Peter Stamm
Peter Stamm (* 18. Januar 1963 in Scherzingen, Kanton Thurgau) ist ein Schweizer Schriftsteller.
Biografie
Peter Stamm wurde als Sohn eines Buchhalters geboren und wuchs mit drei Geschwistern in Weinfelden im Kanton Thurgau auf. In der Schule sei er nach eigenen Angaben unterfordert gewesen und habe deshalb bereits früh viel Zeit in seiner Phantasiewelt verbracht. Nach Primar- und Sekundarschule absolvierte Stamm von 1979 bis 1982 eine kaufmännische Lehre und arbeitete zeitweise als Buchhalter. Auf dem zweiten Bildungsweg legte er die Matura ab.
Stamm erhielt auf seine ersten literarischen Versuche viele Absagen. Seine ersten drei Romane fanden keinen Verlag. Agnes, der vierte Roman, den er mit 29 zu schreiben begann, wurde erst sechs Jahre später veröffentlicht. Nachdem Stamm 1987 ein halbes Jahr Anglistik an der Universität Zürich studiert und anschließend ein halbes Jahr in New York gelebt hatte, wechselte er das Studienfach auf Psychologie mit Psychopathologie und Informatik als Nebenfach; daneben war er als Praktikant an verschiedenen psychiatrischen Kliniken tätig. Die Wahl des Studiums erklärt er aus literarischem Interesse: Er wollte mehr über den Menschen als Gegenstand der Literatur erfahren. Der Abbruch des Psychologiestudiums sei die bewusste Entscheidung gewesen, das Schreiben ins Zentrum seines Lebens zu stellen. Nun hatte er nur noch die Wahl zu schreiben oder wieder als Buchhalter zu arbeiten.
Nach längeren Aufenthalten in New York, Paris und Skandinavien ließ sich Peter Stamm 1990 in Winterthur nieder. Hier war er vor allem als Journalist tätig, was ihm erstmals die Publikation seiner Texte ermöglichte. Stamm arbeitete unter anderem für die Neue Zürcher Zeitung, den Tages-Anzeiger, die Weltwoche und die satirische Zeitschrift Nebelspalter. Ab 1997 gehörte er der Redaktion der Literaturzeitschrift entwürfe an. Von 1998 bis 2003 lebte er in Zürich, seither wieder in Winterthur. Nach den Erfolgen mit seinem Roman-Erstling und den folgenden Veröffentlichungen trat die journalistische Tätigkeit mehr und mehr in den Hintergrund gegenüber der Literatur, auf die er sich inzwischen konzentriert. Seit 2003 ist Stamm Mitglied des Verbandes Autorinnen und Autoren der Schweiz.[1]
Im Herbstsemester 2018 war Peter Stamm Inhaber der Friedrich Dürrenmatt Gastprofessur für Weltliteratur an der Universität Bern.[2]
Werk
Peter Stamm ist Verfasser von erzählender Prosa, von Hörspielen und Theaterstücken. Kennzeichnend ist seine distanzierte Erzählweise und sein einfacher Stil, der aus kurzen Hauptsätzen besteht und beinahe vollständig ohne schmückende Adjektive, Metaphern oder Vergleiche auskommt. Stamm beschreibt selbst, dass sein Stil stark auf einer wiederholten Reduktion des Geschriebenen basiert. Je mehr die Sprache in den Hintergrund trete, umso realer würden die gezeichneten Bilder.
