Michael von Graffenried
Michael von Graffenried (* 7. Mai 1957 in Bern) ist ein Schweizer Fotograf, der in Paris, Brooklyn und in der Schweiz lebt und arbeitet. Seine bekannteste Arbeit befasst sich mit dem algerischen Bürgerkrieg in den Jahren 1991 bis 1999. Er erhielt für seine meist unter schwierigen Umständen entstandenen Werke zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen, unter anderem von Frankreich den Orden eines „Chevalier des Arts et des Lettres“.
Leben
Michael von Graffenried ist in Bern aufgewachsen. Seine Eltern waren die Ethnologin Charlotte von Muralt und der Verleger Charles von Graffenried (1925–2012). Nach der Matura absolvierte er ein Praktikum bei einem Werbefotografen und begann als Fotojournalist zu arbeiten. Er machte sich bald mit seinen eigenwilligen Foto-Reportagen einen Namen. Zwischen 1982 und 1984 kuratierte er die von ihm gegründete Berner Photo-Galerie, wo er unter anderen Fotografen wie Jeanloup Sieff, René Burri, Robert Doisneau, Arthur Tress, Reinhart Wolf oder Diane Arbus ausstellte. Im November/Dezember 1984 präsentierte er die Sammlung Charles-Henri Favrod. 1991 zog er nach Paris. Michael von Graffenried ist verheiratet und hat zwei Töchter. 2007 verbrachte er mehrere Monate in Kairo, ausgestattet mit einem artistsinresidence-Stipendium der Vereinigung Schweizer Städte. 2012 lebte er für ein halbes Jahr in Varanasi, Indien.
Werk
Zur 700-Jahr-Feier der Schweiz konnte von Graffenried seine Ausstellung Swiss Image in Algerien zeigen, als dort gerade der Bürgerkrieg ausbrach. Von da an dokumentierte er während zwölf Jahren als einziger westlicher Fotograf das Alltagsleben in Algerien im und nach dem Bürgerkrieg. Sein Werkzeug war zuerst eine alte Widelux-Kamera, deren fotografische Ergebnisse stilbildend für von Graffenrieds Werk wurde. 2002 präsentierte er am Filmfestival von Locarno seinen mit Mohammed Soudani produzierten 90-minütigen Film War without Images - Algeria, I know that you know über den algerischen Bürgerkrieg. Während der Jahre, als von Graffenried regelmässig in das vom Krieg gebeutelte Land reiste, entstanden zwei weitere bedeutende Werkserien, eine über den Bürgerkrieg im Sudan[1] und eine ebenfalls mehrjährige Reportage über das älteste Nudistenzentrum der Schweiz[2].
Von Graffenried arbeitete zunächst für Printmedien. Dabei bewahrte er sich eine möglichst grosse Unabhängigkeit, indem er stets auf eine enge vertragliche Zusammenarbeit mit Fotoagenturen oder Verlagen zugunsten seiner journalistischen und künstlerischen Freiheit verzichtete. Mit zunehmender Erfahrung und Bekanntheit verlagerte sich sein Interesse hin zu einer konzeptionellen und künstlerischen Fotografie. Er zeigte seine Arbeiten in unkonventionellen Orten und Kontexten, so zum Beispiel präsentierte er eine Reportage über ein drogenabhängiges Liebespaar auf Plakaten im öffentlichen Raum[3]. Hans-Ulrich Obrist beschrieb von Graffenrieds Arbeitsweise mit einer Widelux-Kamera als quasi organische Verschmelzung von Kamera und Fotograf: die Kamera wird zum Körper.
Dem Knaben Michael von Graffenried erklärte der bekannte Schweizer Ethnologe René Gardi, der der wissenschaftliche Mentor seiner Mutter war: „Wenn Du auf dem Guggershörnli (kleiner Berg in der Nähe Berns) nichts erlebst, dann brauchst Du auch nicht nach Afrika zu reisen, dann erlebst Du auch dort nichts.“ Dieses ethnologische Leitmotiv zeichnet von Graffenrieds Werk aus. So portraitierte er die amerikanische Provinzstadt New Bern, die von einem seiner Vorfahren, Christoph von Graffenried 1710 gegründet wurde, zu ihrem dreihundertjährigen Jubiläum in seiner schonungslosen Ehrlichkeit, allerdings nur zur geteilten Freude der dort ansässigen Bevölkerung.
Graffenried zögert nicht, seine politischen Ansichten öffentlich auszudrücken. Er war ein vehementer Gegner der sogenannten Minarett-Initiative, mit der das Verbot Minarette zu bauen, in die Schweizerische Bundesverfassung eingeschrieben wurde, was anerkanntermassen ein verfassungsrechtlicher Unsinn ist, da damit einer Minderheit ein bestehendes Recht entzogen und die Gemeindesouveränität beschnitten wird. Den Erfolg dieser Verfassungsinitiative kommentierte von Graffenried mit einem eindrücklichen Video der Errichtung eines Minaretts für die Brick Lane Moschee in London und dem Verzicht in der Schweiz auszustellen, bis die Verfassungsgerechtigkeit wieder hergestellt ist.
