Haftbefehl (Rapper)
Haftbefehl (* 16. Dezember 1985[1] in Offenbach am Main; bürgerlich Aykut Anhan[2]) ist ein deutscher[3][4] Rapper, der bei Urban/Universal Music unter Vertrag steht.[5]
Persönliches
Anhan wurde als Sohn türkeistämmiger Eltern im hessischen Offenbach geboren. Sein zazaisch-kurdischer Vater stammt aus der osttürkischen Stadt Tunceli[3] seine türkische Mutter aus Giresun am Schwarzen Meer. Sein Vater beging Suizid, als Anhan 14 Jahre alt war.[6] Daraufhin brach er seine Schullaufbahn ohne Abschluss ab, wurde kriminell und mit 15 Jahren das erste Mal zu Jugendarrest verurteilt.
Den Künstlernamen wählte er infolge eines im Jahr 2006 gegen ihn ausgestellten Haftbefehls wegen Drogenhandels. Nach einer Flucht in die Türkei entkam er den deutschen Behörden und lebte einige Zeit in Istanbul. Später zog er in die Niederlande, wo er in Amsterdam und bei seinem Cousin in Arnheim wohnte.[7][8] Zu dieser Zeit verfasste er erste Raptexte. Wenig später kehrte er nach Deutschland in seine Heimatstadt Offenbach zurück, wo er eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker begann, diese jedoch nach drei Wochen abbrach. Anschließend betrieb er ein Wettbüro in der Offenbacher Kaiserstraße und begann mit der Aufnahme seiner ersten Lieder. Er bekam anschließend seinen ersten Plattenvertrag.
Seit 2016 ist er verheiratet und Vater zweier Kinder.[9][10]
Sein jüngerer Bruder Capo ist ebenfalls Rapper. Sein älterer Bruder Aytac wurde 2017 wegen Bankraubs zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt.[11][12]
Haftbefehl wurde am 16. Juli 2020 mit einer Schussverletzung in einem Darmstädter Krankenhaus behandelt. Wie es dazu kam, ist unbekannt.[13]
Karriere
Als der Inhaber des Labels Echte Musik, Jonesmann, die Musik von Haftbefehl hörte, war er von dessen Fähigkeiten überzeugt und nahm ihn unter Vertrag.[14] Haftbefehl war mit acht Beiträgen an dem Label-Sampler Kapitel 1: Zeit für was Echtes beteiligt, außerdem erlangte er durch Beiträge auf dem Sampler La Connexion und auf den Soloalben von Kollegah und Manuellsen Aufmerksamkeit.
Am 29. Oktober 2010 erschien sein erstes Soloalbum Azzlack Stereotyp, das auf Platz 59 der deutschen Album-Charts einstieg. Nach der Schließung des Labels Echte Musik gründete Haftbefehl sein eigenes Label Azzlackz,[15] bei dem neben den Frankfurtern Celo & Abdi sein Bruder Capo, Milonair, Hanybal, Dú Maroc und Veysel[16][17] unter Vertrag stehen. Veysel verließ es jedoch im März 2015 wieder.[18]
Im Frühjahr 2012 erschien Haftbefehls zweites Album Kanackiş, das die Top Ten der deutschen Album-Charts erreichte und unter anderem Gastbeiträge von Künstlern wie Jan Delay und Sido beinhaltet. Anlässlich des 15. Todestages des amerikanischen Rappers The Notorious B.I.G. veröffentlichte das splash! Magazin im Februar 2012 das Mixtape The Notorious H.A.F.T., auf dem namhafte Produzenten (z. B. Shuko, Brenk) verschiedene Acapellas von Haftbefehl im musikalischen Gewand der neunziger Jahre präsentierten.
