Heinrich Roessler
Heinrich Roessler (* 9. Januar 1845 in Frankfurt am Main; † 15. April 1924 ebenda) war ein deutscher Chemiker und Unternehmer. Er gründete die Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt (Degussa AG) und entwickelte neuartige Reinigungs- und Umweltschutzverfahren bei der Herstellung von Silber und Gold. Er förderte elektrolytische Verfahren zur Gold- und Silbergewinnung. Ihm gelang die industrielle Produktion von Glanzgold zur Beschichtung von Glas, Porzellan, Keramik.
Bedeutsam waren auch seine sozialen Anliegen für Mitarbeiter der Firma. Er richtete eine Unfalls- und Pensionskasse ein und verringerte die Arbeitszeit im Unternehmen.
Leben
Heinrich Roessler war der zweite Sohn des Münzwardeins in Frankfurt am Main. Seine Mutter war Marie Caroline Andreae-Willemer (1821–1906).[1] Er war verheiratet mit Agnes Charlotte Friederike Schneider (1849–1934). Sein Sohn war der Chemiker und Industrielle Fritz Roessler (* 27. Juni 1870 Frankfurt, † 17. November 1937 Königstein i.Ts.).[2]
Nach Besuch der Frankfurter Privatschule Abel & Simon wechselte Roessler im Jahr 1856 auf die Realschule in Darmstadt. Im Jahr 1861 bestand Roessler das Abitur und besuchte danach die Abteilung Chemie der Darmstädter höheren Gewerbeschule. Von 1862 bis 1866 studierte er Chemie und Metallurgie an der Bergakademie Freiberg, wo er sich wie schon sein Bruder Hector dem Corps Franconia anschloss.[3] Bei Friedrich Wöhler in Göttingen fertigte Roessler am 12. Februar 1866 seine Doktorarbeit Ueber die Cyanverbindungen des Palladiums an. Roessler bekam im Jahr 1866 ein Angebot von der Silberschmelzhütte in Braubach. Dort lernte er auch seine spätere Frau Agnes Charlotte Friederike Schneider, die Tochter eines Inspektors der Hütte, kennen.
Da Frankfurt seit 1866 preußisch geworden war, verlor sein Vater, Friedrich Ernst Roessler (1813–1883), die Rechte an der Frankfurter Münze. Der chemische Betrieb des Vaters, wurde von der Münzgasse in die Schneidwallgasse verlegt. Ab 1. Januar 1868 führten Heinrich und Hector Roessler die Firma unter dem Namen Friedrich Roessler Söhne.
1867 wurde Roessler Mitglied des Physikalischen Vereins. Ab 1871 hielt er dort wissenschaftliche Vorträge und führte von 1887 bis 1888 und von 1892 bis 1894 den Vereinsvorsitz. Von 1875 bis 1908 gehörte Roessler als Abgeordneter der Demokraten mit Unterbrechungen der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung an, darunter von 1880 bis 1884 und 1901 bis 1907 als stellvertretender Vorsitzender. Dort setzte er sich nachdrücklich für das Allgemeine Wahlrecht ein.
Roessler war Mitglied der Deutschen Volkspartei und Mitinitiator des Frankfurter Friedensvereins, der Deutschen Friedensgesellschaft sowie des Verbands für internationale Verständigung.
Unternehmerische Erfolge
Unter dem Einfluss von Heinrich Roessler wuchs die Firma schnell. Roessler entwickelte im Jahr 1870 ein Verfahren zur Ausfällung von Silber aus schwefelsaurer Silbersulfatlösung, die beim Lösen von alten Silbermünzen entstand, mit Eisen statt mit dem teuren Kupfer. Das Verfahren war so vorteilhaft, dass es auch in den Scheideanstalten von München, Paris und London bis zur Einführung der Silberelektrolyse (1892) genutzt wurde.
Mit der Währungsumstellung von Gulden und Talern auf Mark wurden größere Mengen an Münzen und Münzmetall benötigt. Da den Roesslers das nötige Kapital zum Ankauf von Metall und Produktionseinrichtungen fehlte, gründeten sie im Jahr 1872 eine Aktiengesellschaft, die Degussa AG. Dabei wurde der ganze private Besitz der Firma Friedrich Roessler Söhne in Eigenkapital der Degussa AG umgewandelt. Die Familie Roessler behielt 26 % des Eigenkapitals der Aktiengesellschaft, Heinrich und Hector wurden zu Direktoren der Degussa.
Schnell stieg das hergestellte Scheidemetall der Degussa von 29 Tonnen (1872) auf 550 Tonnen (1876). Im Jahr 1877 wurde ein zweiter Scheidebetrieb in der Gutleutstraße errichtet. Heinrich entwickelte auch ein Reinigungsverfahren gegen das bei der Produktion austretende Schwefeldioxid. Hierbei wurden die Abgase mit gesättigter Kupfersulfatlösung behandelt, wobei in Gegenwart von Luftsauerstoff die aus dem Schwefeldioxid entstandene Schweflige Säure zu Schwefelsäure oxidiert wurde. Dieses Roesslersche-Verfahren zur Beseitigung von Schwefliger Säure aus Hüttenrauch und Fabrikgasen wurde 1882 patentiert.
