Xu Shichang
Xu Shichang (chinesisch 徐世昌, Pinyin Xú Shìchāng, W.-G. Hsü Shih-ch'ang; * 20. Oktober 1855 in Weihui, Henan Chinesisches Kaiserreich; † 6. Juni 1939 in Tianjin, Hebei) war ein hochrangiger Politiker sowohl im chinesischen Kaiserreich als auch in der Republik China. In der chinesischen Republik war er Staatspräsident. Sein Großjährigkeitsname lautet Juren (chinesisch 菊人, Pinyin Júrén)
Frühe Jahre und Karriere vor und nach der chinesischen Revolution von 1911
Zwar war die Stadt seiner Vorfahren Yinxian (heutiger Stadtbezirk Yinzhou) in der Unterprovinzstadt Ningbo in der Provinz Zhejiang, er jedoch wurde in Weihui in der (Provinz Henan) nach dem Tod des Vaters von seiner Mutter mit harter Hand erzogen. Auch wenn er hier in eher ärmlichen Verhältnissen aufwuchs, genoss er von seinem Lehrer, einem Regierungsbeamten, jedoch eine moralisch hochstehende Ausbildung, seine Mutter achtete peinlich auf seinen Umgang. Einer seiner engsten Freunde wurde früh Yuan Shikai, dessen Familie seinen Aufstieg förderte. Er schaffte es bis zum Vizekönig der Mandschurei. Als sich das Ende der Qing-Dynastie bereits abzeichnete, machte man ihn wegen seines Organisationstalentes und seiner Verdienste um eine Verwaltungsreform der Armee nach westlichem Vorbild – ungeachtet der Tatsache, dass er Zivilist war – zum Generalstabschef. In Diensten seines Freundes Yuan Shikai, Chinas starkem Mannes zu dieser Zeit, seit 1914 Außenminister trat er Ende 1915 aus Protest wegen dessen eigener kaiserlicher Ambitionen zurück: er nahm seine Ämter wieder auf, als Yuan die Monarchie abschaffte. Nach Yuans Tod wurde er 1917 einer von zwei Premierministern (an der Seite des Armeegenerals Duan Qirui) unter dem Präsidenten Feng Guozhang.
Präsident der Republik China
Seine eigene Wahl zum Präsidenten am 10. Oktober 1918 wurde weitgehend von Generälen der Beiyang-Armee an der Spitze ihrer rivalisierenden ‘‘Cliquen‘‘, wie Duan Qirui und Feng Guozheng inszeniert, weil er als Zivilist zwar keine eigentliche militärische Macht besaß, jedoch enge Verbindungen zur Beiyang-Armee unterhielt. Außerdem verhielt er sich neutral gegenüber den aus dieser hervorgegangenen Warlord-Cliquen. In der Folge musste Xu Duan Qirui, Cao Kun, einen Zhili-Führer der Nördlichen Militaristen, und Zhang Zuolin, Führer der Fengtian-Clique, die in dieser sogenannten Warlord-Ära eine eigene Republik ausrufen wollte, möglichst lange gegeneinander ausspielen, um seinen Posten zu behalten.
Nach Übernahme der Präsidentschaft ist von Xu innenpolitisch zunächst insbesondere ein Auftritt auf einer gewaltigen Siegesfeier am 18. November 1918 bekannt, denn China war (noch unter Feng Guozhang) am 17. August 1917 an der Seite der Triple-Entente in den Ersten Weltkrieg eingetreten. In der Außenpolitik war er bestrebt, die bisherige Bündnispolitik zu festigen, indem er die alliierten Mächte bei ihrer Intervention im russischen Bürgerkrieg (gegen die Bolschewiki) unterstützte und chinesische Truppen nach Wladiwostok entsandte[1].
1919 sickerten Nachrichten aus Europa durch, dass Duan Qirui der von den Hauptsiegermächten im Rahmen des Friedensvertrags von Versailles beabsichtigten Übergabe der ehemals deutschen Besitzungen in der Provinz Shandong (Kiautschou) an Japan zugestimmt hatte, worauf es zu Unruhen kam, die breite Unterstützung in der Bevölkerung fanden. Diese als Bewegung des 4. Mai bekannten Massenproteste ließ Xu niederschlagen, indem er die Rädelsführer niederwerfen und einsperren ließ.[2] Als Folge zerbrach die Koalition zwischen der Zhili- und der Anhui-Clique, und Duan blieb als politischer Verlierer auf der Strecke. Die Warlord-Ära hatte ihren Höhepunkt erreicht. Die Konflikte mit dem republikanischen Südosten Chinas schwelten indes weiter. Nachdem es Xu außerdem nicht gelang, die Mongolei wieder einzugliedern, drängte Cao Kun, der Nachfolger von Duan in der Zhili-Clique und von Anfang an ein Gegenspieler von Xu, ihn am 2. Juni 1922 aus dem Amt und setzte Li Yuanhong als Präsident ein, der dieses Amt bereits vor der Präsidentschaft von Feng Guozhang begleitet hatte.
