Johannes Wislicenus
Johannes Adolf Wislicenus (* 24. Juni 1835 in Kleineichstädt, heute in Sachsen-Anhalt; † 5. Dezember 1902 in Leipzig) war ein deutscher Chemiker.
Leben
Johannes Wislicenus’ Vater war der Theologe Gustav Adolf Wislicenus. Von 1842 bis 1852 besuchte Johannes Wislicenus die Bürger- und Realschule der Franckeschen Stiftungen. Anschließend lernte er den Beruf des Glasers und arbeitete bis 1855 als Geselle.[1] Danach begann Wislicenus ein Studium der Chemie und Mathematik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und bis 1859 an der Universität Zürich. Während seines Studiums wurde er 1852 Mitglied der Burschenschaft der Pflüger Halle und 1857 der Alten Hallischen Burschenschaft „Kühler Bronnen“.
Sein Vater emigrierte mit ihm aus politischen Gründen 1853 in die USA. Am Harvard College der Harvard University in Cambridge, Massachusetts, wirkte Wislicenus als Chemiker bei Eben Norton Horsford und als Lecturer am Mechanics Institute in New York. 1856 kehrte er nach Deutschland zurück[2] und war bis 1859 dann Assistent von Heinrich Wilhelm Heintz in Halle. Er promovierte 1860 mit der Dissertation Theorie der gemischten Typen zum Dr. phil. an der Universität Zürich und habilitierte sich in Reiner, Angewandter und Physikalischer Chemie am Polytechnikum Zürich. 1860 heiratete Wislicenus Catharina Maria Sattler, die Enkelin des Schweinfurter-Grün-Erfinders Ignaz von Mitis.[3] Sein Sohn Wilhelm wurde 1861 geboren, habilitierte sich 1888 bei Emil Fischer und wurde bis 1902 Extraordinarius für Anorganische und Analytische Chemie in Würzburg.[4]
Von 1860 bis 1864 war Johannes Wislicenus Privatdozent für Reine, Angewandte und Physikalische Chemie und von 1860 bis 1870 für Reine und Angewandte Chemie am Polytechnikum Zürich. Von 1864 bis 1867 war er außerordentlicher Professor für Chemie an der Universität Zürich. 1864 wurde er ordentlicher Professor ebenda und 1870 am Polytechnikum.
Einem Ruf als Nachfolger des 1871 unerwartet verstorbenen Adolph Strecker an die Julius-Maximilians-Universität Würzburg folgte er 1872 mit Zögern. 1874 wurde dort unter seiner Leitung das seit 1865 in der Maxstraße befindliche Chemische Institut[5] vergrößert. Dort gründete er die Würzburger Chemische Gesellschaft.
1885 ging Wislicenus als Nachfolger von Hermann Kolbe an die Universität Leipzig und leitete dort bis zu seinem Tod das Chemische Institut. 1885 nahm er die ihm anlässlich seines Wegganges nach Leipzig angebotene Ehren-Mitgliedschaft in der Landsmannschaft Teutonia Würzburg an.[6] Seine Nachfolge 1885 in Würzburg wurde von Emil Fischer wahrgenommen.
Wirken
Auf Johannes Wislicenus gehen die erste Synthese der Milchsäure und des Acetessigesters zurück. Er erkannte die räumliche Anordnung der Atome als Ursache der optischen Aktivität und führte am Beispiel der Milchsäure den Begriff der geometrischen Isomerie ein.[7]
Er war Rektor von 1870 bis 1871 am Polytechnikum, von 1880 bis 1882 in Würzburg und von 1893 bis 1894 in Leipzig. Seit 1895 war Johannes Wislicenus Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina,[8] von 1885 bis 1902 ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, seit 1882 korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und seit 1896 korrespondierendes Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften. 1889 wurde er für ein Jahr zum Vorstand der Deutschen Chemischen Gesellschaft zu Berlin gewählt. 1895 war er Vorsitzender der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte.
1898 erhielt Johannes Wislicenus die Davy-Medaille der Royal Society.
Er war mit dem Physiologen Adolf Fick befreundet und stand im wissenschaftlichen Disput mit Edward Frankland.
Als stark patriotisch-nationalistisch gesinnter Mensch stand Wislicenus auch Modell für eine Figur am Niederwalddenkmal. Wislicenus gehörte zu den Gründungsmitgliedern des am 9. April 1891 ins Leben gerufenen „Allgemeinen Deutschen Verbands“, der 1894 in „Alldeutscher Verband“ umbenannt wurde und von dessen 1898 entstandener Würzburger Ortsgruppe er bis 1902 Vorsitzender[9] war.
In Ludwigshafen am Rhein ist das Bauensemble Wislicenusblock nach ihm benannt, das sich in der Nähe der BASF befindet.
