Jurij Klen
Jurij Klen (ukrainisch Юрій Клен; * 22. Septemberjul. / 4. Oktober 1891greg. in Serbyniwka, Gouvernement Wolhynien, Russisches Kaiserreich; † 30. Oktober 1947 in Augsburg, Deutschland) war das Pseudonym des ukrainisch-deutschen Schriftstellers, Übersetzers, Literaturwissenschaftlers und Herausgebers Oswald-Eckhart Burghardt (Освальд Федорович Бурґгардт), der Werke auf Russisch, Deutsch und Ukrainisch verfasste.
Leben
Oswald Burghardt kam 1891 als Sohn des preußischen Kaufmannes Friedrich Burghardt und der Baltendeutschen Simone Thiel im wolhynischen Dorf Serbyniwka bei Starokostjantyniw in der heutigen ukrainischen Oblast Chmelnyzkyj zur Welt. Er hatte eine jüngere Schwester namens Josefine. Seine Kindheit und Schulzeit verbrachte er vor allem im Gouvernement Podolien und in Wolhynien. Er wuchs mit vier Sprachen auf: in der Familie sprach man Deutsch, in der Schule Russisch, die Landbevölkerung sprach Ukrainisch und die Gutsherren Polnisch. 1912 starb sein Vater, wodurch die Familie in finanzielle Bedrängnis geriet. Nach seinem Abschluss am Kiewer Gymnasium begann er ein Studium der Germanistik und Slawistik an der Wladimir-Universität Kiew. Während des Ersten Weltkriegs musste er als Sohn deutscher Kolonisten in ein Dorf im Gouvernement Archangelsk ins Exil.
Nach der Oktoberrevolution kehrte er nach Kiew zurück, beendete sein Studium und unterrichtete ab 1920 am sozial-ökonomischen Technikum in Baryschiwka. Dort frischte er seine Freundschaft mit Mykola Serow auf und begann Gedichte in ukrainischer Sprache zu schreiben, die ab 1924 veröffentlicht wurden. Daneben übersetzte er deutsche, französische und englische Poesie ins ukrainische. Infolge des Friedens von Brest-Litowsk 1918 wurde die Ukraine kurzzeitig souverän, was zu einer Blütezeit ukrainischer Nationalkultur führte, an der auch Burghardt sich beteiligte. In dieser Zeit war er, neben Mykola Serow, Pawlo Fylypowytsch, Mychajlo Draj-Chmara und Maksym Rylskyj Mitglied der Gruppe der „ukrainischen Neoklassiker“ (ukrainisch Неокла́сики).
Aufgrund seiner Beteiligung an der „Ukrainischen Renaissance“ wurde er im Zuge einer Verhaftungswelle 1921 durch die Bolschewiki, die gegen „Konterrevolutionäre“ vorgehen wollten, für einen Monat inhaftiert. Nach seiner Freilassung lehrte er an der All-Ukrainischen Akademie der Wissenschaften in Kiew vor allem Deutsch. 1930 wurde er Professor für Übersetzungskunst am Linguistischen Institut in Kiew und begann wieder, Deutschland zu bereisen.
