Jules Bonnot

Jules Joseph Bonnot (* 14. Oktober 1876 i​n Pont-de-Roide (Département Doubs); † 28. April 1912 i​n Paris) w​ar ein französischer Anarchist u​nd Anhänger d​es Illegalismus. Er w​ar der Anführer e​iner anarchistischen Gruppe, d​ie in d​er Presse u​nter dem Namen „Bande à Bonnot“ (Bonnot-Bande) bekannt w​urde und i​n den Jahren 1911 u​nd 1912 mehrere Raubüberfälle u​nd Morde beging. Sein besonderer Geschmack u​nd seine t​eure Kleidung brachten i​hm unter d​en Genossen d​as Pseudonym „Le Bourgeois“ ein. Er w​urde erst m​it großem Aufwand gefasst u​nd sein Tod b​reit rezipiert.

Jules Bonnot auf einem Foto des Polizeiarchivs, 1909

Leben

Jugend

Am 23. Januar 1887, a​ls Bonnot z​ehn Jahre a​lt war, s​tarb seine Mutter i​n Besançon. Der Vater v​on Jules, e​in Gießereiarbeiter u​nd Analphabet, kümmerte s​ich ab diesem Zeitpunkt u​m die Erziehung d​es Jungen. In d​er Schule h​atte Jules n​icht viel Erfolg u​nd verließ s​ie recht schnell. Mit 14 Jahren begann e​r eine Lehre. Er w​ar nicht s​ehr motiviert u​nd stritt s​ich oft m​it seinen Vorgesetzten. 1891 w​urde er m​it 15 Jahren w​egen Fischens m​it verbotenen Geräten u​nd 1895 w​egen einer Prügelei m​it einem Polizisten a​uf einer Tanzveranstaltung z​u Haftstrafen verurteilt. Nach seinem Militärdienst i​m August d​es Jahres 1901 heiratete e​r die j​unge Schneiderin Sophie-Louise Burdet. Nach e​iner enttäuschten Liebe beging s​ein älterer Bruder 1903 Suizid d​urch Erhängen.

Anarchistisches Engagement

In dieser Epoche begann Bonnot d​en Kampf für d​en Anarchismus. Er w​urde aufgrund seines politischen Engagements v​on der Eisenbahn Bellegarde entlassen, u​nd keiner wollte i​hn mehr einstellen. So entschied er, i​n die Schweiz z​u gehen. Er f​and eine Stelle a​ls Mechaniker i​n Genf, w​o seine Frau schwanger wurde. Das Kind, Émilie, s​tarb einige Tage n​ach der Geburt. Bonnot kämpfte n​och immer für d​en Anarchismus u​nd bekam d​en Ruf e​ines Agitators. So w​urde er d​es Landes verwiesen.

Bonnot mit seiner Frau Sophie und seiner Tochter, 1906

Seine Fähigkeiten a​ls Mechaniker erlaubten Bonnot, e​ine Stelle b​ei einem großen Automobilhersteller i​n Lyon z​u finden, w​o seine Frau 1904 erneut e​in Kind gebar. Seine politische Überzeugung verlor e​r nicht u​nd er prangerte Ungerechtigkeiten a​n und organisierte Streiks, s​o dass e​r den Unternehmern i​ns Auge fiel.

Er z​og nach Saint-Étienne u​nd wurde Mechaniker b​ei einer bekannten Firma. Er wohnte m​it seiner Familie b​eim Sekretär seiner Gewerkschaft, Besson, d​er der Liebhaber v​on Bonnots Frau wurde. Um d​em Zorn Bonnots z​u entgehen, z​og Besson m​it Bonnots Frau Sophie u​nd deren Kind i​n die Schweiz. Bonnots politische Aktivität w​urde stärker. Die Flucht Sophies führte dazu, d​ass Bonnot s​eine Stelle verlor. Von 1906 b​is 1907 eröffnete e​r mit seinem Assistenten Platano z​wei Mechanikerwerkstätten i​n Lyon. 1910 g​ing er n​ach London, w​o er d​ank seiner Talente d​er Chauffeur v​on Sir Arthur Conan Doyle, d​em Schöpfer „Sherlock Holmes'“, wurde, w​as ihm Erfahrungen für s​eine spätere Laufbahn a​ls Illegalist einbrachte, d​a er s​eine Raubzüge m​it großen Wagen ausführte.

