Reisefreiheit
Die Reisefreiheit gilt als Teil des Rechtes auf Freizügigkeit, das jedem Bürger eines Landes das Recht gibt, sein eigenes Land nach Belieben zu verlassen und wieder zurückkehren zu dürfen.
Allgemeiner spricht man heute bei den international verbrieften Menschenrechten, sich frei zu bewegen oder niederzulassen, von Freizügigkeit.
Rechtshistorie
Gegen eine Beschränkung der Reisefreiheit sprach sich Cesare Beccaria bereits in seinem 1764 erschienenen und in viele Sprachen übersetzten Buch „Dei delitti e delle pene“ (deutsch: „Von Verbrechen und Strafen“) aus und riet dringend davon ab, die Republikflucht unter Strafe zu stellen:
- „Das Verbot selbst, nicht außer Landes zu gehen, macht die Eingeborenen nur noch lüsterner, ihr Vaterland zu verlassen, und dient Ausländern zur Warnung, sich nicht darinnen niederzulassen. Was soll man von einer Regierung denken, die außer der Furcht und Strafe kein anderes Mittel hat, die Menschen im Schoße ihres Vaterlandes zu erhalten, an welches sie doch bereits ohnehin durch einen selbst eigenen Hang von erster Kindheit an, durch die Natur, gleichsam gefesselt sind?“
Eine solche Norm, so wusste Beccaria schon 1764, kann auch nur den (missglückten) Versuch bestrafen, die Reisefreiheit in Anspruch zu nehmen, denn:
- „Hat der Entwichene alles mit sich weggenommen, so kann er ja nicht mehr gestraft werden. Man kann ja die Entweichung nicht eher bestrafen als bis sie begangen und er außer unseren Händen ist...“[1]
Internationale Übereinkommen
Die Reisefreiheit ist als individuelles Recht in internationalen Abkommen verankert. Es gilt vorrangig die Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte[2] der UN mit den Artikeln 12 bis 15. Im Artikel 13 wird das Recht eines jeden Menschen festgeschrieben, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen. Zum anderen regelt er das Recht darauf, auszuwandern und wieder in sein Heimatland zurückzukehren.[3]
Als völkerrechtliche Vereinbarung gilt der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte[4] in Artikel 12 die Reisefreiheit. Dort regelt Artikel 12 das Recht auf Ausreise und Rückkehr.
Reisefreiheit in der DDR
Insbesondere autoritäre und totalitäre Staaten schränken die Reisefreiheit ihrer Bürger oft ein. Ein bekanntes Beispiel war die DDR, die dieses Recht bis zur Öffnung der innerdeutschen Grenze und dem Mauerfall am 9. November 1989 stark einschränkte. Die DDR hatte zwar 1974 den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte unterzeichnet, der in Artikel 12 die Reisefreiheit vorsieht; es wurde aber unterlassen, diesen Vertrag in nationales Recht umzusetzen. Der § 213 des StGB (DDR) stellte weiterhin den nicht ausdrücklich genehmigten Versuch, das Land zu verlassen, als „ungesetzlicher Grenzübertritt“ unter Strafe und bedrohte das Leben potentieller Flüchtlinge durch den Schießbefehl. Die DDR wurde 1977 und 1984 vom UN-Menschenrechtsausschuss zu den Verhältnissen an der innerdeutschen Grenze gehört.
Ein Antrag zur ständigen Ausreise aus der DDR konnte jederzeit abgewiesen werden oder wurde erst nach längerer Wartezeit bearbeitet, in der die antragstellende Person mit Schikanen rechnen musste. Reisen für Bürger der DDR unter 65 Jahren in das nichtsozialistische Ausland waren nach 1961 nur auf Antrag, nur zu bestimmten Anlässen und meist nur dann möglich, wenn eine Rückkehr in die DDR wahrscheinlich war (z. B. zurückgelassene Kinder oder Ehepartner, keine „Westverwandtschaft“). Ab 1964 durften alle Rentner einmal im Jahr Besuchsreisen zu Westverwandten machen, später gab es weitere Reiseerleichterungen.
Weiterhin gab es so genannte Reisekader aus dem Staats- und Parteiapparat, Sportler, die zu internationalen Wettkämpfen fahren konnten, Wissenschaftler, die zu Fachkongressen ausreisen durften und ausgewählte (Fach-)Arbeiter, welche im Westen arbeiteten (z. B. Bauarbeiter und Ingenieure), oder ihn durchfuhren (Seeleute, Fernfahrer, Flugzeugbesatzungen).
Aber auch die Einreise in die sozialistischen Länder gestaltete sich von der DDR aus oft schwierig. So war es zum Beispiel DDR-Bürgern nur von 1972 bis 1980 möglich, ohne spezielle Genehmigung nach Polen einzureisen. Im Sommer 1980 begannen in Polen Arbeiterdemonstrationen; die Gewerkschaft Solidarność entstand. Das DDR-Regime unter Erich Honecker befürchtete, dass die Demonstrationen auf die DDR übergreifen könnten.