In den Single-Charts landete Haftbefehl erstmals mit der Single Chabos wissen wer der Babo ist, die sich insgesamt acht Wochen in den Charts hielt und mit Platz 30 ihre höchste Platzierung erreichte. In der Szene wurde dem Lied durchaus größere Bedeutung zugemessen, wie an den zahlreichen Remixen und Referenzen deutlich wurde. Aber auch über die Szene hinaus hinterließ der Song und insbesondere das Wort Babo (zazaisch für Vater oder auch Chef) bleibenden Eindruck: Babo fand Eingang in die deutsche Jugendsprache und wurde im November 2013 von einer Jury unter Leitung des Langenscheidt-Verlags zum Jugendwort des Jahres 2013 gewählt.[3]
Im September 2013 unterschrieb er einen Vertrag mit Universal Music. Für sein erstes Geld von Universal kaufte er sich einen Jaguar, obwohl er selbst keinen Führerschein besitzt.[19] 2014 erschien sein Album Russisch Roulette. Es sei „ein beeindruckendes Werk, das zwischen einer düsteren Traurigkeit wie bei seinem Vorbild Notorious B.I.G. und überzeichneter Mafia-Rhetorik im Scarface-Stil schwankt“, urteilte Florian Lütticke von der Deutschen Presse-Agentur. Die meisten Beats auf dem Album stammen von Bazzazian (ehemals Benny Blanco).[19] Der Juice-Redakteur Jakob Paur schrieb in seinem Review, dass „dieses Album den längst überfälligen Zeitpunkt, an dem Straßenrap auch fernab aller Genregrenzen auf künstlerischer Ebene ernstgenommen werden muss“, markiert. Er bewertete Russisch Roulette mit sechs von sechs möglichen Kronen. Somit ist das Album die genreweit erst 25. Veröffentlichung überhaupt, an die diese Höchstwertung vergeben wurde.[20]
2015 ist Haftbefehl im Song Mama des gleichnamigen Albums von MoTrip zu hören. Nach den Single-Veröffentlichungen CopKKKilla am 1. Dezember 2015 und Depressionen im Ghetto am 16. Dezember, erschien am 18. Dezember Haftbefehls Mixtape Unzensiert. Den Release kündigte er wenige Stunden zuvor auf dem Soundclash, den er gegen Sido bestritt, an.[21]
Am 12. August 2016 erschien das Kollabo-Album Der Holland Job mit Xatar. Auf dem ebenfalls im August 2016 erschienenen Album Advanced Chemistry der Hamburger Band Beginner ist er zudem im Song Macha Macha zu hören.
In der Dezember 2018 erschienenen Netflix-Serie Dogs of Berlin hatte Haftbefehl einen Cameoauftritt.[22]
Stil und Inhalt
Ein zentrales Kennzeichen ist sein Akzent, der unter anderem dadurch charakterisiert ist, dass der Konsonant H von Haftbefehl häufig als stimmloser velarer Frikativ, also wie das ch im deutschen Wort Bach ausgesprochen wird.
Ein weiteres Charakteristikum seiner Vortragsweise ist, dass seine Texte zahlreiche dem Türkischen, Arabischen, Kurdischen und der Zaza-Sprache entnommene Vokabeln enthalten und teilweise auch entsprechende Satzstrukturen aufweisen. Der Reimstil und Flow von Haftbefehl orientiert sich in erster Linie am US-amerikanischen Gangsta-Rapper Notorious B.I.G., was sich in der Verwendung von übergehenden Reimen, Mittenreimen und Binnenreimen bemerkbar macht.
Inhaltlich behandeln die Texte von Haftbefehl meist das Leben im kleinkriminellen Milieu (z. B. in Ich nehm' dir alles weg oder Psst!). So rappt Haftbefehl beispielsweise detailliert über die Herstellung und den Verkauf von Drogen sowie über die Anwendung von Waffengewalt, wobei er eine ambivalente Meinung über das Leben als Krimineller zu transportieren scheint und sowohl die Vorteile, als auch die Nachteile eines derartigen Lebensstils in seinen Liedern behandelt. Andere Themen in den Texten des Rappers sind die Diskriminierung von Migranten in Deutschland (Generation Kanack mit Manuellsen) und das Leben in sozial schwachen Bezirken (Glaub an den Herrn mit Manuellsen, Sommernacht in Offenbach).
