Keupstraße
Die Keupstraße ist eine Geschäftsstraße in Kölns rechtsrheinischem Stadtteil Mülheim. Sie ist überregional als ein Zentrum des Geschäftslebens von Türkeistämmigen bekannt[1] und gilt als typisches Beispiel einer Geschäftsstraße eines Einwandererviertels; manche Beobachter kritisieren sie auch als ein Sinnbild innerstädtischer sozialer Segregation. Vergleichbare Anziehungspunkte sind die Weidengasse am Kölner Eigelstein und der Wochenmarkt auf dem Wilhelmplatz im Kölner Stadtteil Nippes. Ein Anziehungspunkt ist die Keupstraße heute auch für die Mitarbeiter und Besucher des angrenzenden Schanzenviertels, eines Industrieviertels des 19. Jahrhunderts, das mittlerweile mehrere kulturelle Einrichtungen (Kölner Schauspiel, E-Werk u. a.) sowie junge Unternehmen, u. a. der Medienbranche, beherbergt.[2]
Lage
Die Keupstraße beginnt am Zusammentreffen der Dünnwalder Straße mit der Mülheimer Freiheit und verläuft in einem Bogen zur Bergisch Gladbacher Straße in unmittelbarer Nähe zum Wiener Platz. Sie hat eine Länge von etwa 800 Meter.
Geschichte
Die Straße, die anfangs den Namen Wolfstraße trug, ist im Rahmen der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts in der damals noch selbstständigen Stadt Mülheim am Rhein entstanden. Der heutige Straßenname erinnert an die Witwe des Mülheimer Getreidehändlers Kaspar Keup, Maria Sybilla Petronella Keup, die das Kapital für das 1857 hier gegründete Dreikönigen-Hospital stiftete.[3] Das Krankenhaus war bis 1975 in Betrieb; heute steht an seiner Stelle (Nr. 2a/4) ein Altenheim des Arbeiter-Samariter-Bunds. Schon während der Industrialisierung wurden viele ausländische Arbeitskräfte angeworben. Dies setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg fort, als in Deutschland Arbeitskräfte knapp waren. So zogen in den 1950er und 1960er Jahren erneut Arbeitsmigranten in die Keupstraße. Die damaligen Kabelwerke Felten & Guilleaume in der benachbarten Schanzenstraße beschäftigten in diesen Jahrzehnten eine große Zahl ausländische Arbeitskräfte. Die vorwiegend türkischen Arbeiter suchten preiswerten Wohnraum und fanden ihn in den sanierungsbedürftigen und teilweise heruntergekommenen Mietshäusern in der Nähe ihres Arbeitsplatzes.
In den beiden darauf folgenden Jahrzehnten war die Straße einer der wichtigsten Drogenumschlagplätze Kölns und verwandelte sich in einen sozialen Brennpunkt. Durch die konsequente Präventionsarbeit der Polizei konnte die Drogenszene aus dem Viertel verdrängt werden. In denselben Jahren haben türkische Migranten, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagten, nach und nach leerstehende Ladenlokale angemietet. Seither hat die Straße sich zu einem türkischen Handels- und Dienstleistungszentrum entwickelt, dessen Anziehungskraft weit über die Stadtgrenzen hinausgeht.
Heutiges Erscheinungsbild
Die Straße wird zumeist von viergeschossigen Wohn- und Geschäftshäusern aus der Gründerzeit, dem frühen 20. Jahrhundert und Zweckarchitektur der Nachkriegszeit gesäumt. Ein Teilstück der überwiegend türkisch geprägten Straße liegt direkt an der Werksmauer des angrenzenden Industriegeländes. Die Erdgeschosse der Häuser werden von mehrheitlich türkeistämmigen Kaufleuten, viele hiervon Kurden, als Ladenlokale genutzt. Hier wechseln sich die Geschäfte der unterschiedlichsten Branchen ab. In den Obergeschossen leben überwiegend Migrantenfamilien türkischer Herkunft. Einige Gebäude verfügen über eine Durchfahrt zu den Hinterhöfen. Dort befinden sich Hinterhäuser mit Wohnungen, weitere Gewerbebetriebe sowie zwei Moscheevereine. Die Geschäftsfassaden sind teilweise im ursprünglichen Zustand erhalten geblieben, einige wurden modern gestaltet, andere wiederum mit orientalischen Ornamenten verziert.
