Waltraud Falk
Waltraud Falk (* 12. Februar 1930 in Berlin als Waltraud Tessen; † 10. April 2015) war eine deutsche Wirtschaftshistorikerin und Wirtschaftswissenschaftlerin.
Biografie
Waltraud Falk wurde als Tochter des SPD-Funktionärs Karl Tessen und dessen Ehefrau Erna, geb. Meffert, in Berlin geboren.
Karl Tessen, geboren 1900 in Berlin, war bis zu ihrem Verbot 1933 politisch in der SPD aktiv. Als Angestellter bei den Bergmann Elektrizitätswerken war er dort auch Betriebsratsvorsitzender. Er konnte sich, dank der Warnung des damaligen Direktors Schulte-Kump, Verfolgungen durch die Gestapo entziehen,[1] beteiligte sich während der NS-Zeit an der illegalen Verbreitung der Zeitschrift Der Metallarbeiter und von Flugblättern.[2] Nach dem Krieg wurde er Landrat des Landkreises Oberbarnim, später Vorsitzender des Rates des Kreises Eberswalde, er war auch Leiter der Abteilung Innere Angelegenheiten des Rates des Bezirkes Frankfurt (Oder) sowie Bürgermeister von Hohen Neuendorf.[2]
Waltraud Falk trat 1946 in die FDJ und in die SED ein. Nach dem Abitur im Jahre 1948 an der Gabriele-von-Bülow-Oberschule in Berlin-Tegel nahm sie an der Humboldt-Universität zu Berlin zunächst das Studium der Medizin auf, brach es ab und arbeitete eine Zeit lang als Grundschullehrerin. Sie wechselte dann zu Slawistik und Geschichte und schließlich zu den Wirtschaftswissenschaften. Während des Studiums hatte sie als 1. Sekretärin der FDJ Hochschulgruppe maßgeblichen Anteil an der Gründung und dem Aufbau der FDJ-Organisation der Humboldt-Universität.[3] Falk gehörte zu den aufrührerischen Studenten, die mit Aktionen, wie Störungen der Lehrtätigkeit durch provokante Plakate, gegen die auf kapitalistische Marktökonomie bezogenene Betriebswirtschaftslehre aufbegehrten, die im Lehrbetrieb der Nachkriegszeit noch bestimmend war. Den entscheidenden Anstoß gab die Auseinandersetzung über Sinn und Gestaltung der Betriebswirtschaftslehre innerhalb der neuen ostdeutschen Wirtschaftsorganisation. Die besonders engagierten SED-und-FDJ-Hochschulgruppen waren zu der Zeit keineswegs eine dominante Bewegung unter den Studenten. Diese Aktionen erhielten die Unterstützung des deutsch-englischen Marxisten Josef Winternitz, der gerade zum Dekan der Fakultät gewählt worden war. Er leitete mit der Durchsetzung einer Studienreform im Wintersemester 1949/50 auch den vollständigen Umbau der Fakultät ein, der unter dem Dekanat Jürgen Kuczynskis konsequent fortgesetzt wurde.[4] Falk schloss 1952 das Studium als Diplomwirtschaftlerin ab.
1952 bis 1953 war Falk Mitarbeiterin der Abteilung Propaganda beim ZK der SED. 1953 erhielt sie eine Aspirantur am Institut für Wirtschaftsgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin und promovierte dort 1956 bei Jürgen Kuczynski. 1957 begründete sie die Wirtschaftsgeschichte der DDR als selbständiges Teilgebiet der Wirtschaftsgeschichte.[3] 1960 wurde sie Dozentin und gleichzeitig Direktorin des Instituts für Wirtschaftsgeschichte. 1962 wurde sie habilitiert und zur Professorin ernannt. Von 1962 bis 1965 war sie Prorektorin für Studienangelegenheiten an der Humboldt-Universität. 1969 wurde sie zur ordentlichen Professorin berufen und übernahm den Lehrstuhl ihres Lehrers Kuczynski. In den Jahren 1979 bis zur Emeritierung 1990 war sie gewählte Dekanin der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät.
