Gustav Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg
Gustav Frederik Philip Richard Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg (* 12. Januar 1969 in Frankfurt am Main) ist ein deutscher Unternehmer und als Chef des Hauses Sayn-Wittgenstein-Berleburg auch Oberhaupt des Gesamthauses Sayn-Wittgenstein.[1]
Familie und Herkunft
Die Familie Sayn-Wittgenstein gehört dem deutschen Uradel an. Die erste urkundliche Nennung eines Grafen zu Wittgenstein erfolgte bereits 1174. Die Linie Sayn-Wittgenstein-Berleburg wurde durch Graf Georg (1565–1631) begründet.[2][3] Die Vorfahren von Gustav zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg waren reichsunmittelbare Grafen, die man 1792 in den Fürstenstand erhob.[4] 1806 wurde ihr Territorium mediatisiert und verlor seine Unabhängigkeit.[5] Die ehemals Regierenden wurden Standesherren des Deutschen Bundes. Mit der Abschaffung der Vorrechte des Adels in der Weimarer Verfassung wurden 1919 die ehemals adelsrechtlichen Titel zum Bestandteil des Namens.[6] Die Familie Sayn-Wittgenstein lebt seit über 600 Jahren auf Schloss Berleburg.[7]
Gustav ist das älteste von drei Kindern und der einzige Sohn von Richard zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg und dessen Witwe Benedikte zu Dänemark.[8] Seine Großeltern waren väterlicherseits Gustav Albrecht zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg und die schwedische Gräfin Margareta Fouché d’Otrante, mütterlicherseits der dänische König Friedrich IX. und seine Ehefrau, Ingrid von Schweden. Gustav wuchs mit seinen Geschwistern Alexandra und Nathalie auf Schloss Berleburg auf, wurde nach dem Ableben seines Vaters das Oberhaupt der Familie und ist unverheiratet.
Leben
Erbstreit
Gustavs gleichnamiger Großvater, seit 1944 in Russland vermisst und seit 1969 für tot erklärt, hatte bei einem Fronturlaub 1943 in einem zehnseitigen Testament seinen damals achtjährigen Sohn Richard zum Vorerben und den künftigen ältesten Enkelsohn in gerader Linie zu seinem Nacherben eingesetzt. Das Testament legte bestimmte Kriterien fest, die der künftige Erbe zu erfüllen hatte. Über den Inhalt dieser Kriterien, die angeblich auch Gedanken aus dem Nationalsozialismus, aber auch Bindungswirkungen zur Religion und Heirat des Erben beinhalten sollen, wurde seit Jahrzehnten öffentlich spekuliert. Nach dem Ableben seines Vaters Richard, der Vorerbe war, beanspruchte Gustav das Erbe seines Großvaters. Es entstand jedoch ein Streit um die Nacherbschaft.[9] Bereits 2017 hielt sich der Cousin seines Vaters, Ludwig Ferdinand, für berechtigt, das Testament beim Amtsgericht Bad Berleburg in seinem Sinne auszulegen und eigene Ansprüche geltend zu machen.[10][11][12] Wegen der zunächst unklaren Rechtslage wurde ein Nachlasspfleger eingesetzt.[13] Gustav zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg ließ durch seinen Pressesprecher verlautbaren, dass für ihn und seine Familie Gedankengut aus der NS-Zeit keine rechtliche oder moralische Grundlage mehr habe und auch nicht als Anspruch für eine Erbberechtigung herangezogen werden könne.[14][15] Das Landwirtschaftsgericht des Amtsgerichts Bad Berleburg entschied, dass Gustav die relevanten Kriterien des großväterlichen Testaments erfülle und wies am 18. April 2019 die behauptete Berechtigung des Antragstellers aus Bad Laasphe in erster Instanz zurück.[16][17][18] In zweiter Instanz hat das Oberlandesgericht Hamm am 23. Juli 2020 (Az. 10 W 84/19) die Entscheidung des Amtsgerichts Bad Berleburg bestätigt. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm ist nicht anfechtbar; eine Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof wurde nicht zugelassen. Damit kann Gustav das Erbe seines Großvaters, das unter anderem aus 13.000 Hektar Wald, Schloss Berleburg und diversen Immobilien im Gesamtwert von etwa 500 Millionen Euro bestehen soll, im Alter von 51 Jahren antreten.[19][20] Das Amtsgericht Bad Berleburg erteilte ihm am 30. Oktober 2020 den Erbschein.[21] Die gerichtliche Auseinandersetzung um das Fürstenerbe geht nach einem Fachbeitrag von Gerhard Otte in der Juristenzeitung in die deutsche Rechtsgeschichte ein.[22]
