Nulldefizit
Das Nulldefizit bezeichnet ein ausgeglichenes Budget pro Haushaltsjahr – die jährlichen Ausgaben übersteigen nicht die jährlichen Einnahmen. Nach Helmut Frisch ist bei einem Nulldefizit der Zinsaufwand aus bereits bestehender Verschuldung in den jährlichen Staatsausgaben bereits enthalten.[1]
Im Kontext der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ist eine Senkung der Staatsausgaben (bei einem Nulldefizit sogar unter das Niveau der Einnahmen, weil abzüglich Zinsaufwand) realwirtschaftlich problematisch:[2] Jede Senkung der staatlichen Ausgaben erhöht (unter sonst unveränderten Bedingungen) den gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsbedarf der Unternehmen, mindert die Einkommen (Y) der Ökonomie (Y=I-S).[3]
Strukturelles Defizit ab 2017
Das strukturelle Defizit des österreichischen Staatshaushalts soll ab 2017 grundsätzlich 0,45 % (Fiskalpaktkriterium: 0,5 %) nicht übersteigen (Ausnahme: Naturkatastrophen und „Notsituationen“).[4] Das bedeutet, dass bei einem beispielhaften Zinsaufwand (2,3 % Zinsaufwand im Jahr 2011; 2,2 % im Jahr 2012)[5] von 2 % zur Bedienung von Altschulden, der österreichische Staatshaushalt ab 2017 pro Jahr um 1,55 % (abzüglich Zinsaufwand) von BIP mehr einnehmen muss, als er ausgeben kann (bei 2 % Zinsaufwand und 0,45 % Defizit). Dies kann auf zweierlei Arten bewerkstelligt werden – entweder der Staatshaushalt erhöht mittels Abgabenbelastung (Steuererhöhungen) seine Einnahmen oder er reduziert seine Ausgaben. Ob dies ungünstig auf die österreichische Konjunktur (und damit auf BIP und Schuldenquote in BIP-Relation) wirkt, hängt davon ab, wer von der Verringerung (in Relation zu den Einnahmen) der staatlichen Ausgaben betroffen ist. Sind Haushalte (Unternehmen, private Haushalte) betroffen, die nur aus den staatlichen Mehrausgaben ihr Geldsparvermögen erhöht hätten und nehmen diese die Verringerung so hin, dass diese ihre Sparquote nicht erhöhen, dann hat die staatliche Ausgabensenkung keine konjunkturell ungünstige Auswirkung. Sind aber Haushalte betroffen, die die gekürzten Einnahmen (bzw. erhöhten Steuerabgaben) an nichtstaatliche Wirtschaftssubjekte ausgegeben hätten, dann ist von einer konjunkturellen Abkühlung auszugehen[6] (bzw. nicht von einer Konjunkturerholung).[7] Die Höhe des Zinsaufwandes geht per Saldo zwar nicht verloren – bedeutet wiederum Einnahmen der jeweiligen Gläubiger – jedoch ist fraglich inwieweit die Höhe des Zinsaufwandes wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückkehrt oder inwieweit die jeweilige Höhe bloß konjunkturell unwirksame Geldsparvermögen der Privaten erhöht.[8]
