Polyhexanid
Polyhexanid oder Polyhexamethylenbiguanid (PHMB) ist ein Antiseptikum zur Wundbehandlung. In Orthopädie und Unfallchirurgie gilt es als das am häufigsten eingesetzte Präparat.[4] Auch wird es bei schlecht heilenden, chronischen Wunden (z. B. Verbrennungswunden 2. Grades) sowie für Lavagen eingesetzt. In der Anwendung als Antiseptikum konkurriert es mit Substanzen wie Povidon-Iod, Wasserstoffperoxid, Chlorhexidin, Ethacridinlactat und Octenidin. Seit einigen Jahren wird Polyhexanid auch in Wundauflagen zur Dekontamination bei kritisch kolonisierten und infizierten Wunden verwendet.[5]
Strukturformel | ||||||||||||
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Allgemeines | ||||||||||||
Name | Polyhexanid | |||||||||||
Andere Namen | ||||||||||||
CAS-Nummer | ||||||||||||
Monomer | Hexamethylendiamin, 1,6-Bis(cyano-guanidino)hexan | |||||||||||
Summenformel der Wiederholeinheit | C8H17N5 | |||||||||||
Molare Masse der Wiederholeinheit | 183,25 g·mol−1 | |||||||||||
ATC-Code |
D08AC05 | |||||||||||
Arzneistoffangaben | ||||||||||||
Wirkstoffklasse | ||||||||||||
Wirkmechanismus |
unspezifisch; selektive Wirkung gegenüber sauren Lipiden bakterieller Zellmembranen | |||||||||||
Sicherheitshinweise | ||||||||||||
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Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. |
Allgemeine Verwendung
Polyhexanid ist ferner Bestandteil von Flächendesinfektionsreinigern, Schwimmbadreinigern und Kontaktlinsen-Reinigungsprodukten (beispielsweise in einer Konzentration von 0,0001 – 0,0002 % enthalten). In Kosmetika wird Polyhexanid in zunehmendem Maße als Konservierungsmittel eingesetzt.
Polyhexanid hat ein breites Wirkungsspektrum, u. a. auch gegen den Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA). Die Wundheilung wird durch Polyhexanid wenig beeinträchtigt. In der Kosmetik- und Lebensmittelindustrie ist der Rohstoff Polyhexanid seit 1959 bekannt und eingeführt. Dort findet er Verwendung zur Reinigung und Desinfektion von Brauereianlagen und als Desinfektions- und Antiflockenmittel für Schwimmbadewasser (kein Chlorgeruch).
Medizinische Aspekte
1995 wurde Polyhexanid als Konzentrat zur Zubereitung antiseptischer Wundspüllösungen im Gesundheitsmarkt eingeführt. Haupteinsatzgebiet waren zunächst große chirurgische Wunden. Bald wurden die in der Krankenhausapotheke hergestellten Lösungen auch zur Behandlung von infizierten chronischen Wunden eingesetzt. Polyhexanid zeichnet sich gegenüber anderen mikrobioziden Substanzen durch eine besonders große therapeutische Breite aus. Polyhexanid ist geruchlos, farblos und hypoallergen, brennt nicht in der Wunde und verursacht laut aktueller Literatur keine Wundheilungsstörungen. Polyhexanid schädigt und tötet Bakterien bereits in sehr geringen Konzentrationen, indem es sich an die Zellwand von Bakterien bindet. Daher ist die minimale Hemm-Konzentration (MHK) klein. Für Staphylococcus aureus wird die therapeutische Breite mit 25.000 angegeben (zum Vergleich: PVP-Jod 500, Octenidin 3,2 und Chlorhexidin 0,9). Konzentrationsabhängig schafft Polyhexanid so die Voraussetzung, dass die Wundheilung ermöglicht wird (Beseitigung der bakteriellen Besiedelung). Polyhexanid wird weder bei intakter Haut noch bei Anwendung in Wunden resorbiert.
Im Vergleich zu Octenidin und PVP-Jod ist der Wirkeintritt verzögert, sodass bei erforderlicher schneller Wirkung Polyhexanid zurückhaltend eingesetzt wird.[6]
Indikation
Für folgende Indikationen liegen positive klinische Erfahrungen vor:
- Hüftendoprothesenimplantation: intraoperative Spülung unmittelbar vor Implantationen bei Verzicht auf perioperative Chemoprophylaxe.
