Neuer Johannisfriedhof
Der Neue Johannisfriedhof war der zweite städtische Friedhof in Leipzig. Er wurde von 1846 bis 1950 als Begräbnisstätte genutzt und war die Nachfolgeeinrichtung des nunmehr als Alter Johannisfriedhof bezeichneten. Heute befindet sich auf seinem Gelände der Friedenspark.
Lage und Gestalt
Der Neue Johannisfriedhof lag etwa 1,5 Kilometer südöstlich des Stadtzentrums. Zu Beginn auf freiem Feld mit Zugang von der Hospitalstraße (heute Prager Straße) errichtet, erhielt er mit zunehmender Ausdehnung der Stadt folgende Begrenzungen: Ostabschnitt der Liebigstraße im Norden, Samuel-Heinecke-Schule für Hörgeschädigte und Kleingartenverein „Siegismund“ im Osten, Semmelweis- und Philipp-Rosenthal-Straße im Süden sowie Linnéstraße im Westen.
Der Neue Johannisfriedhof war ein von Nord nach Süd verlaufendes Rechteck von 610 Meter Länge und 290 Meter Breite, nach Süden durch ein Trapez von 100 Meter Höhe abgeschlossen, mit einer Fläche von etwa 19 Hektar. Das Zugangstor befand sich an der Nordseite und war vom Ostplatz über die kurze Stichstraße „Vor dem Hospitaltore“ zu erreichen. Der Eingang war von einem Wohn- und einem Verwaltungshaus flankiert. Eine Hauptallee führte zu der fast am südlichen Ende gelegenen Trauerhalle. Sie war im Stil der italienischen Renaissance in Anlehnung an die Kirche Santa Fosca auf der venezianischen Insel Torcello errichtet.[1]
Der Friedhof besaß neun Abteilungen und war streng rechtwinklig gegliedert. Die einzelnen Abteilungen waren durch Mauern getrennt, die die Errichtung repräsentativer Erbbegräbnisse ermöglichten. Anfangs baumlos, erhielt der Friedhof im Laufe der Jahre durch Anpflanzung von hauptsächlich Linden und Rosskastanien einen parkähnlichen Charakter, der die strenge Geometrie milderte.
Geschichte
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der seit über 600 Jahren genutzte Friedhof an der Johanniskirche für die wachsende Stadt zu klein. Als Gelände für eine neue Begräbnisstätte wurden die etwa 500 Meter von der alten entfernten Felder des Johannishospitals gewählt. Als Erster wurde hier am 1. Oktober 1846 auf der noch unfertigen Anlage, die Neuer Friedhof genannt wurde, der beim Brand des Hôtel de Pologne umgekommenen Maurer Hans Gehlicke beigesetzt. Da es zunächst keine Leichenhalle und keine wetterfeste Unterstellmöglichkeit gab, war der Friedhof bei den Leipzigern anfangs unbeliebt. 1848 wurden nach Plänen von Albert Geutebrück (1801–1868) am Eingang zwei Bauten als Leichenhalle und Verwaltungsgebäude errichtet.
Bereits nach fünf Jahren war die erste Abteilung des Friedhofs belegt. Ihr folgten etwa alle vier Jahre weitere, bis 1883 mit der neunten Abteilung der Friedhof flächenmäßig nun die größtmögliche Ausdehnung erreicht hatte. Im gleichen Jahr wurde der Alte Johannisfriedhof endgültig geschlossen, und der Neue Friedhof erhielt den Namen Neuer Johannisfriedhof. Inzwischen war dieser beim Leipziger Groß- und Bildungsbürgertum immer beliebter geworden. Das galt auch nach der 1886 erfolgten Eröffnung des Südfriedhofs, der weiter abgelegen war. über 100, zum Teil sehr repräsentative Erbbegräbnisstellen auf dem Neuen Johannisfriedhof zeugten von seiner Bedeutung.
Für gefallene bzw. in Leipziger Lazaretten verstorbene Soldaten jeweils beider Kriegsparteien des Deutschen Krieges von 1866 und des Deutsch-Französischen Krieges 1870/1871 wurden besondere Gräberfelder jeweils mit größeren Denkmälern eingerichtet.
