Martin Robbe
Martin Robbe (* 22. September 1932 in Auerbach bei Bensheim[1]; † 23. Oktober 2013[2] in Berlin) war ein deutscher Philosoph und Historiker, spezialisiert auf Entwicklungsländer und insbesondere den Nahen Osten.
Leben
Martin Robbe war der Sohn der Sprachwissenschaftlerin Gertrud Pätsch (geb. Kettler), mit der er 1948 in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) übersiedelte. Er kam unehelich als Martin Kettler zur Welt, die Identität seines Vaters ist unbekannt. 1939 wurde er durch die Eheschließung seiner Mutter mit dem Kaufmann Heinrich Robbe legitimiert und erhielt den Namen Robbe.
Er besuchte u. a. das Gymnasium Paulinum in Münster und legte 1950 das Abitur an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität in Jena ab.
Ab 1950 studierte er zunächst zwei Semester Geschichte an der Universität Jena,[3]wechselte dann an die Humboldt-Universität zu Berlin, wo er mit dem Studium der Philosophie begann. Er hörte Vorlesungen und besuchte Seminare u. a. bei Walter Hollitscher – bei ihm war er Hilfsassistent im Bereich der formalen Logik –, Wolfgang Harich, Kurt Hager, Karl Schröter, Hermann Scheler, Robert Naumann und Wolfgang Heise.[4] 1955 legte er das Staatsexamen ab.[5]
Anschließend war er Assistent an der Hochschule für Ökonomie Berlin, lehrte dort dialektischen und historischen Materialismus. Danach musste er für ein Jahr in die Produktion.[4] Von 1959 bis 1962 war Robbe Aspirant an der Humboldt-Universität. Seine Dissertation Mythos, Religion und Gesellschaft. Eine Kritik der Remythisierung der bürgerlichen Religionswissenschaft und -theorie in der Epoche des Untergangs des Kapitalismus und des Aufstiegs des Sozialismus beschäftigte sich mit Problemen der Geschichte des Islam und Christentums, sie wurde von Heinrich Junker und Wolfgang Heise betreut.
Von 1962 bis zu ihrer Auflösung 1992[3] arbeitete er an der Deutschen Akademie der Wissenschaften. 1963 promovierte er zum Dr. phil. 1968 absolvierte er ein Zusatzstudium in Kairo. Bis 1969 war er im Institut für Orientforschung Leiter der Arbeitsgruppe „Naher Osten“. 1970 wurde er Leiter der Abteilung Geschichte der Entwicklungsländer am Zentralinstitut für Geschichte. 1980 wurde er habilitiert und 1983 zum Professor ernannt.[6] 1986 wurde er stellvertretender Direktor des Institutes für Allgemeine Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR.
Robbe war Präsident des Freundschaftskomitees DDR-Arabische Republik Ägypten und Mitglied verschiedener wissenschaftlicher Gremien,[6] z. B. Mitglied des Präsidiums der Historiker-Gesellschaft der DDR und Mitglied des Redaktionskollegiums für das Jahrbuch für Geschichte.[7] Er war bis zur Einstellung ihres Erscheinens im Jahr 2002 Mitherausgeber und Chefredakteur der Zeitschrift Asien Afrika Lateinamerika,[3] davor Herausgeber der Mitteilungen des Instituts für Orientforschung. Artikel von ihm erschienen u. a. in: Deutsche Außenpolitik, Einheit, Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Horizont, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Asien Afrika Lateinamerika, Berliner Debatte Initial, Marxistische Blätter, Inamo. Er referierte auf zahlreichen nationalen und internationalen Veranstaltungen, als DDR-Wissenschaftler u. a. auf Internationalen Historikerkongressen und Internationalen Orientalistenkongressen,[8] und auch nach der Wiedervereinigung, wie 1991 in der „Herbstakademie“ des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) im Centro Interculturale Villa Palagione (Italien).[9]
Robbe schrieb auch populärwissenschaftliche Bücher und fertigte Übersetzungen an.[6]
Er war mehrmals verheiratet, u. a. mit der Wirtschaftswissenschaftlerin Waltraud Falk und mit der Solotänzerin der Staatsoper Berlin und Schauspielerin Ramona Gierth.