Privatwaldbesitz
Mit einer Forstfläche von ca. 13.000 Hektar übernahm Gustav zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg den größten privaten Forstbetrieb in Nordrhein-Westfalen. Der jährliche Holzeinschlag liegt bei bis zu 100.000 m³, davon sind ca. 80 % Nadelholz und ca. 20 % Laubholz. Rund 2/3 der Flächen sind mit Fichtenbeständen bewachsen, knapp 30 % mit Buchen. Der restliche Bestand setzt sich aus Eiche, Douglasie, Weißtanne, Lärchen und anderen Baumarten zusammen.[23] Ca. 4000 Hektar, also etwa ein Drittel der Eigentumsfläche, sind als FFH-Gebiet ausgewiesen.[24]
Artenschutzprojekt
2003 begann in dem Projekt Wisent-Wildnis am Rothaarsteig der Versuch, das seit mehreren Jahrhunderten in Deutschland ausgestorbene Wisent im Wald der Familie wieder anzusiedeln.[25] Eine kleine Herde lebt in einem 20 ha großen Gehege zwischen Wingeshausen und Jagdhaus; seit April 2013 wurde eine Gruppe von acht Tieren in den Wittgensteiner Wäldern um Bad Berleburg und Schmallenberg ausgewildert. In ihr gab es noch im Sommer desselben Jahres zwei Geburten. Die Zahl der in den Wäldern geborenen Kälber hat sich inzwischen deutlich erhöht.[26][27]
Das Artenschutzprojekt ist wegen der entstehenden Schälschäden vor allem bei Waldbauern aus dem Hochsauerlandkreis nicht unumstritten, die bereits Klagen einreichten, Schadenersatz fordern und eine Einzäunung der freilebenden Wisente verlangen. Die Streitigkeiten sind inzwischen beim Bundesgerichtshof anhängig, nachdem beide Parteien Revision gegen die Entscheidung des OLG Hamm eingelegt hatten.[28][29][30]
Das Artenschutzprojekt erfreut sich eines hohen medialen Interesses und wird mit Fördermitteln des Bundesamtes für Naturschutz, des Landes Nordrhein-Westfalen und des Betreibervereins Wisent-Welt-Wittgenstein e.V. im siebenstelligen Bereich wissenschaftlich begleitet.[31][32]
Ausschluss von der dänischen Thronfolge
Obwohl Gustavs Mutter die Schwester der dänischen Königin ist und früher an dritter Stelle der dänischen Thronfolge stand, wurde Gustav (nach Meinung des dänischen Staatsrechtlers Peter Kurrild-Klitgaard) von ihr ausgeschlossen.[33] Die Frage bezüglich der Erbrechte der Kinder von Prinzessin Benedikte kam 1997 auf, als die beiden Schwestern Gustavs, Alexandra und Nathalie, die dänische Staatsbürgerschaft beantragten und das dänische Justizministerium vom Folketing um eine Stellungnahme zu den Erbrechten gebeten wurde. Der damalige dänische Justizminister Frank Jensen leitete eine Notiz an das Parlament weiter, wonach die Zustimmung zur Ehe zwischen Prinzessin Benedikte und Richard zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg an Bedingungen geknüpft war, welche die Antragstellerinnen später nicht erfüllten (u. a. ständiger Wohnsitz in Dänemark nach Erreichen des Schulpflichtalters). Das Justizministerium gab keine Stellungnahme zu den dänischen Erbrechten von Gustav ab. Da aber seine Lebensverhältnisse mit denen seiner Schwestern gleich waren, ist von einer analogen Schlussfolgerung auszugehen. Die Stellungnahme des dänischen Justizministeriums wurde weder von der Familie der Antragstellerinnen noch vom dänischen Königshaus oder einem Mitglied des Folketing in Frage gestellt und gilt daher als allgemein anerkannt.[34]
Literatur (Auswahl)
- Johannes Burkardt und Ulf Lückel: Das Fürstliche Haus zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg. Werl 2005, ISBN 3-9810315-0-4.