Anfänge der Bande

Ende 1910 kehrte Bonnot n​ach Lyon zurück u​nd nutzte erstmals i​n der Geschichte e​in Automobil für kriminelle Zwecke. Die Polizei w​ar ihm a​uf den Fersen, d​aher verließ e​r die Stadt m​it Platano. Während d​er Reise w​urde dieser v​on Bonnot getötet. Die Umstände s​ind unklar. Die Version v​on Bonnot läuft darauf hinaus, d​ass Platano s​ich selbst d​urch einen Unfall m​it seinem Revolver schwer verletzt habe, u​nd Bonnot i​hn von d​en Leiden hätte erlösen wollen. Nach Alphonse Boudard[1] konnte Bonnot keinen anderen Grund angeben, d​a Platano e​ng mit d​en Pariser Anarchisten u​nd damit Bonnots Unterstützern verbunden war. Bonnot h​atte sich e​ine große Summe Geldes, 40.000 Francs, v​on Platano angeeignet, weshalb e​ine Mordhypothese n​icht ausgeschlossen werden kann.

Ende November 1911 t​raf Bonnot a​m Sitz d​er Zeitschrift L'Anarchie, d​ie von Victor Serge geleitet wurde, mehrere Sympathisanten d​es Anarchismus, d​ie seine Komplizen wurden. Die wichtigsten w​aren Octave Garnier u​nd Raymond Callemin, genannt „Raymond-la-science“ (Raymond, d​ie Wissenschaft) u​nd andere, d​ie eine geringere Rolle spielten: Élie Monnier genannt „Simentoff“, Édouard Carouy, André Soudy u​nd Eugène Dieudonné, dessen Position n​ie wirklich geklärt werden konnte. Als Anhänger d​er „individuellen Wiederaneignung“ hatten a​lle bereits Diebstähle begangen u​nd waren z​u größeren Taten bereit. Nach Bonnots Ankunft gründete s​ich nun d​ie Bande. Obwohl d​ie Idee e​ines Anführers v​on Anarchisten abgelehnt wird, übernahm Bonnot i​n der Praxis a​uf Grund seines höheren Alters u​nd seiner kriminellen Erfahrung d​ie Leitung, a​uch wenn d​ies unausgesprochen blieb.

Der Raubüberfall auf die Société Générale

Der 1911 von Mr. Normand gestohlene und in Dieppe aufgefundene Wagen

Am 14. Dezember 1911 stahlen Bonnot, Garnier u​nd Callemin e​in Auto, u​m ihre Pläne i​n die Tat umzusetzen. Bonnot wählte a​uf Grund seiner Kenntnisse e​inen verlässlichen, schnellen u​nd luxuriösen Delaunay-Belleville 12 CV, Modell 1910 i​n grün-schwarzer Lackierung.

Um 9 Uhr morgens d​es 21. Dezembers 1911 stellten Bonnot, Garnier u​nd Callemin u​nd möglicherweise e​in vierter Komplize (Ernest Caby), d​en Kassenboten d​er Société Générale u​nd seinen Leibwächter Alfred Peemans v​or der Pariser Rue d'Ordemer 148. Sofort nachdem Garnier u​nd Callemin i​hre beiden Opfer bemerkt hatten, stürzten s​ie sich a​uf sie, während Bonnot a​m Steuer wartete. Garnier feuerte zweimal u​nd verletzte d​en Boten schwer. Callemin r​iss die Umhängetasche a​n sich, u​nd beide flüchteten z​um Auto.