Xu blieb auch danach mit den Regierungszirkeln in Tianjin, aber auch in Peking, in Kontakt und meldete sich – insbesondere gegen die japanischen Aggressoren zu Wort. Auch wenn diese versuchten, ihn – allerdings erfolglos – als eine politische Figur, die noch aus dem Kaiserreich stammte, zu umgarnen. Im Frühjahr 1939 verschlimmerte sich eine Blasenentzündung, sodass er zur Behandlung nach Peking gebracht werden sollte. Er lehnte dies aus Angst vor einer Entführung durch die Japaner ab und starb 85-jährig in Tianjin. Xu sollte als Präsident mit der längsten Amtszeit während der Warlord Ära in Chinas Geschichte eingehen.
Literatur
- Jerome B. Grieder: Hu Shih and the Chinese Renaissance; Liberalism in the Chinese Revolution, 1917–1937. Harvard University Press, Cambridge 1970.
- Haiyan Lee: Tears that Crumbled the Great Wall: The Archaeology of Feeling in the May Fourth Folklore Movement. (In: Journal of Asian Studies. Band 64, Nr. 1), 2005, S. 35–65.
- HUANG Wen-Zhi: A Historical Investigation on the Attitudes of the United States Towards „21 Articles“ in the Negotiation Between China and Japan[J],Department of History, AnHui University, Hefei 230039, China, 2006
- Liu Ping: The Left Wing Drama Movement in China and Its Relationship to Japan. (In: Positions: East Asia Cultures Critique. Band 14, Nr. 2), 2006, S. 449–466.
- Rana Mitter: A Bitter Revolution: China's Struggle with the Modern World Oxford University Press, Oxford und New York 2004.
- Jonathan D. Spence: The Search for Modern China. Norton, New York 1999, ISBN 0-393-30780-8.
- Chow Tse-Tsung: The May Fourth Movement. Intellectual Revolution in Modern China. Harvard University Press, Cambridge 1960.
- Jeffrey N. Wasserstrom: Chinese Students and Anti-Japanese Protests, Past and Present. (In: World Policy Journal. Band 22, Nr. 2), 2005, S. 59–65.
- The China Weekly Review, 4. Ausgabe: Who's who in China, chinesische Biographien 中國名人錄, Shanghai, 1931
- Thomas Weyrauch: Chinas unbeachtete Republik: 100 Jahre im Schatten der Weltgeschichte, Band 1 (1911–1949). Verlag Gießen 2009
- Peter Zarrow (Hrsg.): China in war and revolution, 1895–1949. Routledge, New York 2005.
Weblinks
Einzelnachweise
- Joana Breidenbach: Pál Nyíri, Joana Breidenbach (Hrsg.): China inside out: contemporary Chinese nationalism and transnationalism (engl.), illustrated. Auflage, Central European University Press, 2005, ISBN 963-7326-14-6, S. 90 (Abgerufen am 11 Juni 2012): „Eine weitere Geschichte erwies sich für die russische, nationalistische Seele als traumatisch. Nach der russischen Revolution riefen Ende 1918 die chinesischen Händler im fernen Osten die chinesische Regierung um Entsendung von Truppen zu ihrem Schutze zu Hilfe. Daraufhin wurden chinesische Truppen (ca. 1600 Soldaten und 700 Personen zu deren Unterstützung) nach Wladiwostock entsandt.“
- Jeffrey N. Wasserstrom: Chinese Students and Anti-Japanese Protests, Past and Present. World Policy Journal. Archiviert vom Original am 5. November 2013. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. Abgerufen am 18. November 2008.
Weiterführende Literatur
- Erich Gütinger: Die Geschichte der Chinesen in Deutschland: Ein Überblick über die ersten 100 Jahre ab 1822. Waxmann Verlag, 2004, ISBN 978-3-8309-1457-0.
- Vera Schwarcz: The Chinese Enlightenment: Intellectuals and the Legacy of the May Fourth Movement of 1919 University of California Press, Berkeley 1986.