- Genealogisches Handbuch des Adels, Fürstliche Häuser XIX. "Sayn-Wittgenstein". C.A. Starke Verlag, Limburg 2011, ISBN 978-3-7980-0849-6, S. 314–338.
- Rikarde Riedesel, Johannes Burkardt, Ulf Lückel im Auftrag des Gemeinschaftsvereins Bad Berleburg e.V. (Hg): Bad Berleburg – Die Stadtgeschichte, Bad Berleburg 2008.
- Philipp Dickel: Stammtafel des mediatisierten Hauses Sayn und Wittgenstein, Tafeln 5–8, o.O (Wernigerode) 1907.
- Johann Georg Hinsberg: Sayn-Wittgenstein-Berleburg, Bd. I, Die Gesamtgrafschaft Wittgenstein bis zur Bildung der selbständigen Grafschaft Wittgenstein-Berleburg 1603/05, Berleburg 1920.
- Johann Georg Hinsberg: Sayn-Wittgenstein-Berleburg, Bd V, Geschichte der Grafschaft Wittgenstein-Berleburg unter der Regierung von Christian Heinrich, Graf, seit 1792 Fürst zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, Berleburg 1920.
- Günther Wrede: Territorialgeschichte der Grafschaft Wittgenstein. (Marburger Studien zur älteren deutschen Geschichte, I. Reihe, Bd. 3, (hg. von Edmund E. Stengel)), Marburg 1927.
Weblinks
- Royaler Erbstreit in Wittgenstein landet vor Gericht. In: wdr.de. 14. Juli 2020, abgerufen am 17. August 2020.
- Gustav zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg: Gibt es bald zwei Hochzeiten auf Schloss Berleburg? In: gala.de. 27. Januar 2018, abgerufen am 17. August 2020.
- Berleburg und Hohenstein: Die Fürsten zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg. In: sayn.de. Abgerufen am 17. August 2020.
- https://www.wp.de/staedte/wittgenstein/leckerbissen-fuer-erbrechtsexperten-id232172477.html
Einzelnachweise
- Berleburg und Hohenstein. In: Schloss Sayn. Fürstliche Schlossverwaltung, abgerufen am 3. August 2020.
- Richard zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg - Munzinger Biographie. Abgerufen am 7. August 2020.
- Philipp Dickel: Stammtafel des mediatisierten Hauses Sayn und Wittgenstein, Tafel 5, o.O (Wernigerode) 1907.
- Johann Georg Hinsberg: Sayn-Wittgenstein-Berleburg, Bd V, Geschichte der Grafschaft Wittgenstein-Berleburg unter der Regierung von Christian Heinrich, Graf, seit 1792 Fürst zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, Berleburg 1920, S. 115–117.
- Horst Conrad: Landesherrschaft und Selbstverwaltung. Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Berleburg bis zum Ersten Weltkrieg. In: Bad Berleburg - Die Stadtgeschichte, Bad Berleburg 2008, S. 23.
- Art 109 WRV - Einzelnorm. Abgerufen am 7. August 2020.
- https://wittgenstein-berleburg.net/familie-schloss/
- Johannes Burkardt und Ulf Lückel: Das Fürstliche Haus zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg. Werl 2005, S. 35.
- In Wittgenstein ist ein erbitterter Streit um das Erbe entbrannt. In: Presse Stammhaus Montfort. 24. August 2018, abgerufen am 8. August 2020 (englisch).
- Pressemeldung Kanzlei Jochen König, Duisburg sowie Leiter der Rentkammer Berleburg, Johannes Röhl vom 1. August 2018, abgedruckt in der Westfalenpost, Lokalausgabe Wittgenstein vom gleichen Tag.
