Marburger Religionsgespräch
Das Marburger Religionsgespräch 1529 war ein Teil der theologischen Auseinandersetzung zwischen dem lutherischen und reformierten Zweig der Reformation.[1]
Es führte zu den 15 Marburger Artikeln, einer Zusammenstellung von Bekenntnisaussagen, die am Montag, den 4. Oktober 1529 publiziert wurden.
Geschichtlicher Hintergrund, Zusammenhänge
Das Marburger Religionsgespräch fand vom Freitag, den 1. bis zum Montag, den 4. Oktober 1529 auf Einladung des Landgrafen Philipp des Großmütigen auf dem Marburger Schloss statt. Er hatte im Jahre 1526 auf der Homberger Synode die Reformation in seinem Territorium eingeführt, die Universität in Marburg war seit dem Jahre 1527 die erste Hochschule, die im lutherischen Geist wirkte.
Da auf dem Reichstag zu Speyer 1529 erneut das Wormser Edikt bestätigt worden war, versuchte Philipp von Hessen die Sache der Reformation zu stärken, indem er beide Zweige der Reformation für eine gemeinsame Linie gegen die Altgläubigen und die Habsburger gewinnen wollte. Das aber war nur möglich, wenn sie sich in grundlegenden theologischen Fragen einigten. Insbesondere um die Bedeutung des Abendmahls gab es seit spätestens 1527 einen heftigen Streit zwischen Martin Luther und Ulrich („Huldrych“) Zwingli, der von Seiten Luthers als kirchentrennend angesehen wurde (Abendmahlsstreit). Das Gespräch in Marburg sollte diesen Streit beilegen.
Einen wichtigen Beitrag zum Zustandekommen des nordhessischen Religionsgespräches leistete Johannes Bugenhagen. Er selbst wurde in Wittenberg in die Vorbereitungen auf das Marburger Religionsgespräch eingebunden. An diesem nahm er jedoch nicht teil; stattdessen widmete er sich der erneuten Erörterung der Widerstandsfrage und beteiligte sich an der Ausarbeitung der Torgauer Artikel zum Augsburger Reichstag, die in die Artikel 22 bis 28 der Confessio Augustana eingegangen sind. Die Marburger Gespräche sind gewissermaßen in einem thematischen Gesamtkontext zu sehen. So fanden einige Monate zuvor die Flensburger Disputation statt, bei der sich der spiritualistische Prediger Melchior Hofmann und mehrere lutherische Theologen, unter anderem Johannes Bugenhagen und Hermann Tast, gegenüberstanden und bei der die Abendmahlslehre ebenfalls eine Rolle gespielt hatte. Melchior Hoffman teilte seine spiritualistische Auffassung des Abendmahls unter anderem mit Andreas Rudolf Bodenstein von Karlstadt und Ulrich Zwingli. Mit beiden letzteren stritt Luther um die Abendmahlsfrage. Dieser Streit kulminierte dann im Marburger Religionsgespräch mit Zwingli.[2]
Inhalt der Diskussion
Neben Luther und Zwingli sowie Philipp Melanchthon und Johannes Oekolampad aus Basel nahmen eine Reihe weiterer Männer weitgehend als Zuhörer teil, u. a. Martin Bucer, Jakob Sturm, Caspar Hedio, Justus Jonas der Ältere, Andreas Osiander, Johannes Brenz und Stephan Agricola.
Das eigentliche Gespräch über die biblischen Grundlagen der Abendmahlslehre wurde an zwei Tagen überwiegend von Luther, Zwingli und Ökolampad bestritten. Trotz kleinerer Annäherungen gelang es aber nicht, die schon zuvor unversöhnlichen Positionen aufeinander zu zubewegen. Auch ein Vermittlungsversuch Bucers blieb erfolglos. Als das Gespräch gescheitert war, forderte Landgraf Philipp, dass doch wenigstens eine Bestandsaufnahme über die Konsenspunkte aufgestellt werden solle. Ergebnis waren die Marburger Artikel, die Luther auf Grundlage seiner kurz vorher erstellten Schwabacher Artikel ausgearbeitet hatte und Zwingli ergänzte. Sie stellten einen Konsens zwischen den beiden Richtungen in 14 Punkten auf.
Darüber hinaus konnte die Ablehnung der altgläubigen Kirche festgestellt werden.
Der 15. Artikel beschäftigte sich mit dem Abendmahl. Die unterschiedliche Auffassung vom Wesen des Abendmahls blieb aber unversöhnlich bestehen; insbesondere die Frage der Realpräsenz. Zwar waren beide Seiten gegen die Lehre von der Transsubstantiation und für die Beibehaltung des Laienkelches.