Stamm schreibt nach eigenen Worten „über Menschen und über Beziehungen zwischen Menschen“. Wiederkehrende Themen seien die mannigfaltigen Möglichkeiten von Liebesbeziehungen, die Unmöglichkeit der Liebe, Distanz und Nähe sowie das Verhältnis von Bild und Wirklichkeit. Dabei stehe in seinem Werk nicht der Inhalt im Mittelpunkt, sondern die Art, wie etwas erzählt werde. Deswegen wähle er keine originellen Inhalte, die von der Qualität des Textes ablenkten.[3]
Mit seinem dritten Roman An einem Tag wie diesem wechselte Stamm vom Zürcher Arche Verlag zum S. Fischer Verlag in Frankfurt am Main. Bereits zuvor verkaufte er im Unterschied zu den meisten Schweizer Autoren seine Bücher fünfmal häufiger in Deutschland als in der Schweiz. Daniel Arnet erklärte dies mit einer „helvetismenfreien Sprache“ und „Inhalten, die geranientröglifrei sind“ und in ihrer Universalität „nicht eidgenössisch codiert“. Zu seinem Erfolg in Deutschland trug auch eine Besprechung 1999 im Literarischen Quartett bei, in der Marcel Reich-Ranicki die Erzählsammlung Blitzeis zu einem der schönsten und wichtigsten Bücher der Saison erklärte, während Hellmuth Karasek urteilte: „Dies ist ein Erzähler, der sehr viel kann, weil er auszulassen, zu konzentrieren versteht.“[4]
Mehr als 150 Übersetzungen von Peter Stamms Werken sind in 39 Sprachen erschienen,[5] in Französisch, Englisch, Spanisch, Katalanisch, Hebräisch, Italienisch, Niederländisch, Serbisch, Slowenisch, Polnisch, Brasilianisch, Portugiesisch, Russisch, Bulgarisch, Slowakisch, Georgisch, Tschechisch, Dänisch, Koreanisch, Litauisch, Chinesisch, Norwegisch, Estnisch, Kroatisch, Thai, Japanisch, Türkisch, Arabisch, Persisch, Mazedonisch, Armenisch, Schwedisch, Taiwanisch, Ungarisch, Aserbeidschanisch, Albanisch, Mongolisch, Griechisch und Ukrainisch.
Basierend auf der Kurzgeschichte Der Lauf der Dinge von Peter Stamm entstand 2019 der Spielfilm Was wir wollten von Ulrike Kofler.[6]
Auszeichnungen
- 1998: Ehrengabe des Kantons Zürich
- 1999: Rauriser Literaturpreis
- 2000: Rheingau Literatur Preis
- 2000: 2. Hörspielpreis der Stiftung Radio Basel
- 2001: Ehrengabe der Stadt Zürich
- 2002: Preis der Schweizerischen Schillerstiftung
- 2002: Carl-Heinrich-Ernst-Kunstpreis
- 2003: Kulturpreis der Stadt Winterthur
- 2003: Thurgauer Kulturpreis
- 2004: Poetikdozentur: junge Autoren der Fachhochschule Wiesbaden
- 2008: Förderpreis des Kantons Thurgau
- 2011: Alemannischer Literaturpreis
- 2012: Bodensee-Literaturpreis
- 2013: Mainzer Stadtschreiber[7]
- 2013: Shortlist des Man Booker International Prize[8]
- 2014: Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg[9]
- 2014: Poetik-Professur an der Universität Bamberg
- 2017: Schillerpreis der Zürcher Kantonalbank[10]
- 2017: Johann-Friedrich-von-Cotta-Literaturpreis der Landeshauptstadt Stuttgart für Weit über das Land
- 2018: Solothurner Literaturpreis
- 2018: Heinrich-Heine-Gastdozentur
- 2018: Schweizer Buchpreis für Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt
Werke
Prosa
- Alles über den Mann. Illustrationen von Brigitte Fries. Nebelspalter, Rorschach 1995, ISBN 3-7654-1968-0.
- Gotthard. Die steinerne Seele der Schweiz. Fotos von Markus Bühler. AS, Zürich 1997, ISBN 3-905111-22-5.
- Agnes. Roman. Arche, Zürich 1998; Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-596-17912-1.
- Blitzeis. Erzählungen. Arche, Zürich 1999; Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2011, ISBN 978-3-596-19255-7.
- Darin: Am Eisweiher.
- Ungefähre Landschaft. Roman. Arche, Zürich 2001; Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2010, ISBN 978-3-596-18824-6.
- Grace. Erzählung. In: Krachkultur, Nummer 9. Bremen 2001, ISSN 0947-0697.
- In fremden Gärten. Arche, Zürich 2003, ISBN 3-7160-2317-5; btb, München 2005, ISBN 3-442-73244-1.
- Darin: In fremden Gärten.
- Warum wir vor der Stadt wohnen. Illustrationen von Jutta Bauer. Beltz & Gelberg, Weinheim 2005, ISBN 3-407-79875-X (Kinderbuch).
- An einem Tag wie diesem. Roman. S. Fischer, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-10-075125-6; Taschenbuch, ebd. 2007, ISBN 978-3-596-17383-9.
- Wir fliegen. Erzählungen. S. Fischer, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-10-075128-7; Taschenbuch, ebd. 2009, ISBN 978-3-596-17803-2.
- Heidi. Bilder von Hannes Binder. Nagel & Kimche, München 2008, ISBN 978-3-312-00982-4 (Kinderbuch).