Zwischen 2006 und 2021 zeichnet er das Porträt der kleinen Stadt New Bern in North Carolina in den Vereinigten Staaten, welche 1710 von seinem Vorfahren Christoph von Graffenried gegründet wurde. Seine Serie Our Town benannt nach dem Theaterstück von Thornton Wilder zeigt ein Amerika zwischen im Zeitalter von Black Lives Matter.
Ab 2014 arbeitete von Graffenried für anderthalb Jahre als Bildredaktor für das westschweizerische Info- und Bildmagazin sept.info. Von ihm stammte das Anfangskonzept, das Printprodukt in der Grösse eines iPads herauszugeben, während der umfassende Inhalt online verfügbar war. Der Leser hatte so die Möglichkeit, sich einen schnellen Überblick im physischen Produkt zu verschaffen und anschliessend seinen Interessen gemäss das erweiterte digitale Magazin zu erwerben. Dank seines internationalen Netzwerks nahmen viele bekannten Fotografen an diesem Verlagsexperiment teil.
Auszeichnungen
- 1989 World-Press-Photo-Preis
- 2006 Ritter der französischen Ehrenlegion
- 2010 Dr.-Erich-Salomon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Photographie
Bildbände
- Unter Berns Lauben. Text von Sergius Golowin. VDB, Bern 1980
- Gurten Folkfestival. Benteli, Bern 1981
- Berner Beizen-Porträts. VDB, Bern 1982
- Kramgasse Bern. VDB, Bern 1983
- Bundeshaus-Fotografien. Grafino, Bern 1985
- Markt im Bernerland. Text von Ueli Schmezer. ED, Langnau 1988
- „Mich trifft keine Schuld“. Dokumentation zum Sturz von Elisabeth Kopp. Ringier, Zürich 1989
- Swiss Image. Benteli, Bern 1989
- Swiss People. Genf/Steffisburg 1991
- Algerien. Der Traum von der Demokratie. Benteli, Bern 1993
- Sudan. Der vergessene Krieg. Benteli, Bern 1995
- Holländerturm Bern. Die Entstehung der Stadt Bern in Bildern. Text von Markus F. Rubli. Benteli, Bern 1996
- Swiss Press Photo 97. Benteli, Bern 1997
- Nackt im Paradies (mit Harald Szeemann). Benteli, Bern 1997
- Algerien. Der unheimliche Krieg. Benteli, Bern 1998
- Weltpanorama. Mit einem Geleitwort von Franz Hohler. Weltwoche-ABC, Zürich 1998
- Freie Sicht aufs Bundeshaus. Der Festakt. 150 Jahre CH. Benteli, Bern 1998
- Jura. Visages d'une jeune république hors image. Editions Arts Vivants, Saint-Ursanne 1999
- Du Jura au vaste monde parcours d'un photographe. Editions Ferme Asile, Sion 2000
- Swisspanorama. mvg, Paris 2002
- Im Herzen Algeriens. Benteli, Bern 2002
- Risk. Contact statt Ausgrenzung. Contact Netz, Bern 2004
- Cocainelove. Benteli, Bern 2005, ISBN 3-7165-1386-5
- Eye on Africa. Fotografien aus Kamerun. Schwabe, Basel 2009, ISBN 978-3-7965-2582-7
- Outing. Maison Européenne de la Photographie Paris, Gespräch mit Hans Ulrich Obrist, 2010
- Bierfest. Steidl Göttingen, 2014, ISBN 978-3869306803
- Changing Rio. Offizin Verlag Zürich, 2016, ISBN 978-3-906276-37-3
- Our Town - Michael von Graffenried ISBN 9783958298835
Weblinks
- Publikationen von und über Michael von Graffenried im Katalog Helveticat der Schweizerischen Nationalbibliothek
- Literatur von und über Michael von Graffenried im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Eigener Webauftritt
- Iris Spalinger: Graffenried, Michael von. In: Sikart
- Kurzportrait mit Link auf Video von Photo Suisse
- Hans Ulrich Obrist HUO Conversation London 15. März 2010
- Robert Fleck Laudatio zum Dr. Erich Salomon Preis
- mvg Video Channel
Einzelnachweise
- Sudan. Der vergessene Krieg. Benteli, Bern 1995
- Nackt im Paradies (mit Harald Szeemann). Benteli, Bern 1997
- Cocainelove. Benteli, Bern 2005, ISBN 3-7165-1386-5