Wenn sogar die absolute Verschuldung des Staatshaushalts abgebaut werden soll, wie dies zwischen 2014 und 2020 vorgesehen ist[9] (und eine Rückführung der die 60-%-Grenze überschreitenden Schuldenquote um ein Zwanzigstel der Überschreitung pro Jahr ab 2014, für Österreich also Rückführung von ca. 1 % pro Jahr)[10] muss der österreichische Staatshaushalt (bei stabilem BIP) zusätzlich Überschüsse der Einnahmen (über den Ausgaben) erzielen. Konjunkturneutral sei dies nur dann, wenn entweder die privaten Haushalte entsparen und/oder die inländischen Unternehmen und/oder das Ausland ihre Verschuldung erhöhen.[11]
Strukturelles Defizit/Konjunkturelles Defizit
Das strukturelle Defizit ist das um Konjunkturschwankungen bereinigte, jährliche Budgetdefizit des jeweiligen Staatshaushalts. Gustav Horn definiert wie folgt: „Das strukturelle Defizit entspricht also jenem Teil des Gesamtdefizits, der bei Normalauslastung des Produktionspotenzials besteht.“[12] Insofern ist zu Ermittlung, Höhe und Abgrenzung die Bewertung des Produktionspotenzials der jeweiligen Volkswirtschaft(en) maßgeblich.[13] Tendenziell schätzt die OECD Produktionspotenzial und Outputlücke[14] gering(er) ein.[15] Wird das jeweilige Produktionspotenzial so berechnet bzw. begründet, dass es aufgrund der Krise sinke bzw. gesunken sei,[16] besteht freilich keine Notwendigkeit das strukturelle Defizit zur Konjunkturanregung zu überschreiten. Steigende Arbeitslosigkeit wird dann zu struktureller Arbeitslosigkeit umgedeutet,[17] die Absatzkrise zu Strukturkrise. Makroökonomische Ungleichgewichte seien mittels makroökonomischer Anpassungsprogramme (Lohnstückkosten, Privatisierungen etc.) zu lösen.[18]
Strukturelles Nulldefizit ab 2015
Ein wie von EU-Kommission und österreichischem Fiskalrat (vormals Österreichischer Staatsschuldenausschuss) gefordertes strukturelles Nulldefizit bereits ab 2015[19][20] wird der steigenden Arbeitslosigkeit Österreichs 2015 keinen Einhalt bieten können, die schwächelnde österreichische Konjunktur nicht anregen, im Gegenteil – diesbezüglich spricht Jürgen Kröger von der Europäischen Kommission[21][22] von „sektoralen Anpassungsnotwendigkeiten“.[23]
Wort des Jahres (Österreich) 2001
Auch wenn der Ausdruck Nulldefizit bereits im Jahr 1926[24] geläufig war, entwickelte er sich nach 1999, zur Zeit der Bundesregierung Schüssel I, in Österreich zum geflügelten Wort in Politik und Medien. Vor allem Finanzminister Karl-Heinz Grasser präsentierte es als „zentralen Inhalt des Regierungsprogramms“.[25][26] Die Oppositionspartei SPÖ kritisierte die „Verschlagwortung“ der Politik und setzte sich für ein ausgeglichenes Budget über den Konjunkturzyklus ein (bei schlechter Wirtschaftslage Neuverschuldung, bei guter Wirtschaftslage Überschuss). Im Jahr 2001 wies der österreichische Staatshaushalt ein Nulldefizit auf. Das ausgeglichene Budget mag zustande gekommen sein, weil Länder und Gemeinden einen Budgetüberschuss erwirtschafteten und der Bund einige Staatsbetriebe verkaufte. Aufgrund der enormen Medienpräsenz wurde der Begriff zum österreichischen Wort des Jahres 2001.[27]
Weblinks
- Georg Feigl, Markus Marterbauer, 25. April 2014: Strukturelles Defizit: Funktionsweise – Reglementierung – Problematik (PDF).
