Kiewer Höhlenkloster
Das Kiewer Höhlenkloster (ukrainisch Києво-Печерська лавра; russisch Киево-Печерская лавра; deutsch Heiliges Mariä-Himmelfahrt-Kloster) liegt am hügelig aufragenden Westufer des Dnepr südlich des heutigen Stadtzentrums von Kiew. Der große von Mauern umgebene Klosterkomplex teilt sich in zwei Bereiche: die obere und die untere Lawra. Beide Teile umfassen eine Vielzahl von kulturell bedeutenden Kirchen, Klöstern und Museen sowie Mönchshöhlen im unteren Lawra, die den historischen Kern der Anlage bilden.
Geschichte
Das Kiewer Höhlenkloster ist eines der ältesten orthodoxen Klöster der Kiewer Rus. Die nachweislich ältesten Erwähnungen der Höhlen finden sich in der bedeutenden Chronik der vergangenen Jahre (ukr. Повість временних літ) Nestors (auch „Nestorchronik“ genannt, Anfang 12. Jahrhundert) sowie im Paterikon des Höhlenklosters.
Den Aufzeichnungen nach ließ sich der Einsiedler Antonius von Kiew (Antonij) aus Ljubetsch 1013 am Ufer des Dnepr in den Waräger-Höhlen nieder. Zusammen mit dem Mönch Theodosius von Kiew (Feodosij), der 1062 Vorsteher der Asketengemeinschaft wurde, gründete er 1051 ein orthodoxes Kloster. Im ausgehenden 11. Jahrhundert erfolgte der erste Bau der Maria-Himmelfahrt-Kathedrale (ukr. Успенський собор). In den folgenden Jahrhunderten entwickelte sich der gesamte Klosterbereich zum führenden Kloster in der Kiewer Rus. Diese Tradition wurde auch nicht durch die Mongolenherrschaft von 1240 bis 1480 unterbrochen, obwohl Kiew in dieser Zeit seine Bedeutung als wichtige Handelsstadt mit Konstantinopel einbüßte. 1688 wurde dem Höhlenkloster der Ehrentitel einer „Lawra“ verliehen. Diese hohe Auszeichnung erhielten nur wenige bedeutende Klöster im orthodoxen Russland.
Die heutigen Kirchen- und Klosterbauten sind durch den ukrainischen Barock ab dem 18. Jahrhundert geprägt. Wichtige Bauten seit dieser Zeit sind die Maria-Himmelfahrt-Kathedrale, die Dreifaltigkeitstorkirche, die Allerheiligenkirche, die Kreuzerhöhungskirche und die Gottesmutter-Geburtskirche. Der Bau des großen Glockenturms erfolgte ab 1731. Als letzter großer Kirchenbau entstand 1893–95 die Refektoriumskirche.
Nach der Russischen Revolution und den Wirren des Bürgerkriegs wurde das Höhlenkloster unter der jungen Sowjetmacht 1926 in ein staatliches Museumsreservat umgewandelt. Die Höhlen wurden 1929 geschlossen. Am Ende der Schlacht um Kiew im September 1941 wurde am 3. November 1941[1] die Maria-Himmelfahrt-Kathedrale (Uspenski-Kathedrale) von den deutschen Besatzern gesprengt. Reichskommissar der Ukraine Erich Koch gab als Grund an, dass unterworfene Völker keine identitätsstiftenden Kultstätten haben sollten, die ihre Unabhängigkeitsbestrebungen stärken.
1988, als in der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow mit Glasnost und Perestroika eine Neuorientierung begonnen hatte, wurde das Mönchsleben im Höhlenkloster wiederbelebt. Seit dem Zerfall der Sowjetunion und der ukrainischen Unabhängigkeit erhielt die orthodoxe Kirche den unteren Klosterbereich zurück. Hier siedeln auch wieder Mönche in den traditionellen Höhlen. Die Maria-Himmelfahrt-Kathedrale wurde von 1998 bis 2000 wiederaufgebaut.