1881/1882 wurde die prächtige Trauerhalle vor der neunten Abteilung nach Plänen des Stadtbaudirektors Hugo Licht (1841–1923) errichtet. Dem zentralen Kuppelbau schlossen sich zu beiden Seiten Aufbahrungshallen an. Ebenfalls nach Plänen Lichts wurden die Gebäude am Friedhofseingang durch repräsentativere ersetzt. Den Höhepunkt seiner Bedeutung erreichte der Neue Johannisfriedhof um das Jahr 1900 als die Repräsentationsbestrebungen des Leipziger Bürgertums eine Ansammlung an Grabmalkunstwerken begründeten wie sie in dieser Quantität und Qualität später auf dem Südfriedhof als Nachfolgeeinrichtung nicht mehr vorkam.
Während der NS-Zeit wurden in den Abteilungen V 2, 3 und 5 über 100 Opfer der sogenannten „Kindereuthanasie“, also Opfer der organisierten Tötung von geistig und körperlich behinderten oder anderweitig verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen, aus der Kinderfachabteilung der Heil- und Pflegeanstalt Leipzig-Dösen anonym in Urnengräbern bestattet.[2]
Im Zweiten Weltkrieg erlitt der Neue Johannisfriedhof Bombenschäden, was auf die Nähe des physikalischen Instituts der Universität zurückzuführen ist, in dem die Alliierten Forschungsarbeiten für die Herstellung einer Atombombe vermuteten. Die Leichenhallen in den Seitenflügeln der Kapelle wurden zerstört. Die Kapelle selbst war beschädigt, konnte aber nach provisorischer Reparatur noch genutzt werden. 1950 wurde die Beisetzungstätigkeit auf dem Neuen Johannisfriedhof mit der Absicht eingestellt, hier später einen Park zu gestalten. Zu diesem Zeitpunkt ruhten 141.000 Leipziger auf diesem Friedhof.[3] Nach Einhaltung der Ruhefrist wurde der Friedhof am 1. Januar 1971 säkularisiert.
Dann begannen die systematische Zerstörung dieses kultur- und kunstgeschichtlich einmaligen Friedhofs und seine Umwandlung in einen Freizeitpark. Gruftanlagen wurden verfüllt, die Gräber beräumt und eingeebnet sowie die Trauerhalle abgerissen. Mit schwerer Technik wurden die Grabsteine zu einem mit Erde abgedeckten Hügel aufgetürmt, der später als Rodelhang dienen sollte. Damit wurde die ehemalige bürgerliche Elite der Stadt dem Vergessen anheimgegeben. Lediglich 120 historisch wertvolle Grabmäler wurden nach Protesten zum Alten Johannisfriedhof verbracht, wo nach über zwei Jahrzehnten unbeaufsichtigter Lagerung jetzt, nach teilweiser Restaurierung, noch 58 im Lapidarium des Alten Johannisfriedhofs stehen (siehe unten). Am 20. Juli 1983 wurde schließlich der Friedenspark seiner Bestimmung übergeben.
- Grabanlage Familie Limburger
- Gräberfeld und Denkmal
für Gefallene von 1870/1871 - Grabstätte Bernhard Windscheid, um 1900
- Beisetzung Auguste Schmidt 1902
- Grabstätte Familie Gerhard
Beigesetzte Persönlichkeiten
- Wilhelm Eduard Albrecht (1800–1876), Staatsrechtler
- Ernst Anschütz (1780–1861), Komponist
- Adolph Ambrosius Barth (1827–1869), Verlagsbuchhändler
- Ernst Emil Paul Barth (1858–1922), Philosoph und Pädagoge
- Gustav Baur (1816–1889), Theologe
- Adolf Blomeyer (1830–1889), Agrarwissenschaftler
- Martin Blüher (1846–1908), Begründer des Deutschen Kellnerbundes
- Julius Blüthner (1824–1910), Klavierbauer, Pianofortefabrikant
- Georg Bötticher (1849–1918), Schriftsteller, Vater von Joachim Ringelnatz