- Verbrennung II. Grades: feuchte Abdeckung
- Superinfiziertes Ulcus cruris: feuchte Abdeckung
- Große Weichteilverletzungen: Débridement, Spülung und feuchte Abdeckung
- Infizierte Wunden und Weichteilphlegmone: Spül-Saug-Drainage
Auch für eine Behandlung in der Mundhöhle ist das Mittel in Deutschland zugelassen.[7][8][9][10][11]
Unerwünschte Wirkungen
Polyhexanid beschleunigt, wie auch Octenidin, den Zelltod von Knorpelzellen. Es darf deshalb nicht im inneren des Ohres (Gehörgang, Mittelohr) z. B. in Nähe des Trommelfells angewendet werden. Bei Eingriffen an septischem Knorpelgewebe wird dringend empfohlen, auf dafür geeignete Antiseptika auszuweichen – oder notfalls die Einwirkdauer des Präparates auf den Gelenkknorpel auf weniger als 15 Minuten zu beschränken.[4][12]
Sicherheitshinweise
Im Jahr 2011 stufte das Committee for Risk Assessment der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) Polyhexamethylenbiguanid (PHMB, Polyhexanid) als Karzinogen der Stufe 2 ein. Ab einer Konzentration von 1 % müssen Polyhexanid-haltige Produkte mit „Kann Krebs erzeugen (canc. cat. 2)“ gekennzeichnet werden und ab einem Gehalt von 0,1 % muss ein Vermerk im Sicherheitsdatenblatt vorgenommen werden. Nicht kennzeichnungspflichtig sind Medizinprodukte zur direkten Anwendung in oder am Körper und Arzneimittel.[13] In kosmetischen Mitteln ist PHMB bis zu einer Konzentration von maximal 0,1 % zulässig, eine inhalative Exposition muss ausgeschlossen sein.[14]
Seit dem 20. April 2018 ist PHMB, nach einem Entscheid der Europäischen Kommission, nur noch für die Anwendung zur Desinfektion PT2 (Desinfektionsmittel und Algenbekämpfungsmittel, die nicht für eine direkte Anwendung bei Menschen und Tieren bestimmt sind) und nicht mehr für die Anwendung zum Materialschutz PT9 (Schutzmittel für Fasern, Leder, Gummi und polymerisierte Materialien) zugelassen und wird als Candidate for substitution betrachtet.[15]
Handelsnamen
- Rohstoff: Cosmocil (D)
- Fertigpräparate zur direkten Anwendung in oder am menschlichen Körper: Decontaman (D), DracoFoam Infekt (D), Hemosept (D), Lavanid (D), Lavasept (D, CH), pharmaCUR (D), Prontoderm (D), ProntoMan (D), Prontomed (D), ProntoLind (D), Prontosan (D, B), Serasept (D), Suprasorb X+PHMB (D) und Suprasorb P+PHMB (D).
- Fertigpräparate für Tiere: Lavapirox Fluid (D, CH), ProntoCare-Vet (D), Rebosan (D)
Literatur
- Gustavo F. De Paula, Germano I. Netto, Luiz Henrique C. Mattoso: Physical and Chemical Characterization of Poly(hexamethylene biguanide) Hydrochloride. In: Polymers. 3, 2011, S. 928–941, doi:10.3390/polym3020928.
- T. Koburger-Janssen: In vitro – Untersuchungen zur Wirksamkeit und Zytotoxizität von Polihexanid in herkömmlicher galenischer Grundlage und assoziiert an Lecithin. Dissertation, Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald 2014.
Einzelnachweise
- Eintrag zu POLYAMINOPROPYL BIGUANIDE in der CosIng-Datenbank der EU-Kommission, abgerufen am 15. August 2020.
- Eintrag zu polyhexamethylene biguanide hydrochloride – PHMB im Classification and Labelling Inventory der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), abgerufen am 20. Juli 2018. Hersteller bzw. Inverkehrbringer können die harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung erweitern.
- Eintrag zu Polyhexamethylenbiguanid Hydrochlorid in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 20. Juli 2018. (JavaScript erforderlich)
- Reports from Charite University Hospital & School of Medicine Add New Data to Research in Apoptosis.(Report). In: Medical Devices & Surgical Technology Week. 2012. HighBeam Research. (19. Mai 2012). online (Memento vom 9. April 2016 im Internet Archive)
- A. Kramer, G. Daeschlein, G. Kammerlander, et al.: Konsensusempfehlung zur Auswahl von Wirkstoffen für die Wundantiseptik (2005). online (Memento vom 23. August 2017 im Internet Archive)
- Research from T. Koburger and colleagues provide new insights into biguanides. In: Biotech Week. 2010. HighBeam Research. (19. Mai 2012). online (Memento vom 14. April 2016 im Internet Archive)
- Konsensusempfehlungen zur Auswahl von Wirkstoffen für die Wundantiseptik, A. Kramer, G. Kammerlander, W. Sellmer, T. Eberlein et al., ZfW Juni 2004.
- Consensus document: PHMB and its potential contribution to wound management, S. Barret et al., 2010.
- Polihexanide: A Safe and Highly Effective Biocide, K.Kaehn, In: Skin Pharmacol Physiol. 2010, 23, 7–16.
- Wallhäusers Praxis der Sterilisation, Desinfektion, Antiseptik und Konservierung, Thieme Verlag 2008.
- Wundmanagement, ein illustrierter Leitfaden für Ärzte und Apotheker, Probst W, Vasel-Biergans A, 2. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2010.
- Study Findings from E. Rohner et al Broaden Understanding of Connective Tissue Cells.(Report). In: Life Science Weekly. 2011. HighBeam Research. (19. Mai 2012). online (Memento vom 28. März 2015 im Internet Archive)
- S. Gerlach: Kennzeichnung von Medizinprodukten, Das Medizinprodukt, 10. April 2015
- Annex V (Ref. 28) der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 über kosmetische Mittel, Stand 11. August 2020.
- European Chemical Agency, Datenbank Information on biocides