Lăutari
Das rumänische Wort Lăutar (Plural: lăutari) bezeichnet eine Klasse von Musikern, die traditionell Mitglieder eines professionellen Clans von Roma-Musikern sind, rumänisch auch țigani lăutari genannt. Der Begriff leitet sich von lăută ab, dem rumänischen Wort für Laute. Lăutari treten normalerweise in Bands auf, die tarafs heißen.
Terminologie
Lăutar setzt sich aus dem Wort lăută und dem für Berufsnamen gebräuchlichen Agentensuffix -ar zusammen.[1] Dabei wird zwischen dem generischen rumänischsprachigen Wort lăutar und dem Roma-Clan unterschieden. Ursprünglich wurde das Wort nur für Musikanten verwendet, die eine lăută spielten. Diese Terminologie findet sich auch bei anderen Musikerbezeichnungen im rumänischsprachigen Raum, z. B. scripcar (Geiger), cobzar (Koboz-Spieler) und naingiu (Panflötenspieler).[2] Ab dem 17. Jahrhundert wurde das Wort lăutar unabhängig vom gespielten Instrument verwendet.[3]
Eine weitere Unterscheidung sollte zwischen der von lăutari gespielten Lautărească-Musik und der rumänischen Volksmusik getroffen werden.[4] Ein passenderer Begriff für einen Volksmusiker ist rapsod.[5]
Geschichte
Der Lăutari-Clan stammt wahrscheinlich aus anderen in Rumänien vorkommenden historischen Roma-Clans wie den Ursari, Lovari und Kalderash.
Die erste Erwähnung von Lăutari stammt aus dem Jahr 1558, als Mircea Ciobanul, die Woiwode der Walachei, dem Vornic Dingă aus Moldawien Ruste lăutarul (Ruste der Lăutar) schenkt.[6] 1775 wurde in der Walachei die erste Lăutărească-Gilde (breaslă) gegründet.
Die Lăutari waren sowohl Sklaven-Roma als auch freie Rumänen, aber die Roma waren die Mehrheit.[7] Sie wurden bevorzugt, weil man ihnen bessere musikalische Fähigkeiten zusprach.
Vor dem 19. Jahrhundert wurden häufig Roma-Musiker eingesetzt, um an den Höfen der Fürsten und Bojaren für Unterhaltung zu sorgen. Im 19. Jahrhundert ließen sich die meisten dieser Musiker in ländlichen Gebieten nieder, wo sie bei Hochzeiten, Beerdigungen und anderen traditionellen rumänischen Festen eine neue Beschäftigung suchten. Sie wurden țigani vătrași genannt und sprachen entweder Rumänisch oder Ungarisch.[8] Nur wenige von ihnen, mit Vorfahren aus der Kalderash- oder der Ursari-Gruppe, sprachen noch die Roma-Sprache.
Die Lăutari existierten hauptsächlich in den Regionen Moldova, Muntenien, Oltenien und Dobrudscha im heutigen Rumänien.[3] In Siebenbürgen gab es traditionelle professionelle Musiker erst im 19. Jahrhundert.[9]
Als Interpreten sind Lăutari normalerweise lose in einer Gruppe organisiert, die als taraf bekannt ist und oft aus Männern einer Großfamilie besteht. Es gibt weibliche Lăutari, meistens Sängerinnen. Jede taraf wird von einem primas, einem primären Solisten, geleitet.
Traditionell spielen die Lăutari nach Gehör, aber heute haben immer mehr Lăutari eine musikalische Ausbildung genossen und können Noten lesen.[10][11]
Die Lăutari betrachten sich selbst als die Elite der Roma.[12]
Muzică Lăutărească
Die Musik der Lăutari heißt Muzica Lăutărească. Es gibt keinen einzigen Musikstil der Lăutari, der Musikstil variiert von Region zu Region. Die Muzica Lăutărească ist komplex und ausgearbeitet, mit dichten Harmonien und raffinierten Ornamenten. Ihre Ausführung erfordert eine gute Technik.[13][14] Die Muzica Lăutărească sollte nicht mit der rumänischen Volksmusik verwechselt werden.[4]
Die Lăutari ließen sich von all der Musik inspirieren, mit der sie Kontakt hatten: der pastoralen Musik Rumäniens, der in der Kirche gespielten byzantinischen Musik sowie türkischer, russischer oder westeuropäischer Musik.[15][16] Während sich die Lăutari von der lokalen Musik inspirieren ließen, beeinflussten sie auch die rumänische Volksmusik.[17]
Improvisation ist ein wichtiger Bestandteil der Musik. Jedes Mal, wenn ein Lăutar eine Melodie spielt, interpretiert er sie neu. Aus diesem Grund wird die Muzica Lăutărească mit der Jazzmusik verglichen.[18]
Aufgrund ihrer Eigenschaft, auf einem bestimmten Grundgerüst zu improvisieren, wurde die Musik auch mit indischen Desi-Musikstücken wie dem Raag verglichen.[19] Yehudi Menuhin betrachtete die Musik der Lăutari als einen Teil indischer Musik.[20]
Die Muzica Lăutărească ist wesentlicher Bestandteil traditioneller rumänischen Hochzeiten. Das Repertoire der Lăutari-Musiker umfasst traditionelle rumänische Tänze wie Hora, Sârba, Brâul und Melodien mit griechisch-türkisch-orientalisch beeinflussten Rhythmen.[21]
In Südrumänien hat die Muzica Lăutărească eine ländliche und eine städtische Schicht.[12] Die urbane Musik ist bekannt als Urban Folklor oder Mahala-Musik.