- Sieben Jahre. Roman. S. Fischer, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-10-075126-3; Taschenbuch, ebd. 2011, ISBN 978-3-596-17384-6.
- Seerücken. Erzählungen. S. Fischer, Frankfurt am Main 2011, ISBN 978-3-10-075133-1; Taschenbuch, ebd. 2012, ISBN 978-3-596-18995-3.[11]
- Der schweizerische Robinson. Von Johann David Wyss. Nacherzählt von Peter Stamm. Willi Glasauer (Bilder), Peter von Matt (Nachwort). S. Fischer, Frankfurt am Main 2012, ISBN 978-3-596-85507-0.
- Nacht ist der Tag. Roman. S. Fischer, Frankfurt am Main 2013, ISBN 978-3-10-075134-8.
- Der Lauf der Dinge. Gesammelte Erzählungen. S. Fischer, Frankfurt am Main 2014, ISBN 978-3-10-002219-6.
- Die Vertreibung aus dem Paradies. Bamberger Vorlesungen und verstreute Texte. S. Fischer, Frankfurt am Main 2014, ISBN 978-3-10-002200-4.
- Weit über das Land. Roman. S. Fischer, Frankfurt am Main 2016, ISBN 978-3-10-002227-1.
- Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt. Roman. S. Fischer, Frankfurt am Main 2018, ISBN 978-3-10-397259-7.
- Marcia aus Vermont. Eine Weihnachtsgeschichte. S. Fischer, Frankfurt am Main 2019, ISBN 978-3-10-397452-2.
- Wenn es dunkel wird. Erzählungen. S. Fischer, Frankfurt am Main 2020, ISBN 978-3-10-002226-4.
- Das Archiv der Gefühle. Roman. S. Fischer, Frankfurt am Main 2021, ISBN 978-3-10-397402-7.
Theaterstücke
- Fremd gehen. Theaterstück für 2 Personen. UA: Theater 1230, Bern 1995
- Die Planung des Planes. Monolog. UA: Schauspielhaus Zürich, 2001
- Après Soleil oder Wen der Wind zur Insel trägt. UA: Schauspielhaus Zürich, Februar 2003, Regie: Christiane Pohle
- Der Kuss des Kohaku. UA: Deutsches Schauspielhaus, April 2004, Regie: Florian Fiedler
- Die Töchter von Taubenhain. UA: Luzerner Theater, November 2004, Regie: Christina Rast
Hörspiele
- Ich und die anderen. Zürich 1991.
- Die Nacht der Gewohnheiten. Zürich 1993.
- In Vitro. Zürich 1994.
- Der letzte Autofahrer. Basel 1995.
- Bildnis eines Knaben mit Peitsche. Basel 1995.
- Ableben. Köln 1997 (= Hörspielversion von Fremd gehen).
- Agnes. Bremen 1997.
- Nachtkampf oder die Kunst des Tee-Wegs. Basel 1999.
- Werum mer vor de Schtadt wohned. Zürich 1999 (Schweizer Hörspielpreis 2000).
- Passion. SWR 2000.
- Was wir können. Köln 2000.
- Blitzeis. Köln 2001.
- Das Schweigen der Blumen. Basel 2004.
- Der Kuss des Kohaku. Baden-Baden 2005.
- Treibgut. Berlin 2005.
Hörbücher
- Das Schweigen der Blumen. Hörspiel nach dem Theaterstück Die Töchter von Taubenhain. Mit Norbert Schwientek. 1 CD. Merian, Basel 2005, ISBN 3-85616-248-8.
- Warum wir vor der Stadt wohnen. Sprecher: Samuel Weiss, Anikó Donáth. Musik: Max Lässer. 1 CD. Hörcompany, Hamburg 2005, ISBN 3-935036-66-3.
- An einem Tag wie diesem. Sprecher: Christian Brückner. 4 CDs. Parlando, Berlin 2006, ISBN 978-3-935125-61-1.
- Wir fliegen. Sprecher: Christian Brückner. 2 CDs. Parlando, Berlin 2008, ISBN 978-3-935125-82-6.
- Sieben Jahre. Sprecher: Christian Brückner. 6 CDs. Parlando, Berlin 2009, ISBN 978-3-941004-03-0.
- Nacht ist der Tag. Sprecher: Christian Brückner. 4 CDs. Parlando, Berlin 2013, ISBN 978-3-941004-48-1.
- Weit über das Land. Sprecher: Christian Brückner. 4 CDs. Parlando, Berlin 2016, ISBN 978-3-941004-75-7.