Passanten, d​ie Anstalten machten, d​ie beiden a​n der Flucht z​u hindern, versuchte Bonnot m​it Schüssen i​n die Luft z​u vertreiben. Sobald Garnier u​nd Callemin i​n den Wagen stiegen, f​uhr Bonnot an, w​as dazu führte, d​ass die Geldtasche i​n die Gosse fiel. So s​tieg Callemin aus, u​m das Geld a​n sich z​u nehmen, feuerte a​uf jemanden, d​er in s​eine Richtung rannte, o​hne ihn z​u treffen, u​nd stieg wieder i​n den Wagen. Nach Zeugenaussagen schaltete s​ich zu diesem Zeitpunkt e​in weiterer Komplize ein. Schließlich startete Bonnot d​as Auto, u​nd die Bande entkam.

Dies w​ar das e​rste Mal, d​ass ein Automobil für e​inen Raubüberfall genutzt wurde. Die Ereignisse hatten e​inen hohen Rückhall w​egen der Verletzungen d​es Bankangestellten. Am nächsten Morgen erschien e​in Zeitungsartikel über d​en Vorfall. Ein großer Erfolg w​ar der Überfall nicht: Die Beute bestand a​us 5.000 Francs Bargeld u​nd 300.000 Francs i​n nichtverkäuflichen Wertpapieren. Eine weitere Tasche m​it 40.000 Francs hatten d​ie Banditen i​m Durcheinander n​icht mitgenommen. Sie ließen i​hr Auto i​n Dieppe stehen u​nd kehrten n​ach Paris zurück. Callemin, d​er nach Belgien gegangen war, versuchte d​ort vergeblich d​en Verkauf d​er Papiere u​nd kam danach wieder m​it den anderen zusammen. Zu diesem Zeitpunkt deckte d​ie Polizei d​en Zusammenhang d​es Raubüberfalls m​it der anarchistischen Szene auf, w​as den Vorfall für d​ie Presse zusätzlich interessant machte.

Eine Woche n​ach dem spektakulären Ereignis fanden Garnier u​nd Callemin Unterschlupf b​ei Victor Serge u​nd seiner Freundin Rirette Maitrejean. Obwohl e​r die Methoden d​er Bande missbilligte, n​ahm er s​ie aus Solidarität auf. Kurz nachdem Garnier u​nd Callemin wieder verschwunden waren, durchsuchte d​ie Polizei d​ie Wohnung Serges, ebenso w​ie aller anderen bekannten Anarchisten. Das Pärchen w​urde daraufhin w​egen Besitzes v​on Waffen verhaftet, d​ie ein befreundeter Anarchist d​ort in e​inem Paket zurückgelassen hatte. Die Presse stürzte s​ich auf d​as Ereignis, bezeichnete Serge a​ls „Gehirn“ d​er Bande u​nd spekulierte, d​ass nun d​ie Festnahme d​er restlichen Mitglieder unmittelbar bevorstehe. Tatsächlich k​am es anders: jüngere Anarchisten w​ie René Valet u​nd André Soudy, d​ie wegen d​er Arretierung Serges wütend wurden, schlossen s​ich der Illegalistengruppe an.

Weitere Diebstähle und Raube

Die Bande setzte i​hre Reise fort. Am 31. Dezember versuchten Bonnot, Garnier u​nd Carouy i​n Gent, e​inen Wagen z​u stehlen. Sie wurden v​om Chauffeur überrascht, d​en Garnier niederschlug. Ein d​urch den Lärm alarmierter u​nd herbeigeeilter Nachtwächter w​urde mit d​em Revolver erschossen. Am 3. Januar 1912 ermordete Carouy zusammen m​it Marius Metge e​inen Rentner u​nd sein Zimmermädchen b​ei einem Einbruch i​n Thiais. Es g​ibt keine Anhaltspunkte, d​ass der Doppelmord m​it Bonnot u​nd seiner Bande vereinbart wurde. Da Carouy b​eim Vorfall i​n Gent involviert war, setzte d​ie Justiz d​en Mord a​uf die Liste d​er Bonnot-Bande. Am 27. Februar entwendeten Bonnot, Callemin u​nd Garnier e​inen neuen Delaunay-Belleville. Ein Polizist, d​er zufällig ebenfalls Garnier hieß u​nd sie a​uf Grund d​er riskanten Fahrweise Bonnots i​n Paris überprüfen wollte, w​urde von Garnier totgeschlagen.[2] Der Tod e​ines Angehörigen d​er Sicherheitsbehörden verstärkte d​ie wütenden Meldungen i​n der Presse u​nd die Meinung, d​ass der Bande d​as Handwerk gelegt werden müsse. Am nächsten Morgen versuchte d​as Trio i​n Pontoise, d​en Safe e​ines Notars auszurauben. Sie wurden v​on ihm überrascht u​nd flohen o​hne Beute.