Falk war Mitglied des Präsidiums der Historiker-Gesellschaft der DDR und dort Vorsitzende der Fachkommission Betriebsgeschichte. Sie war Redaktionsmitglied der Zeitschrift Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung.[5] Im Übrigen war sie von Juni 1976 (VI. Kongress)[6] bis zum Jahre 1990 Vizepräsidentin der URANIA. Zudem wirkte sie u. a. als Herausgeberin bei der Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) mit.[7]
Ihre Forschungsergebnisse zur Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR, zur Investitionsstrategie und zur Veränderung der materiell-technischen Basis, zur Innovationsgeschichte, zur Genese der sozialistischen Intensivierung u. a. wurden hauptsächlich im Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte und in den Beiträgen zur Geschichte der Arbeiterbewegung publiziert.[3] Sie schrieb auch Beiträge über betriebshistorische Probleme und widmete sich der Qualifizierung der betriebsgeschichtlichen Arbeit.[3] Sie nahm aktiv an mehreren Internationalen Historikerkongressen (u. a. Moskau, Bukarest, Stuttgart) sowie an nahezu allen internationalen Kongressen für Wirtschaftsgeschichte (Leningrad, Kopenhagen, Edinburgh, Budapest, Bern) teil.[3]
Waltraud Falk war verheiratet, u. a. mit dem Historiker Martin Robbe, und Mutter von drei Kindern. Sie verstarb im Alter von 85 Jahren.[8]
Veröffentlichungen von ihr sind auch unter dem Namen Waltraud Robbe erschienen.
Auszeichnungen
- 1974 Vaterländischer Verdienstorden in Bronze und 1984 in Silber
- 1981 Ehrentitel Verdienter Hochschullehrer der Deutschen Demokratischen Republik
Veröffentlichungen
- (Lehrbrief für das Fernstudium) Die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus : T. 3. Sozialistische Industrialisierung. Humboldt-Universität, Berlin 1954. Digitalisat
- Die Knappschaftsfessel von Mansfeld. Ein Beitrag zur Geschichte der Lage und des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse in der Zeit von 1850 bis 1900. Verlag Tribüne, Berlin 1958.
- Der Charakter der gesellschaftlichen Arbeit im Kapitalismus, Sozialismus und Kommunismus : Problematik, Bestimmung, Merkmale, Durchsetzung und Veränderung. Habilitation, Berlin 1962.
- Der Gegenstand der Wirtschaftsgeschichte. Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 1962
- Kleine Geschichte einer großen Bewegung. Zur Geschichte der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung in der Industrie der DDR. Dietz Verlag, Berlin 1966.
- Wirtschaft, Wissenschaft, Welthöchststand. Verlag Die Wirtschaft, Berlin 1969.
- DDR – Werden und Wachsen. Zur Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik. Akademie der Wissenschaften der DDR, Zentralinst. für Geschichte. Autoren: Rolf Badstübner; Horst Bednareck; Waltraud Falk; Heinz Heitzer (Leitung); Siegfried Thomas; Karl Reißig, Dietz Verlag, Berlin 1974.
- Mitautorin des Autorenkollektivs unter der Leitung von Ernst Diehl: Klassenkampf, Tradition, Sozialismus. Von den Anfängen der Geschichte des deutschen Volkes bis zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR. Grundriß der deutschen Geschichte. Deutscher Verl. d. Wiss, Berlin 1974.
- hrsg. mit Dieter Klein: Lebensweise im Kapitalismus – Ideologie und Wirklichkeit. Humboldt-Universität zu Berlin. Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät, 1981
- Herausgeberin und Mitautorin: Nie wieder Faschismus und Krieg! Die Mahnung der faschistischen Bücherverbrennung am 10. Mai 1933. Humboldt-Universität zu Berlin, Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät, 1983.
