Hertha Hafer
Hertha Hafer, geborene Hertha Seekatz, (* 6. Mai 1913 im Westerwald; † 19. Oktober 2007 in Mainz) war eine deutsche Pharmazeutin und Apothekerin. Sie war die Erfinderin der blend-a-med-Zahncreme. Während Hafers Grundlagenforschungen zur Mundhöhlen-Biologie und Zahnkariesentwicklung bis heute wegweisend sind, ist ihre Theorie zur Phosphatstörung als Ursache für Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADS) umstritten.
Jugend und Ausbildung
Hertha Seekatz galt als hochbegabtes Kind und konnte schon mit vier Jahren fließend lesen; 1931 bestand sie das Abitur. Nach einem zweijährigen Apothekenpraktikum arbeitete sie in einer Leipziger Apotheke als Apothekenassistentin. Dort lernte sie den Apotheker Alfred Hesse (1911–1941) kennen und heiratete ihn im August 1937. Ihr Ehemann wurde zu Beginn des Zweiten Weltkriegs eingezogen und fiel 1941 an der Ostfront. Noch während des Krieges ging sie nach Frankfurt am Main, um Pharmazie zu studieren. Als ihre Frankfurter Wohnung den Bomben zum Opfer fiel, verließ sie die Stadt und setzte ihr Studium in Marburg fort, wo sie es 1945 mit dem Staatsexamen und ihrer Approbation abschloss. 1951 heiratete Hertha Hesse den bei der Firma Böhringer tätigen Chemiker Herbert Hafer (1921–1991), Sohn des Steiffwerke-Direktors Johann Leonhard Hafer aus Giengen an der Brenz und Else Geismann, Tochter des Fürther Brauereibesitzers Johann Geismann.
Blend-a-med
Nach Abschluss ihres Studiums forschte sie an der Universität Marburg im (späteren Physiologisch-Chemischen) Institut von Karl Dimroth (1910–1995) für die Cariosan K.G. über Zahnkaries. Anhand der verfügbaren Literatur vertiefte sie ihre Kenntnisse auf diesem Gebiet und stützte sich dann auf Berichte des amerikanischen Zahnarztes Robert Kesel, der mit Kombinationen aus Ammoniumphosphat und Harnstoff in Zahncremes gute Erfahrungen behauptete. Unter ihrem damaligen Namen „Hertha Hesse“ reichte sie am 15. November 1948 ein Patent für ein „Zahnpflegemittel“ ein,[1] das sie am 9. Februar 1949 um ein weiteres Patent ergänzte: „Verfahren zum Herstellen von Zahn- und Mundpflegemitteln“.[2] Darin werden Ammoniumsalze einfacher und sulfonierter Fettsäuren sowie Fettalkoholsulfonate als Wirkstoffe genannt.[3] Mit dem Ergebnis ihrer Forschung trat sie an die Mainzer Blendax-Werke heran, die schon vor dem Krieg europaweiter Marktführer für Zahncreme waren. Blendax produzierte ihre Zahncreme unter dem Namen blend-a-med.
Das United States Office of War Information hatte 1945 eine Broschüre mit Nachdrucken zahnmedizinischer Arbeiten verbreitet, darunter zwei Publikationen über Fluorid-Applikation des Kariesforschers Basil Glover Bibby.[4] Diese beiden Arbeiten wurden dann in schweizerischen und deutschen zahnmedizinischen Zeitschriften ausführlich referiert.[5][6] In der Folge befasste sich Hertha Hafer etwas intensiver mit Bibbys Untersuchungen. Anfang April 1949 hielt sie bei einer gemeinsamen wissenschaftlichen Fortbildungstagung der hessischen Landeszahnärztekammer und der Landesärztekammer einen Vortrag über einige pharmakologische und therapeutische Befunde über das Element Fluor.[7] Es sei bakterizid, ersetze leicht im Apatit die OH-Gruppe und wirke auf Fermente. In den USA als Trinkwasserzusatz genutzt, steigere es die Zahl der kariesresistenten Gebisse, erzeuge aber in Konzentrationen über 1 ppm (= 1 mg/l) eine endemische Fluorose. Wichtig sei auch die Menge des gleichzeitig aufgenommenen Kalziums. Bei manchen Erkrankungen wie Kropf usw. sei Fluor kontraindiziert.