Jón Baldvin Hannibalsson
Jón Baldvin Hannibalsson (* 21. Februar 1939 in Ísafjörður) ist ein isländischer Politiker.
Leben
Jón Baldvin Hannibalsson ist der Sohn des Politikers Hannibal Valdimarsson (1903–1991). Er besuchte die University of Edinburgh und schloss sein Masterstudium der Wirtschaftswissenschaften 1963 ab. Danach studierte er noch ein weiteres Jahr an der Universität Stockholm und schloss eine Lehrerausbildung an der Universität Island an. Von 1976 bis 1977 besuchte er das „Center for European Studies“ der Harvard University.
Von 1982 bis 1998 war er Abgeordneter des isländischen Parlaments Althing für den damaligen Wahlkreis Reykjavík. Als Politiker erlangte er erstmals Bekanntheit über Island hinaus als er 1984 zum Vorsitzenden der isländischen Sozialdemokraten gewählt wurde. 1987 wurde er als Finanzminister Teil der isländischen Regierung.
1988 wechselte er ins Außenressort und war somit Islands außenpolitischer Vertreter in der Zeit des Zusammenbruchs der Sowjetunion. Bereits vor der politischen Wende in Osteuropa hatte Jón Baldvin großes Interesse für diese Region gezeigt und mehrere Reisen in Länder des „Ostblocks“ unternommen. Er unterstützte offen die Emanzipation der osteuropäischen Nationen, auch derer innerhalb der Sowjetunion, von der Moskauer Zentralmacht. Das in dieser Frage forsche Auftreten Jón Baldvins gegenüber der Sowjetunion unter Gorbatschow wurde mitunter als undiplomatisch und den eigenen Interessen zuwiderlaufend kritisiert. So äußerte etwa Bundesaußenminister Genscher (wie Jón Baldvin später berichtete), eine Außenpolitik wie die Islands könne die deutsche Wiedervereinigung gefährden. Der außenpolitischen Linie folgend war Island das erste Land, das die Unabhängigkeitserklärung der baltischen Staaten anerkannte, während die anderen westlichen Staaten aus Rücksicht auf Gorbatschow, der in diesen Tagen durch den „Augustputsch“ entmachtet worden war, eine abwartende Haltung einnahmen.
Seit dem 16. März 1998 war Jón Baldvin isländischer Botschafter in den Vereinigten Staaten, ab dem 10. Juni 1998 zugleich in Kanada. Letzteren Posten verließ er am 9. April 2001,[1] als im kanadischen Ottawa eine eigene isländische Botschaft eröffnet und Hjálmar W. Hannesson der erste isländische Botschafter in Kanada wurde.[2] Jón Baldvin amtierte weiter als Botschafter in den USA, bis er am 9. Dezember 2002 von Helgi Ágústsson abgelöst wurde.[1]
Skandale wegen sexueller Belästigung Minderjähriger:
Im Jahr 2012 wurde bekannt, dass Jón Baldvin im Zeitraum 1998–2001 eine Reihe sexuell eindeutiger Briefe an Guðrún Harðardóttir, eine junge Nichte seiner Frau, sandte. In einem der Briefe beschrieb Jón Baldvin, wie er beim Sex mit seiner Frau an die junge Nichte denke. Andere Briefe enthielten sexuell explizite und erotische Themen. Guðrún, die zu dieser Zeit eine Jugendliche war, versuchte im Jahr 2005 Anklage gegen Jón Baldvin wegen sexueller Belästigung zu erheben, die Ermittlungen wurden jedoch von der Polizei eingestellt.[3]
Jón Baldvins Briefe wurden im Februar 2012 von Guðrún in der Monatszeitschrift Nýtt Líf der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und anschließend auf seiner persönlichen Website veröffentlicht. In seinen Aussagen bestritt er, Guðrún sexuell belästigt zu haben, entschuldigte sich jedoch für ein "Urteilsvermögen", als er die Korrespondenz mit ihr initiierte.[4]