Doktoranden
- in Würzburg
- 1872: Haruthiun Abeljanz
- 1872: Max Conrad
- 1880: Arthur Hantzsch
- 1880: William Henry Perkin junior
- 1884: John Norman Collie
- 1885: Wilhelm Wislicenus (1861–1922), Sohn von Johannes Wislicenus
- in Leipzig
- 1887: Julius Tröger
- 1889: William Küster
- 1893: Carl Hagemann
- 1896: Alfred Lottermoser
- 1898: Carl Bosch
- 1899: Phokion Naoúm
Schriften (Auswahl)
- Regnault-Strecker’s kurzes Lehrbuch der Chemie. Vieweg, Braunschweig 1851 (Digitalisat)
- Die Abiturienten der Realgymnasien und Realschulen I. Ordnung als Studirende an den Universitäten. Rede zur Feier des 299. Stiftungstages der Kgl. Bayer. Julius-Maximilians-Universität am 3. Januar 1881 gehalten. Thein (Stürtz), Würzburg 1881.
- Festrede zur Dritten Säcularfeier der […] Julius-Maxim.-Universität bei dem Hauptfestactus in der Universitätskirche am Morgen des 2. Aug. 1882, geh. von dem derzeitigen Rector Dr. Johannes Wisclicenus. Thein, Würzburg 1882. Auch in: Alma Julia. Illustrirte Chronik ihrer dritten Säcularfeier. Würzburg 1882, S. 105–109.
- Ueber die räumliche Anordnung der Atome in organischen Molekülen und ihre Bestimmung in geometrisch-isomeren ungesättigten Verbindungen. 14. Band der Abhandlung der mathematisch-physischen Klasse der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, Dissertation, Leipzig 1887.
Literatur
- Helge Dvorak: Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft. Band I: Politiker. Teilband 6: T–Z. Winter, Heidelberg 2005, ISBN 3-8253-5063-0, S. 345–347.
- Klaus Koschel: Die Entwicklung und Differenzierung des Faches Chemie an der Universität Würzburg. In: Peter Baumgart (Hrsg.): Vierhundert Jahre Universität Würzburg. Eine Festschrift. Degener & Co. (Gerhard Gessner), Neustadt an der Aisch 1982 (= Quellen und Beiträge zur Geschichte der Universität Würzburg, Band 6), ISBN 3-7686-9062-8, S. 703–749; hier: S. 718–725.
- Carl Schaedler: Biographisch-literarisches Handwörterbuch der wissenschaftlich bedeutenden Chemiker. Friedländer-Verlag, Berlin 1891, S. 155–156.
- Wilhelm Sonne: Erinnerungen an Johannes Wislicenus aus den Jahren 1876–1881. Mit einem Vorworte von Max Conrad. Engelmann, Leipzig 1907.
- Winfried R. Pötsch (Federführung), Annelore Fischer, Wolfgang Müller; unter Mitarbeit von Heinz Cassebaum: Lexikon bedeutender Chemiker. Bibliographisches Institut, Leipzig 1988, ISBN 3-323-00185-0, S. 458–459.
- Wislicenus, Johannes. In: Encyclopædia Britannica. 11. Auflage. Band 28: Vetch – Zymotic Diseases. London 1911, S. 753 (englisch, Volltext [Wikisource]).
Weblinks
- Literatur von und über Johannes Wislicenus im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Johannes Wislicenus im Professorenkatalog der Universität Leipzig
- Übersicht der Lehrveranstaltungen von Johannes Wislicenus an der Universität Zürich (Sommersemester 1860 bis Sommersemester 1872)
- Übersicht der Lehrveranstaltungen von Johannes Wislicenus an der Universität Leipzig (Wintersemester 1885 bis Wintersemester 1902)
Einzelnachweise
- Unter Feuilleton gibt es den Abschnitt Professor und Arbeiter, der diese Ausbildung und die Arbeit belegt in: Königlich privilegierte Berlinische Zeitung, 8. Dezember 1902.
- Universitätsarchiv Würzburg.
- Biographie von Johannes Wislicenus auf der Familienhomepage.
- Klaus Koschel: Die Entwicklung und Differenzierung des Faches Chemie an der Universität Würzburg. In: Peter Baumgart (Hrsg.): Vierhundert Jahre Universität Würzburg. Eine Festschrift. Degener & Co. (Gerhard Gessner), Neustadt an der Aisch 1982 (= Quellen und Beiträge zur Geschichte der Universität Würzburg. Band 6), ISBN 3-7686-9062-8, S. 703–749; hier: S. 724.
- Klaus Koschel: Die Entwicklung und Differenzierung des Faches Chemie an der Universität Würzburg. 1982, S. 718 f.
- Karl Oetter: 115 Jahre Teutonia Würzburg. Würzburg 1980, S. 12.
- Louis Fieser, Mary Fieser: Organische Chemie. 2. Auflage. Verlag Chemie Weinheim, 1972, ISBN 3-527-25075-1, S. 82–83.
- Mitgliedseintrag von Johannes Wislicenus (mit Bild) bei der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, abgerufen am 28. Dezember 2015.
- Harm-Hinrich Brandt: Würzburger Kommunalpolitik 1869–1918. In: Ulrich Wagner (Hrsg.): Geschichte der Stadt Würzburg. 4 Bände, Band I-III/2, Theiss, Stuttgart 2001–2007; III/1–2: Vom Übergang an Bayern bis zum 21. Jahrhundert. Band 2, 2007, ISBN 978-3-8062-1478-9, S. 1255, Anm. 30.