Der wachsende Druck des Sowjetregimes auf Kritiker veranlasste Burghardt 1931 die Ukraine zu verlassen und nach Deutschland zu emigrieren. Die ersten drei Jahre in Deutschland verbrachte er mit seiner Familie bei Verwandten im Schwarzwald und in München. Er arbeitete eng mit Dichtern wie u. a. Dmytro Donzow zusammen und verdiente sein Geld mit gelegentlichen Aufträgen von deutschen und ukrainischen Zeitschriften und als Privatlehrer. 1934 erhielt er, durch Unterstützung von Dmitrij Tschižewskij, eine Lektorenstelle am Slawischen Seminar der Universität Münster für Russisch und Ukrainisch. Ab 1939 wurde er von der Wehrmacht als Sprachlehrer und Übersetzer an der Ostfront eingesetzt, von wo er 1942 zurückkehrte. Ein Jahr darauf folgte er dem Ruf der Karl-Ferdinands-Universität in Prag, wo er erst Russisch unterrichtete und später Honorarprofessor wurde. Gleichzeitig gab er Unterricht an der Ukrainisch-Freien-Universität in Prag. Nachdem das Hitlerregime zerschlagen wurde, wurde auch die Karls-Universität aufgelöst und Burghardt floh nach Tirol, wo er in Innsbruck einen befristeten Lehrauftrag erhielt. Von Österreich aus reiste er oft nach Deutschland und hielt Vorträge oder veranstaltete Lesungen. Nach einer Lesung in Augsburg am 25. Oktober 1947 erkrankte er an einer Lungenentzündung, der er nur sechs Tage später am 31. Oktober 1947 erlag.[1][2]
Schaffen
Kurz nach dem Tod seines Vaters entstanden 1913 Burghardts erste bekannte Gedichte, die er auf Russisch verfasste. Zwei Jahre später erschien – schon während seiner Verbannung – die erste wissenschaftliche Arbeit in Kiew. In den 1920er Jahren erschienen von ihm vor allem Übersetzungen; eine der bekanntesten ist die der „Eisernen Sonetten“ des deutschen Schriftstellers Josef Winckler. Außerdem publizierte er literaturwissenschaftliche Artikel und schrieb nach wie vor Gedichte in russischer Sprache. Nach seiner Emigration nach Deutschland begann er, künstlerische Werke auch auf Ukrainisch zu verfassen. Ab dem Jahr 1933 verwendete er das Pseudonym Jurij Klen, weitere von ihm verwendete Pseudonyme waren Porfyrij Horotak und Hordij Javir. 1941 erschien seine Doktorarbeit mit dem Titel „Die Leitmotive bei Leonid Andreev“, die er auf Deutsch verfasste. Während er in Tirol lebte und arbeitete, gab er kurzzeitig die Zeitschrift „Litavry“ (dt.: Die Kesselpauke) heraus, die in Salzburg erschien. Daneben beteiligte er sich außerdem an der Arbeit vieler anderer Zeitschriften. In Tirol – vermutlich während der letzten zwei Jahre seines Lebens – entstand auch der Großteil seines Hauptwerkes „Popil imperij“ (dt.: Die Asche der Imperien) sowie kurze Prosaerzählungen. Im Jahr seines Todes wurden seine Memoiren in München veröffentlicht.[3]
Seine gemeinsam mit Leonid Mossends (Леонід Мосендз 1897–1948) geschriebenen literarische Parodien wurden 1947 unter dem gemeinsamen Pseudonym Porfyrii Horotak veröffentlicht. Seine Übersetzungen von William Shakespeares Hamlet und Tempest erschienen, zusammen mit den meisten seiner anderen ukrainischen Werke, posthum.[2]
Werke (Auswahl)
Skovoroda
„Skovoroda“ ist das erste Sonett, das Burghardt in der ukrainischen Sprache verfasste und veröffentlichte. Es entstand 1928, also noch vor Burghardts Emigration. Der Titel bezieht sich auf den ukrainischen Wanderphilosophen und Dichter Hryhorij Skoworoda, dessen Philosophie Burghardt bewunderte. Das Gedicht behandelt das Wandern und die damit einhergehende Naturverbundenheit und weist in der letzten Strophe darauf hin, dass dies der einzige Weg des Erkennens der Welt und der eigenen Seele sein könnte.
Kortes
„Kortes“ (dt.: Cortés) ist ein Bisonett und war das erste ukrainische Gedicht, das Burghardt in der Emigration unter dem Pseudonym Jurij Klen veröffentlichte. Es entstand 1933 und erschien erstmals in der Zeitschrift „Vistnyk“ (dt.: Bote) in Lemberg. Mit dem Titel ist der spanische Konquistador Hernán Cortés gemeint, der im 16. Jahrhundert das Aztekenreich eroberte. Dieses Ereignis wird auch im Gedicht thematisiert, wobei Cortés eindeutig verurteilt wird. Man kann hier eine Parallele ziehen vom eroberten Aztekenreich zur Ukraine und von den erobernden Spaniern zur Sowjetunion, womit das Gedicht eine Kritik am Sowjetregime und an Kolonialpolitik im Allgemeinen darstellt.