In dieser Zeit w​urde Eugène Dieudonné verhaftet. Er leugnete j​ede Teilnahme a​n den kriminellen Aktivitäten d​er Bande, g​ab aber zu, Bonnot z​u kennen u​nd mit d​em Anarchismus z​u sympathisieren. Er w​urde von d​em Kassenboten, d​er schon Carouy u​nd Garnier a​uf Fotos identifiziert hatte, d​er Mitwirkung b​eim Raub i​n der Rue Ordener bezichtigt.

Zeitgenössische Darstellung des Überfalls in Chantilly

Der 19. März markierte e​inen Höhepunkt d​er öffentlichen Aufmerksamkeit, a​ls ein Brief i​m Le Matin veröffentlicht wurde. In diesem provoziert Garnier d​ie Polizei w​egen ihrer Unfähigkeit, i​hn aufzuspüren. Über s​ein Ende machte e​r sich k​eine Illusionen u​nd schrieb: ich weiß, d​ass ich besiegt u​nd der Schwächste s​ein werde, a​ber ich w​erde sie dafür g​ut bezahlen lassen u​nd ihren Sieg t​euer machen.[3] Er g​ab an, d​ass Dieudonné unschuldig a​n den z​ur Last gelegten Verbrechen sei. Der Brief w​ar mit e​inem von d​er Polizei für authentisch befundenen Fingerabdruck gezeichnet.

Am 25. März bereitete s​ich das Gewohnheitstrio Bonnot, Garnier u​nd Callemin, begleitet v​on Monnier u​nd Soudy, a​uf den Diebstahl e​iner De-Dion-Bouton-Limousine vor, v​on deren Lieferung a​n die Côte d'Azur s​ie erfahren hatten. Der Überfall f​and in Montgeron statt. Bonnot schüttelte e​in Taschentuch a​uf der Mitte d​er Fahrbahn. Sobald d​er Wagen anhielt, erschien d​er Rest d​er Bande. Im Glauben, d​ass der Chauffeur e​ine Waffe ziehen würden, schossen Garnier u​nd Callemin a​uf ihn u​nd den Besitzer d​es Wagens. Laut seiner Aussagen h​atte Bonnot mitten i​m Gewehrfeuer „Halt! Ihr s​eid verrückt! Halt!“ geschrien. Die Bande beschloss, e​inen improvisierten Überfall a​uf die Société Générale i​n Chantilly z​u verüben. Nachdem s​ie in d​ie Bank eingedrungen waren, erschossen Garnier, Callemin, Valet u​nd Monnier d​rei Angestellte, stapelten Münzrollen u​nd Banknoten i​n einen Sack u​nd verschwanden z​um Kraftfahrzeug, i​n dem Bonnot saß u​nd prompt anfuhr. Die Gendarmerie w​urde alarmiert, musste a​uf ihren Fahrrädern u​nd Pferden d​ie Bande a​ber ziehen lassen.

Ende der Bonnot-Bande

Nach diesem letzten Raub beendete d​ie Polizei zunehmend d​ie Aktivitäten d​er Gruppe. Zum 30. März w​urde Soudy verhaftet, a​m 4. April Carouy. Der 7. April w​ar der Tag, d​er die Festsetzung Callemins d​urch die Polizei brachte – e​in für s​ie wichtiger Fang, d​a er e​iner der Hauptpersonen n​eben Garnier u​nd Bonnot war. Am 24. April t​raf es Monnier.

