Ritterakademie

Ritterakademien (auch Ritter-Schulen und Ritterkollegien genannt) waren in der Frühen Neuzeit Bildungsanstalten für die Söhne adeliger Familien. Sie entstanden im deutschsprachigen Raum nach westeuropäischen Vorbildern seit dem Ende des 16. Jahrhunderts. In mehreren Ritterakademien wurden ab Beginn des 18. Jahrhunderts zunehmend auch Bürgersöhne zugelassen.

Ritterakademie in Brandenburg an der Havel
Ehemalige Reithalle der Ritterakademie in Lüneburg
Ritterakademie in Liegnitz/Legnica
Das Kleine Schloss, Standort der Ritterakademie in Wolfenbüttel

Geschichte

Bis in die Neuzeit hinein spielte schulische Bildung für die Nachkommen des Adels mit Ausnahme der Söhne, die für eine geistliche Laufbahn vorgesehen waren, kaum eine Rolle. Unter dem Eindruck des Humanismus und der Konkurrenz gebildeter bürgerlicher Gruppen in den Verwaltungen der entstehenden Territorialstaaten wurde Bildung auch für den Adel wichtiger. Zunächst beschränkte sich dies meist auf die Anstellung eines Hauslehrers. Teilweise kam es auch zum gemeinschaftlichen Unterricht der Söhne benachbarter Adelsfamilien. Mit dem Entstehen von Gymnasien seit der Reformation kam es teilweise zur Entstehung einer geordneten, kollektiven Adelserziehung. Anstalten zur ausschließlichen Erziehung von Adeligen entstanden allerdings erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Ihren Ursprung hatten sie in Süd- und Westeuropa und wurden von dort in das Heilige Römische Reich übertragen. Anfangs besuchten Söhne von Adeligen aus dem Reich während ihrer Kavaliersreise Ritterakademien in Frankreich.

Nach französischem Vorbild wurde im Jahr 1594 als erste deutsche Einrichtung dieser Art das Collegium illustre in Tübingen gegründet. Nur wenig später wurde 1598 anknüpfend an ein Pageninstitut in Kassel eine Ritterakademie gegründet. Im Verlauf des 17. Jahrhunderts kamen zahlreiche weitere Einrichtungen hinzu, so etwa die Siegener Kriegs- und Ritterschule. Nach dem Dreißigjährigen Krieg kamen die Akademien in Lüneburg (1655), in Wien (1682) und in Wolfenbüttel (1687) hinzu. Weitere Gründungen dieser Art entstanden in zahlreichen Territorien bis in das 18. Jahrhundert hinein, so wurde 1701 die Ritterakademie Erlangen nach dem pietistischen Vorbild in Halle/Saale gegründet sowie 1703 in Salzburg, in der auch Bürgersöhne zugelassen wurden. Die brandenburgische Akademie wurde 1704 gestiftet, die Einrichtung der schlesischen Ritterakademie in Liegnitz entstand 1708, in Kremsmünster (ab 1744) und in Innsbruck (ab 1775). Lange Zeit zog es der katholische Adel indes vor, seine Söhne in Akademien ins Ausland – etwa nach Turin oder Besançon – zu schicken. Als Ritterakademie vornehmlich für den katholischen Adel entstand 1711 die von Benediktinern geführte Einrichtung im Kloster Ettal. 1837 gründete die Genossenschaft des Rheinischen Ritterbürtigen Adels die Rheinische Ritterakademie in Bedburg.

In den österreichischen Ländern wurden im Zuge der Reformen Josephs II. alle adeligen Erziehungsanstalten aufgelöst. Nach dessen Tod wurden nur das Theresianum in Wien und die Akademie in Innsbruck wieder eröffnet. Vor allem im 19. Jahrhundert verloren die Akademien unter dem Eindruck des Aufstiegs des humanistischen Gymnasiums an Bedeutung. Bis auf einige Ausnahmen wurden sie entweder geschlossen oder in Gymnasien umgewandelt.

Ritterakademien

Die Angaben nach Norbert Conrads[1]

Heiliges Römisches Reich (ohne habsburgische Ländereien)

Österreichische Erblande der Habsburger sowie Böhmen und Mähren

  • Innsbruck, Adeliges Kollegium, 1775
  • Kremsmünster, Benediktinische Ritterakademie 1743–1782
  • Olmütz, Mährische Ritterakademie, 1724–1787
  • Prag, Projekt e. Ritterakademie 1744–1745
  • Salzburg, Collegium Nobilium an der Universität, 1737–1741
  • Wien, Niederösterreichische Landschaftsakademie, (1682) 1692–1749
  • Wien, Savoyische Ritterakademie, 1749–1783
  • Wien, Theresianische Ritterakademie, Theresianum, 1746–1848 bzw. bis heute
  • Zdár/Saar, Mähren, Benediktinische Ritterakademie, 1724–1740

Polen

  • Warschau, Collegium Varsaviense der Theatiner, 1737–1785, Collegium Nobilium der Piaristen 1740 ff., Szkoła rycerska Stanisława Augusta 1765–1795

England

  • London, Projekt, Queen Elizabeth’s Academy, 1572
  • London, Musaeum Minervae, 1635–1642
  • London, Sir Balthazar Gerbier’s Academy at Bethnal Green, 1649–1650

Dänemark

Frankreich

  • Aix-en-Provence, Ritterakademie, 1611–
  • Angers, Académie d’équitation, um 1600–um 1790
  • Avignon, 1618
  • Besançon, Académie Royale, 1653–1773
  • Caen, 1715–1775
  • Lunéville I, Académie de Lorraine, 1699–1737
  • Lunéville II, École des Cadets-Gentilshommes, 1738–1766
  • Marseille, 1608
  • Nancy, s. Lunéville I
  • Orange, Nassauische Ritterakademie, um 1630–um 1660
  • Orléans, Ritterakademie
  • Paris, mehrere Akademien, u. a. die Académie Royale [de M. de Pluvinel], 1594– , e. Gründung Richelieus, nicht zu verwechseln mit der Académie française
  • Pézenas, 1598
  • Saumur, 1. hugenottische Akademie, 1593–ca. 1600; 2. Académie d’équitation, um 1600–heute
  • Sedan, Académie des exercices, um 1590–1685 (bis 1642 Fürstentum Sedan, HRR)

Heutiges Belgien

  • Brüssel, Académie Royale, 1671–18. Jh.

Niederlande

  • Utrecht, Academie of Ridder-School, 1705–19. Jh.

Italien

  • Florenz, verschiedene Akademien, 1689–18. Jh.
  • Padova, Accademia Delia, 1611–18. Jh.
  • Parma, Collegium Nobilium unter Leitung der Jesuiten, 1598–18. Jh.
  • Turin, Collegio dei Nobili, Jesuitenkolleg, 1568–18. Jh.
  • Turin, Accademia Reale, 1678–1794
  • Verona, 1565

Heutiges Estland

Literatur

  • Norbert Conrads: Ritterakademien der frühen Neuzeit. Bildung als Standesprivileg im 16. und 17. Jahrhundert (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Bd. 21). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1982, ISBN 3-525-35918-7 (Zugleich: Saarbrücken, Universität, Habilitations-Schrift, 1978: Academia equestris.), (Digitalisat).

Einzelnachweise

  1. N. Conrads, Ritterakademien, S. 346 ff., leider für Berlin fehlerhaft
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