Popil imperij
„Popil imperij“ (dt.: Die Asche der Imperien) gilt als zentrales Werk Burghardts; zum Einen, weil es das längste und zum Anderen, weil es das Meistbeachtete ist. „Popil imperij“ ist ein episches Gedicht, auch Epopöe genannt. Das Ziel Burghardts war, ein ukrainisches Nationalepos zu schaffen, wobei unklar bleibt, ob er dies nach eigener Meinung erreicht hat (unter anderem auch, weil er vor der Vollendung des Werks starb). Dies ist auch ein wichtiger Grund dafür, dass er „Popil imperij“ auf Ukrainisch verfasste; sowohl auf deutscher wie auch auf russischer Sprache existierten bereits Nationalepen (das Nibelungenlied und das Igorlied). Burghardt bezieht sich hier sehr oft auf andere Schriftsteller, Dichter und Philosophen, insbesondere auf Dante und seine „Göttliche Komödie“. Außerdem werden viele spezielle Andeutungen gemacht, die es erschweren, ein vollständiges Verständnis zu erlangen. In Interpretationen ist man sich jedoch einig darüber, dass Burghardt mit seinem Hauptwerk die zwei Diktaturen, in denen er lebte, stark kritisiert und ein Manifest des Humanismus geschaffen hat.[4]
Werke (unvollständige Liste)
- Die verfluchten Jahre (ukr.: Проклятi року; 1943), Gedichtband[5]
- Karavellen (ukr.: Каравели; 1943), Gedichtband[6]
- Werke (ukr.: Твори; Bd. 1–4, 1957–1992), Gedichtband[7]
- Auswahl (ukr.: Вибране; 1960), Gedichtband[8]
- Skoworoda (ukr.: Сковорода, 1928), Sonett[9]
- Cortés (ukr.: Кортес; 1933), Bisonett[10]
- Die Asche der Imperien (ukr.: Попiл iмперiй; einzige vollständige Ausgabe im 2. Band der Werke 1957), Epopöe[11]
- Die Leitmotive bei Leonid Andreev (1941), Doktorarbeit
Literatur
- Jutta Lindekugel: Vielfalt der Dichtarten im Werk von Oswald Burghardt (Jurij Klen), Kassel University Press, Kassel, 2003
- Josefine Burghardt: Oswald Burghardt. Leben und Werke, Verlag Ukraine, München, 1962
Weblinks
- Biographie Oswald-Eckhart Burghardt in Reisen Kiew (deutsch)
- Artikel zu Oswald-Eckhart Burghardt in der Enzyklopädie der modernen Ukraine (ukrainisch)
- Artikel zu Leben und Werk von Jurij Klen (ukrainisch)
Einzelnachweise
- Jutta Lindekugel: Vielfalt der Dichtarten im Werk von Oswald Burghardt (Jurij Klen), Kassel University Press, Kassel, 2003, S. 28–37
- Artikel zu Klen, Yurii in der Encyclopedia of Ukraine; abgerufen am 7. Juli 2016 (englisch)
- Jutta Lindekugel: Vielfalt der Dichtarten im Werk von Oswald Burghardt (Jurij Klen), Kassel University Press, Kassel, 2003, S. 28–37
- Jutta Lindekugel: Vielfalt der Dichtarten im Werk von Oswald Burghardt (Jurij Klen), Kassel University Press, Kassel, 2003, S. 280–296
- Jutta Lindekugel: Vielfalt der Dichtarten im Werk von Oswald Burghardt (Jurij Klen), Kassel University Press, Kassel, 2003, S. 517
- Jutta Lindekugel: Vielfalt der Dichtarten im Werk von Oswald Burghardt (Jurij Klen), Kassel University Press, Kassel, 2003, S. 517
- Jutta Lindekugel: Vielfalt der Dichtarten im Werk von Oswald Burghardt (Jurij Klen), Kassel University Press, Kassel, 2003, S. 517
- Jutta Lindekugel: Vielfalt der Dichtarten im Werk von Oswald Burghardt (Jurij Klen), Kassel University Press, Kassel, 2003, S. 517
- Jutta Lindekugel: Vielfalt der Dichtarten im Werk von Oswald Burghardt (Jurij Klen), Kassel University Press, Kassel, 2003, S. 517
- Jutta Lindekugel: Vielfalt der Dichtarten im Werk von Oswald Burghardt (Jurij Klen), Kassel University Press, Kassel, 2003, S. 517
- Jutta Lindekugel: Vielfalt der Dichtarten im Werk von Oswald Burghardt (Jurij Klen), Kassel University Press, Kassel, 2003, S. 517