Der Kern des Geschäftsbereichs der Straße darf nur in eine Fahrtrichtung befahren werden. Durch spezielle Aufpflasterungen wird die Geschwindigkeit des fließenden Verkehrs in der tagsüber und bis in die späten Abendstunden belebten Einkaufsstraße beschränkt. Entlang der Fahrbahn befinden sich auf beiden Seiten Parkbuchten. Diese reichen jedoch nicht für alle Anwohner und Geschäftskunden aus, sodass häufig in zweiter Reihe geparkt wird und der Straßenverkehr zeitweise zum Erliegen kommt.
Eine sechsspurig ausgebaute Hauptverkehrsader durchschneidet die Keupstraße und grenzt den näher zum Rhein gelegenen Fortlauf vom geschäftigen Teil der Straße ab. Direkt daneben befindet sich die gleichnamige Haltestelle der Kölner Stadtbahn. Dieser kürzere Abschnitt dient vornehmlich als Wohngebiet. Hier wurde auch ein Kinderspielplatz angelegt. Die ersten Meter des Straßenzuges sind als Platzfläche gestaltet und verkehrsberuhigt. Hier wurde vor einigen Jahren das Norbert-Burger-Seniorenheim errichtet. An der Stelle befand sich früher das Dreikönigen-Hospital. Einige Sitzbänke und der gegenüber in jüngster Zeit erbaute Dreikönigenbrunnen sollen bei schönem Wetter zum Verweilen einladen.
Infrastruktur
Die Keupstraße ist bekannt als eine Einkaufsstraße mit exotischem Flair. Die bestehende Infrastruktur aus Einzelhandel, Dienstleistungen und Gastronomie ist auf den Bedarf und die Nachfrage türkischstämmiger Landsleute abgestimmt und wird von dieser Kundschaft gerne angenommen, zugleich aber auch von vielen deutschstämmigen Kölnern und vereinzelt von Touristen, die die multikulturellen Seiten Kölns kennenlernen wollen, aufgesucht. Das Angebot setzt sich in der südlich angrenzenden Bergisch-Gladbacher Straße über eine Reihe von Häusern weiter fort und wird so von insgesamt rund 100 Händlern und Dienstleistern abgedeckt. So können Artikel des täglichen Bedarfs eines Haushaltes, viele Gebrauchsartikel und andere Dienste erworben werden, ohne eine andere Einkaufslage aufsuchen zu müssen. In letzter Zeit ist eine starke Zunahme von Restaurants und Hochzeitsdienstleistungen zu beobachten. Besonders für türkische Hochzeitsgesellschaften hat sich die Keupstraße zu einem Anziehungspunkt entwickelt und gilt als die türkische Hochzeitsmeile Kölns.[4] Hier finden Hochzeitspaare Fachgeschäfte für Schmuck, Einladungskarten, Hochzeitsgeschenke, Dekoration und Brautmode.[5] Die Zahl der kleinen Lebensmittelgeschäfte, die lange das Bild dominierten, ist aufgrund der Konzentration im Lebensmittelhandel zugunsten von orientalischen Supermärkten zurückgegangen.