Einzelnachweise
- Helmut Frisch: Gedanken zum Nulldefizit. In: Österreichisches Jahrbuch für Politik 2000. München und Wien 2001. S. 153. (online auf Google.Books (Memento des Originals vom 3. Dezember 2013 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. )
- Hans J. Barth: Potentialorientierte Verschuldung. Das Konzept des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. In: Staatsverschuldung Kontrovers. Köln 1981. S. 59:
„Der Staat nimmt zur Erfüllung der ihm von der Gesellschaft übertragenen Aufgaben einen Teil des Produktionspotentials in Anspruch, sei es direkt, indem er selbst Güter kauft und Personal beschäftigt, sei es indirekt, indem er durch Transfer- und Subventionszahlungen Private in den Stand setzt, Nachfrage geltend zu machen. Konjunkturneutral sind die öffentlichen Haushalte dann, wenn der Staat mit seinen Ausgaben und mit seinen Einnahmeregelungen nicht von dem abweicht, woran die Privaten gewöhnt sind, wenn der Staat also für sich genommen keine Abweichung von der Normalauslastung des Produktionspotentials bewirkt. Weicht das tatsächliche Haushaltsvolumen vom konjunkturneutralen Haushalt ab, steht die Differenz für den konjunkturellen Impuls.“ - Erich Schneider: Geld, Kredit, Volkseinkommen und Beschäftigung. Tübingen 1964. (8. Auflage) S. 129:
„Wenn die beabsichtigte Ersparnis aus dem Einkommen Y die Höhe S hat, so kann dieses Einkommen dann und nur dann bestehen bleiben, wenn die Unternehmer freiwillig Investitionen in einer der beabsichtigten Ersparnis gleichen Höhe durchführen.“ - Österreichischer Stabilitätspakt: Bundesgesetzblatt. (PDF) Artikel 4. Struktureller Saldo (Schuldenbremse). S. 3.
- Österreichischer Rechnungshof: Der Bundeshaushalt 2012 im Überblick (PDF)
- Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 1967/68, insbesondere S. 95:
„Durch Steuern drängt der Staat die Inanspruchnahme des Produktionspotentials durch den privaten Sektor zurück und schafft so Raum für seine eigene Absorption (Entzugseffekt der Steuern).“ - Paul Krugman, 29. Juni 2014: Charlatans, Cranks and Kansas
- Carl Föhl: Kreislaufanalytische Untersuchung der Vermögensbildung in der Bundesrepublik und der Beeinflussbarkeit ihrer Verteilung. Gutachten erstellt im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums. Tübingen 1964. S. 19:
„Die Wirkungen der Steuerlastverteilung bei ausgeglichenem Haushalt hängen also davon ab, ob die Steuern aus dem Einkommen von Wirtschaftseinheiten erhoben werden, welche die weggesteuerten Einkommensanteile anderenfalls zu Verbrauchsausgaben verwendet hätten, oder aber von solchen, die sie gespart hätten.“ - Österreichischer Rechnungshof: Rechnungshofbericht: Vorlage vom 29. Jänner 2014 (PDF) S. 10:
„Der Mehrjährige Finanzrahmen 2014 bis 2020 sieht eine Kürzung der Verpflichtungen über den siebenjährigen Zeitraum von 2 % auf 959,988 Mrd. EUR gegenüber dem derzeit gültigen Finanzrahmen 2007 bis 2013 vor.“ - Wirtschaftskammer Österreich, Februar 2013: Economic Governance - Wirtschaftspolitische Steuerung in der EU (Memento des Originals vom 4. März 2016 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (PDF), S. 8.
- Ewald Nowotny: Gründe und Grenzen der öffentlichen Verschuldung. In: Ökonomie in Theorie und Praxis. Berlin und Heidelberg 2002. S. 261. (online)
- Gustav A. Horn auf Gabler Wirtschaftslexikon: strukturelles Defizit
- Peter Winkler: Empirische Wirtschaftsforschung. Berlin und Heidelberg 1997, online S. 93.
- Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 2010/2011 (PDF; 4,4 MB), S. 196 f: „Die (absolute) Output-Lücke ist definiert als die Abweichung des Bruttoinlandsprodukts vom Produktionspotenzial. Das Produktionspotenzial als der sich bei Normalauslastung der vorhandenen Kapazitäten ergebende Output, der ein Wachstum ohne Spannungen in der Preisentwicklung oder auf dem Arbeitsmarkt ermöglicht, ist eine in der Realität nicht beobachtbare Größe und muss ökonometrisch geschätzt werden.“
- Achim Truger: Output-Lücke: Komplex, revisionsanfällig und prozyklisch (Memento des Originals vom 20. Mai 2014 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (PDF), insbesondere Schaubild auf S. 4.