Für die elektrolytische Silberabscheidung verglich Roessler mehrere Verfahren. Erst 1892 wurde das Möbius-Verfahren zur elektrolytischen Silbergewinnung bei der Degussa AG eingeführt. Es wurden 70 große Bäder zur elektrolytischen Herstellung von Silber, Gasgeneratoren zur Stromerzeugung von Möbius auf dem Werksgelände aufgestellt. Mit dem elektrolytischen Verfahren konnte an einem Tag etwa 800 kg Silber hergestellt werden.
Im Jahr 1895 erwarb Roessler das Verfahren zur Goldgewinnung von der Norddeutschen Affinerie nach Emil Wohlwill.
Ab 1880 wurde Glanzgold, eine Lösung von Goldverbindungen in etherischen Ölen, zur Dekoration von Glas, Porzellan, Keramik durch Einbrennen industriell hergestellt.[4] Nach einigen Verbesserungen – durch den Zusatz von etwas Rhodium wurde die Haftfestigkeit erhöht – entwickelte sich das Geschäft mit Glanzgold sehr gut. Es wurden weitere Produktionsstätten gegründet (Brooklyn, New York (Bundesstaat) und Perth Amboy, New Jersey, beide in den USA).
Auch die Entwicklung von Porzellanfarben der Degussa war Roesslers Verdienst. Er entwickelte ein besonderes Kobaltoxyd.
Roessler entwickelte auch ein Verfahren zur Entsilberung von Blei durch Zink.
Ein Schwerpunkt für die Forschung und Produktion war die Weiterentwicklung des Ofenbaus. Hierbei entstanden die Roesslerschen Gas-Muffelöfen und die 1885 patentierten Gas- und Koksöfen mit Luftvorwärmung, womit man eine um 200 bis 300 °C höhere Ofentemperatur erzielen konnte. Dementsprechend wurden auch die Schmelzöfen bei der Degussa umgebaut, was zu erheblichen Brennmaterialersparnissen führte.
Ehrungen
1909 erhielt Roessler den Professorentitel verliehen. Der Physikalische Verein ernannte ihn 1923 zum Ehrenmitglied. Die Bergakademie Freiberg verlieh ihm 1923 die Würde eines Ehrendoktors. Nach Roessler ist die Heinrich-Roessler-Straße im Frankfurter Stadtteil Dornbusch benannt. Die Fachgruppe Chemieunterricht der Gesellschaft Deutscher Chemiker benannte den Heinrich-Roessler-Preis für Chemiedidaktik nach ihm.
Literatur
- Wolfgang Klötzer (Hrsg.): Frankfurter Biographie. Personengeschichtliches Lexikon. Zweiter Band. M–Z (= Veröffentlichungen der Frankfurter Historischen Kommission. Band XIX, Nr. 2). Waldemar Kramer, Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-7829-0459-1, S. 207–208.
- Andrea Hohmeyer: Roessler, Johann Heinrich. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 21, Duncker & Humblot, Berlin 2003, ISBN 3-428-11202-4, S. 746 f. (Digitalisat).
- Dr. Mechthild Wolf: Heinrich Roessler 1845 – 1924, Herausgeber: Degussa AG, Frankfurt a. M. 1984
- Mechthild Wolf: Das Porträt: Heinrich Roessler 1845 – 1924, Chemie in unserer Zeit, 20. Jahrg. 1986, Nr. 3, S. 84–89, ISSN 0009-2851
- Horst-Ulrich Textor: Hector und Heinrich Roessler. Die Gründer der „Degussa“ und ihre Studienzeit in Freiberg/Sachsen. Einst und Jetzt, Jahrbuch des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung, Bd. 61 (2016), S. 273–300.
Weblinks
- Rößler, Johann Heinrich. Hessische Biografie. (Stand: 9. Mai 2020). In: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS).
- Roessler, Heinrich im Frankfurter Personenlexikon
Einzelnachweise
- „Rößler, Heinrich“ (Genealogie der Rößler-Familie). Hessische Biografie. In: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS). - Die Mutter war eine Cousine 2. Grades von Albert Andreae de Neufville und anderen, die nach Alexander Dietz ihre Abstammung auf Johann Valentin Andreae und Jakob Andreae zurückführen.
- Rößler, Fritz. Hessische Biografie. In: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS).
- Corpsliste Corps Franconia in Freiberg, Sachsen, 5. März 1838 bis 27. Oktober 1935, und Corps Franconia Fribergensis zu Aachen seit 28. November 1953, Stand Sommersemester 1985, S. 7, Nr. 114.
- Eigendarstellung des Unternehmens auf geschichte-evonik.de, abgerufen am 22. September 2014