Im Jahr 2013 kam der Skandal erneut an die Öffentlichkeit, als Jón Baldvin als Gastdozent an der University of Iceland eingeladen wurde. Aufgrund öffentlicher Einwände gegen seine Einstellung zog die Universität von Island die Einladung zurück.[5] Jón Baldvin protestierte gegen die Entscheidung der Universität in einer Reihe von Zeitungsartikeln. Nachdem Jón Aldvin mit der Klage gedroht hatte, da es keinen rechtlichen Grund für seine Entlassung gab, stimmte die Universität zu, ihm 500.000 ISK als Entschädigung zu zahlen, und entschuldigte sich öffentlich für den Umgang mit der Angelegenheit.[6]
Im Januar 2019 erschienen in der isländischen Presse eine Reihe von Artikeln über eine #MeToo Gruppe auf Facebook, in denen sich Frauen über sexuelle Belästigung durch Jón Baldvin Hannibalsson austauschten, als sie noch minderjährig waren.[7][8][9][10] Diese Fälle reichen bis in die 1960er Jahre zurück. Der jüngste Vorfall ereignete sich demnach im Sommer 2018 in Spanien. Aldís Schram, eine Tochter Jón Baldvins, berichtete im öffentlich-rechtlichen Radiosender Rás 2 von zwei selbst erlebten Vorfällen als Kind.
Sie schilderte, dass sie, als sie ihren Vater einige Jahre später damit konfrontierte, dieser dafür sorgte, dass sie mehrfach in eine Psychiatrie gebracht wurde. Er soll dazu auch seine politische Macht als Botschafter Islands in Washington genutzt und entsprechende Weisungen mit offiziellem Botschaftsenblem an das isländische Justizministerium geschickt haben.[11][12]
Jón Baldvin stritt bislang alle Anschuldigungen ab und nannte die Berichte der Frauen, die im Januar 2019 aufgetaucht sind und ihn der sexuellen Belästigung und Gewalt bezichtigten, entweder eine Fiktion oder eine Realitätsverknappung.[13][14]
Ehrungen
Weblinks
- „Auf die Hilfe der baltischen Länder können wir uns verlassen“: Postrevolutionär Litauen hilft Island beim EU-Beitritt (Deutschlandfunk am 11. März 2010)
- Profil auf der Homepage des isländischen Parlaments (isl.)
Einzelnachweise
- Skrá yfir fulltrúa Íslands hjá erlendum ríkjum frá upphafi (Icelandic Representatives to other States) (Isländisch) Utanríkisráðuneytið. Abgerufen am 6. März 2016.
- Official Opening of Iceland Embassy (Englisch) In: Debates of the Senate (Hansard). Parliament of Canada. 31. Mai 2001. Abgerufen am 6. März 2016.
- Bréf Jóns Baldvins ollu reiði, sorg og biturð. Abgerufen am 24. Januar 2019.
- Baðst afsökunar fyrir 12 árum. Abgerufen am 24. Januar 2019.
- Háskóli Íslands – griðastaður dónakarla? Abgerufen am 24. Januar 2019.
- Háskólinn fundar vegna meints „dónakarls“. Abgerufen am 14. Januar 2019.
- Four women describe sexual harassment by former foreign minister. Abgerufen am 24. Januar 2019.
- Four Women Come Forward About Sexual Harassment From Icelandic Elder Statesman. Abgerufen am 24. Januar 2019.
- Birta sögur um Jón Baldvin á sérstakri heimasíðu. Abgerufen am 24. Januar 2019.
- 300 í #metoo-hópi um Jón Baldvin. Abgerufen am 24. Januar 2019.
- Segir frá Jóni Baldvini: „Voðalega á ég ljótan pabba“. Abgerufen am 24. Januar 2019.
- Jón Baldvin accused by own daughter. Abgerufen am 24. Januar 2019.
- Jón Baldvin segir frásagnir kvennanna ýmist uppspuna eða skrumskælingu. Abgerufen am 24. Januar 2019.
- Jón Baldvin: Truth is the first victim. Abgerufen am 24. Januar 2019.