Prozess Rasse- und Siedlungshauptamt der SS
Der Prozess Rasse- und Siedlungshauptamt der SS war der achte von insgesamt zwölf Nürnberger Nachfolgeprozessen gegen Verantwortliche des Deutschen Reichs zur Zeit des Nationalsozialismus.
Während der Begriff „Nürnberger Prozess“ in erster Linie für den Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher verwendet wird, fallen darunter aber auch die zwölf Folgeprozesse, die im Nürnberger Justizpalast vor amerikanischen Militärgerichten gegen weitere 177 Personen geführt wurden. Der VIII. Prozess befasste sich mit den Verbrechen in den annektierten Gebieten und der Vertreibung ihrer Bevölkerung. Drei SS-Hauptämter, das Rasse- und Siedlungshauptamt (RuSHA), das Stabshauptamt des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums (RKF) und die Volksdeutsche Mittelstelle (VoMi) bzw. ihre Leiter wurden in diesem Prozess angeklagt. Das RuSHA war zur Zeit des Dritten Reiches für Rassenuntersuchungen und Ehegenehmigungen der SS sowie für Einbürgerung von Volksdeutschen und die Rassenselektion von sogenannten „eindeutschungsfähigen“ Menschen mit nicht-deutscher Staatsbürgerschaft zuständig.
Dieser Prozess gilt mit dem Prozess Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS und dem Einsatzgruppen-Prozess als einer der drei „ethnological cases“ der Nürnberger Folgeprozesse.
Wie alle zwölf Nachfolgeprozesse basierte dieser Prozess auf dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 der Alliierten, in dem der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit eigenständig definiert ist.
Die Anklagepunkte
Die Anklageschrift vom 1. Juli 1947:
- Verbrechen gegen die Menschlichkeit
- Kriegsverbrechen
- Mitgliedschaft in verbrecherischen Organisationen
Die Richter
- Präsident: Lee B. Wyatt, Richter des Obersten Gerichts in Georgia
- Daniel T. O'Connell, Richter des Obersten Gerichts in Massachusetts
- Johnson T. Crawford, Richter des Distrikt-Gerichts in Oklahoma
Die Verbrechen der Angeklagten
Das Germanisierungsprogramm der Nationalsozialisten verstand die „Eindeutschung“ der annektierten Gebiete als „Festigung deutschen Volkstums“, die administrativen Maßnahmen wurden unter dem Begriff der Volkstumspolitik zusammengefasst.
Am Beispiel der annektierten Teile Polens umfasste diese Volkstumspolitik:
- Vertreibung der Bevölkerung
- Enteignung privaten und öffentlichen Besitzes
- Zwangssterilisation zur Verhinderung von Geburten
- Zwangsabtreibung und Eheverbot
- Verschleppung von Kindern und deren Eingliederung in die eigene Nation
- Verschleppung von Zivilpersonen zur NS-Zwangsarbeit
- Ermordung der nationalen Funktionseliten
Die Richter verurteilten Ulrich Greifelt als Hauptverantwortlichen für die „Absiedlung“ von Menschen aus Slowenien, Elsass, Lothringen und Luxemburg in das Reich, die unter Androhung von KZ-Haft und Abschiebung aus dem Staatsgebiet erzwungen wurde. Den Angeklagten wurde die Beteiligung an Deportationen von Juden, Polen, Jugoslawen, Elsässern und Luxemburgern nachgewiesen, wobei sie die Aufgabe der rassischen Überprüfung erledigt hatten. Die Leiter des RuSHA, Otto Hofmann und Richard Hildebrandt, wurden außerdem in den Anklagepunkten der erzwungenen Schwangerschaftsabbrüche an Ostarbeiterinnen und der Verfolgung von sexuellen Beziehungen zwischen Zwangsarbeitern und Deutschen (sog. Rassenschande) schuldig gesprochen. Hildebrandt wurde außerdem wegen seiner Teilnahme am Euthanasie-Programm verurteilt.
Die Richter beurteilten die Lager der VoMi als Orte der Vermittlung von „Umgesiedelten“ und „Abgesiedelten“ zur Zwangsarbeit und zur Zwangsrekrutierung für Wehrmacht und Waffen-SS. Dass es sich dabei um verbrecherische Deportationen handelte, sahen sie durch einen Befehl Himmlers vom 21. September 1942 als bewiesen an. Diesem Befehl zufolge sollten alle Angehörige von Slowenen, die aus einem VoMi-Lager geflohen waren, in ein Konzentrationslager gebracht und ihnen die Kinder weggenommen werden. Alle Mitwisser der Flucht sollten zudem erhängt werden.
Dem Lebensborn e. V. wurde kein Verbrechen nachgewiesen, Inge Viermetz wurde freigesprochen, die angeklagten männlichen Mitarbeiter nur wegen ihrer Mitgliedschaft in der SS verurteilt.