- (Rezension) Waltraud Falk, Herwart Pittack: Karl Marx/Friedrich Engels: Gesamtausgabe (MEGA). Vierte Abteilung. Exzerpte, Notizen, Marginalien. Band 6 – Karl Marx: Exzerpte und Notizen. September 1846 bis Dezember 1847, Berlin 1983. In: Marx-Engels-Jahrbuch 8. Dietz Verlag, Berlin 1985, S. 362–370. Digitalisat
- Waltraud Falk, Frank Zschaler: Zur ersten englischen Auflage des ersten Bandes des „Kapitals“ von Karl Marx. In: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung 23, Berlin 1987, S. 78–81. Digitalisat
- Waltraud Falk, Frank Zschaler: Zur Geschichte der englischen Erstausgabe des ersten Bandes des „Kapitals“. In: Marx-Engels-Jahrbuch 12, Dietz Verlag, Berlin 1988, S. 203–228. Digitalisat
- Karl Marx. Capital a critical analysis of capitalist production. London 1887.[9] Dietz Verlag, Berlin 1990. (=Karl Marx. Friedrich Engels Gesamtausgabe (MEGA). Abteilung II, Band 9) ISBN 3-320-00067-5.
- Laudatio zum 85. Geburtstag von Prof. Dr. Walter Bartel. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin / Reihe Gesellschaftswissenschaften .39 (1990), Heft 6, S. 522–525. ISSN 0863-0623
- hrsg. mit Václav Průcha: Sectoral changes in industry after World War II. Institute of History of the CSAS, Prag 1991.
- Die Bergmann-Electricitäts-Werke AG Berlin und der VEB Bergmann-Borsig, Berlin-Wilhelmsruh-ein Beitrag zur Unternehmensgeschichte in Berlin nach 1945. In: Fischer, Wolfram & Bähr, Johannes: Wirtschaft im geteilten Berlin 1945–1990. Forschungsansätze und Zeitzeugen. Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Band 76, Verlag: K. G. Saur, München / New Providence / London / Paris, 1994
Beiträge in Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (ZfG)
- Die Wirtschaftsgemeinschaft zwischen der DDR und der Sowjetunion, 17 (1969), S. 988 ff. ISSN 0044-2828
- Über den erzieherischen Wert in der Ausbildung der Wirtschaftsgeschichte, 25 (1977), S. 1080 ff
- Die Schaffung der ökonomischen Grundlagen des Sozialismus der DDR, 27 (1979), S. 915 ff
- Zum Erbe bürgerlicher Wirtschaftswissenschaften (mit Bernd-Joachim Schilfert/Dietrich Zboralski), 29 (1981), S. 406 ff
Literatur
- Jürgen Kuczynski: Der Gegenstand der Wirtschaftsgeschichte. Einige Überlegungen anlässlich des Aufsatzes von Waltraud Robbe. Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Akademie-Verlag, Berlin 1963, S. 133–147
- Waltraud Falk 60 Jahre. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 38. Jg. (1990) H. 2, S. 159
- Lothar Mertens: Lexikon der DDR-Historiker. K.G. Saur, 2006, S. 206.
Weblinks
Einzelnachweise
- Die Bergmann-Electricitäts-Werke AG Berlin und der VEB Bergmann-Borsig, Berlin-Wilhelmsruh-ein Beitrag zur Unternehmensgeschichte in Berlin nach 1945. In: Fischer, Wolfram & Bähr, Johannes: Wirtschaft im geteilten Berlin 1945–1990. Forschungsansätze und Zeitzeugen. Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Band 76, Verlag: K. G. Saur, München / New Providence / London / Paris, 1994
- Kreisarchiv Barnim, E.I.17587
- Waltraud Falk 60 Jahre. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 38. Jg. (1990) H. 2, S. 159
- (Hrsg. Heinz-Elmar Tenorth) Geschichte der Universität Unter den Linden 1810–2010. Band 6: Selbstbehauptung einer Vision. Akademie Verlag, Berlin 2010, S. 258–262
- Lothar Mertens: Lexikon der DDR-Historiker. K.G. Saur, 2006, S. 206–207.
- Neues Deutschland, 26. Juni 1976, S. 3.
- Beiträge zur Marx-Engels-Forschung Heft 23, Berlin 1987, S. 78–81 (Waltraud Falk, Frank Zschaler: Zur ersten englischen Auflage des ersten Bandes des „Kapitals“ von Karl Marx.).
- Traueranzeige in: Berliner Zeitung, 9. Mai 2015, S. 11.
- Bearbeitung des Bandes: Waltraud Falk (Leiter)