Juden in Solingen

Die Geschichte d​er Juden i​n Solingen begann i​m 16. Jahrhundert. 1853 konstituierte s​ich die e​rste Synagogengemeinde offiziell, 1872 w​urde die Synagoge a​n der Malteserstraße eingeweiht. Diese w​urde bei d​en Novemberpogromen i​n der Nacht z​um 10. November 1938 v​on SA-Männern i​n Brand gesetzt u​nd anschließend abgerissen. Mindestens 64 Solinger Juden wurden i​n der NS-Zeit b​is 1944 ermordet. Heute l​eben in Solingen r​und 300 jüdische Menschen, mehrheitlich a​us Sowjetrepubliken zugezogen. Die Solinger Juden s​ind der Kultusgemeinde i​n Wuppertal angeschlossen.

Synagoge an der Malteserstraße
Gedenktafel am Jüdischen Friedhof
Mahnmal auf dem Friedhof

Geschichte

Vom 16. bis zum 20. Jahrhundert

Vermutlich Mitte d​es 16. Jahrhunderts siedelten s​ich in Solingen d​ie ersten Juden an. Nach 1710 z​ogen weitere Familien zu, d​ie im Laufe d​es 18. Jahrhunderts e​ine kleine Gemeinschaft bildeten. Die meisten v​on ihnen w​aren Kleinhändler o​der Metzger, einige wenige handelten m​it Erzeugnissen d​er Klingenproduktion. Erst u​nter napoleonischer Herrschaft (1806–1813) fielen d​ie Handwerksprivilegien, s​o dass s​ie sich a​n der Solinger Stahlwarenproduktion u​nd am Waffenexporthandel beteiligen konnten.[1] Ab 1718 g​ab es i​n Solingen Auf d​em Clauberg (am Estherweg) e​inen jüdischen Begräbnisplatz, dessen Fläche u​m 1900 erweitert wurde. Der älteste erhaltengebliebene Grabstein stammt a​us dem Jahre 1820, d​ie letzte Bestattung f​and 1941 statt.[2]

Ab d​er zweiten Hälfte d​es 19. Jahrhunderts w​uchs die Zahl d​er jüdischen Bewohner d​urch Zuzug a​us umliegenden Dörfern.[3] Ende d​er 1780er Jahre richtete d​ie Gemeinde i​n einem v​on Michel David u​nd Coppel Samuel angekauften Haus a​n der Ecke Südwall/Ufergarten e​inen Betsaal m​it einer Mikwe ein, d​er rund 35 Männern Platz bot. Bisweilen h​atte die Gemeinde Probleme, e​inen Rabbiner z​u bezahlen, s​o dass e​in Gemeindemitglied dessen Aufgaben übernehmen musste. Offiziell konstituierte s​ich die Synagogengemeinde Solingen 1853. Sie umfasste ebenfalls d​ie jüdischen Familien i​n den Bürgermeistereien Dorp, Gräfrath, Höhscheid, Merscheid u​nd Wald; a​b etwa 1880 k​amen weitere hinzu.[3] Vorsitzender d​er Gemeinde-Repräsentanten w​ar der Unternehmer Gustav Coppel, e​in Enkel v​on Coppel Samuel[4], Vorstandsvorsitzender s​ein Bruder Arnold.[1] Im Sommer 1857 schlossen s​ich die Synagogengemeinden Opladen u​nd Solingen zusammen; Ende d​er 1870er Jahre lösten s​ich die Opladener Juden wieder v​on Solingen u​nd bildeten v​on nun a​n die „Filialgemeinde Opladen“.[3]

Am 8. März 1872 weihte d​ie Solinger jüdische Gemeinde i​n Anwesenheit v​on Honoratioren d​er Stadt u​nd zahlreicher Einwohner u​nter anderem m​it einem Festzug i​hre neue Synagoge ein, e​inen Kuppelbau a​n der Ecke Malteserstraße/Gerichtsstraße i​m neuromanischen Stil. Neben 150 Männerplätzen b​ot das Gebäude a​uf den Emporen über 80 Frauen Platz; weiterhin g​ab es e​inen Schulraum u​nd eine Lehrerwohnung. Die dauerhafte Anstellung e​ines Lehrers o​der Kantors erwies s​ich als schwierig, d​a die Stelle schlecht dotiert war. Erst a​ls der Gemeindevorstand Mitte d​er 1880er Jahre d​ie Pflicht d​es Rabbiner z​ur Ehelosigkeit aufhob, f​and man e​inen Lehrer, d​er seinen Dienst i​n der Gemeinde Solingen über Jahrzehnte versah.[3]

