Humanes Respiratorisches Synzytial-Virus
Das Humane Respiratorische Synzytial-Virus (HRSV oder RSV; englisch: Human orthopneumovirus, früher: Human Respiratory Syncytial Virus) ist ein umhülltes Virus mit einzelsträngiger Minus-RNA aus der Familie der Pneumoviridae (früher Familie Paramyxoviridae, Unterfamilie Pneumovirinae und der Gattung Orthopneumovirus).
Respiratory-Syncytial-Virus | ||||||||||||||||||||
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Das HRSV in einer TEM-Abbildung | ||||||||||||||||||||
Systematik | ||||||||||||||||||||
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Taxonomische Merkmale | ||||||||||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||||||||||
Human orthopneumovirus | ||||||||||||||||||||
Kurzbezeichnung | ||||||||||||||||||||
HRSV | ||||||||||||||||||||
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Die Spezies tritt in den zwei häufigsten Subtypen A und B sowie den selteneren Typen S2 und RSS-2 auf. Sie ist mit zwei tierpathogenen Arten, dem Bovinen Respiratorischen Synzytialvirus (BRSV, englisch: Bovine orthopneumovirus) und dem Murinen Pneumonievirus (MPV, englisch: Murine orthopneumovirus) eng verwandt.
Die Erstbeschreibung erfolgte 1956 bei Schimpansen, bei denen RSV als Ursache einer Coryza erkannt wurde.[3]
Das Virus befällt den Respirationstrakt, vor allem die Schleimhäute der oberen Atemwege und das Flimmerepithel der Luftröhre und der Bronchien. Dort bewirkt es unter anderem eine Verschmelzung der betroffenen Zellen zu Syncytien,[4] was dem Virus seinen Namen gab.
Übertragung
Humane Respiratorische Synzytial-Viren werden meistens über Schmierinfektionen und Tröpfcheninfektion übertragen und verursachen Symptome im oberen Respirationstrakt: Schnupfen (Rhinitis, Erkältung), Husten, akute Bronchitis, Mittelohrentzündung. Die Inkubationszeit beträgt zwei bis acht Tage.[5]
Diagnostik
Das Virus kann mittels ELISA oder mit Hilfe der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) nachgewiesen werden.
Erkrankungsformen
Die Infektion von Kälbern mit Bovinen Respiratorischen Synzytial-Viren (BRSV) hat einen ähnlichen Verlauf wie die Infektion von HRSV beim Kleinkind und wird aus diesem Grunde zu Modelluntersuchungen zur Entwicklung von Impfstoffen und Therapeutika genutzt.
Säuglinge und Kleinkinder
Eine RSV-Infektion beim Säugling äußert sich mit Symptomen wie Fieber von 38 bis 39,5 °C, laufender Nase, Husten und Atembeschwerden. Durch die behinderte Atmung wird das Trinken erschwert und das Kind zeigt deshalb häufig auch Trinkschwäche.
Aufgrund der engen und kurzen Atemwege werden häufig die Bronchien und Bronchiolen in Mitleidenschaft gezogen – es kann zu einer Bronchiolitis kommen, was die Sauerstoffaufnahme behindern kann. Anzeichen für eine ungenügende Sauerstoffsättigung im Blut sind Blässe, bläuliche Färbung der Lippen oder Fingernägel (Zyanose), Einziehungen unterhalb des Rippenbogens (subcostal) und zwischen den Rippen (intercostal) und schnellere Atmung (Tachypnoe) mit Nasenflügeln. Dehydratation gilt auch als Anzeichen für einen ernsten Zustand.
Bei Kleinkindern und vor allem bei Säuglingen kommt es häufig zu schwereren Verläufen, die gerade bei Säuglingen eine stationäre Behandlung im Krankenhaus erfordern können.
Im Krankenhaus wird der Patient permanent überwacht, um bei Verschlechterung des Zustandes sofort Maßnahmen ergreifen zu können. Sauerstoffsättigung und Trinkmenge sind die wichtigsten Indikatoren. Gegebenenfalls werden auch EKG und Atemfrequenz überwacht. Bei ungenügender Sauerstoffsättigung wird Sauerstoff gegeben, in schweren Fällen mittels Beatmung. Trinkt das Kind ungenügend, kann der Einsatz einer Magensonde notwendig werden, um eine Dehydratation zu verhindern.