Einzelhandel
Der Einzelhandel ist mit Lebensmittelmärkten, Obst- und Gemüseläden, Bäckereien und Konditoreien vertreten. In dem lebhaften Straßenzug haben sich gleich fünf Juweliere und mehrere Läden mit Haushaltsgeräten, Haushaltsartikeln sowie Dekorations- und Geschenkbedarf niedergelassen. Ein Geschäft hat sich ausschließlich auf den Verkauf von Geschenk- und Zierkarten spezialisiert. Die Bekleidungsbranche ist mit mehreren Boutiquen vertreten. Hier sind Textilien, Schuhe und Accessoires im Angebot. Den gehobenen Bedarf deckt ein Modegeschäft für Abend- und Festgarderobe ab. In der Straße sind auch Läden für Elektronik und Telefonzubehör anzutreffen. Daneben gibt es noch ein Geschäft für türkische Tonträger, eine Buchhandlung wie auch einige Kioske. Hin und wieder wird das Angebot durch Kleinhändler ergänzt, die aus einem Verkaufswagen Frischwaren zum Kauf anbieten. Bäckereien, Kioske und Gastronomie haben auch an Sonntagen geöffnet.
Dienstleistungen und Gastronomie
Das Dienstleistungsgewerbe ist mit einer Fahrschule, Immobilienagentur, Reisebüros, einer Änderungsschneiderei, einem Fotoatelier und mehreren Friseursalons vertreten – türkische Bankfilialen oder Arztpraxen fehlen hingegen. Daneben gibt es noch eine Anwaltskanzlei. Eine Vielzahl an Imbissstuben, Teestuben, Kneipen und Restaurants rundet das Bild in der Gastronomie ab. Die Restaurants sind meistens traditionell eingerichtet, verfügen über ein orientalisches Ambiente und werden auch von Deutschen und Gästen anderer Nationalitäten häufig besucht.
Bombenanschlag
Die Keupstraße geriet bundesweit in die Schlagzeilen, als sie am 9. Juni 2004 durch einen Nagelbombenanschlag erschüttert wurde. 22 Menschen wurden verletzt, vier von ihnen schwer. An mehreren Ladenlokalen entstanden erhebliche Sachschäden. Ein Friseursalon wurde durch die Wucht der Detonation völlig verwüstet. Zahlreiche geparkte Autos wurden durch die Explosion und die umherfliegenden Nägel beschädigt.
Über den Täter, das Motiv und weitere Hintergründe herrschte über Jahre Unklarheit. Ein terroristischer Akt wurde zunächst ausgeschlossen. Spekulationen gingen sowohl von einem fremdenfeindlichen Hintergrund wie auch von Streitigkeiten zwischen türkischen Geschäftsleuten aus. Andere Mutmaßungen brachten den Sprengstoffanschlag mit dem Kurdenkonflikt in der Türkei in Verbindung. Nach der Selbstenttarnung im November 2011 stellte sich heraus, dass die Tat der rechtsterroristischen Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund zuzuschreiben ist.[6]
Einen Monat nach dem Anschlag suchte der damalige Kölner Regierungspräsident spätere Oberbürgermeister Jürgen Roters den Tatort auf. Seinen Rundgang startete er bei dem Friseur, dessen Geschäft durch die Nagelbombe zerstört wurde. Roters zum Inhaber: „Bei mir wird’s ja langsam wieder Zeit. Rufen Sie mich an, dann bin ich Ihr erster Kunde.“[7] Er hielt Wort und ließ sich bei der Wiedereröffnung des Salons die Haare schneiden.[8]
Eine Kampagne des Bundesinnenministeriums sorgte im Sommer 2012 für Unmut. In der Keupstraße wurden kartonweise Flugblätter gegen Islamismus verteilt. Muslimische Verbände wie auch Kölner Kommunalpolitiker empfanden es als unsensibel, dass diese Kampagne ausgerechnet in der Keupstraße begann, wo das Attentat lange Zeit irrtümlich islamistischen Tätern zugeschrieben worden war.[9]
Vom 7. bis 9. Juni 2014 fand die Großkundgebung „Birlikte – Zusammenstehen“ anlässlich des 10. Jahrestages des Attentats statt. Ein Open-Air-Straßenkulturfest setzte künstlerische und musikalische Zeichen gegen den Anschlag, Rassismus und rechtsextremistische Gesinnung. Neben Oberbürgermeister Roters und der Vorsitzenden der Interessengemeinschaft Keupstraße e.V., Meral Sahin, beteiligten sich die Musiker Wolfgang Niedecken, Peter Maffay und Udo Lindenberg mit einem Open-Air-Konzert. Das Schauspiel Köln beteiligte sich mit dem Theaterstück „Die Lücke“ unter der Regie von Nuran David Calis, das die Ermittlungen nach dem Anschlag aus Sicht der Anwohner schildert. Auf der Abschlusskundgebung sprach Bundespräsident Joachim Gauck.[10]
Eko Fresh rappte über den Anschlag in seinem Lied „Es brennt“, der Dokumentarfilm Der Kuaför aus der Keupstraße von Andreas Maus (2016) ließ Opfer und Anwohner zu Wort kommen. Die Initiative Keupstraße ist überall wurde gegründet, die sich gesellschaftlich gegen Rassismus engagiert.