[8] Ihr Vortrag wurde, statt wie in der Deutschen Zahnärztlichen Zeitschrift angekündigt,[9] in der von Walter Drum geleiteten Zahnärztlichen Rundschau publiziert, ohne die Hinweise auf mögliche Komplikationen.[10] Vom Fluorid als Zahncreme-Zusatz war sie nicht überzeugt. Entgegen der Behauptung, von ihr stamme die erste Fluorid-Zahncreme,[11] glaubte sie, dass „Fluor nur wirksam ist, wenn bestimmte Anwendungsmethoden und exakte Dosierungen eingehalten werden.“[12]„Fluoridhaltige Zahnpflegemittel“, so schreibt sie weiter, „haben keine Wirkung und das Council on Dental Therapeutics der American Dental Association hat kürzlich Zahnpflegemittel mit anorganischen Fluorverbindungen zur Karies-Prophylaxe auf Grund der bisher negativ verlaufenen Versuche endgültig abgelehnt.“ Auch die später von Hertha Hafer für Blendax patentierten Zahn- und Mundpflegemittel enthielten keinen Fluorid-Zusatz, sondern chlorierte Diarylalkane als antibakterielle Wirkstoffe.[13][14]
Mit Unterstützung der Firma Blendax führten Hans Heuser, Direktor des zahnmedizinischen Instituts der Universität Marburg, und sein Assistent Wilhelm Kessler zwischen 1950 und 1952 Versuche zur „Zahnschutzhärtung“ (nach einem Aufruf von Walter Drum) an Marburger Kindern durch. Die von Hertha Hesse dazu hergestellte zweiprozentige NaF-Lösung wurde bei einem Teil der Kinder mit Ammonium-haltiger Blendax-Zahnpasta kombiniert und führte so zu einer stärkeren Kariesverminderung als die alleinige Fluorid-Pinselung.[15][16] Die Fluorid-Forschung für Blendax wurde erst später durch Rudolf Naujoks intensiviert.
Am 7. November 1953 war Hertha Hafer in Konstanz als einzige Frau unter den Gründungsmitgliedern der internationalen Forschungsorganisation European Organisation for Caries Research (ORCA) vertreten.[17]
Bis 1960 arbeitete Hafer in der Blend-a-med-Forschung, ihre Grundlagenforschung auf dem Feld der Mundhöhlen-Biologie ist bis heute wegweisend. So erforschte sie die Ursachen und Entwicklung von Zahnkaries. In Kooperation mit dem Mainzer Universitätsprofessor Theo Lammers publizierte sie hierzu ein Fachbuch.[18]
Im Jahr 1960 verließ sie Blendax und erwarb eine Apotheke in Mainz, die sie 20 Jahre lang betrieb. Danach lebte sie mit ihrem Mann zunächst zehn Jahre in der Schweiz und anschließend wieder in Mainz.[19]
Theorie der phosphatbedingten ADS-Entstehung
1963 adoptierte sie zusammen mit ihrem Mann einen 15 Monate alten Jungen. Bei dessen Einschulung stellte sich heraus, dass er außer Stande schien, dem Unterricht zu folgen. Auch sonst wurde er zum konzentrationsschwachen und aggressiven Problemkind. Die Hafers konsultierten deshalb zahlreiche Ärzte und Spezialisten, doch verschiedene Medikamentenbehandlungen führten nur zu teils drastischen Verschlechterungen des Gesundheitszustands des Adoptivsohnes.
Nachdem Hafer sich mit den Ernährungstheorien des Amerikaners Ben F. Feingold beschäftigt hatte, führte sie das ADS-Krankheitsbild in erster Linie auf ein Übermaß an Phosphaten in der Nahrung zurück. Diese nahrungsbedingten Störungen hätten nach Hafers Ansicht Mitte des 20. Jahrhunderts aufgrund veränderter Ernährungsgewohnheiten massiv zugenommen. Ihre Erkenntnisse und praktischen Ratschläge für eine phosphatarme Ernährung trug sie im Buch Die Heimliche Droge – Nahrungsphosphat zusammen, das nach einer Besprechung im Magazin Stern zum Bestseller wurde.
1990 erweiterte sie ihre Forschungsergebnisse um die These, dass die Phosphatempfindlichkeit vererbbar sei und besonders schlanke Menschen betreffe. Bei diesen Menschen würden die Nahrungs-Phosphate den Hormonhaushalt des vegetativen Nervensystems, besonders im Stirnhirn, stören.