- Christoph Vetter, Westfalenpost vom 1. August 2018: https://www.wp.de/staedte/wittgenstein/familienstreit-in-wittgenstein-um-das-erbe-von-prinz-richard-id214989751.html letzter Zugriff: 23. Oktober 2018, 09.20 h
- Lars-Peter Dickel: Familienstreit im Fürstenhaus beschäftigt das Amtsgericht. Streitwert wird auf eine halbe Milliarde Euro taxiert. Hintergrund ist eine Auseinandersetzung um ein 76 Jahre altes Testament. Westfalenpost vom 5. Februar 2019, S. PBB 1.
- Lars-Peter Dickel: Wisente: Nachlasspfleger hat klare Position zum Gatter. 27. Februar 2020, abgerufen am 4. August 2020 (deutsch).
- Es geht um 500 Mill. Euro. Abgerufen am 17. August 2020.
- Nazi-Ideologie keine Grundlage für ein Erbe. 8. März 2019, abgerufen am 8. August 2020 (deutsch).
- AG Bad Berleburg (Az. 2 Lw 3/17)
- Westfalenpost (PBB) vom 7. Mai 2019: Erste Entscheidung um Fürstenerbe.
- Martin Völkel: Rechtstreit um Fürstenhaus-Vermögen geht weiter. Siegener Zeitung vom 14. Juli 2020.
- Martin Völkel: Auf Schloss Berleburg bleibt alles wie gehabt. OLG Hamm entscheidet im Erbschaftskonflikt im Haus Sayn-Wittgenstein-Berleburg- und zwar für Prinz Gustav. Siegener Zeitung vom 31. Juli 2020.
- Adel - Hamm:Erbstreit im Haus Sayn-Wittgenstein-Berleburg. In: sueddeutsche.de. 30. Juli 2020, abgerufen am 17. August 2020.
- Lars-Peter Dickel: Streit ums Fürstenerbe ist beendet. Westfalenpost, Lokalteil Wittgenstein vom 6. November 2020.
- Juristenzeitung, Ausgabe 8 / 2021, Leitsatz der Redaktion, S. 413–420, Anmerkung Gerhard Otte, S. 421–423.
- Nachhaltige Waldnutzung braucht Dreiklang aus Ökonomie, Ökologie und sozialer Belange › SPD Siegen-Wittgenstein. Abgerufen am 10. August 2020 (deutsch).
- Wittgenstein-Berleburg'sche Rentkammer | Wittgenstein-Berleburg'sche Rentkammer. Abgerufen am 4. August 2020 (deutsch).
- David Hesse: Experiment mit dem größten Landtier Europas, Tagesanzeiger, Zürich vom 8. Juni 2017, http://royfabian.de/tag/nordrhein-westfalen/
- https://www.wisent-welt.de/wp-content/uploads/media/NuL09-12_267-272-Tillmann.pdf
- https://www.wisent-welt.de/wp-content/uploads/media/Alumni-Artikel.pdf
- Lars-Peter Dickel: Wisent-Streit am Bundesgerichtshof geht in die nächste Runde. 13. Juli 2019, abgerufen am 8. August 2020 (deutsch).
- RP ONLINE: Streit um ausgewilderte Herde: BGH lehnt Umsiedlung wilder Wisente im Rothaargebirge ab. Abgerufen am 8. August 2020.
- fhaacker: BGH-Urteil im Wisent-Streit. In: Deutsche Jagdzeitung. 22. Juli 2019, abgerufen am 8. August 2020 (deutsch).
- Wisent-Verein. In: Wisent-Welt. Abgerufen am 4. August 2020 (deutsch).
- Wisent: Freiheit für das europäische Bison | Wissen | SWR2. 11. Oktober 2013, abgerufen am 4. August 2020.
- Durch die Geburt mehrerer Enkelkinder der dänischen Königin ist Prinzessin Benedikte zu Dänemark inzwischen auf Rang 11 der Thronfolge.
- Kurrild-Klitgaard, Peter: Conditional consent, dynastic rights and the Danish Law of Succession. 2. Februar 1999, OCLC 1100589288.