Sonstiges
Hin und wieder dient die Straße als Kulisse für Filmaufnahmen. Im Januar 2007 wurde im WDR Fernsehen die Dokumentarfilmreihe Die Özdags über den Alltag einer türkischstämmigen Großfamilie ausgestrahlt, die hier eine Konditorei betreibt.
Im August 2011 wurde dort ein YouTube-Video des deutschsprachigen Rappers Eko Fresh gedreht, das vom Label Aggro.tv als Teil der Staffel „Halt die Fresse“ im Internet verbreitet wird.
Die Geschäftsleute und Anwohner der Keupstraße werben mit einem Youtube-Video mit dem Titel Die Keupstraße lebt für einen Besuch und Einkaufsbummel auf ihrer Straße. Darin präsentieren sie sich nicht in einer Opfer-Rolle, sondern als Gastgeber mit Charme und Humor. Regie führte der Journalist und Filmemacher Jürgen Kura.[11]
1980 wurde ein Essay von Achim Dümmler (Psychologe) und Ludger Reiberg (Germanist und Wirtschaftsgeograph, heute Studiendirektor im Schulamt der Stadt Köln) im Sammelband zu einem Kölner Literaturwettbewerb Beispielsweise Köln (Lamuv Verlag) veröffentlicht mit dem Titel Die Keupstraße in Köln Mülheim, ihre Geschichte, ihr Wandel und ihre Wirkung auf die Bewohner.
Quellen und Einzelnachweise
- Volkan Ağar: Die Kölner Keupstraße: Türkischer Mikrokosmos. In: Die Tageszeitung: taz. 31. Juli 2016, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 16. Januar 2022]).
- https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/neugier-genuegt/redezeit-oezlem-yagmur-polizistin-auf-der-koelner-keupstrasse-100.html
- Ulrich S. Soenius, Jürgen Wilhelm (Hrsg.): Kölner Personen-Lexikon. Greven, Köln 2007, S. 279
- Helmut Frangenberg: Keupstrasse: Tradition und Aufbruch. In: Kölner Stadt-Anzeiger. (ksta.de [abgerufen am 28. Juni 2017]).
- Liste türkischer Hochzeitsdienstleister auf der Keupstraße. In: gelinim.de (Hrsg.): Düğün hazırlıkları burada başlar. | gelinim.de. (gelinim.de [abgerufen am 28. Juni 2017]).
- Tanjev Schultz: NSU. Der Terror von rechts und das Versagen des Staates. Droemer Knaur, München 2018, Kapitel 5, S. 226–244, 257–263.
- Roters sichert Anwohnern finanzielle Hilfe zu. In: Kölner Stadtanzeiger, 15. Juli 2004.
- Erinnerung an Kölner Anschlag wird wach (Memento vom 5. Oktober 2012 im Internet Archive). In: WDR.de, 12. Oktober 2011.
- Kampagne gegen Islamismus startet am NSU-Tatort. In: Welt Online, 26. September 2012.
- Andrea Grunau: Fest gegen das Vergessen zehn Jahre nach dem Anschlag in der Keupstraße. In: Deutsche Welle, 9. Juni 2014.
- Youtube-Video Die Keupstraße lebt