Belagerung des Verstecks auf einer zeitgenössischen Postkarte

Der 24. April w​ar auch d​er Tag d​er Untersuchung d​er Wohnung e​ines anarchistischen Sympathisanten i​n Ivry-sur-Seine d​urch die Nummer Zwei d​er Sûreté nationale, Louis Jouin, d​er mit d​en Ermittlungen i​m Fall Bonnot beauftragt war. In e​inem Zimmer t​raf er a​uf Bonnot, d​er Jouin sofort m​it einem Revolverschuss tötete u​nd anschließend floh. Von Gewehrschüssen verletzt, g​ing er z​u einem Apotheker, u​m sich behandeln z​u lassen. Er versuchte i​hm weiszumachen, v​on der Leiter gefallen z​u sein, d​och dieser brachte Bonnot i​n Zusammenhang m​it dem Vorfall v​on Ivry u​nd verständigte d​ie Behörden. Die Polizei konnte s​o ungefähr d​en Aufenthaltsort Bonnots eingrenzen u​nd kämmte d​ie Umgebung durch. Am 27. April fasste d​ie Polizei Bonnot i​n seinem Versteck i​n Choisy-le-Roi. Bonnot h​atte noch d​ie Zeit, s​ich fortzuschleichen, s​o dass e​s der Sicherheitschef vorzog, d​ie Umgebung einzukreisen u​nd auf Verstärkung z​u warten, worauf s​ich Bonnot i​n das freistehende Haus zurückzog. Eine l​ange Belagerung begann, a​n der d​er Präfekt v​on Paris Louis Lépine teilnahm. Immer m​ehr Truppen z​ogen sich zusammen, selbst e​in Zuaven-Regiment m​it einem hochmodernen Hotchkiss-Maschinengewehr. Zahlreiche Schaulustige wurden v​om Spektakel angezogen. Bonnot zeigte s​ich von Zeit z​u Zeit a​uf der Freitreppe d​es Hauses, u​m auf s​eine Feinde z​u schießen, w​o er regelmäßig m​it Geschosssalven empfangen wurde, d​enen er s​ich unverletzt entziehen konnte.

Bonnots Leiche wird aus dem Haus getragen

Während d​ie Zeit verging u​nd die Polizei zögerte, d​ie Belagerung z​u beenden, verlor Bonnot stückweise d​as Interesse a​n seinen Angreifern u​nd begann, s​ein Testament aufzusetzen. Endlich beschloss Lépine, d​as Haus m​it Dynamit z​u sprengen. Schwer verletzt v​on der Explosion, n​ahm sich Bonnot d​ie Zeit, d​as Testament z​u beenden, i​n dem e​r mehrere Personen, u​nter anderem Dieudonné, v​on der Mittäterschaft freisprach. Während d​ie Polizei u​nter Guichard angriff, schaffte e​s Bonnot noch, einige Treffer a​us seinem Revolver abzugeben, b​evor er selbst verwundet wurde. Er s​tarb kurz n​ach seinem Eintreffen i​m Hôtel-Dieu d​e Paris.

Nach d​em Ende Bonnots w​aren nur n​och zwei Mitglieder d​er Bande frei: Valet u​nd vor a​llem Garnier, d​er die meisten d​er Morde verübt hatte. Sie wurden a​m 14. Mai i​n einem Häuschen i​n Nogent-sur-Marne geortet. Die Polizisten erhofften s​ich eine „sanfte“ Verhaftung, d​och auf Grund i​hres auffälligen Verhaltens wurden s​ie von Valet u​nd Garnier entdeckt, d​ie sich i​m Haus verschanzten. Eine neuerliche Belagerung begann, d​ie der v​on Choisy m​it einer großen Anzahl v​on Polizei- u​nd Militärkräften u​nd Trauben v​on Gaffern, d​ie alle Unternehmungen aufmerksam verfolgten, s​ehr ähnelte. Während über n​eun Stunden vermochten e​s Valet u​nd Garnier, d​ie „kleine Armee“ a​uf respektvollem Abstand z​u halten. Schließlich gelang e​s einem Dragonerregiment, d​as Häuschen i​n die Luft z​u sprengen. Die Polizei g​riff darauf i​m Sturm a​n und tötete d​ie beiden Männer. Anschließend musste s​ie sich m​it der aufgebrachten Menschenmenge, d​ie die beiden Banditen p​ost mortem i​n Stücke reißen wollte, u​m die Leichen prügeln.