- Jürgen Kröger: Herausforderungen an die wirtschaftliche Koordination. Die Auswirkungen der Finanzkrise und Anpassungsnotwendigkeiten in der Währungsunion. In: Zukunftsfähige Wirtschaftspolitik für Deutschland und Europa. (Hrsg. Paul J. J. Welfens) Berlin und Heidelberg 2011, S. 105. (online)
- Stephan Schulmeister, 29. Oktober 2014: Der Fiskalpakt – Hauptkomponente einer Systemkrise (PDF; 372 kB), S. 7: „Das zur empirischen Schätzung der NAWRU entwickelte Verfahren führt dazu, dass jede Zunahme der Arbeitslosigkeit – egal ob wegen einer Finanzkrise, eines Ölpreisschocks oder der Austeritätspolitik – in eine „strukturelle“ umgedeutet wird, sofern die Arbeitslosigkeit nicht wieder rasch sinkt. Es müssen dann eben die (nominellen) Lohnsteigerungen zu hoch gewesen sein. Dieser Zirkelschluss stellt überdies sicher, dass auch der Potentialoutput dem tatsächlichen folgt. Steigt nach einem „Schock“ die NAWRU, so stehen nunmehr weniger Arbeitskräfte zur Verfügung (die „natürlichen“ Arbeitslosen werden als nicht mehr verwendungsfähig angesehen). Damit sinkt auch die Outputlücke und jeder Anstieg eines Budgetdefizits wird so in einen überwiegend „strukturellen“ umgedeutet.“
- Friedrich-Ebert-Stiftung, November 2012: Eurokrise, Austeritätspolitik und das Europäische Sozialmodell. Wie die Krisenpolitik in Südeuropa die soziale Dimension der EU bedroht (PDF)
- Die Presse, 19. Mai 2014: Fiskalrat fordert strukturelles Nulldefizit schon 2015
- Presseaussendung des Fiskalrats (Staatsschuldenausschuss), 19. Mai 2014: Über die Einhaltung der EU-Fiskalregeln in Österreich: „Die Europäische Kommission (EK) kam im November 2013 zu dem Schluss, dass die von Österreich vorgelegte Haushaltsplanung weitgehend den Vorgaben entspricht. Nach Ansicht der Kommission sollte Österreich aber das strukturelle, mittelfristige Budgetziel bereits bis zum Jahr 2015 erreichen.“
- FAZ, 5. Mai 2011: Eurokrise: Nach den Verhandlungen: Jürgen Kröger (EU-Kommission) und Rasmus Ruffer (EZB) haben hohe Auflagen hinterlassen.
- European Forum Alpbach: Dr. Jürgen Kröger
- Jürgen Kröger: Herausforderungen an die wirtschaftliche Koordination. Die Auswirkungen der Finanzkrise und Anpassungsnotwendigkeiten in der Währungsunion. In: Zukunftsfähige Wirtschaftspolitik für Deutschland und Europa. (Hrsg. Paul J. J. Welfens) Berlin und Heidelberg 2011, S. 105 ff (online auf Google.Books).
- Heinz Ginzel: Die österreichischen Verwaltungsreformen und ihre Bedeutung für die Volkswirtschaft:. H. Mayer, 1926, S. 30 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Bundesministerium für Finanzen, April 2001: Countdown zum Nulldefizit Leistungsbericht 2000-2002 (Memento vom 3. Dezember 2013 im Internet Archive)
- Format, 12. Februar 2013: Grasser wollte für Nulldefizit privatisieren
- Josef Urschitz: Ein PR-Gag namens Nulldefizit. Die Presse, 29. Januar 2010, abgerufen am 20. Oktober 2012.