Auszeichnungen
- 1987 Vaterländischer Verdienstorden in Bronze
Veröffentlichungen
- Dialektischer und Historischer Materialismus: Grundausbildung, 1. Studienjahr; Lehrbriefe (Themen I-IV). Hochschule für Ökonomie Berlin. Institut für Grundlagen des Marxismus-Leninismus, Berlin, Dt. Verl. d. Wiss., 1957, 1958. DNB 560713673
- Mythos, Religion und Gesellschaft: Eine Kritik der Remythisierung der bürgerlichen Religionswissenschaft und -theorie in der Epoche des Untergangs des Kapitalismus und des Aufstiegs des Sozialismus. Dissertation, HU Berlin, 1963.
- hrsg. mit Gertrud Pätsch: (Übers. aus dem Frz.) Prosper Alfaric: Die sozialen Ursprünge des Christentums. Progress, Darmstadt 1963, auch Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1963.
- Internationales Jahrbuch für Religionssoziologie: Marxismus und Religionsforschung. Bd. 2 (1966), S. 157–184.
- Der Ursprung des Christentums. Urania, Leipzig/Jena/Berlin 1967.
- Revolutionen und Revolutionäre heute. Neues Leben, Berlin 1972 / 2. Auflage auch Weltkreis, Dortmund 1975. ISBN 3-88142-153-X
- Mitautor des Autorenkollektivs unter der Leitung von Lothar Rathmann: Grundfragen des antiimperialistischen Kampfes der Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas in der Gegenwart. Studien über Asien, Afrika und Lateinamerika 10. Akademie-Verlag, Berlin 1974.
- Dritte Welt, Asyl der Armen? Bemerkungen zum Verständnis und Selbstverständnis der nationalen Befreiungsbewegung. Union, Berlin 1977.
- Kein Friede in Nahost? Die Araber, ihr Befreiungskampf und Israel. Neues Leben, Berlin 1978.
- Der Nahostkonflikt: Ursprung, Wesen, Entwicklung und Lösungsmöglichkeiten. Eine historisch-analytische Studie. Dissertation B, Akademie der Wissenschaften der DDR, Berlin 1980. DNB 213253216
- Islam: Religion, Gesellschaft, Staat. Dietz, Berlin 1981 / Das Europäische Buch, Westberlin 1981. ISBN 3-88436-124-4
- Verlockung der Gewalt: Linksradikalismus, Anarchismus, Terrorismus. Neues Leben, Berlin 1981.
- Die Palästinenser: Ihr Kampf um nationale Identität und um Eigenstaatlichkeit. Dietz, Berlin 1982.
- Scheidewege in Nahost: Der Nahostkonflikt in Vergangenheit und Gegenwart. Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1982. DNB 830206280
- mit Holger Preißler als Herausgeber und Mitautor: Islamic Studies in the German Democratic Republic. Traditions – Positions – Findings. Akademie-Verlag, Berlin 1982.
- mit Gerhard Höpp: Geistige Auseinandersetzungen in Asien und Afrika: Nichtproletarische Ideologie im Kampf für nationale und soziale Befreiung. Dietz, Berlin 1983.
- Die Stummen in der Welt haben das Wort: Entwicklungsländer – Bilanz und Perspektive. Neues Leben, Berlin 1984.
- Der Mann, der Sadat erschoß: Revolution und Konterrevolution in Ägypten. Neues Leben, Berlin 1986. ISBN 3-355-00013-2
- Terror: Hintergründe, Täter, Opfer. Dietz, Berlin 1987. ISBN 3-320-00983-4
- Die Welt des Islam. Urania, Leipzig/Jena/Berlin 1988/ Verlag Pahl-Rugenstein, Köln 1988. ISBN 3760911862
- Dschihad – heiliger Krieg: Der Islam in Konfliktsituationen der Gegenwart. Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1989. ISBN 3-327-00678-4
- hrsg. mit Jürgen Hösel: Egypt: The Revolution of July 1952 and Gamal Abdel Nasser. Akademie-Verlag, 1989.