Hertha Hafers Theorie, eine strikte Anwendung des vorgestellten Ernährungsplans solle den ADS-Betroffenen und ihren Familien zu einem normalen Leben verhelfen, ist bis heute heftig umstritten. Der nach Erfahrungen mit ihrem Adoptivsohn aufgestellte Plan verbietet über phosphathaltige Nahrungsmittel hinaus unter anderem Zucker, Zitrussäure, Obstsäure, Lecithin, Milch und Kakao, begünstigt jedoch tierische Fette und Cholesterin.[20][21][22]
Da der menschliche Körper im Schnitt täglich 600 bis 1200 Milligramm Phosphat mit der Nahrung aufnimmt und bei einem Defizit diese Substanz den Knochen entnimmt, wo es als Kalziumphosphat gespeichert ist, bezeichnen viele die Hafer-Diät als gefährlich und für die Ernährung eines Kindes völlig ungeeignet.
Die letzten Jahre
1982 zog Hafer mit ihrem Mann in die Schweiz, wo Herbert Hafer 1991 verstarb. 1992 kehrte Hertha Hafer nach Deutschland zurück und zog in Mainz in ein Seniorenheim, wo sie 2007 verstarb.
Werke
- Die heimliche Droge – Nahrungsphosphat als Ursache für Verhaltensstörungen und Jugendkriminalität, Heidelberg, Kriminalistik-Verlag, 1978, D&M Verlag 1984, erw. 1990
Weblinks
Einzelnachweise
- "Patentliste", Fette und Seifen 53:11 (1951) S. 716
- "Patentliste" Fette und Seifen 54:4 (1952) S. 236
- Hertha Hesse: Zahnpflegemittel (DE000P0021861DAZ)
- United States Office of War Information: Dentistry in the United States of America, 1945
- Schweiz. Mschr. f. Zahnheilk. 55 (1945) 628, 630, 961; Zahnärztl. Welt 1 (1946)133
- A. Stattelmann: Karies. B.G. Bibby: Die Anwendung von Fluor zur Verhütung der Karies. Deutsche Zahnärztl. Zeitschr. 2 (1947) 56 und 162
- Landeszahnärztekammer Hessen. Zahnärztl. Mitteilungen 37 (1949) 108
- W. Kessler: Wissenschaftliche Fortbildungstagung am 2./3. April in Gießen. Zahnärztl. Mitteilungen 37 (1949) 189
- Übersichten. Dtsch. Zahnärztl. Zeitschr. 4:Nr. 10 (15. Mai 1949)
- H. Hesse: Über äußerliche Anwendung von Fluorsalzen zur Kariesprophylaxe. Zahnärztl. Rundschau 58:Nr.9 (1949) 149
- Duschner H.: "50 Jahre ORCA: European Organization for Caries Research"
- Hafer H.: „Prophylaktische Mundpflege“, Fette und Seifen 54:5 (1952) 282-4
- Hafer H.: „Zahn- und Mundpflegemittel“, Deutsches Patent DE932928, pat. am 24. April 1951
- Küspert K., Theobald E., Hafer H: „Zahnpflegemittel“ Auslegeschrift DE1030519, Anmeldung 7. März 1953
- H. Heuser, W. Kessler: Verminderung der Zahl von Neuerkrankungen an Zahnkaries durch Fluor-Pinselungen und Ammonium-Ionhaltige Zahnpflegemittel. Zahnärztl. Rundschau 61: Nr.20 (1952) 603
- H. Heuser: Zur Frage der Kariesprophylaxe durch Fluor. Das Deutsche Zahnärzteblatt 16: Nr.14 (1962) 419
- Heinz Duschner: 50 Jahre ORCA: European Organisation for Caries Research (Memento vom 10. Mai 2009 im Internet Archive) auf der Website der Gesellschaft für Präventive Zahnheilkunde
- Th. Lammers, H. Hafer: Biologie der Zahnkaries. Ursachen der Karies-Resistenz oder -Anfälligkeit, Hüthig Verlag, Heidelberg 1956
- Katharina Metternich: (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven: Als Karies noch Zahnfäule hieß) , Nachricht auf der Website der Zeitung Neue Westfälische vom 18. März 2011, gesehen 7. Juli 2012
- (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven: Diätlexikon)
- Abnehmen Lexikon: Hafer-Diät
- Hafer-Diät