- Agnes. Sprecher: Christian Brückner. 3 CDs. Parlando, Berlin 2016, ISBN 978-3-941004-83-2.
Herausgeberschaft
- Diensttage. Schweizer Schriftsteller und ihr Militär. Nagel & Kimche, München 2003, ISBN 3-312-00330-X.
Übersetzungen
- Susan Musgrave: Träum dir eine Badewanne. Reinhardt, Basel 2002, ISBN 3-7245-1205-8 (Kinderbuch).
Literatur
- Olga O. Kasaty: Entgrenzungen. Vierzehn Autorengespräche. edition text + kritik, München 2007, ISBN 978-3-88377-867-9, S. 395–430.
- Kathrin Wimmer: Angst vor dem Tod und Sehnsucht nach der Spur. Schnee, Schrift und Fotografie als paradoxe Erinnerungsstrategien in Peter Stamms „Agnes“, „Ungefähre Landschaft“ und „An einem Tag wie diesem“. In: Transitkunst (PDF; 7,3 MB). Studien zur Literatur 1890–2010. Hg. v. Andrea Bartl und Annika Klinge. Bamberg 2012 (= Bamberger Studien zu Literatur, Kultur und Medien, Bd. 5), S. 301–327. ISBN 978-3-86309-092-0.
- Christina Rossi: Peter Stamms Erzählungen: Narrative Strategie und existenzielle Inhalte. Grin, München 2012, ISBN 978-3-656-21631-5.
- Andrea Bartl und Kathrin Wimmer (Hrsg.): Sprechen am Rande des Schweigens. Annäherungen an das Werk Peter Stamms. Wallstein, Göttingen 2016, ISBN 978-3-8353-1829-8.
- Simon Hansen: ›Ungefähres Erzählen‹ in den Romanen von Peter Stamm. Eine Bestimmung am Beispiel von Weit über das Land (2016). In: Tendenzen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Narrative Verfahren und Traditionen in erzählender Literatur ab 2010. Hrsg. von Simon Hansen und Jill Thielsen. Frankfurt am Main 2018, S. 17–36.
Weblinks
- Publikationen von und über Peter Stamm im Katalog Helveticat der Schweizerischen Nationalbibliothek
- Literatur von und über Peter Stamm im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Peter Stamm in der Internet Movie Database (englisch)
- Peter Stamm im Metakatalog der Schweizer Hochschulbibliotheken und der Schweizerischen Nationalbibliothek Swissbib
- Kurzbiografie und Rezensionen zu Werken von Peter Stamm bei perlentaucher.de
- Website des Autors
- Stamms Passion. Text beim Ingeborg-Bachmann-Preis 1999
- Peter Stamm im Interview über Handlungsorte in seinem Werk, 2008
- Peter Stamm im Interview mit dem Literarischen Monat, 2011
- Lesungen mit Peter Stamm online nachhören auf Dichterlesen.net
Einzelnachweise
- Zum Abschnitt: Kasaty: Entgrenzungen. 2007, S. 412–417, 487.
- Peter Stamm. 7. April 2018, abgerufen am 3. August 2020.
- Zum Abschnitt: Kasaty: Entgrenzungen. 2007, S. 395–396, 420–421.
- Daniel Arnet: Sein erster Sonnenuntergang. In: Facts 26/2006, S. 56–57.
- Suchergebnis zu Peter Stamm in der Zentralbibliothek Zürich zu den dort vorliegenden Sprachen.
- Was wir wollten. In: Österreichisches Filminstitut. Abgerufen am 9. Oktober 2020.
- Literaturpreis von ZDF, 3sat und der Stadt Mainz. Peter Stamm bezieht Stadtschreiberwohnung in Mainz, boersenblatt.net vom 2. Nov. 2012 (Online-Ausgabe des Börsenblatts, Wochenmagazin für den Deutschen Buchhandel)
- Peter Stamm (Memento vom 15. September 2013 im Internet Archive) auf der Website des Wettbewerbs Booker Prize, abgerufen am 22. Mai 2013.
- Hohe Ehre für den Thurgauer Schriftsteller Peter Stamm. Zur Verleihung des Friedrich-Hölderlin-Preises der Stadt Bad Homburg 2014. SRF, 25. März 2014, aufgerufen am 17. Juli 2015.
- Peter Stamm erhält ZKB Schillerpreis 2017. Aargauer Zeitung, 8. Mai 2017, abgerufen am 8. Mai 2017.
- Peter Stamm liest aus Seerücken, 2011