- Edwin Bormann (1851–1912), Schriftsteller, Naturwissenschaftler
- Friedrich Arnold Brockhaus (1772–1823), Verleger
- Heinrich Brockhaus (1804–1874), Verleger
- Hermann Brockhaus (1806–1877), Orientalist
- Clemens Brockhaus (1837–1877), Theologe
- Auguste Busch (1829–1907), Pädagogin und Schulgründerin
- Lorenz Clasen (1812–1899), Historienmaler
- Julius Friedrich Cohnheim (1839–1884), Pathologe
- Carl Eduard Cramer (Publizist) (1817–1886), Privatgelehrter, demokratischer Publizist
- Hermann Credner (1841–1913), Geowissenschaftler
- Georg Curtius (1820–1885), Philologe
- Johann Nepomuk Czermak (1828–1873), Physiologe
- Ferdinand David (1810–1873), Konzertmeister des Gewandhauses
- Otto Delitsch (1821–1882), Geograph
- Rudolf Dietsch (1814–1875), Historiker
- Hans Driesch (1867–1941), Biologe
- Albert Dufour-Féronce (1798–1861), Unternehmer, Eisenbahnpionier
- Gustav Heinrich Duncker (?–1882), Kaufmann
- Peter Dybwad (1859–1921), Architekt
- Friedrich August Eckstein (1810–1885), Philologe und Pädagoge
- Gustav Theodor Fechner (1801–1887), Physiker und Naturphilosoph
- Fedor Flinzer (1832–1911), Illustrator
- Emil Albert Friedberg (1837–1910), Jurist
- Hermann Traugott Fritzsche (Senior) (1809–1887), Kaufmann
- Hermann Traugott Fritzsche (Junior) (1843–1906), Kaufmann
- Otto Hermann Fritzsche (1882–1908), Flugpionier
- Hugo Gaudig (1860–1923), Reformpädagoge
- Wilhelm Gerhard (1780–1858), Dichter und Goethefreund
- Henriette Grabau-Bünau (1805–1852), Sängerin
- Gustav Friedrich Hänel (1792–1878), Jurist
- Moritz Hauptmann (1792–1868), Komponist
- Carl Heine (1819–1888), Unternehmer, Industriepionier
- Curt Hillig (1865–1939), Jurist
- Carl Hinkel (1793–1817), Dichter, Freiheitskämpfer
- Wilhelm His (1831–1904), Anatom
- Franz von Holstein (1826–1878), Komponist
- Hermann Joseph (1811–1869), Jurist und Politiker
- Julius Klinkhardt (1810–1881), Verleger
- Otto Koch (1810–1876), Politiker und Bürgermeister
- Karl Franz Koehler (1843–1897) Verlagsbuchhändler
- Karl Krause (1823–1902), Maschinenfabrikant
- Ernst Kroker (1859–1927), Bibliothekar und Historiker
- Albrecht Kurzwelly (1868–1917), Kunsthistoriker
- Carl Lampe (1804–1889), Unternehmer und Eisenbahnpionier
- Paul Lange (1853–1932), Architekt
- Rudolf Leuckart (1822–1898), Zoologe
- Jacob Bernhard Limburger (1770–1847) Seidenwarenfabrikant
- Adolph List (1823–1885) Kaufmann und Mitbegründer von Fahlberg-List
- Carl Ludwig (1816–1895), Physiologe
- Anton Mädler (1864–1925), Kofferfabrikant und Mäzen
- Gotthard Oswald Marbach (1810–1890), Philosoph und Dichter
- Hermann Masius (1818–1893), Pädagoge und Professor
- Wilhelm Maurenbrecher (1838–1892), Historiker
- Otto Heinrich Meißner (1843–1912), Kaufmann und Stadtrat
- Paul Möbius (1866–1907), Architekt
- Ignaz Moscheles (1794–1870), Komponist und Pianist
- Oscar Mothes (1828–1903), Architekt
- Carl Otto Müller (1819–1898), Jurist
- Friedrich Konrad Müller (1823–1881), Dichter
- Richard Müller (?–?), Dirigent
- Carl Gottfried Neumann (1832–1925), Mathematiker
- Adam Friedrich Oeser (1717–1799), Kunstmaler
- Louise Otto-Peters (1819–1895), Schriftstellerin, Frauenrechtlerin
- Johannes Overbeck (1826–1895), Archäologe
- Oscar Paul (1836–1898), Musikwissenschaftler