Spontane Auslandsreisen waren nur in das DDR-Nachbarland Tschechoslowakei möglich, in alle anderen Ostblockländer musste eine sogenannte Reiseanlage für den visafreien Reiseverkehr bei der Volkspolizei beantragt werden. Die neue Reisefreiheit wurde im Sommer 1989 von vielen Ausreisewilligen genutzt; sie fuhren zur Botschaft der Bundesrepublik in Prag oder via Tschechoslowakei nach Ungarn.
„Reisefreiheit“ wurde 1989 zum Wort des Jahres gewählt.
Reisefreiheit in Ungarn in der Zeit des Realsozialismus
Die Reisebeschränkungen für Bürger in der Volksrepublik Ungarn waren im Vergleich zu anderen Staaten des Ostblocks im Allgemeinen weniger restriktiv und wurden zwischen 1961 und 1989 zunehmend gelockert. Ab 1972 waren Reisen in die „befreundeten“ sozialistischen Länder Bulgarien, ČSSR, Polen, DDR und Rumänien mit dem „roten Reisepass“ ohne Einschränkungen möglich. Diese Liste wurde 1977 um Jugoslawien und die Sowjetunion ergänzt.
Für Reisen in westliche Länder existierte ein eigener, blauer Reisepass. Reisen in den Westen waren genehmigungspflichtig, die Genehmigungen wurden Bürgern, die politisch nicht negativ aufgefallen waren, aber im Regelfall erteilt. Entsprechende Reisegenehmigungen konnten unabhängig voneinander alle drei Jahre zu touristischen Zwecken und alle zwei Jahre zu Besuchszwecken (bei Vorlage einer Einladung durch Freunde oder Verwandte) beantragt werden, jedoch insgesamt nicht öfter als einmal im Jahr. Durch geschickte Kombination beider Antragsarten waren so in einem Zeitraum von sechs Jahren bis zu fünf Reisen in den Westen möglich.
Mit dem 1. Januar 1988 wurde der weltweit gültige Reisepass eingeführt, der den Bürgern unbeschränkte Reisefreiheit in alle Staaten der Welt gewährte. Bis zur politischen Wende 1989/90 waren damit Auslandsreisen nur noch durch die begrenzte Möglichkeit zum Währungsumtausch eingeschränkt.[5]
Beschränkung der Reisefreiheit
Im Zuge der weltweiten COVID-19-Pandemie wurde die individuelle Reisefreiheit eingeschränkt. Die Bürger vieler Länder wurden aufgefordert, auf nicht notwendige Reisen, insbesondere touristischer Art, auch innerhalb des eigenen Landes, zu verzichten, bestimmte Gebiete nicht mehr aufzusuchen und auch auf Verwandtenbesuche zu verzichten. Zudem gibt es für Reiserückkehrer Vorschriften zur Quarantäne, digitale Einreiseanmeldungen oder die Pflicht zur Vorlage eines negativen Coronatests.[6] Teilweise kam es 2020 zu Grenzschließungen im ansonsten grenzfreien Schengen-Raum.[7][8] Durch die Impfungen gegen das Virus wurde die Freiheit zu Reisen teilweise auf Geimpfte Personen beschränkt.[9] In der Kritik steht insbesondere das dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, das unter anderem ein Verbot oder eine Beschränkung von (touristischen) Reisen vorsieht.[10]
Weblinks
Einzelnachweise
- alle Zitate nach Karl Ferdinand Hommel: Des Herrn Marquis von Beccaria unsterbliches Werk von Verbrechen und Strafen (Leipzig 1778). Ausgabe Berlin 1966, Akademie Verlag, S. 141/142 193.30.112.134
- Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Resolution 217 A (III) vom 10. Dezember 1948.
- Freizügigkeit und Auswanderung menschenrechtserklaerung.de.
- Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (PDF; 79 kB)
- Útiokmányok, utazási lehetõségek és határforgalom a 20. századi Magyarországon (PDF) epa.oszk.hu (ungarisch).
- Informationen zu Einreisebeschränkungen und Quarantänebestimmungen in Deutschland auswaertiges-amt.de.
- Remo Hess: Reisefreiheit bedroht – Aus Angst vor den Coronamutationen: Macht Europa jetzt die Grenzen dicht? In: Luzerner Zeitung. 21. Januar 2021 (luzernerzeitung.ch).
- Die Reisefreiheit kehrt zurück nach Europa. In: Neue Zürcher Zeitung. 8. Juni 2020 (nzz.ch).
- Christian Kerl: Corona: Wo die Reisefreiheit für Geimpfte schon gilt. In: Westdeutsche Allgemeine Zeitung. 9. Februar 2021 (waz.de).
- Gerhard Strate: Corona-Krise: Abschaffung der Reisefreiheit. In: Hamburger Abendblatt. 19. November 2020 (abendblatt.de).