Sandra Kalniete
Sandra Kalniete [ˈsandra ˈkalniete] (* 22. Dezember 1952 in Togur, Oblast Tomsk, Sowjetunion) ist eine lettische Politikerin. Sie war von 2002 bis 2004 Außenministerin und zwischen dem 1. Mai 2004 und dem 22. November 2004 EU-Kommissarin.
Leben
Sandra Kalniete wurde im russischen Oblast Tomsk geboren, wohin ihre Eltern als Kinder bzw. Jugendliche 1941 bzw. 1949 von der Sowjetmacht aus dem sowjetisch okkupierten Lettland deportiert worden waren. Sie studierte von 1977 bis 1981 Kunst an der Lettischen Kunstakademie und arbeitete als Kunsthistorikerin. In diesem Beruf brachte sie unter anderem einen Katalog der Bildwirkerei von Rūdolfs Heimrāts (1929–1992) heraus (1987) und ein Buch über Lettische Textilkunst (1989).
Ihr Engagement in der lettischen Unabhängigkeitsbewegung führte sie 1988 in die Politik. Sie war stellvertretende Vorsitzende der Lettischen Volksfront, der größten der nach Unabhängigkeit strebenden politischen Organisationen Sowjetlettlands.
Nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit der Republik Lettland arbeitete sie im Außenministerium und war Botschafterin ihres Landes bei den Vereinten Nationen (1993 bis 1997), in Frankreich (1997 bis 2000) und bei der UNESCO (2000 bis 2002). Im November 2002 wurde sie lettische Außenministerin und behielt dieses Amt bis 2004.
Von März bis November 2004 war sie zusammen mit Franz Fischler Europäische Kommissarin für Landwirtschaft und Fischerei.
Für viele Letten überraschend wurde sie Ende 2004 nicht erneut als EU-Kommissarin ihres Landes nominiert. In der Folge zog sie sich vorübergehend aus der Politik zurück und lehnte die Übernahme der ihr angebotenen minderen diplomatischen Aufgaben ab. 2006 trat Kalniete der Partei Jaunais laiks (JL, zu deutsch: Neue Ära) bei. 2008 wechselte sie mit einem Gutteil der JL-Mitglieder in die neugegründete Partei Pilsoniskā savienība (PS, zu deutsch: Bürgerunion), deren Vorsitzende sie wurde. 2011 ging die PS in der neuen Partei Vienotība (zu deutsch: Einigkeit) auf. Für Pilsoniskā savienība 2009 und Vienotība 2014 ins Europäische Parlament gewählt, gehört sie dort der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) an.
Aufsehen erregte ihr 2001 erschienener Bericht Ar balles kurpēm Sibīrijas sniegos (deutscher Titel: Mit Ballschuhen im sibirischen Schnee, Herbig 2005, Knaur TB 2007) über die bis 1957 dauernde Deportation ihrer Familie nach Sibirien. Ihr in bislang 13 Sprachen übersetztes Buch trug maßgeblich dazu bei, dass die Verschleppung von 35.000 Letten im Jahre 1941 und weiterer 43.000 Letten im März 1949 durch und in die Sowjetunion auch außerhalb Lettlands bekannt wurde.[1]
Bei der Leipziger Buchmesse 2004 hielt Sandra Kalniete die vieldiskutierte Eröffnungsrede.[2]
EU-Parlamentarierin
Als EU-Parlamentarierin war Kalniete in der Amtszeit von 2009 bis 2014 Stellvertretende Vorsitzende der Delegation für die Beziehungen zu Japan. Mitglied ist sie im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz. Als Stellvertreterin gehört sie dem Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung an und der Delegation im Gemischten Parlamentarischen Ausschuss EU-Türkei.[3]
Sie gehört zu den 89 Personen aus der Europäischen Union, gegen die Russland im Mai 2015 ein Einreiseverbot verhängt hat.[4][5]
Ehrungen
- 2007: Preis der Stiftung für Abendländische Ethik und Kultur (STAB), Zürich, zusammen mit dem Lettischen Okkupationsmuseum.[6]
Schriften
- Рудольф Хеймратс. Гобелен. Альбом из серии Мастера советского искусства (Katalog der Ausstellung der Gobelins von Rūdolfs Heimrāts). Herausgegeben von der Akademie der Künste der UdSSR (Академия художеств СССР). Sovetskij Chudožnik, Moskau 1987 (russisch).
- Latvju tekstilmāksla (Lettische Textilkunst). Liesma, Riga 1989.
- Es lauzu, tu lauzi, mēs lauzām. Viņi lūza (Ich brach mit ihnen, du auch, wir alle. Sie wurden abtrünnig). Jumava, Riga 2000, ISBN 9984-05310-5 (über die lettische Unabhängigkeitsbewegung).
- englische Übersetzung: Song to kill a giant. Latvian revolution and the Soviet Empireʼs fall. Jelgavas tipogrāfija, Jelgava 2013, ISBN 978-9984-49-947-5.