Lăutari-Instrumente
- Panflöte (im Rumänischen nai) – gelangte im Rahmen der osmanischen Besetzung des Balkans auch in die rumänische Musik.
- Violine
- Bratsche
- Kontrabass
- Koboz/Lăuta – Ein Instrument ähnlich der Laute, aber wahrscheinlich nicht direkt verwandt. Es ist entweder ein direkter Nachkomme der Oud, die von Roma-Musikern eingeführt, oder von der ukrainischen Kobsa beeinflusst wurde. Wie die ukrainische Variante hat sie einen kurzen Hals und wird hauptsächlich zur rhythmischen Begleitung verwendet, hat jedoch wie die Oud keine Bünde.
- Zymbal (țambal im Rumänischen)
- Akkordeon
- Klarinette – speziell in der urban Lăutarească-Musik verwendet.
- Tárogató – speziell im Banat benutzt
- Blechblasinstrumente – ein österreichischer bzw. osmanischer Einfluss[22], insbesondere in Ostrumänien und Moldawien.
Die Lăutari-Musiker verwendeten aufgrund ihrer begrenzten Fähigkeiten selten die Blasinstrumente, die zur traditionellen rumänischen Musik gehörten. In einigen Lăutari-Orchestern kommen heutzutage Panflöte, Flöte (fluier) oder der Dudelsack (cimpoi) zum Einsatz. Heute verwenden Bands auch elektronische und elektroakustische Instrumente, wie Keyboards, Gitarren und Bässe.
Einflüsse auf George Enescu
Die Lăutari und ihre Musik hatten großen Einfluss auf den rumänischen Komponisten George Enescu.[23] Enescu erhielt seinen ersten Musikunterricht bei einem Lăutar. Er ließ sich sowohl von der traditionellen rumänischen Musik als auch von der Muzica Lăutărească inspirieren. In seinen ersten Kompositionen, der Poème Roumaine und den Rumänischen Rhapsodies Nr. 1 und 2 zitiert er Passagen der urbanen Folkloremusik direkt[24], was den Stücken auch ein orientalisches Flair verleiht. Ein deutscher Kritiker dachte fälschlicherweise, Enescu sei Roma, nachdem er die rumänische Rhapsodie gehört hatte.[25]
Liste bekannter Lăutari-Musiker, Orchester und Bands
Bands / tarafs / Orchester
Die meisten tarafs haben keinen speziellen Namen, formieren sich jedoch um eine Person (den primaș) oder um eine Familie. Die meisten Bands haben einen kommerziell wirksamen Namen:
- Damian and Brothers – gegründet von Damian Drăghici
- Fanfare Ciocărlia
- Mahala Rai Banda
- Taraf de Haïdouks
- Orchestră Lăutari – unter der Leitung von Nicolae Botgros
- Orchestră Fraților Advahov
Musikerinnen und Musiker
- Vasile Barbu – Cobzaspieler aus dem 18./19. Jahrhundert
- Marcel Budală – Akkordeonist
- Cornelia Catangă – Akkordeonistin und Sängerin
- Grigoraș Dinicu – Komponist und Violinist
- Damian Drăghici – Panflötenspieler
- Toni Iordache – Zymbalonspieler
- Fărâmiță Lambru – Akkordeonist
- Fănică Luca – Panflötenspieler und Sänger
- Gabi Luncă – Sängerin
- Ionică Minune – Akkordeonist
- Romica Puceanu – Sängerin
- Dona Dumitru Siminică – Sänger
- Petrea Crețu Șolcanu – Violinist, Großvater des Jazz-Musikers Johnny Răducanu
- Ion Petre Stoican – Violinist
- George Udilă – Klarinettist
Trivia
- Es gibt einen gleichnamigen Spielfilm Lăutarii (1972, Moldova-Film) des sowjetischen Regisseurs Emil Loteanu. In dem Film treten Musiker des staatlichen taraf Flueraș unter der Leitung von Sergiu Lunchevici auf.