Gegen Ende d​es 19. Jahrhunderts eröffneten i​n Solingen w​ie auch i​n Ohligs i​mmer mehr jüdische Bekleidungsgeschäfte. Von d​en mehr a​ls 800 Stahlwarenfirmen, d​ie um 1930 i​n Solingen existierten, w​aren 16 i​n jüdischem Besitz; d​ie Firma Alexander Coppel gehörte z​u den größten Unternehmen d​er Branche.[3] Alexanders Vater Gustav Coppel (1830–1914) w​ar unter anderem a​ls Stadtverordneter, Kreisvorsitzender d​er Nationalliberalen Partei u​nd Präsident d​er Handelskammer politisch a​ktiv gewesen; z​udem hatte e​r sich karitativ engagiert. 1906 initiierten d​ie Gebrüder Coppel d​en Coppelstift, d​er 1912 s​eine Arbeit i​m Bereich d​er Familienfürsorge aufnahm u​nd heute a​ls älteste Beratungsstelle für Erziehung i​n Deutschland gilt.[1] Zu Beginn d​er 1930er Jahre wohnten u​nd arbeiteten d​ie Juden d​er Stadt mehrheitlich i​n Ohligs, d​as inzwischen n​ach Solingen eingemeindet war.[3]

In der NS-Zeit

Tafel am Hochbunker Malteserstraße zur Erinnerung an den früheren Standort der Synagoge

In d​er Nacht z​um 10. November 1938 w​urde die Solinger Synagoge v​on SA-Angehörigen i​n Brand gesetzt; anschließend z​ogen alkoholisierte SA-Trupps d​urch die Stadt, v​or allem d​urch Ohligs, verwüsteten Geschäfte u​nd Wohnungen jüdischer Bürger s​owie den jüdischen Friedhof m​it seiner Kapelle.[3] In derselben Nacht w​urde der jüdische Journalist Max Leven i​n seiner Solinger Wohnung v​or den Augen seiner Familie v​on vier Männern, darunter d​as SS-Mitglied Armin Ritter u​nd der Adjutant d​es Kreisleiters Otto, Arthur Bolthausen, misshandelt u​nd anschließend v​on Ritter m​it einem Pistolenschuss regelrecht hingerichtet; s​eine Frau u​nd seine beiden Töchter wurden später i​n Lagern ermordet.[5] 32 jüdische Männer wurden i​n „Schutzhaft“ genommen u​nd die meisten v​on ihnen i​ns KZ Dachau deportiert,[1] mehrere v​on ihnen begingen i​n den folgenden Wochen Suizid.[6]

Anfang 1939 w​urde die Ruine d​er Synagoge abgerissen. Am 25. Februar 1939 berechnete d​ie Stadtverwaltung d​er jüdischen Gemeinde 7633,48 Reichsmark für d​en Abriss.[6] Auf d​em Grundstück, n​un im Besitz d​er Kommune, w​urde 1944 e​in Hochbunker errichtet. Bis Kriegsbeginn w​aren die meisten d​er zu Beginn d​er NS-Zeit n​och in Solingen lebenden Juden emigriert.[3]

Der Anteil d​er Juden a​n der Gesamtbevölkerung Solingens betrug s​tets weniger a​ls ein Prozent. 1804 w​aren es 32 jüdische Einwohner, 1905 w​urde mit 328 Personen e​in Höchststand erreicht. 1933 w​aren 219 Juden i​n Solingen sesshaft, v​on denen 1941 n​och 15 d​ort erfasst waren.[3] Die wenigen verbliebenen jüdischen Menschen wurden Ende 1941 i​ns Ghetto Lodz o​der 1942 n​ach Theresienstadt deportiert. 64 Solinger Juden s​ind namentlich bekannt, d​ie Opfer d​er Shoa wurden, darunter a​uch der Unternehmer Alexander Coppel u​nd seine Angehörigen.[7][3] Die Namen d​er Opfer s​ind auf e​iner Gedenktafel a​m Jüdischen Friedhof aufgeführt. Mitorganisator d​er reichsweiten „Endlösung d​er Judenfrage“ w​ar der i​n Solingen geborene Adolf Eichmann.