- Eduard Friedrich Poeppig (1798–1868), Naturwissenschaftler
- August Peters (1817–1864), Schriftsteller, Journalist (Pseudonym: Elfried von Taura)
- Eduard Pötzsch (1803–1889), Architekt
- Eduard Prell (1814–1898), Großkaufmann und Konsul
- Paul Ranft (1854–1938), Bauingenieur
- Anton Philipp Reclam (1807–1896), Verleger
- Rudolph Alexander Renkwitz (1828–1910), Kaufmann und Stifter
- Friedrich Ritschl (1806–1876), Philologe
- Wilhelm Roscher (1817–1894), Nationalökonom und Historiker
- Arwed Rossbach (1844–1902), Architekt
- Emil Adolf Rossmässler (1806–1867), Naturforscher
- Christian Hermann Schellenberg (1816–1862), Organist an St. Nicolai
- Adolf Heinrich Schletter (1793–1853), Kaufmann und Stifter
- Auguste Schmidt (1833–1902), Lehrerin und Frauenrechtlerin
- Moritz Schreber (1808–1861), Arzt
- Paul Robert Schuster (1841–1877), Theologe
- Willmar Schwabe (1839–1917), Homöopath und Apotheker
- Friedrich Herman Semmig (1820–1897), Schriftsteller
- Anton Springer (1825–1891), Kunsthistoriker
- Melchior zur Straßen (1832–1896), Bildhauer
- Konrad Sturmhoefel (1858–1916), Historiker und Pädagoge
- Benedictus Gotthelf Teubner (1784–1856) und Angehörige, Verleger
- Carl Thiersch (1822–1895), Mediziner
- Constantin von Tischendorf (1815–1874), Theologe
- Carl Bruno Tröndlin (1835–1908), Oberbürgermeister von Leipzig
- Heinrich Gottlieb Tzschirner (1778–1828), Theologe
- August Friedrich Viehweger (1836–1919), Architekt
- Johann Karl Christoph Vogel (1795–1862), Pädagoge
- Georg Voigt (1827–1891), Historiker
- Johann Jacob Weber (1803–1880), Verleger
- Bernhard Windscheid (1817–1892), Rechtsgelehrter
- Käthe Windscheid (1859–1943), Lehrerin und Frauenrechtlerin
- Gustav Wohlgemuth (1863–1937), Chordirigent und Komponist
- Bruno Wollstädter (1878–1940), Bildhauer
- Gustav Wustmann (1844–1910), Philologe und Historiker
- Heinrich Wuttke (1818–1876), Historiker
- Friedrich Zarncke (1825–1891), Germanist
- Carl Friedrich Zöllner (1800–1860), Komponist
Unter den Persönlichkeiten der Liste befinden sich neun Ehrenbürger von Leipzig.
Auf den Alten Johannisfriedhof umgesetzte Grabmale
- Familie Brockhaus
- Hermann Credner
- Carl Heine (Bronzerelief von Georg Wrba)
- Otto Koch
- Familie K.F.Koehler (Bronzerelief von Joseph Kaffsack)
- Karl Krause (Bronzereliefs von Adolf Lehnert)
- Rudolf Leuckart
- Anton Philipp Reclam
- Emil Adolf Rossmässler
- Willmar Schwabe (Plastik von
Josef Mágr) - Carl Bruno Tröndlin
- Gustav Wustmann
- Carl Friedrich Zöllner
Literatur
- Alfred E. Otto Paul: Der Neue Johannisfriedhof in Leipzig. Leipzig 2012, ISBN 978-3-00-039357-0
- Peter Fibich: Friedenspark. ProLeipzig 2014, ISBN 978-3-945027-01-1, S. 4–9
- Ein Gang auf den Neuen Friedhof zu Leipzig. In: Die Gartenlaube. Heft 16, 1860, S. 244–245 (Volltext [Wikisource]).
Weblinks
- Alfred E. Otto Paul: Der Neue Johannisfriedhof zu Leipzig. Abgerufen am 8. Februar 2016.
Einzelnachweise
- Alfred E. Otto Paul: Der Neue Johannisfriedhof zu Leipzig. Abgerufen am 8. Februar 2016.
- Berit Lahm, Thomas Seyde, Eberhard Ulm: 505 Kindereuthanasieverbrechen in Leipzig. Verantwortung und Rezeption. Plöttner Verlag, Leipzig 2008, ISBN 978-3-938442-48-7
- Neuerscheinung - Die Publikation „Der Neue Johannisfriedhof in Leipzig“