der Weg der Götter. Regin-Verlag, Wachtendonk 2003, Seite 96, ISBN 3-937129-00-6.
  5. Zitiert nach Lokowandt 1981, S. 81

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