Kritik
Die Tageszeitung Die Welt kritisierte Haftbefehl wegen einiger antisemitischer Textstellen wie „ticke Kokain an die Juden von der Börse“ (aus dem Lied Psst), des Lieds Free Palestine sowie eines Auftritts in einem Video, wo einer seiner Mitstreiter mit einer Bazooka-Attrappe in der Hand Freiheit für Palästina forderte. Zudem kritisierte der Welt-Artikel auch weitere Aussagen der von ihm unter Vertrag genommenen Rapper Celo & Abdi. Haftbefehl gebe aber auch zu verstehen, dass er jede Kultur respektiere und nichts „gegen Juden habe“.[23] Weitere Kritik kam von Marcus Staiger, der in einem Artikel für die Zeitschrift Spex ebenfalls aus Free Palestine zitierte und gleichzeitig darauf aufmerksam machte, dass Haftbefehl „sich gern als jüdischer Teppichhändler Jakob Goldstein ausgibt, um bei der Zimmerreservierung in Hotels eine bevorzugte Behandlung zu bekommen“. Diese Witze seien „im Verein mit einer Fangemeinde, die gerne nach einfachen Lösungen sucht, (…) eben ganz und gar nicht ungefährlich“.[24] Kritik wurde auch an der dauerhaften Erwähnung des Namens der jüdischen Familie Rothschild im Lied Haram para geübt.[25] In einem im April 2021 veröffentlichten Interview mit dem Magazin Der Spiegel distanzierte sich Haftbefehl deutlich von den von ihm in der Vergangenheit geäußerten Verschwörungstheorien und entschuldigte sich.[26]
Diskografie
Studioalben
Jahr | Titel | Höchstplatzierung, Gesamtwochen, AuszeichnungChartplatzierungenChartplatzierungen[27] (Jahr, Titel, Platzierungen, Wochen, Auszeichnungen, Anmerkungen) |
Anmerkungen | ||
---|---|---|---|---|---|
DE | AT | CH | |||
2010 | Azzlack Stereotyp | DE59 (1 Wo.)DE |
— | — |
Erstveröffentlichung: 29. Oktober 2010 |
2012 | Kanackiş | DE10 (2 Wo.)DE |
AT36 (1 Wo.)AT |
CH12 (4 Wo.)CH |
Erstveröffentlichung: 10. Februar 2012 |
2013 | Blockplatin | DE4 (5 Wo.)DE |
AT6 (3 Wo.)AT |
CH7 (3 Wo.)CH |
Erstveröffentlichung: 25. Januar 2013; indiziert[28] |
2014 | Russisch Roulette | DE4 (10 Wo.)DE |
AT10 (1 Wo.)AT |
CH7 (3 Wo.)CH |
Erstveröffentlichung: 28. November 2014 |
2020 | Das weiße Album | DE4 (7 Wo.)DE |
AT6 (3 Wo.)AT |
CH5 (4 Wo.)CH |
Erstveröffentlichung: 5. Juni 2020 |
2021 | Das schwarze Album | DE7 (5 Wo.)DE |
AT6 (3 Wo.)AT |
CH14 (4 Wo.)CH |
Erstveröffentlichung: 30. April 2021 |
Auszeichnungen
- 2010: „Bester Newcomer national“[29]
- 2011: „Beste Kollaboration“ (mit Kollegah & Farid Bang)[30]
- 2012: „Beste Punchline“ für Chabos wissen wer der Babo ist („Muck bloß nicht uff hier, du Rudi“)[31]
- 2014: „Bester Rap-Solo-Act national“[32]
- 2014: „Bestes Release national“ für Russisch Roulette[32]
- 2014: „Bestes Video national“ für Ihr Hurensöhne/Saudi Arabi Money Rich[32]
- 2021: „Bester Rap-Solo-Act national“[33]
- 2021: „Bestes Album national“ für Das schwarze Album[33]
- 2014: 6 Kronen für Russisch Roulette
Weblinks
Einzelnachweise
- Interview mit Haftbefehl. Bravo Hip-Hop 04/2011. S. 32
- Frankfurter Rundschau: Rapper aus Offenbach – "Haftbefehl" stürmt in die Charts. Abgerufen am 13. Januar 2011.
- Matthias Heine: Babo ist zazaisch. 26. November 2013, abgerufen am 29. November 2013.
- Philipp Oehmke und Tobias Rapp: "Es geht um nichts. Um Scheiß". In: Der Spiegel. 8. Dezember 2014 (Seite 131).
- Haftbefehl unterschreibt bei Universal. Abgerufen am 31. Januar 2014.
