St. Nikolai (Kiel)
St. Nikolai ist die evangelische Hauptkirche und das älteste Gebäude Kiels. Sie steht am Alten Markt.
Geschichte
Der Bau der Nikolaikirche wurde kurz nach der Stadtgründung durch Adolf IV. von Schauenburg und Holstein um 1242 begonnen. Der gotische Hallenbau wurde hundert Jahre später nach dem Vorbild der Petrikirche in Lübeck umgebaut und, mit einem langen Chor versehen, als Backsteinhallenkirche mit einem dreischiffigen, nahezu quadratischen Langhaus und einem einschiffigen Chor fertiggestellt. 1486 brannte sie durch einen Blitzschlag ab und wurde wieder aufgebaut. Zu Beginn des 16. Jh. wurde der Turm durch den Anbau der Rat- und der Rantzaukapelle in den Bau integriert.
1526 führte Marquard Schuldorp (1495–1529)[1] die Reformation an der Nikolaikirche ein. Im folgenden Jahr kam Melchior Hofmann nach Kiel. Seine apokalyptischen Predigten und die Vorwürfe gegen die Honoratioren der Stadt, sich am Kirchengut bereichert zu haben, führten zu Unruhe. Zusätzlich angeheizt wurde der Streit durch den katholischen Stadtpfarrer, den Augustiner-Chorherren Wilhelm Pravest vom Kloster Bordesholm.
Am 2. Februar 1771 wurde der Turm während eines Gottesdienstes, an dem der Archidiakon Meißner als Besucher teilnahm, von einem Blitz getroffen, der, ohne zu zünden, in die Kirche fuhr und jenen Geistlichen auf seinem mit Messingstäben versehenen Predigersitz so schwer verletzte, dass er wenige Tage später starb. Als es 1760 im benachbarten Haus Schuhmacherstraße 7 brannte und die über den Nikolaifriedhof fliegenden Funken im Dachreiter ein Feuer entstehen ließ, konnte dieses vom Pfarrer Konrad Bruns und seinen Helfern schnell gelöscht werden. Da der Wasserstrahl der Feuerspritzen nicht bis zum Turm reichte, ließ Bruns eine kleine Spritze auf den Dachboden schaffen, wo er selbst mit dem Wasserrohr den entstehenden Brand zum Erlöschen brachte.
Die Propstei Kiel wurde 1811 eingerichtet. Das Propstenamt wurde mit einem Pfarramt an der Kieler Nikolaikirche verbunden.[2] 1816 wurde Claus Harms Archidiakon und 1835 Hauptpastor und Propst. Von 1854 bis 1866 war Karl Friedrich Christian Hasselmann Hauptpastor.
In den Jahren 1877 bis 1884 wurde die Kirche neugotisch umgestaltet. Sie erhielt eine neue Fassade und wurde mit Maschinenziegeln verblendet. Die im 17. Jahrhundert errichteten Begräbniskapellen am Chor wurden abgerissen. Innen wurden der Lettner, Emporen und Gestühle entfernt und die Kirche dem Zeitgeschmack entsprechend ausgemalt.
Im Zweiten Weltkrieg wurde das Kirchengebäude bei einem alliierten Luftangriff am 22. Mai 1944 schwer beschädigt. Der brennende Turmhelm und der Dachstuhl durchschlugen dabei alle Gewölbe des Mittelschiffs und des südlichen Seitenschiffs. Das Nordschiff wurde ebenfalls beschädigt. Die wertvolle Innenausstattung war in den Jahren zuvor geborgen worden. Wegen einer möglichen Einsturzgefahr der Ruine erfolgte im Jahr 1948 die Niederlegung der Chormauern und der Schiffspfeiler.[3] Der Wiederaufbau erfolgte 1950 durch den Architekten Gerhard Langmaack zu großen Teilen in neuzeitlichen Formen und Konstruktionen, wie beispielsweise Betonpfeilern und einer Stahlbetondecke. Die alten Gewölbe wurden nicht wiedererrichtet, stattdessen erhielt der Außenbau ein schlichtes, alle drei Schiffe zusammenfassendes Satteldach. 1986 wurden die Innenräume von Peter Kahlcke, Kiel, renoviert.