Die Urteile
Name | Urteil | Rang und Position | sonstiges |
---|---|---|---|
Ulrich Greifelt * 1896 † 1949 |
lebenslänglich in der Haft verstorben |
SS-Obergruppenführer Leiter Dienststelle Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums („Stabhauptamt des RKFDV“) |
maßgeblich am „Generalplan Ost“ beteiligt |
Rudolf Creutz * 1896 † 1980 |
15 Jahre 1951 in 10 Jahre umgewandelt, 1954 entlassen |
SS-Oberführer Leiter Amtsgruppe A im „Stabhauptamt des RKFDV“ |
war für einen Teil des „Wiedereindeutschungsprogramms“ zuständig |
Konrad Meyer * 1901 † 1973 |
2 Jahre 10 Monate nach Urteil freigelassen |
SS-Oberführer bis 1942 Leiter Planungsamt im „Stabhauptamt des RKFDV“ (Entwickler des „Generalplans Ost“) |
ab 1942 Planungsbeauftragter beim Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft |
Otto Schwarzenberger * 1900 † unbek. |
2 Jahre 10 Monate nach Urteil freigelassen |
SS-Oberführer Leiter Amt V (Finanzverwaltung) Amtsgruppe B im „Stabhauptamt des RKFDV“ |
|
Herbert Hübner * 1902 † nach 1951 |
15 Jahre 1951 entlassen |
SS-Standartenführer bis 1942 Leiter Dienststelle „Stabhauptamt des RKFDV“ in Posen |
ab 1942 Führer im Rasse- und Siedlungshauptamt (RuSHA) Wartheland (Polen) |
Werner Lorenz * 1891 † 1974 |
20 Jahre 1951 in 15 Jahre umgewandelt; 1955 entlassen |
SS-Obergruppenführer Leiter Volksdeutsche Mittelstelle (VOMI), ab 1939 SS-Hauptamt im „Stabhauptamt des RKFDV“ |
verantwortlich für Umsiedlung und „Heimführung“ deutschstämmiger Ausländer, deutscher Minderheiten sowie „Eindeutschung“ ausländischer Kinder |
Heinz Brückner * 1900 † 1968 |
15 Jahre 1951 entlassen |
SS-Sturmbannführer in der Volksdeutschen Mittelstelle (VoMi) Amt VI (Sicherung Deutschen Volkstums im Reich) |
|
Otto Hofmann * 1896 † 1982 |
25 Jahre 1951 in 15 Jahre umgewandelt, 1954 entlassen |
SS-Obergruppenführer bis 1943 Leiter Rasse- und Siedlungshauptamt (RuSHA) |
ab 1943 Führer des SS-Oberabschnitts Südwest, nahm 1942 an der Wannseekonferenz teil. |
Richard Hildebrandt * 1897 † 1952 |
25 Jahre an Polen ausgeliefert 1949 zum Tode verurteilt, 1952 hingerichtet |
SS-Obergruppenführer Chef des Rasse- und Siedlungshauptamts der SS (RuSHA) |
von 1942 bis 1943 Mitglied des Volksgerichtshofes |
Fritz Schwalm * 1910 † 1985 |
10 Jahre 1951 entlassen |
SS-Obersturmbannführer Leiter RuSHA-Außenstelle in Litzmannstadt |
SS-Sonderführer „Kampfgruppe Jeckeln“ / Judenmassaker in Lettland |
Max Sollmann * 1904 † nach 1970 |
2 Jahre 8 Monate nach Urteil freigelassen |
SS-Standartenführer geschäftsführender Leiter Lebensborn e. V. |
gehörte ab 1942 als Amtsleiter der Abteilung L dem persönlichen Stab Himmlers an |
Gregor Ebner * 1892 † 1974 |
2 Jahre 8 Monate nach Urteil freigelassen |
SS-Oberführer ärztlicher Leiter Lebensborn e. V. |
ab 1938 Vorsitzender am Disziplinargerichtshof des NS-Ärztebundes |
Günther Tesch * 1907 † 1989 |
2 Jahre 10 Monate nach Urteil freigelassen |
SS-Sturmbannführer Rechtsberater Lebensborn e. V. |
u. a. für die Namensänderung von „eindeutschungsfähigen“ polnischen Kindern zuständig |
Inge Viermetz * 1908 † 1997 |
Freispruch | weibliche SS-Gefolgschaft Abteilungsleiterin und Sonderbeauftragte Lebensborn e. V. |
Aufgrund finanzieller Unregelmäßigkeiten im Dezember 1943 fristlos entlassen |
Literatur
- Trials of War Criminals Before the Nuernberg Military Tribunals Under Control Council Law No. 10., Vol. 4: United States of America vs. Ulrich Greifelt, et al. (Case 8: „RuSHA Case“). US Government Printing Office, District of Columbia 1950, S. 597–1185. (Band 4 der 15-bändigen „Green Series“ über die Nürnberger Nachfolgeprozesse. Der Band enthält u. a. Anklage, Urteil und Auszüge aus den Prozessunterlagen. Der Band enthält ebenfalls die Unterlagen zum Einsatzgruppen-Prozess.)
- Isabel Heinemann: Rasse, Siedlung, deutsches Blut. Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas. Wallstein Verlag, Göttingen 2003, ISBN 3-89244-623-7.
Weblinks
- Mazal Library RuSHA eng, im Internetarchiv
- Videosammlung zu den Nürnberger Prozessen des Robert H. Jackson Center, darunter Aufnahmen vom RuSHA-Prozess (1947/48)