- (Hg.) Palästina, Sehnsucht und Machtpolitik: Geschichte, Strukturen und Perspektiven eines Konfliktes. Edition Neue Wege, 1990. ISBN 3883482102
- hrsg. mit Dieter Senghaas: Die Welt nach dem Ost-West-Konflikt. Geschichte und Prognosen. Akademie-Verlag, Berlin 1990. ISBN 3-05-001139-4
- Vierteljahresberichte der Friedrich-Ebert-Stiftung: Tradition, der "Westen" und die Eine Welt. Dietz, Bonn 123/1991, Seite 51–57.
- (Zeitschriftenartikel) Verlorene Illusionen? Entwicklungsländerforschung in der DDR. In: hochschule ost, Nr. 5, 1993, S. 14–24. Digitalisat
- Die Palästinenser: Kapitulation oder Eigenstaatlichkeit? Zur Geschichte und Problematik eines Konflikts (= Marxistische Blätter, Flugschriften. 08). Neue Impulse Verlag, Essen 2001. Digitalisat
In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie
- Zum Problem der Sprachphilosophie bei Thomas Hobbes. 8/1960, S. 433–450.
- Eine theologische Mystifizierung des Imperialismus. Kritische Bemerkungen zum Versuch einer „Entmythologisierung des Neuen Testaments“. 7/1960.
- Philosophische Probleme der Religionswissenschaft. 11/1963.
- Christentum und Christen im Spätkapitalismus. 18 (1970), S. 1059–1077.
- "Summa" bürgerlicher Ideologie. 11/1975, S. 1483–1490.
- Gesellschaftlicher Fortschritt und nichtproletarische Sozialismuskonzeptionen in Entwicklungsländern. 9/1976, S. 1094–1107.
- Entwicklungsländer: Frieden, Unabhängigkeit, Fortschritt. 32 (1984), S. 465–472.
Literatur
- Autorenkollektiv unter der Leitung von Kurt Böttcher: Schriftsteller der DDR. Meyers Taschenlexikon. VEB Bibliographisches Institut, Leipzig 1974, S. 461.
- Kai Hafez: Orientwissenschaft in der DDR: Zwischen Dogma und Anpassung, 1969–1989. Deutsches Orient-Institut, Hamburg 1995. ISBN 3-89173-038-1
- Lothar Mertens: Lexikon der DDR-Historiker. K.G. Saur, 2006, S. 508.
Weblinks
- Literatur von und über Martin Robbe im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Literatur von und über Martin Robbe in der bibliografischen Datenbank WorldCat
Einzelnachweise
- Vademekum der Geschichtswissenschaften. F. Steiner, Stuttgart 2000, S. 530.
- Register der Friedhofsverwaltung Berlin-Pankow III
- Kurzbiographie (Memento vom 18. Juli 2011 im Internet Archive) (S. 2; PDF-Datei; 533 kB).
- Kai Hafez: Orientwissenschaften in der DDR: zwischen Dogma und Anpassung, 1969-1989. Schriften des Deutschen Orientinstituts, Hamburg 1995, S. 548.
- Mythos, Religion und Gesellschaft: Eine Kritik der Remythisierung der bürgerlichen Religionswissenschaft und -theorie in der Epoche des Untergangs des Kapitalismus und des Aufstiegs des Sozialismus. Dissertation, HU Berlin, 1963.
- Gabriele Baumgartner, Dieter Hebig (Hrsg.): Biographisches Handbuch der SBZ/DDR. 1945–1990. Band 2: Maassen – Zylla. K. G. Saur, München 1997, ISBN 3-598-11177-0, S. 723.
- Lothar Mertens: Lexikon der DDR-Historiker. K.G. Saur, 2006, S. 508.
- Revolutionen und Revolutionäre heute. Neues Leben, Berlin 1972 / 2. Auflage auch Weltkreis, Dortmund 1975, S. 5.
- Programm der Herbstakademie des BdWi 1991