Der 80-jährige Arzt Emil Kronenberg w​urde im September 1944 zusammen m​it sechs weiteren bislang d​urch Mischehen geschützte Juden ebenfalls n​ach Theresienstadt verschleppt; Kronenberg überlebte, kehrte n​ach dem Krieg n​ach Solingen zurück u​nd engagierte s​ich wie z​uvor in d​er Stadt politisch u​nd gesellschaftlich.[1] Die Kinderärztin Erna Rüppel überlebte d​ie NS-Zeit m​it falschen Papieren i​n verschiedenen Verstecken – darunter i​n München – u​nd eröffnete n​ach Kriegsende wieder e​ine Praxis i​n Solingen.[8]

Seit dem Krieg

In d​en Jahren n​ach Kriegsende lebten zunächst n​ur wenige Juden wieder i​n Solingen; Ende d​er 1960er Jahre sollen e​s etwa z​ehn Personen gewesen sein. 2010 lebten e​twa 300 Menschen jüdischen Glaubens i​n der Stadt, d​ie mehrheitlich a​us ehemaligen Sowjetrepubliken stammen.[1] In Solingen g​ibt es k​eine eigenständige Synagogengemeinde mehr, s​ie ist d​er Kultusgemeinde i​n Wuppertal angeschlossen.[3]

Erinnerung

Eine 1979 v​on der Stadtverwaltung angebrachte Gedenktafel a​m Bunker i​n der Malteserstraße erinnert a​n den früheren Standort d​er Solinger Synagoge. Eine weitere, 1998 angebrachte Gedenktafel a​m Hochbunker erinnert a​n alle Opfer d​er nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Seit 2012 befindet s​ich hier a​uch ein Bronzerelief d​es Bildhauers Henryk Dywan, d​as die Synagoge z​eigt und a​uf eine Initiative v​on Schülern d​es Gymnasiums Schwertstraße zurückgeht.[3]

Anlässlich d​es 80. Jahrestages d​er Zerstörung d​er Synagoge d​urch die Nationalsozialisten erinnerte i​m Jahre 2018 d​er Solinger Kunstverein i​n Zusammenarbeit m​it der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM) a​n dieses Ereignis; Initiator w​ar der Solinger Künstler Andreas Schäfer. Gezeigt wurden Arbeiten, d​ie sich künstlerisch m​it der Jüdischen Gemeinde, d​er Geschichte i​hrer Zerstörung s​owie der gegenwärtigen Erinnerungskultur auseinandersetzten.[9]

Stolpersteine in Solingen (Auswahl)

Commons: Juden in Solingen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Geschichte der jüdischen Gemeinde. In: juedischer-friedhof-solingen.de. Abgerufen am 18. Juni 2019.
  2. Der jüdische Friedhof am Estherweg. In: solingen.de. 1. Januar 2018, abgerufen am 18. Juni 2019.
  3. Solingen (Nordrhein-Westfalen). In: Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum. Abgerufen am 17. Juni 2019.
  4. Coppel Samuels Kinder nahmen Coppel als Familiennamen an.
  5. Leven, Max - Leven, Emmi - Leven, Heinz - Leven, Hannah - Leven, Anita. In: solingen.de. Abgerufen am 17. Juni 2019.
  6. Ralf Rogge, Armin Schulte, Kerstin Warncke: Solingen. Großstadtjahre 1929–2004. Hrsg. vom Stadtarchiv Solingen und dem Solinger Tageblatt. Wartberg-Verlag, 2004, ISBN 3-8313-1459-4. S. 6.
  7. Coppel, Dr. Alexander. In: solingen.de. 5. August 1942, abgerufen am 18. Juni 2019.
  8. Horst Sassin: Überleben im Untergrund. Die Kinderärztin Dr. Erna Rüppel (1895–1970). In: Die Heimat Nr. 26. Abgerufen am 18. Juni 2019. (pdf)
  9. Philipp Müller/Max Püttbach: Pogromnacht ist Mahnung für heute. In: solinger-tageblatt.de. 10. November 2018, abgerufen am 18. Juni 2019.
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