Aber für Zwingli war das Abendmahl eine Bekenntnishandlung der Gemeinde, für Luther war Christus beim Abendmahl real gegenwärtig; Abendmahlsstreit. Die Realpräsenz wurde von Martin Luther aufrechterhalten, während Ulrich Zwingli ein symbolisches Verständnis lehrte. Damit ging der Abendmahlsstreit weiter. Beide Parteien sahen keine Möglichkeit, sich zu einigen. Sie gingen in diesem Dissens auseinander und hofften auf gegenseitiges Verständnis und die Hilfe Gottes für das richtige Verständnis des Abendmahls. Der Legende nach soll Luther, als das Scheitern der Gespräche fest stand, mit einem Messer das Tischtuch zwischen sich und Zwingli zerschnitten haben.
Das Marburger Religionsgespräch war das erste einer Reihe von vielen lutherisch-reformierten Abendmahlsgesprächen.
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Nachwirkungen
Das Religionsgespräch gilt als der Zeitpunkt, seit dem die lutherische und die schweizerische (reformierte) Reformation endgültig getrennt sind. Damit blieb den Schweizer protestantischen Kantonen der Beitritt zum 1531 gegründeten Schmalkaldischen Bund der evangelischen Territorien Deutschlands verwehrt. Zwar gab es über die Jahrhunderte immer wieder neue Versuche der Annäherung, doch erst die Leuenberger Konkordie von 1973 brachte eine Überwindung der gegenseitigen Lehrverurteilungen in der Abendmahlslehre und machte den Weg zur Kirchengemeinschaft frei. In den späteren lutherisch-reformierten Gesprächen spielten weder die Marburger Artikel noch die Gegenstände des eigentlichen Gesprächs eine größere Rolle. Zwar stand die erste Gesprächsrunde zwischen lutherischen und reformierten Theologen in den USA 1962–1966 unter dem Thema „Marburg Revisited“, doch wurde auch hier ein viel größeres Themenspektrum behandelt.
Der Einzug der Reformatoren ist auf den Wandgemälden der alten Aula der Philipps-Universität Marburg dargestellt. Daneben gibt es Werke verschiedener Künstler, etwa des hessischen Historienmalers August Noack, die sich mit dem Thema befassen. Im Landgrafenschloss befindet sich ein Gemälde von der Sitzung.
Literatur
- Ludwig Julius Karl Schmitt: Das Religionsgespräch zu Marburg im Jahre 1529. Elwert, Marburg 1840, (Digitalisat).
- Walther Köhler: Zwingli und Luther. Ihr Streit über das Abendmahl nach seinen politischen und religiösen Beziehungen. 2 Bände. 1924–1953;
- Band 1: Die religiöse und politische Entwicklung bis zum Marburger Religionsgespräch 1529 (= Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte. 6, ISSN 0171-2179). Verein für Reformationsgeschichte u. a., Leipzig 1924;
- Band 2: Vom Beginn der Marburger Verhandlungen 1529 bis zum Abschluß der Wittenberger Konkordie von 1536 (= Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte. 7). Bertelsmann, Gütersloh 1953.
- Walther Köhler: Das Marburger Religionsgespräch 1529. Versuch einer Rekonstruktion (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte. Bd. 48, Nr. 1 = Nr. 148, ISSN 0171-2179). M. Heinsius Nachf., Leipzig 1929.
- Paul C. Empie, James I. McCord (Hrsg.): Marburg Revisited. A Reexamination of Lutheran and Reformed Traditions. Augsburg Publishing House, Minneapolis MN 1966.
- Gerhard May (Hrsg.): Das Marburger Religionsgespräch 1529 (= Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte. 13, ISSN 0082-3597). Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, Gütersloh 1970.
- Gerhard May: Marburger Religionsgespräch. In: Theologische Realenzyklopädie (TRE). Band 22, de Gruyter, Berlin/New York 1992, ISBN 3-11-013463-2, S. 75–79.
- Holger Th. Gräf, Andreas Tacke (Hrsg.): Preußen in Marburg. Peter Janssens historische Gemäldezyklen in der Universitätsaula (= Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte. 140). Hessische Historische Komm. u. a., Darmstadt u. a. 2004, ISBN 3-88443-094-7.
- Gottfried Hoffmann: Kirchenväterzitate in der Abendmahlskontroverse zwischen Oekolampad, Zwingli, Luther und Melanchthon. Legitimationsstrategien in der inner-reformatorischen Auseinandersetzung um das Herrenmahl (= Oberurseler Hefte Ergänzungsbände. 7). 2. Auflage. Edition Ruprecht, Göttingen 2011, ISBN 978-3-7675-7142-6.
Weblinks
Einzelnachweise
- Helga Schnabel-Schüle: Reformation. Historisch-kulturwissenschaftliches Handbuch. Metzler, Heidelberg 2017, ISBN 978-3-476-02593-7, S. 34–35.
- Kerstin Lundström: Polemik in den Schriften Melchior Hoffmans Inszenierungen rhetorischer Streitkultur in der Reformationszeit. Stockholm University Press, Stockholm 2015, ISBN (PDF) 978-91-7635-016-4, S. 207