Martinisingen
Martinisingen ist ein evangelischer Brauch zum Martinstag, der vor allem in den lutherisch geprägten Gebieten Nordwestdeutschlands und Nordostdeutschlands am Geburtstag von Martin Luther, dem 10. November, gepflegt wird. Es ist auch unter den Namen Martini oder Martinssingen und unter den plattdeutschen Namen Sünte- oder Sünne Märten oder auch Mattenherrn (heute fälschlicherweise häufig zu Matten Mär’n verballhornt) bekannt. Beim Martinisingen wird am 10. November (ähnlich dem katholischen Martinssingen), teils mit Laternen, von Haus zu Haus gezogen und gesungen. Kinder bekommen dafür Süßigkeiten.
Entstehung
Martin Luther wurde am 11. November 1483 getauft und erhielt, wie damals häufig praktiziert, den Namen des Tagesheiligen, an dem Tag Martin von Tours. Um das Fest dieses sehr volkstümlichen Heiligen, das gleichzeitig den Herbst-Zinstag und den Beginn der sechswöchigen Fastenzeit vor Weihnachten markierte, hatte sich ein vielfältiges und verbreitetes Brauchtum entwickelt, das nach der Reformation auch in protestantischen Regionen weiter betrieben wurde.
Um ein Gegengewicht gegen den römisch-katholischen Nikolauskult zu setzen, wurde das Martinsbrauchtum ab dem 18. Jahrhundert zunächst in Württemberg von protestantischen Landesfürsten und Theologen stärker betont, erinnerte es doch an den Geburts- und Tauftag des Reformators Martin Luther. Der Martinskult „wurde im Protestantismus nicht in gleicher Weise aus theologischen Gründen bekämpft [...] wie andere römisch-katholische Heiligenkulte“,[1] sondern es kam zu protestantischer Modifizierung von katholischen Brauchtumselementen.
Im 19. Jahrhundert rückte die Gestalt Martin Luthers selbst ins Zentrum des Martinsbrauchtums. In Ostfriesland bekam es nach der 300-Jahr-Feier der Reformation 1817 einen neuen Inhalt; jetzt wurde nur noch Martin Luther, der „Lichtfreund und der Glaubensmann“ gefeiert, „de de Papst in Rom de Kroon offschlog“.[2] Martin-von-Tours-Lieder wurden zu Martin-Luther-Liedern umgedichtet oder umgewidmet, das Brauchtum wie Heischegänge und Laternenumzüge wurde verknüpft.[1]
In Ostfriesland wurden früher die Landarbeiter und das Dienstpersonal am Martinstag in die Winterpause entlassen. Diese weitgehend besitzlosen Bevölkerungsschichten mussten die kalte Jahreszeit ohne eigenes Einkommen überbrücken. Einen kleinen Beitrag dazu leisteten die Kinder, die an diesem Tag von Haus zu Haus zogen und vor allem bei wohlhabenden Bauern und Bürgern um Gaben bettelten.[3] Sie erhielten Pfeffernüsse (pēpernööten) und Äpfel. Die Kinder führten Laternen (Kippkappkögels) und selbst gefertigte Geräuschinstrumente (Rummelpott) mit sich.[4]
Heutige Gebräuche
Kinder ziehen nach Einbruch der Dämmerung mit einer Laterne von Tür zu Tür und singen Martinilieder. Das Licht in der Laterne ist oftmals keine Kerze mehr, sondern elektrisch, da im Novemberwind die Laternen manchmal Feuer fingen. (In „Laterne, Laterne“ heißt es daher noch: „Flamme auf, mein Licht, aber nur meine liebe Laterne nicht.“) Aber nach wie vor werden die Laternen gerne selber aus Papier gebastelt. Immer häufiger wird beim Singen jedoch auf die Laterne verzichtet.
Zu Matten Matten Mären schreibt das Hannoversche Wochenblatt: „Dabei gilt die eiserne Regel früher wie heute: Wer nichts schenkt, dem wird ein Streich gespielt“.[5] Auch beim ostfriesisch-norddeutschen Martinisingen muss der Verweigerer später am Abend mit einem Klingelstreich oder ähnlichem rechnen; wer umgekehrt aber nicht singt, bekommt auch nichts.
Seit Ende der 1990er Jahre macht sich durch die Werbung der Geschäfte[6] und durch amerikanische Fernsehserien Halloween als Konkurrenz gegen das Martinisingen bemerkbar.
Martinilieder
Martinus Luther war ein ChristMartinus Luther war ein Christ, Als Martin noch ein Knabe warAls Martin noch ein Knabe war, Mit de Kippkappkögels kom’ wi weer anMit de Kippkappkögels kom’ wi weer an. KippKappKögels-Variante aus dem Harlingerland: Mit Kippkappkögels kam’ wi an, Mien lüttje LateernMien lüttje Lateern, |
Martin Luther, Martin singen wirAus dem Bielefelder / Ravensberger Raum: Martin Luther, Martin singen wir. Als „Heeper Lied“ (missingsche Mundart): Martin Luther, Martin singen wir, Westfälische Art: Martin Luther singen wir, Martin Luther, wir sind hierAus Bösingfeld / Lipperland: Martin Luther, wir sind hier, Aus Jarlingen (Walsrode, Lüneburger Heide): Matten, Matten Herrn, Weitere Lieder
Allgemeine Lieder beim Laternelaufen:
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Siehe auch
- Sunnerklauslaufen (Bremer Brauch)
- Halloween
- Glowesabend (Klobesabend), Raum Kassel
- Nikolaus von Myra: Brauchtum, ein Überblick über die Volkskunde des heiligen Nikolaus und seiner Begleiter
Literatur
- Martin Happ: Alte und neue Bilder vom heiligen Martin. Brauchtum und Gebrauch seit dem 19. Jahrhundert (= Kölner Veröffentlichungen zur Religionsgeschichte. Band 37). Böhlau Verlag, Köln-Weimar-Berlin 2006, ISBN 978-3-412-05706-0, besonders S. 350–358 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Ernst Müller, Griet Voss: De Utrooper's kleines Buch von Martini. Utrooper Verlag, Leer 2000, ISBN 3-934370-14-4 (Das kleine Buch).
- Katrin Rodrian (Red.): Moden un Maneren. Ostfrieslands Bräuche, Traditionen und Besonderheiten. 2. Auflage. Ostfriesische Landschaft, Aurich 2013, ISBN 978-3-940601-19-3.
Einzelnachweise
- Happ: Alte und neue Bilder vom heiligen Martin. 2006, S. 349–357, Zitat S. 352 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- fulkum.de: Martinisingen
- ostfriesland.de: Martini, Martinstag und Sünnermarten (Memento vom 14. Oktober 2016 im Internet Archive), abgerufen am 12. September 2017.
- Ostfriesische Landschaft: Sünner-Martens-Leed, S. 3, abgerufen am 12. September 2017 (PDF).
- Hannoversches Wochenblatt, 7. November 2007, S. 3
- Happ: Alte und neue Bilder vom heiligen Martin. 2006, S. 273 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Tobias Widmaier: Ich geh mit meiner Laterne (2007). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon
- Ingeborg Weber-Kellermann: Das Buch der Kinderlieder. Schott, Mainz 2010, ISBN 978-3-254-08370-8, S. 146.