- 1588
- 1868
- 1944
- 2008
Ausstattung
Die Erztaufe von Hans Apengeter aus dem Jahr 1344 ist das älteste der erhaltenen Kunstdenkmäler der Nikolaikirche. Die Kieler Taufe entstand nach der Wismarer Taufe von 1331 und der Lübecker Taufe von 1337.[4] Weitere Kunstwerke, die zur Ausstattung gehören, sind
- Erzväteraltar (1460) – ursprünglich in der Klosterkirche und nach der Reformation in die Nikolaikirche versetzt;
- Triumphkreuz (1490);
- barocke hölzerne Kanzel (1705) geschaffen von Theodor Allers – von Henning von Wedderkop als Ersatz für eine Kanzel von 1522 gestiftet;
- Das älteste Nagelkreuz von Coventry in Deutschland (1947).
- Der Erzväteraltar, ein Flügelaltar
- Das Triumphkreuz
- Das Taufbecken
- Der Flügelaltar im Raum der Stille
- Das Nagelkreuz von Coventry
- Die Kanzel
- Fresko im Übergang zur Pommernkapelle
Geistkämpfer
Der Geistkämpfer wurde von Ernst Barlach im Auftrag der Stadt Kiel geschaffen und war die erste Großplastik des expressionistischen Bildhauers und Grafikers. In dem schwerttragenden Engel auf dem wolfsähnlichen Wesen wird die Erhabenheit und der Sieg des Geistes über das Böse dargestellt.
Die Bronzeplastik wurde 1928 an der Heiligengeistkirche am ehemaligen Franziskanerkloster (Kieler Kloster) ohne öffentliche Feier enthüllt, da das Kunstwerk bei der Bevölkerung zunächst überwiegend auf Ablehnung stieß. Die namenlose Skulptur wurde von den Kielern „Geistkämpfer“ genannt, ein Titel, den auch der Künstler bald übernahm. 1937 entfernten die Nationalsozialisten die Plastik als entartete Kunst. Sie konnte jedoch vor dem Einschmelzen gerettet werden und wurde in Schnega im Atelier von Hugo Körtzinger, einem Freund Ernst Barlachs, versteckt.[5] Die Stadt kaufte den Geistkämpfer nach dem Krieg zurück. Er fand 1954 seinen Platz an der Nikolaikirche.
Weitere Abgüsse der Skulptur stehen vor dem Minneapolis Institute of Arts in Minneapolis, Minnesota, sowie vor der Gethsemanekirche (Berlin).
- Abguss in Berlin
- Abguss vor dem Minneapolis Institute of Arts
Orgeln
In der Nikolaikirche befinden sich drei Orgeln. Zum einen besitzt die Kirchengemeinde eine kleine Truhenorgel von der Orgelbaufirma Babel, die als Continuo-Orgel eingesetzt wird.[6]
Hauptorgel
Im Jahre 1965 schuf Detlef Kleuker (Brackwede) die heutige Hauptorgel mit drei Manualen und Pedal mit 45 Registern (Hauptwerk, Schwellwerk, Rückpositiv, Pedal). Das Instrument verfügt über Schleifladen, Normalkoppeln, eine mechanische Tontraktur, eine elektrische Registertraktur, elektrische Koppeln und vier freie Kombinationen. Die Windladen wurden nicht aus Holz, sondern aus Kunststoff gefertigt, was ebenso wie die Elektrifizierung zu technischen Mängeln führte, sodass die Orgel 1998 von Ulrich Babel (Gettorf) grundlegend renoviert werden musste. Eppo Rynko Ottes (Barcelona) hat die Orgel neu intoniert. Sie ist gleichschwebend temperiert gestimmt (a′ 440 Hz bei 18 °C). Die Orgel hat 3288 Pfeifen. Der tiefste Ton mit 16,35 Hz ist »C« (das große C) im Register »Untersatz 32′«, der höchste Ton mit 12,54 kHz ist g′′′ (das dreigestrichene g) im Register »Oktave 1′«.
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- Koppeln
- Normalkoppeln: II/I, III/I, III/II, I/P, II/P, III/P, Kleinpedal/I, Großpedal/I
- Suboktavkoppeln: I/I, II/II, III/III, Kleinpedal/I
- Superoktavkoppeln: II/I, III/I, III/III, III/P
- Spielhilfe: Zimbelstern (regulierbar)
Chororgel von Mutin
Im Seitenschiff befindet sich eine zweimanualige Orgel von Charles Mutin, dem Nachfolger des berühmten Aristide Cavaillé-Coll. Sie weist 17 klingende Register auf und wurde im Jahr 2003 erworben, nachdem die Kirche im nordfranzösischen Tourcoing 1995 profaniert wurde. Das seitenspielige Werk mit mechanischer Traktur kann zudem von der Hauptorgel elektrisch angespielt werden.[7]
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- Koppeln
- Normalkoppeln: II/I, I/P, II/P
- Suboktavkoppeln: II/I, II/II
- Spielhilfe: Zungen-Kollektivzug
Pommernkapelle
1954 übernahm Schleswig-Holstein eine Patenschaft für die heimatvertriebenen Pommern. Als man das Turmmassiv von Kiels Hauptkirche in den 1950er Jahren wieder aufbaute, wurde die ehemalige Ratskapelle zur Pommernkapelle umgewidmet.
