Harun Farocki

Harun Farocki (* 9. Januar 1944 a​ls Harun El Usman Faroqhi[1] i​n Neutitschein; † 30. Juli 2014[2] i​n der Nähe v​on Berlin) w​ar ein deutscher Filmemacher, Autor u​nd Hochschuldozent für Film. Er gehörte z​u den wichtigen Essayfilmern u​nd hat m​ehr als 90 Filme realisiert.

Harun Farocki in Moskau, 2013

Leben

Farocki w​urde als Sohn d​es in d​en 1920er Jahren n​ach Deutschland eingewanderten indischen Arztes Abdul Qudus Faroqui u​nd seiner Frau Lili i​n Neutitschein i​n Mähren geboren u​nd wuchs i​n Indien u​nd im heutigen Indonesien, später i​n Bad Godesberg u​nd schließlich a​b 1958 i​n Hamburg auf.[3] Während seiner Zeit i​n Bad Godesberg besuchte e​r das Aloisiuskolleg.[4]

1962 ließ sich Harun Farocki in Berlin nieder[5] und betrieb mit Dimitrius Boyksen und Natias Neutert zunächst die dichtmachende Galerie Zinke als öffentlichen Dichtertreffpunkt, bevor er von 1966 bis 1968 im ersten Jahrgang an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) studierte. Von 1974 bis 1984 war er Redakteur der Zeitschrift Filmkritik. Gemeinsam mit Hanns Zischler inszenierte er 1976 Heiner Müllers Stücke Die Schlacht und Traktor im Theater Basel. In den Jahren 1993 bis 1999 war er Dozent an der University of California, Berkeley, seit 2000 an der dffb und der Universität der Künste Berlin. Seit 2004 unterrichtete er an der Akademie der bildenden Künste Wien.

In d​en 2000er Jahren s​chuf Harun Farocki e​ine Reihe v​on künstlerischen Arbeiten, d​ie im Ausstellungs- u​nd Museumskontext gezeigt werden, u​nter anderem Installationen über Gefängnisse o​der auch Shopping Malls. 2006 kuratierte e​r zusammen m​it seiner Frau Antje Ehmann i​n Wien d​ie Ausstellung Kino w​ie noch nie, d​ie 2007 i​n Berlin gezeigt wurde.

An d​er Documenta 12 (Kassel 2007) n​ahm Harun Farocki m​it der Medieninstallation Deep Play (2007) teil.

Farocki kuratierte diverse Filmprogramme, z. B. e​ine Filmreihe i​m Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (2005) m​it Filmen v​on Rosa v​on Praunheim, Werner Schroeter, Klaus Wildenhahn u​nd anderen.[6]

Farocki w​ar der Lehrer d​es Regisseurs Christian Petzold a​n der Deutschen Film- u​nd Fernsehakademie Berlin u​nd beeinflusste dessen Werk nachhaltig. Die beiden wurden Freunde u​nd in d​en folgenden zwanzig Jahren w​ar Farocki b​ei vielen Drehbüchern Petzolds Co-Autor u​nd seine Essays e​ine wichtige Inspiration. Ihr letztes gemeinsames Werk i​st der Film Phoenix a​us dem Jahre 2014.[7][8]

Grabstätte

Er s​tarb unerwartet a​m 30. Juli 2014 i​m Alter v​on 70 Jahren i​n der Nähe v​on Berlin. Seine letzte Ruhestätte f​and Farocki a​uf dem Friedhof d​er Dorotheenstädtischen u​nd Friedrichswerderschen Gemeinden i​m Berliner Ortsteil Mitte.[9]

Farockis Schwester i​st die Orientalistin Suraiya Faroqhi.[10]

Ausgewählte Filme

(R = Regie, S = Schnitt, B = Drehbuch, P = Produktion, D = Darsteller)

Dokumentarfilm

  • Modell / Realität – Christoph Hübner im Gespräch mit Harun Farocki, Deutschland 2004, 60 Min., aus der Reihe Dokumentarisch arbeiten, Buch und Regie: Christoph Hübner und Gabriele Voss, Produktion: ARD, WDR, ZDF und 3sat, Erstausstrahlung: 20. Februar 2005 auf 3sat, Angaben vom WDR zum Film (Memento vom 4. November 2005 im Internet Archive)

Hörspiele und Features (Auswahl)

  • 1973: Subjekt? – Objekt? Aus dem Leben des Rentners W. – Ein Porträt (WDR)
  • 1974: Berufsarbeit und Entfremdung – Sechs Studien zum Bewußtsein abhängig Arbeitender
  • 1976: Barfüßiges Denken. Berufstätige zu ihrer Arbeit (WDR)
  • 1976: Gespräche mit Zeitgenossen (WDR)
  • 1976: Das große Verbindungsrohr, Regie: Walter Adler (WDR)
  • 1977: Das hohe Fenster oder Das Halsband des Todes. Eine Montage, Regie: Otto Düben (SDR)
  • 1978: So long good-bye (WDR)

Schriften (Auswahl)

