Lee Teng-hui
Lee Teng-hui (chinesisch 李登輝, Pinyin Lǐ Dēnghuī; * 15. Januar 1923 in Sanzhi, Präfektur Taihoku, Taiwan, Japanisches Kaiserreich (heute: Neu-Taipeh, Taiwan); † 30. Juli 2020 in Taipeh, Taiwan[1]) war ein taiwanischer Politiker. Er war von 1988 bis 2000 Präsident der Republik China auf Taiwan und Vorsitzender der Kuomintang. Lee war der erste auf Taiwan geborene Politiker, der diese Ämter innehatte.
Biografie
Lee wurde zur Zeit der japanischen Herrschaft über Taiwan im heutigen Bezirk Sanzhi von Taipeh (damals ein Dorf außerhalb der Stadt Taihoku) in eine Hoklo-Familie geboren. Der junge Lee erbrachte sehr gute Schulleistungen und erhielt seine höhere Schulbildung auf Japanisch und teilweise auch direkt in Japan. Die japanische Verwaltung förderte die Japanisierung der chinesischen Namen in Taiwan und am 11. Februar 1940 erhielt Lee den japanisierten Namen Iwasato Masao (岩里政男).[2]
Nach Studien in den USA, Japan und Taiwan promovierte Lee 1968 in den USA auf dem Fachgebiet der Agrarwissenschaften. Danach kehrte er nach Taiwan zurück und trat 1971 der Kuomintang bei. Zwischen 1972 und 1978 gehörte er der Regierung als Minister ohne Geschäftsbereich an, von 1978 bis 1981 war er Bürgermeister der Hauptstadt Taipeh. Anschließend wurde Lee Provinzgouverneur von Taiwan, ehe er 1984 von der Nationalversammlung zum Vizepräsidenten der Republik China gewählt wurde.
Nach dem Tod von Präsident Chiang Ching-kuo wurde er 1988 dessen Nachfolger. Als er 1995 seine alte Universität in den USA besuchte, kam es zu einer Krise im Konflikt mit der Volksrepublik China. Als Präsident führte Lee die von seinem Vorgänger begonnene Demokratisierung fort. Nach einer Wahlrechtsreform wurde er bei der Präsidentenwahl am 23. März 1996 mit 54 Prozent der Stimmen der erste direkt und demokratisch gewählte Präsident der Republik China auf Taiwan.
Im Jahr 1999 sorgte ein Interview Lees mit der Deutschen Welle für Aufsehen, indem Lee als erster Präsident das Verhältnis zur Volksrepublik China als das Verhältnis zwischen zwei Staaten bezeichnete[3] und damit die Zwei-Staaten-Theorie im Bereich der chinesisch-taiwanischen Beziehungen prägte.
Bei der Präsidentschaftswahl 2000 trat er nicht mehr an. Unruhen innerhalb der Kuomintang, für deren Auftreten Lee verantwortlich gemacht wurde, führten zu seinem Rücktritt als Parteivorsitzender im März 2000 und schließlich im Dezember 2000 zum Ausschluss Lees aus der Partei. Seit 2001 gehört er der von ihm und seinen Anhängern gegründeten Taiwanischen Solidaritätsunion an, die sich entgegen der Linie der Kuomintang offensiv für eine formale Unabhängigkeitserklärung Taiwans einsetzt. Vor der Präsidentenwahl 2008 auf Taiwan erklärte er seine Unterstützung für den Kandidaten der Demokratischen Fortschrittspartei Hsieh Chang-ting.[4] Auch vor der Präsidentenwahl 2012 erklärte er offen seine Unterstützung für die Kandidatin der pan-grünen Koalition Tsai Ing-wen.[5]
2011 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen ihn wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder während seiner Regierungszeit.[6] Nach jahrelangen Untersuchungen sprach ihn der Oberste Gerichtshof Taiwans im August 2014 von den Vorwürfen frei.[7]
