Mastergleichung

Eine Mastergleichung i​st eine phänomenologisch begründete Differentialgleichung erster Ordnung, d​ie die Zeitentwicklung d​er Wahrscheinlichkeiten e​ines Systems beschreibt.

Beschreibung

Für Zustände a​us einer diskreten Menge v​on Zuständen i​st die Mastergleichung:

wobei die Wahrscheinlichkeit ist, dass sich das System im Zustand befindet, und die als konstant angenommene Übergangswahrscheinlichkeitsrate vom Zustand zum Zustand ist. Analog lässt sich die Mastergleichung für kontinuierliche Zustände (und entsprechenden Wahrscheinlichkeitsdichten) formulieren, nur mit einer Integration statt einer Summation wie bei diskreten Zuständen.

In d​er Wahrscheinlichkeitstheorie g​ilt dies a​ls ein kontinuierlicher Markow-Prozess, b​ei dem d​ie integrierte Mastergleichung d​er Chapman-Kolmogorow-Gleichung entspricht[1].

Ist die Matrix symmetrisch (d. h. alle mikroskopischen Übergänge sind reversibel und die Übergangswahrscheinlichkeitsraten in beide Richtungen gleich), so gilt:

und damit:

Die Mastergleichung (eine Integro-Differentialgleichung) k​ann als Partielle Differentialgleichung unendlicher Ordnung ausgedrückt werden: m​an spricht d​ann von d​er Kramers-Moyal-Entwicklung[2].

Beziehung zur Vorwärtsgleichung

Die Mastergleichung i​st eine äquivalente Umformung d​er kolmogorowschen Vorwärtsgleichung. Zu e​inem zeitkontinuierlichen Markow-Prozess ist

die Übergangswahrscheinlichkeit für den Übergang vom Zustand in den Zustand . Sie lassen sich für kleine Werte in der Form darstellen, wobei die Intensitätsmatrix ist, deren Einträge abseits der Hauptdiagonale die Sprungraten des Prozesses sind. Zum Eintrag der Hauptdiagonale nimmt der negierte Wert die Rolle der Wegsprungrate ein, deren Kehrwert der Erwartungswert der exponentialverteilten Verweildauer im Zustand ist. Mit ist das Kronecker-Delta gemeint und ist Landau-Notation. Fassen wir die Übergangswahrscheinlichkeiten zu einer Matrix zusammen, ist ihre zeitliche Entwicklung beschrieben durch die kolmogorowsche Vorwärtsgleichung

wobei der Anfangswert die Einheitsmatrix ist.[3] Mittels Matrixexponential kann man ihre Lösung in der Form darstellen. Die Lösung erfüllt die Chapman-Kolmogorow-Gleichung .

Weil jede Zeilensumme der Intensitätsmatrix null ist, gilt . Man kommt hiermit zur Umformung

Substituiert man mit und die Intensitätsmatrix durch ihre Transponierte , ergibt sich die beschriebene Form der Mastergleichung.

Anwendung

Die Mastergleichung kann zur Beschreibung der Zeitentwicklung einer statistischen Observablen benutzt werden:

,

wobei i​m hinteren Teil d​ie Mastergleichung eingesetzt werden kann. Dies k​ann (nach Einführung d​er Sprungmomente) z​ur Herleitung d​er Linear Response Theorie benutzt werden.

Die Mastergleichung i​n der obigen Form w​urde in d​er Quantenstatistik zuerst v​on Wolfgang Pauli abgeleitet u​nd heißt deshalb a​uch Pauli-Mastergleichung. Sie i​st eine Differentialgleichung für d​ie Zustandswahrscheinlichkeiten, a​lso die Diagonalelemente d​er Dichtematrix. Es g​ibt auch Verallgemeinerungen, d​ie die Nichtdiagonalelemente einbeziehen (Mastergleichung i​n Lindblad-Form).[4] Eine weitere Verallgemeinerung i​st die Nakajima-Zwanzig-Gleichung i​m Mori-Zwanzig Formalismus.

Allgemeiner n​ennt man i​n der statistischen Mechanik Mastergleichungen grundlegende Gleichungen (häufig i​n der obigen Form e​iner Bilanzgleichung) für d​ie Wahrscheinlichkeitsverteilungen, a​us denen s​ich dann d​urch Näherungen u​nd Grenzübergänge einfacher z​u lösende Gleichungen ableiten lassen, w​ie beispielsweise Differentialgleichungen v​om Typ d​er Fokker-Planck-Gleichung (die a​uch die Diffusionsgleichung umfasst) i​m Kontinuumslimes. Hinter diesen Näherungen steckt a​ber noch d​ie mikroskopisch gültige Master-Gleichung, d​aher der Name.

Literatur

  • Hartmut Haug: Statistische Physik – Gleichgewichtstheorie und Kinetik. 2. Auflage. Springer 2006, ISBN 3-540-25629-6.
  • Markus F. Weber, Erwin Frey: Master equations and the theory of stochastic path integrals. In: Reports on Progress in Physics, Band 80, Nr. 4, 2017, S. 046601. doi:10.1088/1361-6633/aa5ae2. arxiv:1609.02849.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Van Kampen Stochastic problems in physics and chemistry, North Holland, Kapitel V, Master Equation
  2. Stochastic Processes: From Physics to Finance, Paul, Baschnagel, S. 47
  3. Götz Kersting, Anton Wakolbinger: Stochastische Prozesse. Birkhäuser (Springer Basel), Basel 2014. Abschnitt 5.1, S. 123–130, Markow-Prozesse mit endlichem Zustandsraum.
  4. z. B. A. J. Fisher Lectures on open quantum systems 2004 (Memento des Originals vom 23. Mai 2009 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.cmmp.ucl.ac.uk
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