Während des 1. Lebensjahres haben 40–70 % und bis zum Ende des 2. Jahres nahezu alle Kinder einmal die Erkrankung durchgemacht.[6] Dies schützt zwar nicht vor erneuter Ansteckung, aber der Krankheitsverlauf wird dadurch weniger stark als bei Erstinfektion.[7]
Von den Erstinfektionen verlaufen ca. 2 % mit so ausgeprägten Symptomen, dass es zu einer Hospitalisation kommt.[8] Bei den hospitalisierten Fällen liegt die Letalität bei etwa 1,7 %. In England wurde der Krankheitsverlauf von 2009 Kindern verfolgt, die wegen RSV-Infektion hospitalisiert wurden, von diesen verstarben letztlich 35. Als Risikofaktoren für einen besonders schweren Verlauf mit tödlichem Ausgang wurden hierbei vor allem bereits vorher bestehende Erkrankungen sowie nosokomiale Infektion mit RSV entdeckt.[9]
Bei 5 % der erkrankten Kinder kommt es im Verlauf der Erkrankung zum Pseudokrupp.[10]
Eine Infektion mit RSV gilt bei Säuglingen als Risikofaktor für den plötzlichen Kindstod (SIDS).[11]
Eine überstandene Erkrankung erzeugt keine andauernde Immunität, es kann lebenslang zu Re-Infektionen kommen, die bei gesunden Menschen milde verlaufen.
Komplikationen
Die Infektion kann einen akuten Verlauf haben, besonders wenn eine bakterielle Superinfektion auftritt. In solchen schweren Fällen kann intensivmedizinische Überwachung notwendig sein.
RSV-Infektionen können mit Influenzawellen überlappen. Berechnungen aus den USA legen deutlich mehr Todesfälle durch Influenza nahe, die Übersterblichkeit durch Influenza läge dreimal so hoch wie die durch RSV.[12]
Weltweit sterben jährlich schätzungsweise 600.000 Menschen direkt oder indirekt durch RSV-Infektionen.[9]
Vorbeugung
Für Säuglinge und Kinder mit hohem Risiko besteht die Möglichkeit einer passiven Immunisierung mit dem monoklonalen Antikörper Palivizumab, die aus Kostengründen nur speziellen Risikofällen vorbehalten ist. Diese Immunisierung erzeugt zudem lediglich einen Schutz für wenige Wochen und muss deshalb während der HRSV-Saison (Oktober/November bis März/April) monatlich wiederholt werden.
Eine Impfung mit attenuierten oder abgetöteten Viren ist derzeit noch nicht möglich. US-Forscher haben laut Meldungen 2013 einen Impfstoff entwickelt, der in Tierversuchen eine hohe Schutzwirkung erzielt. Seit 2015 laufen klinische Studien des Impfstoffs am Menschen.[13][14]
Forschung
2014 entwickelte Gilead Sciences einen oralen RSV-Entry-Inhibitor (damaliger Name: GS-5806), der in einer doppelblinden Placebo-kontrollierten Expositionsstudie an 140 freiwilligen gesunden Erwachsenen eine deutliche Verminderung der Virenmenge und der Erkrankungsschwere zeigte.[15]
RSV-Welle seit September 2021
Das Robert Koch-Institut (RKI) berichtet, dass seit Spätsommer 2021 die Zahl der Krankenhaus-Einweisungen wegen Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) bei Ein- bis Vierjährigen stark gestiegen sei[16] – im September 2021 doppelt so viele wie in früheren Jahren. Diese Kinder seien wegen der Kitaschließungen und anderer Maßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie in Deutschland bisher nicht in Kontakt mit bestimmten Erregern gekommen. Die Infekte würden jetzt nachgeholt.[17][18]
Literatur
- S1-Leitlinie Infektionen mit Respiratorischem Synzytialvirus (RSV): Anforderungen der Hygiene der AMWF (Arbeitskreis „Krankenhaus- & Praxishygiene“). In: AWMF online (Stand 2013)
- S2k-Leitlinie Prophylaxe von schweren RSV-Erkrankungen bei Risikokindern mit Palivizumab der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektologie (DGPI), der Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin (GNPI) und der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie (DGPK). In: AWMF online (Stand 2012)
Weblinks
- Erkrankungen durch Respiratory Syncytial Viren (RSV) – Informationen des Robert Koch-Instituts
Einzelnachweise
- ICTV Master Species List 2018b.v2. MSL #34, März 2019
- ICTV: ICTV Taxonomy history: Akabane orthobunyavirus, EC 51, Berlin, Germany, July 2019; Email ratification March 2020 (MSL #35)
- R. E. Jr. Blount, J. A Morris, R. E Savage: Recovery of cytopathogenic agent from cimpanzees with coryza. In: Proceedings of the Society for Experimental Biology and Medicine. Juli 1956, Band 92, Nr. 3, S. 544–549.