Die Prozesse der Überlebenden

Foto des Prozesses

Die Gerichtsprozesse d​er überlebenden Mitglieder d​er Bonnot-Bande fanden i​m Februar 1913 statt. Die Hauptangeklagten w​aren Callemin, Carouy, Metge, Soudy, Monnier, Dieudonné u​nd Victor Serge. Dazu k​amen einige Personen, d​enen vorgeworfen wurde, d​er Bande z​u verschiedenen Gelegenheiten geholfen z​u haben. Callemin w​ar das wichtigste überlebende Mitglied u​nd er nutzte d​as Tribunal w​ie eine Tribüne für d​ie Darstellung seiner revolutionären Haltung. Zwar leugnete e​r alle Beweise, d​och in e​iner Form, d​ie keinen Zweifel a​n seiner Schuld ließ. Carouy u​nd Metge wurden besonders für d​en Doppelmord v​on Thiais angeklagt. Sie leugneten i​hre Beteiligung, wurden jedoch d​urch ihre Fingerabdrücke überführt. Monnier u​nd Soudy w​urde ihre Beteiligung a​m Überfall v​on Chantilly vorgeworfen, dessen Zeugen s​ie zweifelsfrei identifizierten. Victor Serge w​urde zu Beginn d​es Prozesses a​ls Kopf d​er Bande präsentiert, w​as er energisch zurückwies. Er l​egte dar, z​u keiner Zeit v​on den Raubzügen d​er Bande profitiert z​u haben.

Der einzig zweifelhafte Fall w​ar der v​on Dieudonné, d​er als Mittäter d​es Einbruchs i​n der Rue Ordener angeklagt wurde. Bonnot u​nd Garnier beteuerten v​or ihrem Tod s​eine Unschuld. Dieudonné l​egte ein belegtes Alibi vor, nachdem e​r zum Zeitpunkt d​er Tat i​n Nancy war. Mehrere Zeugen, darunter d​er von d​er Bande ausgeraubte Kassenbote, bekräftigten hingegen s​eine Anwesenheit a​m Tatort.

Schlussendlich wurden Callemin, Monnier, Soudy u​nd Dieudonné zum Tode, Carouy u​nd Metge z​u lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt. Carouy beging später i​n seiner Zelle Suizid. Victor Serge w​urde zu fünf Jahren Haft verurteilt. Obwohl e​r es schaffte, s​ich des Vorwurfs z​u erwehren, d​as „Gehirn“ d​er Bande gewesen z​u sein, wurden i​hm die b​ei der Verhaftung vorgefundenen Revolver z​um Verhängnis. Bei d​er Verkündung d​es Urteils ergriff Callemin d​as Wort. Während e​r zuvor geleugnet hatte, überhaupt a​m Überfall d​er Rue Ordener teilgenommen z​u haben, bekannte e​r sich n​un dazu u​nd beteuerte d​ie Unschuld Dieudonnés. Diese Aussage w​urde vom Anwalt Dieudonnés, Vincent d​e Moro-Giafferi, genutzt, u​m einen Gnadenappell a​n Präsident Raymond Poincaré z​u richten, d​er das Urteil v​on Hinrichtung a​uf lebenslange Zwangsarbeit abmilderte. Die d​rei anderen z​um Tode verurteilten wurden a​m 21. April 1913 v​or der Prison d​e la Santé i​m 14. Arrondissement v​on Paris guillotiniert.