Fußbodenmosaike zeigen die Provinz Pommern und Wappen ihrer Städte. Der von 1959 bis 1961 von Else Mögelin und Brigitte Schirren hergestellte Wandteppich veranschaulicht mit König Christian III., zugleich Herzog zu Schleswig und Holstein, und dem aus Pommern stammenden Reformator Johannes Bugenhagen die Verbundenheit von Kiel und Stettin. Er zeigt symbolisch die die Übergabe der Kirchenordnung von 1542 für die Herzogtümer Schleswig und Holstein durch Bugenhagen an den König.
In der Kapelle steht seit 1957 ein Gedenkstein für den Stettiner Kantor Carl Loewe, der seine drei letzten Jahre in Kiel verbrachte und den Orgeldienst in St. Nikolai versah.[8] Die Pommersche Landsmannschaft stiftete zwei Bleiglasfenster. Sie wurden von der Stettinerin Lotte Usadel geschaffen und 1957 und 1958 eingeweiht. Das eine zeigt Löwes Orgel in der Stettiner Jakobikirche.[9][10] Das andere verbindet das Leid von Flucht und Vertreibung mit der Kreuzigung Christi.[11]
- Bugenhagenteppich: Kiel und Stettin, Christian III. und Bugenhagen
- Umrisse von Pommern
- Wappen von Schneidemühl und ehemaliges Wappen von Köslin
Sagen
In der Sagensammlung von Karl Viktor Müllenhoff findet sich: „In der Kieler Nikolaikirche spielten während der Predigt die Chorknaben in einem Winkel hinter der Orgel Karten; einer fluchte sogar dabei. Da ist der Teufel gekommen und hat ihm den Hals umgedreht (oder ihm so an die Ohren geschlagen), daß das Blut an die Wand spritzte, und darauf ist er mit ihm zum Fenster hinausgefahren. Der Blutfleck ist noch zu sehen und durch kein Übertünchen wegzubringen. Das Fenster kann auch nicht wieder eingesetzt werden; denn gleich ist es wieder entzwei.“[12]
Bildmotiv
Eine Darstellung der Nikolaikirche wurde als Motiv auf dem Kieler Weihnachtsbecher 1996 verwendet.
Literatur
- Johannes Lorentzen: Die Glocken von St. Nikolai. [Ein Spiel der Glockenbegegnung], Kiel: Karl J. Rößler 1929
- Johannes Lorentzen: 700 Jahre St. Nikolaikirche in Kiel. Missionsbuchhandlung, Breklum 1941
- Johannes Habich: Nikolaikirche Kiel. Deutscher Kunstverlag, München / Berlin 1980
- Klaus Thiede: St. Nikolai in Kiel. Ein Beitrag zur Geschichte der Stadtkirche. Mühlau, Kiel 1960
Weblinks
Einzelnachweise
- Deutsche Biografie: Schuldorp, Marquard.
- Liste der Pröpste in der Propstei bzw. im Kirchenkreis Kiel bzw. Altholstein (online auf archivnordkirche.de) (Memento vom 4. August 2017 im Internet Archive)
- Hartwig Beseler, Niels Gutschow: Kriegsschicksale Deutscher Architektur. Band I: Nord. Wachholtz, Neumünster o. J., S. 4.
- Klaus Thiede: St. Nikolai in Kiel. Mühlau, Kiel 1960, S. 8–12
- Landkreis Lüchow-Dannenberg: Zeitenwenden – Wendezeiten, 2010, S. 70
- Homepage der Kirchengemeinde (siehe unter Raum > Orgeln), gesehen am 29. November 2010.
- Zur Disposition der Mutin-Orgel (Memento vom 11. Mai 2015 im Internet Archive)
- Marion Josephin Wetzel (Diss. Univ. Kiel 2007)
- Stephan Scholz: Vertriebenendenkmäler: Topographie einer deutschen Erinnerungslandschaft (2015)
- Hans Herbert Thode: Geschichte der Pommernkapelle in St. Nikolai, Kiel. Schleswig-Holstein. Monatshefte für Heimat und Volkstum (1962), H. 3, S. 61.
- Jeffrey P. Luppes: To Our Dead: Local Expellee Monuments and the Contestation of German Postwar Memory. Dissertation University of Michigan (2010), S. 229–231.
- Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 158.