Siehe auch
Weblinks
- Ein englischer Blog über die Suche nach der traditionellen Lautari- und der rumänischen Musik
- A British review von The Alan Lomax Collection; World Library of Folk and Primitive Music. Vol XVII
- Garth Cartwright, Nicolae Neacsu: Romanian Gypsy violinist who conquered the west — Ein Nachruf für Nicolae Neacșu, The Guardian, 16. September 2002
- Lăutarii Cum Mai Cântă! — Musik der Lăutari
Einzelnachweise
- dexonline. Abgerufen am 12. Mai 2021.
- Romanothan - Despre vatasia lautarilor. 14. März 2007. Archiviert vom Original am 14 March 2007. Abgerufen im 26 May 2018.
- Meseria de lăutar (I) > Rodul Pamantului, stiri agricultura, dezvoltare rurala. 11. Juni 2013. Archiviert vom Original am 11 June 2013. Abgerufen im 26 May 2018.
- De-a lungul timpului, muzica traditionala a înviat si a murit (Through time, the traditional music has died and came to life again). In: Timpul.md. Abgerufen im 26 May 2018.
- 11 definiții pentru rapsod (ro) In: DEX, Dicționar explicativ al limbii romane.
- Un taraf de lăutari din vremea lui Ştefan cel Mare (I) | Dragusanul.ro. Abgerufen am 12. Mai 2021.
- MESERIA DE LĂUTAR (II) > Rodul Pamantului. 20. Februar 2012. Archiviert vom Original am 20 February 2012. Abgerufen im 26 May 2018.
- Jurnalul National. In: colectie.jurnalul.ro. Archiviert vom Original am 16 April 2013. Abgerufen im 26 May 2018.
- Meseria de lăutar (III) - Ardealul şi Banatul > Rodul Pamantului. 20. Februar 2012. Archiviert vom Original am 20 February 2012. Abgerufen im 26 May 2018.
- Click! / Special / Ei sunt primii lautari cu atestat european. 5. Dezember 2007. Archiviert vom Original am 5 December 2007. Abgerufen im 26 May 2018.
- Păsări călătoare - Intoarcerea la rădăcini. 28. März 2014. Archiviert vom Original am 28 March 2014. Abgerufen im 26 May 2018.
- Opinii - Divers. 25. Mai 2009. Archiviert vom Original am 25 May 2009. Abgerufen im 26 May 2018.
- Confesiune - Observator Cultural. In: Observatorcultural.ro. Abgerufen im 26 May 2018.
- Actualitate - Divers. 14. Februar 2012. Archiviert vom Original am 14 February 2012. Abgerufen im 26 May 2018.
- Barbu Lautaru - Personalitati. 1. Juli 2008. Archiviert vom Original am 1 July 2008. Abgerufen im 26 May 2018.
- Lăutarii și compozițiunile lor - Wikisource. In: ro.wikisource.org. Abgerufen im 26 May 2018.
- Banda lui nea Alită Piţigoi. In: Jurnalil.ro. Archiviert vom Original am 27 May 2018. Abgerufen im 26 May 2018.
- Traditie Veche La Timpuri Noi Old Tradition At New Times. 19. September 2015. Archiviert vom Original am 19 September 2015. Abgerufen im 26 May 2018.
- Filippo Bonini Baraldi: Roma Music and Emotion. Oxford University Press, 2021, ISBN 978-0-19-009678-6, S. 168 (google.com [abgerufen am 12. Mai 2021]).
- Editura LiterNet › Simpozionul Internaţional George Enescu 2003 - Selecţiuni › Descărcare versiune pdf. In: LiterNet.ro. Abgerufen im 26 May 2018.
- Donna A. Buchanan: Balkan Popular Culture and the Ottoman Ecumene: Music, Image, and Regional Political Discourse. Scarecrow Press, 2007, ISBN 978-0-8108-6677-5, S. 102 (google.com [abgerufen am 12. Mai 2021]).
- Frank Sawatzki: Fanfare Ciocarlia: Inferno aus verbeultem Blech. 18. September 2008, abgerufen am 12. Mai 2021 (deutsch).
- Renard Stanislas: The Contribution of the Lautari to the Compositions of George Enescu: Quotation and Assimilation of the Doina. 2012.
- UCMR – home. In: Cimec.ro. Abgerufen im 26 May 2018.
- Simpozionul International George Enescu 2003 – Selectiuni