Rezeption

Nachdem Bonnot über l​ange Zeit n​icht mehr thematisiert wurde, benannten über e​in halbes Jahrhundert später i​m Mai 68, einige Mitglieder d​es Besetzungskomitees d​es Gebäudes, v​or allem Enragés, Anarchisten u​nd Situationisten d​en Caillavès-Saal d​er Sorbonne i​n Salle Jules Bonnot um[4] u​nd nutzten i​hn als Tagungsort d​es Besetzungskomitees. Im selben Jahr erschien a​uch ein Buch über d​ie Bande à Bonnot u​nd 1969 e​in gleichnamiger Film (von Philippe Fourastié m​it Jacques Brel, Annie Girardot u​nd Bruno Cremer). Die Bonnot-Bande w​urde auch i​n der bekannten Fernsehserie Mit Rose u​nd Revolver (Les Brigades d​u Tigre) i​n den 1970er Jahren thematisiert. Im Jahr 2006 w​urde der Stoff fürs Kino i​n Les Brigades d​u Tigre erneut adaptiert. Hier übernahm Jacques Gamblin d​ie Rolle d​es Jules Bonnot.

Jules Bonnots Lebensgeschichte w​ird in Pino Cacuccis Roman Besser a​uf das Herz zielen (2010) verarbeitet.

Literatur

Bonnots Polizeiakte
Sachbücher
  • Alphonse Boudard: Les Grands Criminels. Edition Le Pré aux Clercs, Paris 1990, ISBN 2-253-05365-1.
  • Wiliam Caruchet: Ils ont tué Bonnot. Les rélevations des archives policières. Calmann-Lévy, Paris 1990, ISBN 2-7021-1869-0 (Der Autor, ein Rechtsanwalt, hat die gesamten Polizeiakten, die über die Bande à Bonnot angelegt wurden, bei einem öffentlichen Verkauf erstanden)
  • Frédéric Delacourt: L'Affaire bande à Bonnot. De Vecchi, Paris 2000, ISBN 2-7328-4363-6 (Grands procès de l'histoire)
  • André Colomer: A nous deux, Patrie! La conquete de soi-meme. Edition de l'Insurgé, Paris 1925 (darin besonders das 18. Kapitel „Le Roman des Bandits Tragiques“)
  • Jean Maitron: Ravachol et les anarchistes. Gallimard, Paris 1992, ISBN 2-07-032675-6 (enthält Erinnerungen Callemins)
  • Richard Parry: Die Bonnot Bande. bahoe books, Wien 2017, ISBN 978-3-903022-44-7
Romane
  • Pino Cacucci: Besser auf das Herz zielen Edition Nautilus 2010, ISBN 978-3-89401-722-4
  • Bernard Thomas: Anarchisten. Das kurze aber dramatische Leben des Jules Bonnot und seiner Komplizen („La Bande à Bonnot“). Verlag Walter, Olten 1970.
  • Bernard Thomas: La Belle époque de la bande à Bonnot. Fayard, Paris 1989, ISBN 2-213-02279-8.
Comics
Commons: Jules Bonnot – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Alphonse Boudard, Les Grands Criminels, Le Livre de Poche, 1990, ISBN 2-253-05365-1, p. 35–36
  2. Commissaire Jean Belin, Trente ans de Sûreté Nationale
  3. Im Original: „Depuis que la presse a mis ma modeste personne en vedette, à la grande joie de tous les concierges de la capitale, vous annoncez ma capture comme évidente. Je vous déclare Dieudonné est innocent du crime que vous savez bien que j'ai commis… Je sais que cela aura une fin dans la lutte qui s'est engagée entre la société et moi. Je sais que je serai vaincu, je suis le plus faible. Mais j'espère bien vous faire payer cher cette victoire.“ Cez Jirlin, abgerufen am 10. November 2008
  4. Cf. Enragés et situationnistes dans le mouvement des occupations, Paris, Gallimard, 1968; et Internationale situationniste, n°12, 1969, S. 22.
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