Möglicherweise aufgrund seiner Schulbildung in Japan nahm Lee ungewöhnlich freundliche Positionen gegenüber der ehemaligen Kolonialmacht Japan ein, die in der taiwanischen Öffentlichkeit nicht immer, und noch viel weniger bei offiziellen Stellen der Volksrepublik China auf Gegenliebe stießen. Er erklärte öffentlich, dass die von Taiwan und der Volksrepublik China beanspruchten Senkaku-Inseln zu Japan gehörten.[8] Bei einem Besuch in Japan 2007 besuchte er den umstrittenen Yasukuni-Schrein, der außerhalb Japans vielfach als symbolische Stätte eines japanischen Militarismus und Nationalismus gesehen wird, und begründete dies damit, dass er seinem älteren Bruder, der in der Schlacht um Manila 1945 auf japanischer Seite gefallen war, seinen Respekt erweisen müsse.[9][10] Bei einer weiteren Japan-Reise pries er die Errungenschaften der japanischen Kolonialherrschaft über Taiwan.[11] Er tat wiederholt Berichte über japanische Kriegsverbrechen in China – beispielsweise das Massaker von Nanking – als „kommunistische Propaganda“ ab.[12]
Persönliches
Im Jahr 1961, im Alter von 38 Jahren, ließ sich Lee taufen und wurde Mitglied der protestantischen Kirche Taiwans.[13]
Literatur
- Su-Hui Chiang: Politische Eliten und ihre Images: Politikdarstellungen am Beispiel der fünf Präsidenten in Taiwan von 1950 bis 2002. Dissertation, Universität Freiburg, 2004 (PDF).
Weblinks
- Gottesdienst für den früheren Präsidenten Lee Teng-hui|Formosa TV News network(ab ca. 2:17:30 Kurzdoku, teilweise mit englischen Untertiteln)
Einzelnachweise
- CNA Taiwan: Lee Teng-hui dies; pivotal figure in Taiwan's transition to democracy., In: Focus Taiwan – CNA English News (Taiwan), 30. Juli 2020, Abgerufen am 31. Juli 2020. (englisch)
- Han Cheung: From Lee to Iwasato back to Lee. Taipei Times, 7. Februar 2016, abgerufen am 2. April 2020 (englisch).
- Steffen Heinze – Interview von Günter Knabe vom 9. Juli 1999: Ein China, zwei Staaten., In: dw.de, Deutsche Welle, 24. Oktober 2013.
- Taiwans ehemaliger Präsident Li Denghui unterstützt Xie Changting. (Memento vom 8. Juli 2012 im Webarchiv archive.today), rti.org.tw, Radio Taiwan International, 20. März 2008.
- Ex-Präsident unterstützt Tsai Ing-wen. (Memento vom 8. Juli 2012 im Webarchiv archive.today), rti.org.tw, Radio Taiwan International, 11. Januar 2012.
- Taiwan: Former President Indicted on an Embezzlement Charge. In: nytimes.com. New York Times, 30. Juni 2011, archiviert vom Original am 21. August 2014; abgerufen am 24. August 2021 (englisch, Meldung der Agentur AP).
- Taiwan court upholds acquittal of ex-president Lee. (Nicht mehr online verfügbar.) In: Channel News Asia. Mediacorp News Pte. Ltd., 21. August 2014, archiviert vom Original am 21. August 2014; abgerufen am 24. August 2021 (englisch, Meldung der Agentur AFP/ac).
- Former Taiwan President Lee Teng-hui says the Diaoyu Islands Belong to Japan. The New Lens, 24. Juli 2015, abgerufen am 31. Juli 2020 (englisch).
- Chisa Fujioka: Taiwan's Lee visits Tokyo's Yasukuni war shrine. Reuters, 7. Juli 2007, abgerufen am 31. Juli 2020 (englisch).
- CNA Taiwan: Lee Teng-hui dies; pivotal figure in Taiwan's transition to democracy. In: Focus Taiwan - CNA English News (Taiwan), 30. Juli 2020 (englisch). Abgerufen am 31. Juli 2020.
- Shannon Tiezzi: Taiwan’s Former President Causes Controversy in Japan. The Diplomat, 30. Juli 2015, abgerufen am 31. Juli 2020 (englisch).
- Lee Teng-hui: Taiwan's 'father of dem ocracy' dies. BBC News, 31. Juli 2020, abgerufen am 31. Juli 2020 (englisch).
- The Soul of a Statesman. Taiwan Today, 1. April 2008, abgerufen am 2. April 2020 (englisch).