  • Das große Verbindungsrohr und Wie man sieht. In: Die Republik, Nummer 76–78 vom 9. September 1986. Texte im Zusammenhang mit den Filmen Zwischen zwei Kriegen und Wie man sieht.
  • Gemeinsam mit Kaja Silverman: Von Godard sprechen. Vorwerk 8, Berlin 1998, ISBN 3-930916-18-5. Aus dem Englischen übersetzt von Roger M. Buergel. Mit einem Vorwort von Hanns Zischler. Neuausgabe als Schriften, Bd. 2. Hrsg. von Doreen Mende. Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2018, ISBN 978-3-96098-224-1
  • Nachdruck / Imprint. Texte / Writings. Hrsg. von Susanne Gaensheimer, Nicolaus Schafhausen. Ins Amerikanische übers. von Laurent Faasch-Ibrahim. Bearbeitet von Volker Pantenburg. Vorwerk 8, Berlin 2001, ISBN 978-3-930916-41-2.
  • Rote Berta Geht Ohne Liebe Wandern. Strzelecki Books, Köln 2009, ISBN 978-3-9812714-8-5, Publikation anlässlich der Ausstellung Harun Farocki – Ausstellung und Filmprogramm im Museum Ludwig. Autobiographisch, Beschreibung der Entstehung einiger seiner Werke.
  • Zehn, zwanzig, dreißig, vierzig. Fragment einer Autobiografie (= Schriften. Bd. 1. Hrsg. von Marius Babias, Antje Ehmann). Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2017, ISBN 978-3-96098-223-4.
  • Meine Nächte mit den Linken. Texte 1964–1975 (= Schriften. Bd. 3. Hrsg. von Volker Pantenburg). Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2018, ISBN 978-3-96098-225-8.
  • Ich habe genug!. Texte 1976–1985 (= Schriften. Bd. 4. Hrsg. von Volker Pantenburg). Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2019, ISBN 978-3-96098-226-5.
  • Unregelmäßig, nicht regellos. Texte 1986–2000 (= Schriften. Bd. 5. Hrsg. von Tom Holert). Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Köln 2021, ISBN 978-3-96098-990-5.

Auszeichnungen

DVD

  • 2009: Filme 1967 – 2005. absolut MEDIEN. ISBN 978-3-89848-969-0. (Insgesamt zwanzig Filme auf fünf DVDs.)
  • 2011: „Bilder der Welt und Inschrift des Krieges“ und „Aufschub“

Gespräche, Interviews

Ausstellungen

  • Sprengel Museum, Hannover: Nicht ohne Risiko (29. März bis 2. August 2009)
  • Museum Ludwig, Köln: Harun Farocki – Ausstellung und Filmprogramm (31. Oktober 2009 bis 7. März 2010)
  • SEVEN SCREENS, OSRAM Art Projects, München: Umgießen. Variation zu opus 1 von Tomas Schmit (20. Mai bis 21. November 2010)
  • Kunsthaus Bregenz, Bregenz, Österreich: Weiche Montagen/ Soft Montages (23. Oktober 2010 bis 9. Januar 2011)
  • Art-Space Pythagorion, Pythagorion, Samos Griechenland: Harun Farocki – Zwischen Auge und Hand (20. Juli 2012 bis 20. September 2012)
  • Edith-Russ-Haus, Oldenburg: Harun Farocki – Spiel und Spielregeln (12. April 2013 bis 9. Juni 2013)
  • Städtische Galerie im Lenbachhaus, München: Playtime (15. März bis 29. Juni 2014). Ausgestellte Werke: Ein neues Produkt (2012), Die Bewerbung (1997)
  • Hamburger Bahnhof, Berlin: Harun Farocki: Ernste Spiele. Vierteilige Videoprojektion (6. Februar 2014 bis 13. Juli 2014)[14]

Literatur

Commons: Harun Farocki – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Harris M. Lentz III: Obituaries in the Performing Arts, 2014. MacFarland & Company, Jefferson 2015, ISBN 978-0-7864-7666-4, S. 109.
  2. Tagesspiegel.de: Filmemacher Harun Farocki gestorben (abgerufen am 31. Juli 2014)
  3. Tagesspiegel.de: Filmemacher Harun Farocki gestorben (abgerufen am 31. Juli 2014)
  4. Harun Farocki: Zehn, zwanzig, dreißig, vierzig : Fragment einer Autobiografie. Hrsg.: Marius Babias, Antje Ehmann. Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2017, ISBN 978-3-96098-223-4.
  5. Tagesspiegel.de: Filmemacher Harun Farocki gestorben (abgerufen am 31. Juli 2014)
  6. Harun Farocki as curator. Harun Farocki, abgerufen am 4. November 2020.
  7. Text zur Sonderaufführungen zu Farockis Tod, Max Ophüls Filmfest 2015 (Memento vom 20. Juni 2015 im Internet Archive), abgerufen am 16. Januar 2015
  8. „Ironie kotzt mich an“ Interview mit Petzold (Memento vom 20. Juni 2015 im Internet Archive), abgerufen am 16. Januar 2015
  9. knerger.de: Das Grab von Harun Farocki
  10. Gregor Dotzauer: Harun Farocki – Bilder, die die Welt zerlegen. Nachruf auf den Filmemacher. In: Der Tagesspiegel vom 31. Juli 2014 (abgerufen am 14. Februar 2018).
  11. Meisterwerke der Medienkunst aus der ZKM_Sammlung http://on1.zkm.de/zkm/meisterwerke/farocki
  12. „Doku über Unternehmensberater Eine wirklich radikale Veranstaltung“, Spiegel-Online, 12. Oktober 2012, http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/film-von-farocki-ueber-unternehmensberater-die-sprache-der-consultants-a-859790.html
  13. https://www.mathildenhoehe.eu/ausstellungen/archiv/wilhelm-loth-preis-verleihung-2009/
  14. Mitteilung zur Ausstellung (Memento vom 20. Juni 2015 im Internet Archive), abgerufen am 6. August 2014
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