- Die Provokation in Kunst und Kultur. Sondersendung des TV-Kulturmagazins Hauptsache Kultur mit Beitrag über Rapmusiker Haftbefehl und Stadtrundgang durch Offenbach am Main, 2. Dezember 2021, 30 Min. Moderation: Cécile Schortmann. Eine Produktion von hr-fernsehen
- "Das ist echt asozial". 28. November 2014, abgerufen am 6. Juni 2020.
- Rap und Hip-Hop News » Archive » Interview Haftbefehl: Mai 2009. 10. Mai 2012, abgerufen am 6. Juni 2020.
- hiphop.de: Haftbefehl spricht erstmals über seinen Sohn. Abgerufen am 12. September 2017.
- hiphop.de: Haftbefehl inzwischen Vater zweier Kinder. Abgerufen am 6. Juni 2020.
- MADE IT.de: Haftbefehls Bruder zu 4 Jahren Haft verurteilt! 12. Juli 2017, abgerufen am 6. Juni 2020.
- Er brauchte Geld für Koks … - Haftbefehl-Bruder wegen Bankraub vor Gericht. Abgerufen am 6. Juni 2020.
- Rapper Haftbefehl zeigt seine Schusswunde – verrät aber nicht, was passiert ist. In: rnd.de. 23. Juli 2020, abgerufen am 31. Mai 2021.
- Biografie von Haftbefehl (Memento vom 16. März 2010 im Internet Archive)
- Wer ist alles Mitglied bei den Azzlackz? Abgerufen am 8. Juni 2017.
- Veysel auf laut.de
- Stefan Wette: Lange Haft für einen tödlichen Faustschlag. In: derwesten.de. 4. März 2010, abgerufen am 30. Juni 2015.
- Veysel verlässt die Azzlackz. Auf: 16bars.de, vom 6. März 2015, abgerufen am 30. Juni 2015.
- Haftbefehl: "Die Rapszene ist schlimmer als das Drogengeschäft!" (Interview) - Toxik trifft. 15. November 2014. Abgerufen am 2. Mai 2015.
- Jakob Paur: Review zu Russisch Roulette. In: Juice. Nr. 164, Februar 2015, S. 112.
- Endlich online: Das neue Haftbefehl-Mixtape „Unzensiert“ iz da!, hiphop.de, abgerufen am 16. April 2019
- Noch nicht mitbekommen? Die Achtziger sind vorbei!, spiegel.de, abgerufen am 16. April 2019
- Boris Peltonen: "Kokain an die Juden von der Börse". Die Welt, 16. April 2012, abgerufen am 7. Juni 2012.
- alles zitiert nach Marcus Staiger: Keiner will was gesagt haben. Antisemitismus im deutschen Rap. (Nicht mehr online verfügbar.) Spex, archiviert vom Original am 18. März 2014; abgerufen am 12. Juli 2012.
- Florian Lütticke: Haftbefehl und der Kampf mit dem Bösen auf mittelbayerische.de, 26. November 2014, abgerufen am 22. April 2019.
- Rapper Haftbefehl gibt sich geläutert. n-tv, 4. April 2021, abgerufen am 16. April 2021.
- Chartquellen: DE AT CH
- BAnz AT 30.10.2015 B12
- HHRedaktion: Hiphop.de Awards: Die offizielle Preisverleihung. In: Hiphop.de. 24. Februar 2011, abgerufen am 28. Oktober 2021.
- Tobias Kargoll: Hiphop.de Awards präsentiert von lol papers – Die Preisverleihung. In: Hiphop.de. 5. März 2012, abgerufen am 27. Oktober 2021.
- Hiphop.de Awards 2012 präsentiert von Releasehiphop.de – Die Preisverleihung. In: Hiphop.de. 11. Februar 2013, abgerufen am 27. Oktober 2021.
- Jonas Lindemann: Hiphop.de Awards 2014: Alle Gewinner im Überblick. In: Hiphop.de. 15. Januar 2015, abgerufen am 26. Oktober 2021.
- Clark Senger: Alle Gewinner*innen der Hiphop.de Awards 2021 powered by DefShop. In: Hiphop.de. 31. Januar 2022, abgerufen am 31. Januar 2022.