- RS-Virus – Forschungsansätze. In: Lungeninformationsdienst. des Helmholtz Zentrums München, 28. September 2016, abgerufen am 15. Februar 2019.
- RKI-Ratgeber für Ärzte: Respiratorische Synzytial-Viren-Infektionen (RSV). Abschnitt Inkubationszeit.
- Robert Koch-Institut: Respiratorische Synzytial-Viren-Infektionen: RKI Ratgeber für Ärzte. In: Epidemiologisches Bulletin. Nr. 19, 2011; Erstveröffentlichung: 03, 2004.
- Rüdiger Dörries, Herbert Hof: Duale Reihe Medizinische Mikrobiologie. 4. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Thieme, Stuttgart / New York NY 2009, ISBN 978-3-13-125314-9.
- Christian P. Speer, Manfred Gahr: Pädiatrie. 2. Auflage. Springer, Heidelberg/ Berlin 2005, ISBN 3-540-20791-0.
- K. Thorburn: Pre-existing disease is associated with a significantly higher risk of death in severe respiratory syncytial virus infection. In: Archives of Disease in Childhood. 2009, Band 94, Nr. 2, S. 99–103, PMID 18653625.
- Respiratory Syncytial Virus. In: Pschyrembel. 262. Auflage. De Gruyter, Berlin / Boston MA 2010, ISBN 978-3-11-021152-8.
- Pädiatrie. In: Hanns Ackermann: ALLEX – alles fürs Examen: das Kompendium für die 2. ÄP. Band B: Klinische Fächer. Thieme, Stuttgart / New York NY 2012, S. 590.
- W. Thompson, D. K. Shay, E. Weintraub, L. Brammer, N. Cox, L. Anderson, K. Fukuda: Mortality associated with influenza and respiratory syncytial virus in the United States. In: Journal of the American Medical Association. (JAMA) 2003, Band 289, Nr. 2, S. 179–186, doi:10.1001/jama.289.2.179.
- rme: RS-Virus: Erster Impfstoff im Tierversuch erfolgreich. In: aerzteblatt.de. 4. November 2013, abgerufen am 11. März 2015.
- RS-Virus: Starke Immunantwort durch neuen experimentellen Impfstoff – Lungeninformationsdienst. Abgerufen am 3. Juli 2020.
- John P. DeVincenzo, Richard J. Whitley, Richard L. Mackman et al.: Oral GS-5806 Activity in a Respiratory Syncytial Virus Challenge Study. In: New England Journal of Medicine. 2014, Band 371, Ausgabe 8, 21. August 2014, S. 711–722, doi:10.1056/NEJMoa1401184.
- RKI (Arbeitsgemeinschaft Influenza). Robert Koch Institut, abgerufen am 28. Oktober 2021.
- Nach Lockdownmaßnahmen wegen Corona: Ungewöhnlich viele Kinder haben Atemwegsinfekte. Spiegel Online, 3. Oktober 2021.
- GrippeWeb-Wochenbericht: Kalenderwoche 38 (20.09.2021 – 26.09.2021), Datenstand: 28.09.2021. (PDF; 560 kB) Robert Koch-Institut