Neue Baumwollen-Spinnerei Bayreuth
Die Neue Baumwollen-Spinnerei Bayreuth (NSB) war einer der drei großen Spinnereibetriebe in Bayreuth.
Die Aktiengesellschaft wurde am 19. Januar 1889 von Carl Schüller und Otto Rose gegründet.[1] Erster Direktor war Carl Schüller.[2] Bald war die Neue Baumwollen-Spinnerei der größte Arbeitgeber der Stadt.[3]
Die Spinnerei richtete in unmittelbarer Nähe zu den Werksgebäuden eine betriebseigene Schrebergartenkolonie für die Arbeiter ein.[4] Vorbildliche Umkleide- und Waschräume sollten zur Erziehung der Belegschaft zu Sauberkeit und Ordnung beitragen.[5] Im Dezember 1921 wurde ein Schornstein errichtet, der mit 97 m seinerzeit der höchste in Bayern war.[6] Die Spindelzahl, das Maß für die Größe einer Spinnerei, belief sich auf bis zu 157.000.[7]
Am 13. Januar 1941 wurde Bayreuth Ziel eines ersten Bombenangriffs der Royal Air Force. Ein oder zwei mehrmotorige Flugzeuge überflogen zwischen 3.17 Uhr und 4.56 Uhr im Tiefflug die drei Spinnereien der Stadt. Aus 200–300 m Höhe wurden zwei Leucht-, drei Spreng- und ca. 33 Brandbomben abgeworfen. Die Staubfilteranlage und eine Batterielichtanlage der Neuen Baumwollen-Spinnerei wurden zerstört bzw. verschüttet. Personen kamen nicht zu Schaden, obwohl die Löschtrupps infolge fehlender Flakeinheiten wiederholt mit Maschinengewehrfeuer belegt wurden. Der Schaden der Neuen Baumwollen-Spinnerei betrug rund 100.000 Reichsmark, der Betrieb konnte ohne Unterbrechung fortgesetzt werden.[8]
In sogenannten A-Bau, der sich im Bereich des heutigen Elektronikmarkts befand, waren Zwangsarbeiter untergebracht, die überwiegend aus Polen und der Sowjetunion stammten. In dem im Volksmund als „Polenburg“ bezeichneten Gebäude lebten auch fünf zwischen Mai 1942 und Juni 1943 geborene Kinder von Zwangsarbeiterinnen. Deren Mütter mussten gleich nach der Entbindung wieder in Schichten arbeiten und die Babys in fremde Obhut geben. „Ausländerkinderpflegestätten“ wurden auch in der benachbarten Gutenbergstraße und der nahen Munckerstraße eingerichtet. Von den nachweisbar insgesamt 80 in Bayreuth von Zwangsarbeiterinnen geborenen Kindern verstarben mindestens 36 an Vernachlässigung und Mangelernährung.[9]
1944 verlegte der spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard sein Institut für Industrieforschung aus Sicherheitsgründen von Nürnberg auf das Gelände der Neuen Baumwollen-Spinnerei.[10] Im Juni 1944 wurde unter der Bezeichnung „Physikalische Forschungsanstalt“ in der ehemaligen Zwirnerei des Werks ein Außenlager des Konzentrationslagers Flossenbürg eingerichtet.[11] Am Nachmittag des 11. April 1945 wurde das Werk – und mit ihm die Zwirnerei – durch einen amerikanischen Bombenangriff schwer beschädigt.[12] Das KZ-Außenlager wurde in den folgenden Stunden aufgelöst.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Inlandsmarkt, mit Ausnahme des wirtschaftstechnischen Bedarfs, für die Spinnereien zunächst gesperrt. Im Dezember 1947 arbeitete die Bayreuther Textilindustrie noch für das Omgus-Programm;[Anm. 1] in der Neuen Baumwollen-Spinnerei waren in jenem Monat 535 Personen tätig, die monatliche Umsatzmenge betrug durchschnittlich 170 Tonnen Baum- bzw. Zellwolle und Garne. Am 16. Dezember 1949 war die Belegschaft bereits auf 1350 Personen angewachsen.[13]
Ein erster Gastarbeiter traf im September 1956 aus Pakistan ein.[14] In Hochzeiten beschäftigte die NSB bis zu 1600 Mitarbeiter (im Jahr 1960).[15] Anfang 1991 stellte sie neue Maschinen auf, der Maschinenpark der Spinnerei wurde zum modernsten in Europa. Sie waren in Bayreuth jedoch nur noch runde sechs Monate lang in Betrieb.[16]
Im September 1991 warteten die verbliebenen 180 Beschäftigten erstmals vergeblich auf ihren Lohn. Am 7. Oktober wurde der Betrieb daher erstmals bestreikt. Während einer Betriebsversammlung Mitte jenes Monats gab der vorläufige Vergleichsverwalter den Konkurs der Firma bekannt.[16] Der letzten Schicht Anfang Februar 1992 gehörte nur noch „eine Handvoll“ Personen an.[15]
Am 7. Februar 1992 wurde das Unternehmen stillgelegt.[17] Am 25. Februar wurde bekannt, dass ein Unternehmer aus Niederbayern die Forderungen der Gläubigerbanken in Höhe von 36,5 Millionen DM aufgekauft hatte. Die Geräte, mit denen 16 verschiedene Garne nebeneinander verarbeitet werden konnten,[16] wurden in der Folge abgebaut.