Nach der Verhängung des partiellen Kriegsrechts im November 2018 wurden gegen den Klostervorsteher, Metropolit Pawlo/Pawel, Ermittlungen wegen Aufwiegelung zu religiösem Hass eingeleitet und der Inlandsgeheimdienst SBU durchsuchte seine Wohnung.[2]
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie in der Ukraine erkrankten viele Bewohner des Höhlenklosters an Covid-19. Metropolit Pawlo weigerte sich, eine Quarantäne über das Kloster zu verhängen, bis er sich selbst infizierte und eine stationäre Behandlung benötigte.[3]
Höhlen
Das Kloster erhielt seinen Namen von ausgedehnten künstlich geschaffenen Höhlen, die seit der Gründungszeit als Einsiedeleien der Mönche dienten. Hier in größter Abgeschiedenheit von der Welt versuchten (und versuchen wieder) Mönche sich durch Gebet Gott zu nähern. Die langen Höhlengänge umfassen in gewissen Abständen kleinste Mönchszellen und unterirdische Kirchen. Die Höhlen wurden aber auch als Bestattungsort verstorbener Mönche genutzt. Entlang aller Gänge stehen in Nischen die Särge vieler Mönche, deren Körper sich in den Särgen im Laufe der Jahrhunderte mumifizierten. Auch der berühmte Chronist Nestor ist in den Höhlen bestattet.
Das Höhlensystem, das heute teilweise für Touristen zugänglich ist, wird in zwei Bereiche unterteilt: die nahen und die fernen Höhlen, die beide von der unteren Lawra zugänglich sind.
Bedeutung
Das Höhlenkloster ist eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten Kiews. Der hohe Stellenwert wird auch dadurch untermauert, dass der Klosterkomplex seit 1990 zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt. Mehr als eine Million Touristen besuchen jährlich die ausgedehnten Anlagen und ihre Museen. Das wichtigste Museum ist das „Museum der historischen Kostbarkeiten der Ukraine“. Hier wird Kunsthandwerk aus dem Gebiet der heutigen Ukraine ausgestellt. Im Mittelpunkt stehen wertvollste Goldarbeiten aus der Zeit der Skyten, u. a. ein goldenes „Pektoral“ (Brustschmuck) aus dem 4. Jh. v. Chr., sowie aus den Zeiten der Kiewer Rus und der Kosaken. Weitere Museen sind das „Museum der ukrainischen Volkskunst“ und eine Ausstellung von Miniaturkunstwerken, die unter Lupen und Mikroskopen zu betrachten sind.
In der Kunst
Das Gedicht „Weißt du von jenen Heiligen“[4] von Rainer Maria Rilke bezieht sich auf die Mönche des Höhlenklosters.[5]
Archimandriten (Auswahl)
- Nikephoros Tur (1593–1599)
- Zacharias Kopystenski (1627–1627)
- Innozenz Giesel (1656–1683)
Siehe auch
Literatur
- Bischof Silvester (Stojtschew): Das Kiewer Höhlenkloster in Geschichte und Gegenwart. In: Ost-West. Europäische Perspektiven, Jg. 2020, Heft 1: Klöster in Mittel- und Osteuropa. S. 17–25.
Weblinks
Einzelnachweise
- Zitiert nach Helmut Krausnick und Hans-Heinrich Wilhelm: Die Truppen des Weltanschauungskrieges. Die Einsatzgruppen der S8icherheitspolizei und des SD 1938–1942. = Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 22. Stuttgart 1981, S. 5545.
- reuters.com 30. November 2018: Ukraine's security service raids home of Russian-backed monastery head
- FAZ.net 12. Mai 2020: Ist Gott der Chefarzt?
- Rilke: Weißt du von jenen Heiligen, Textwiedergabe
- Adrianna Hlukhovich, Wie ein dunkler Sprung durch eine helle Tasse. Rainer Maria Rilkes Poetik des Blinden S. 37, Fn. 18 – online: