Jonas Schmidt-Chanasit
Jonas Schmidt-Chanasit (* 25. März 1979 in Berlin-Pankow) ist ein deutscher Virologe und Hochschullehrer an der Universität Hamburg. Er wurde einer breiten Öffentlichkeit durch seine medialen Auftritte während der Ebolavirus-Epidemie, Zikavirus-Epidemie und COVID-19-Pandemie bekannt.
Leben und Wirken
Nach seinem Abitur am Erich-Fried-Gymnasium in Berlin-Friedrichshain studierte Schmidt-Chanasit zwischen 2000 und 2006 Humanmedizin an der Charité in Berlin und wurde 2006 mit der Dissertation Entwicklung und Validierung serologischer Testverfahren zum Nachweis importierter Hantavirusinfektionen zum Dr. med. promoviert. Während der Erarbeitung der Dissertation war er als Gastwissenschaftler an der Kasetsart-Universität in Bangkok tätig.[1] Anschließend arbeitete er als Postdoktorand unter Hans Wilhelm Doerr am Institut für Medizinische Virologie der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main und habilitierte sich dort 2010 im Fach Virologie.[2] Seit 2010 leitet er gemeinsam mit Stephan Günther das Kooperationszentrum der WHO für Arboviren und hämorrhagische Fieberviren am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg.[3] Nach Rufen an die Universitäten Greifswald und Frankfurt am Main ist er seit 2018 Inhaber des Lehrstuhls für Arbovirologie an der Universität Hamburg.[4] Schmidt-Chanasit ist Autor oder Co-Autor von mehr als 200 wissenschaftlichen Veröffentlichungen.[5]
Schmidt-Chanasit ist verheiratet,[6] Vater eines Sohnes und einer Tochter[7] und lebt mit seiner Familie in Berlin und Bangkok in Thailand.
Forschungsschwerpunkte
Die von Schmidt-Chanasit geleiteten Forschungsgruppen befassen sich mit Emerging und Re-Emerging Viruses (z. B. Ebola-Virus, Borna-Virus, Zika-Virus, Chikungunya-Virus oder Usutu-Virus).[8] Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den durch Stechmücken und andere saugstechende Gliederfüßer übertragenen Viren (Arboviren). Insbesondere wird die Interaktion zwischen Arboviren und ihren Vektoren erforscht und wie diese die Virusevolution beeinflusst. Darüber hinaus werden in den Forschungsgruppen Modelle entwickelt, um Arbovirus-Epidemien besser vorhersagen zu können. Das in den DACH-Ländern verbreitete FSME-Virus gehört ebenfalls zu seinen Forschungsgebieten.[9]
Medienpräsenz
Während bedeutsamer Gesundheitskrisen (z. B. lokale Ausbrüche von Krankheitserregern, Epidemien) im In- und Ausland ist der Virologe in deutschen Medien immer wieder als Gesprächspartner gefragt:[10][11][12][13] Nach dem Beginn der Ebola-Epidemie in Westafrika im Jahr 2014 ordnete er zum Beispiel das Ausbreitungsrisiko für Europa in einem Interview mit der Deutschen Welle ein:[11] Die Gefahr, dass sich das Ebola-Virus ähnlich dem Grippevirus über Kontinente ausbreite, bestand seiner Ansicht nach damals nicht: „Die Erkrankung ist viel schwerwiegender als bei der Influenza. Erkrankte werden sehr schnell auffällig, weil sie eine schwere Symptomatik haben.“ Im Gespräch mit tagesschau.de gab Schmidt-Chanasit auch eine Einschätzung zum Stand der Ebola-Impfstoffentwicklung: Es gebe Fortschritte, jedoch käme der Impfstoff für die aktuelle Epidemie zu spät. Allgemein nehme die Ansteckungsgefahr neu importierter, auf Menschen übertragbarer Viren zu, „weil der Mensch immer stärker mit Wildtieren in Berührung kommt, die solche Viren auf Menschen übertragen können.“[12]
Im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien riet Schmidt-Chanasit den Fans, sich zum Schutz vor Denguefieber an den Spielorten der deutschen Nationalmannschaft im Nordosten Brasiliens nicht zu lange aufzuhalten.[14] Aufgrund der Trockenheit in dem Jahr habe sich die jährliche Denguefieber-Saison in den Zeitraum der WM verschoben, warnte der Experte.
Als die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor den Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro 2016 aufgrund vermehrter Zikavirus-Infektionen in Brasilien den globalen Gesundheitsnotstand ausrief, bewertete Schmidt-Chanasit die Situation[15] und sprach sich gegen eine Absage der Veranstaltung aus.[15][16] Im Deutschlandfunk[13] warnte er im Januar 2016 davor, dass es im Spätsommer durchaus denkbar sei, dass Reiserückkehrer das Virus nach Deutschland bringen könnten, jedoch werde es keinen großen Ausbruch geben wie in Südamerika.
Auch während der weltweiten COVID-19-Pandemie ist der Virologe ein häufiger Gesprächspartner der deutschen Medien.[17][18][19] Nach damaliger Einschätzung des Virologen werde ein Impfstoff, mit dem die Pandemie gestoppt werden könnte, 2020 nicht bereitgestellt werden können.[18][20] Medikamente könnten „wesentlich schneller“ verfügbar sein, wenn unter den bereits zur Behandlung anderer Erkrankungen zugelassenen Medikamente welche gefunden würden, die auch gegen das neue Coronavirus wirkten.[20] Solange Medikamente und Impfstoff fehlten, käme es zu einer „langsamen Durchseuchung der Bevölkerung“.[17] „Ein hundertprozentiger Schutz nützt niemandem“, sagte er Ende März 2020 in einem Gespräch mit den Tagesthemen,[17] und stattdessen müssten Infektionen in einem für das Gesundheitssystem verkraftbaren Tempo stattfinden.[17] Gefährdete Menschen müssten allerdings besonders geschützt werden.
Eine flächendeckende allgemeine Maskenpflicht in Deutschland sah Schmidt-Chanasit dabei Ende März 2020 noch kritisch: Für deren Wirksamkeit gebe es keinen wissenschaftlichen Beleg.[17] Der Virologe äußerte zudem die Sorge, dass Masken viele Träger von „wichtigen Maßnahmen wie der Einhaltung von Hygiene und dem Abstandwahren“ ablenken könnten. Solange Krankenhäuser, Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen nicht ausreichend mit Masken versorgt werden könnten, sei eine Diskussion um die allgemeine flächendeckende Maskenpflicht „fehlgeleitet“, kritisierte er.[17] Ende April sagte er in einem Radiointerview zum gleichen Thema, Masken seien kein Allheilmittel im Kampf gegen Infektionen, sondern zusätzliche Hilfsmittel. Das Tragen ergebe dort Sinn, wo Abstandsregeln nicht eingehalten werden könnten, könne aber Maßnahmen wie Befolgen der Hygieneregeln und Abstandhalten nicht ersetzen.[19]
Im November 2021 äußerte er sich kritisch zur Abschaffung der kostenlosen Tests. 2G gebe eine „Scheinsicherheit“, erklärte er. Da auch Geimpfte sich infizieren und das Virus übertragen könnten, auch wenn die Wahrscheinlichkeit hierfür geringer sei, helfe nur „1G“ weiter, also alle zu testen – ganz gleich, ob geimpft, ungeimpft oder genesen. Das sollte vor allem für problematische Bereiche gelten, wo vulnerable Menschen gefährdet seien.[21] Zum 24. November 2021 wurde eine gesetzliche 1G-Regelung gem. § 28b Abs. 2 IfSG in Verbindung mit § 2 Nr. 6 SchAusnahmV für Besucher von Krankenhäusern sowie Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen eingeführt.[22]
Auszeichnungen und Ehrungen
- 2004 Zondek Prize, Charité Universitätsmedizin[23]
- 2007 Roche-Prophac Award, Roche Diagnostics
- 2014 Wissenschaftspreis „Klinische Virologie“, Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten und Gesellschaft für Virologie[24]
Weblinks
- Jonas Schmidt-Chanasit. In: researchgate.net. (englisch).
- Arbeitsgruppe Schmidt-Chanasit. Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (englisch, Aufgaben, Forschungsprojekte, Publikationsliste und Alumni der Arbeitsgruppe).
- Till Nassif: Interview mit Jonas Schmidt-Chanasit zu Ebola-Erkrankungen und -Impfstofferforschung. (mp4-Video, 104 MB, 4:41 Minuten) In: ARD-Morgenmagazin. 21. Oktober 2014 .
- Anne Martin, Annika Seemann: Videointerview zum Zika-Virus: „In Deutschland muss sich niemand Sorgen machen“. (mp4-Video, 88 MB, 4:44 Minuten) In: Spiegel Online. 30. Januar 2016 (Statement von Jonas Schmidt-Chanasit).
- Birgit Klaus, Dennis Wilms: Mücken-Alarm! Drohen Tropenkrankheiten? (mp4-Video, 841 MB, 58:48 Minuten) In: SWR-Sendung „Planet Wissen“. 18. Mai 2017 .
- Judith König: Der Kampf gegen die Tigermücke: Der Virenforscher Jonas Schmidt-Chanasit hat der Tigermücke den Kampf angesagt. (mp4-Video, 56,7 MB, 4:30 Minuten) In: Quarks & Co. 30. Mai 2017 .
- Jonas Schmidt-Chanasit in der Internet Movie Database (englisch)
Einzelnachweise
- Biographie Jonas Schmidt-Chanasit. In: Körber-Stiftung. Körber-Stiftung, 17. Oktober 2012, abgerufen am 25. September 2018.
- Institut für Medizinische Virologie: Publikationsverzeichnis 2010. Klinikum der Johann Wolfgang Goethe Universität, 2. Januar 2011, archiviert vom Original am 25. Oktober 2018; abgerufen am 25. Oktober 2018.
- WHOCC - WHO Collaborating Centres. World Health Organization (WHO), 23. Dezember 2016, abgerufen am 12. September 2018 (englisch).
- Univ.-Prof. Dr.med. Dr.med.habil. Jonas Schmidt-Chanasit : Lehrbeauftragte / Promotionsverfahren: Universität Hamburg. (Nicht mehr online verfügbar.) Fachbereich Biologie der Universität Hamburg, archiviert vom Original am 25. September 2018; abgerufen am 25. September 2018. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Jonas Schmidt-Chanasit. In: Google Scholar. Abgerufen am 21. September 2018.
- https://www.welt.de/welt_print/vermischtes/hamburg/article7463215/Grosser-Erfolg-fuer-Hamburger-Muecken-Forscher.html
- Sina Riebe, Elisabeth Schröder: Ein Jahr im Griff der Pandemie: Das sagen Hamburger über zwölf Monate Pausenmodus. 11. März 2021, abgerufen am 14. März 2021 (deutsch).
- Arbeitsgruppe Schmidt-Chanasit. Bernhard-Nocht-Institut Für Tropenmedizin - Stiftung Öffentlichen Rechts, abgerufen am 12. September 2018 (englisch).
- Katharina Achazi, Daniel Růžek, Oliver Donoso-Mantke, Mathias Schlegel, Hanan Sheikh Ali, Mathias Wenk, Jonas Schmidt-Chanasit, Lutz Ohlmeyer, Ferdinand Rühe, Torsten Vor, Christian Kiffner, René Kallies, Rainer G. Ulrich, and Matthias Niedrig: Rodents as Sentinels for the Prevalence of Tick-Borne Encephalitis Virus. In: Vector-Borne and Zoonotic Diseases. Jun 2011. 641–647. doi.org/10.1089/vbz.2010.0236
- Die Corona-Krise: Wo stehen wir, was kommt noch? In: ARD im Internet. 17. März 2020, abgerufen am 19. März 2020.
- Deutsche Welle (www.dw.com): Schmidt-Chanasit: "Für eine Pandemie ist das Virus zu aggressiv" | DW | 14.04.2014. Abgerufen am 29. April 2020 (deutsch).
- tagesschau.de: Interview: "Ebola-Impfstoff keine Hilfe für aktuelle Epidemie". Abgerufen am 29. April 2020.
- Zika-Virus - "Auch bei uns kann es zu Übertragungen kommen". Abgerufen am 29. April 2020 (deutsch).
- Irene Berres, DER SPIEGEL: Fußball-WM und Dengue-Fieber: Risiko in Brasilien - DER SPIEGEL - Gesundheit. Abgerufen am 29. April 2020.
- Zika-Viren: Welche Sorgen sind begründet? | Deutsches Zentrum für Infektionsforschung. Abgerufen am 29. April 2020.
- Deutsche Welle (www.dw.com): Zika-Virus: "Olympia nicht absagen" | DW | 28.05.2016. Abgerufen am 29. April 2020 (deutsch).
- Allgemeine Maskenpflicht: „Eine fehlgeleitete Diskussion“. In: tagesschau.de. 1. April 2020, abgerufen am 29. April 2020.
- „Dann könnte Medikament sofort verfügbar sein“. n-tv, 4. März 2020, abgerufen am 29. April 2020.
- Virologe Jonas Schmidt-Chanasit - „Bei der Maske mit Augenmaß vorgehen“. Deutschlandfunk, 21. April 2020, abgerufen am 29. April 2020.
- Ursula Weidenfeld, Marc Krüger: Eine Eigenschaft macht das Virus „absolut gefährlich“. In: t-online.de. 22. April 2020, abgerufen am 29. April 2020.
- Forderung nach kostenlosen Tests – Virologe: 2G gibt eine „Scheinsicherheit“. In: zdf.de. 5. November 2021, abgerufen am 7. November 2021.
- Bundesgesetzblatt: Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. November 2021. Abgerufen am 1. Dezember 2021.
- Charité Universitätsmedizin Berlin: Jahrebesricht Institut für Virologie. In: Institut für Virologie der Charité. Detlev Krüger, 1. Februar 2006, S. 39, abgerufen am 12. September 2018 (PDF).
- Wissenschaftspreis Klinische Virologie Der DVV Und Der GFV. Gesellschaft für Virologie e.V., abgerufen am 8. Oktober 2018.