Am 19. Januar 1994 fielen erste Teile des Areals für die neue Prüf- und Geschäftsstelle des Technischen Überwachungsvereins der Abrissbirne zum Opfer.[18] Im Februar 1996 wurde der B-Bau abgebrochen.[19] Auf den frei gewordenen Flächen fanden unter anderem ein Elektronikmarkt (im Jahr 2006)[20] und ein Baumarkt Platz.
Erhalten blieb mit dem 1913 fertiggestellten E-Bau (heute meist als „C“ bezeichnet)[21] das größte Gebäude des Betriebs. Er steht unter Denkmalschutz und wurde, wie das übrige Gelände, einer neuen Verwendung (Arztpraxen, Gastronomie und Einzelhandel) zugeführt.
Anmerkungen
- OMGUS = Office of Military Government for Germany, United States
Weblinks
- Historie der Neuen Spinnerei Bayreuth bei nsb-bayreuth.com, mit Luftbild der Anlage
Einzelnachweise
- Historie der Neuen Spinnerei Bayreuth bei nsb-bayreuth.com, abgerufen am 12. Februar 2017
- Bernd und Gerda Mayer: Arbeiten und leben in Bayreuth. Sutton, Erfurt 2010, ISBN 978-3-86680-745-7, S. 31.
- Fabrikanten und Festspielförderer in: Nordbayerischer Kurier vom 17. August 2017, S. 13.
- Bernd und Gerda Mayer: Arbeiten und leben in Bayreuth, S. 32.
- Bernd und Gerda Mayer: Arbeiten und leben in Bayreuth, S. 31.
- Bernd Mayer: Bayreuth im zwanzigsten Jahrhundert. Nordbayerischer Kurier, Bayreuth 1999, S. 52.
- Neue Baumwollen-Spinnerei NBS, Bayreuth bei sammleraktien-online.de, abgerufen am 12. Februar 2017
- Christoph Kuhl: Luftschutz und Luftkrieg in Oberfranken 1933–1945. In: Historischer Verein für Oberfranken (Hrsg.): Archiv für Geschichte von Oberfranken 88. Band. Ellwanger, 2008, ISSN 0066-6335, S. 347.
- Zwangsarbeiter-Babys verhungerten in: Nordbayerischer Kurier vom 19./20. September 2020, S. 11.
- Bernd Mayer: Zwölf Menschen – zwölf Schicksale im April 1945 in: Heimatkurier 2/2005 (Beilage des Nordbayerischen Kuriers), S. 4.
- Bernd Mayer: Bayreuth im zwanzigsten Jahrhundert, S. 76 u. 86.
- Bernd und Gerda Mayer: Arbeiten und leben in Bayreuth, S. 29.
- Rainer Trübsbach: Geschichte der Stadt Bayreuth. 1194–1994. Druckhaus Bayreuth, Bayreuth 1993, ISBN 3-922808-35-2, S. 345 ff.
- Bernd und Gerda Mayer: Arbeiten und leben in Bayreuth, S. 35.
- Nordbayerischer Kurier vom 9. Februar 2017, S. 10.
- Stephan-H. Fuchs: Bayreuth Chronik 1992. 1. Auflage. Gondrom, Bindlach 1992, ISBN 3-8112-0793-8, S. 46 f.
- Bernd Mayer, Bayreuth im zwanzigsten Jahrhundert, S. 172.
- Vor 25 Jahren: Abriss auf NSB-Gelände in: Nordbayerischer Kurier vom 19./20. Januar 2019, S. 12.
- Bernd Mayer: Bayreuth im zwanzigsten Jahrhundert, S. 158.
- Das war sein Laden in: Nordbayerischer Kurier vom 25./26. September 2021
- Herbert Popp: Bayreuth – neu entdeckt. Ellwanger, Bayreuth 2007, ISBN 978-3-925361-60-9, S. 124.