- Ar balles kurpēm Sibīrijas sniegos. Atēna, Riga 2001, ISBN 9984-63578-3.
- Die Wiedervereinigung der Geschichte Europas. In: Renato Cristin (Hg.): Memento Gulag. Zum Gedenken an die Opfer totalitärer Regime. Duncker und Humblot, Berlin 2006, ISBN 978-3-428-12275-2, S. 29–36.
- Eine gemeinsame Geschichtserzählung für Europa? In: Thomas Großbölting, Dirk Hofmann (Hg.): Vergangenheit in der Gegenwart. Vom Umgang mit Diktaturerfahrungen in Ost- und Westeuropa. Wallstein-Verlag, Göttingen 2008, ISBN 978-3-8353-0315-7, S. 131–137.
Übersetzungen von Ar balles kurpēm Sibīrijas sniegos[7]
- Ägyptisches Arabisch: Imrʼah min Lātifiyā. Übersetzt von Amīrah Abū al-Nūr. Sphinx Agency for Arts and Literature, Kairo 2009.
- Albanisch: Këpucë balerine mbi dëborën siberiane. Übersetzt von Durim Taçe. Shkupi, Skopje 2010. ISBN 978-608-216-022-1.
- Deutsch: Mit Ballschuhen im sibirischen Schnee. Übersetzt von Matthias Knoll. Herbig Verlag, München 2005. ISBN 3-7766-2424-8.
- Englisch: With Dance Shoes in Siberian Snows. Übersetzt von Margita Gailītis. The Latvian Occupation Museum Association, Riga 2006. ISBN 9984-9613-7-0.
- Finnisch: Tanssikengissä Siperiaan. Übersetzt von Hilkka Koskela. Werner Söderström Osakeyhtiö, Helsinki 2007. ISBN 978-951-0-32096-9.
- Französisch: En escarpins dans les neiges de Sibérie. Übersetzt von Velta Skujina. Éditions des Syrtes, Paris 2003. ISBN 2-84545-079-6.
- Italienisch: Scarpette da ballo nelle nevi di Siberia. Übersetzt von G. Weiss. Libri Scheiwiller, Mailand 2005. ISBN 88-7644-445-9.
- Japanisch: Dansu shûzu de yuki no Shiberia e. Übersetzt von Kurosawa Ayumi. Shinhyôron, Tokio 2014. ISBN 978-4-7948-0947-6.
- Niederländisch: Op dansschoenen in de Siberische sneeuw. Übersetzt von Marijke Koekoek. Uitgeverij van Gennep, Amsterdam 2006. ISBN 978-905-5-15702-0.
- Polnisch: W butach do tańca przez syberyjskie śniegi. Übersetzt von Mieczysław Godyń. Społeczny Instytut Wydawniczy Znak, Krakau 2015. ISBN 978-83-240-3483-3.
- Russisch: В бальных туфельках по сибирским снегам. Atēna, Riga 2006. ISBN 9984-3418-3-6.
- Schwedisch: Med högklackade skor i Sibiriens snö. Übersetzt von Juris Kronbergs. Atlantis, Stockholm 2005. ISBN 91-7353-066-2.
- Tschechisch: V plesových střevíčkách sibiřským sněhem. Übersetzt von Michal Škrabal. Lubor Kasal, Prag 2005. ISBN 80-903465-5-3.
- Eine spanische Übersetzung (Con zapatillas de baile en las nieves de Siberia) ist in Vorbereitung.
Weblinks
- Literatur von und über Sandra Kalniete im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Sandra Kalniete in der Abgeordneten-Datenbank des Europäischen Parlaments
- Rezensionen von „Mit Ballschuhen im sibirischen Schnee“
- Sandra Kalnietes Internet-Blog (lettisch)
- Sandra Kalniete bei www.literatur.lv (deutsch, mit Leseprobe)
Einzelnachweise
- Anita Kugler. Ratten im Brennnesselsud. In: taz. 21. Mai 2005.
- Birgit Schwelling: Das Gedächtnis Europas. Eine Diagnose. In: Timm Beichelt u. a. (Hg.): Europa-Studien. Eine Einführung: VS, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, ISBN 3-531-14900-8, S. 81–94, hier. S. 88.
- Website des Europäischen Parlaments
- Andreas Borcholte: Einreise-Verbote: Russland wirft EU-Politikern Show-Gehabe vor. In: Spiegel Online. 31. Mai 2015, abgerufen am 1. Juni 2015.
- RUS: Russische Visasperrliste. (PDF 23 KB) In: yle.fi. 26. Mai 2015, abgerufen am 1. Juni 2015.
- Preisträger, abgerufen am 5. November 2016.
- http://kalniete.lv/2010/03/18/gramatas-tulkojumi-1-pasaules-valodas/#more-172 (abgerufen am 16. August 2012)