Griechisch-Baktrisches Königreich
Das Griechisch-Baktrische Königreich war ein antiker Staat des 3. und 2. Jahrhunderts v. Chr., der von Diodotos I., einem Statthalter der griechisch-makedonischen Seleukiden in Baktrien, gegründet wurde. Das Reich dehnte sich in seiner größten territorialen Ausdehnung bis nach Hindustan aus. Nach der Reichsteilung in einen gräko-baktrischen und gräko-indischen Staat bestand es nach dem Verlust Baktriens an zentralasiatische Reiter- und Nomadenvölker in Gandhara und Punjab bis in das frühe 1. Jahrhundert n. Chr. als Indo-Griechisches Königreich fort.
Die Chronologie und Bewertung des Königreiches ist aufgrund der sehr dürftigen Quellenlage (oft stehen nur Münzfunde zur Verfügung) in mehreren Punkten relativ unsicher bzw. umstritten.
Geschichte
Reichsgründung
Das Reich wurde um 256 v. Chr. gegründet, als sich der Makedone Diodotos I., der baktrische Statthalter des Seleukidenkönigs Antiochos II., nach dessen Niederlagen im Dritten Syrischen Krieg unabhängig machte. Zunächst prägte er Münzen mit seinem eigenen Bild und den Zeichen bzw. Titeln von Antiochos II, dann ersetzte er letztere durch seine eigenen. Nach ihm herrschte sein gleichnamiger Sohn, bis die Familie durch den Griechen Euthydemos I. gestürzt wurde.
Konflikt mit den Seleukiden
Euthydemos I. musste sich einer Invasion des Seleukidenkönigs Antiochos III. stellen, der die abtrünnige Provinz wieder in sein Reich eingliedern wollte. Nachdem die baktrische Kavallerie in offener Feldschlacht unterlegen war, wurde die Hauptstadt Baktra zwei Jahre belagert. Während dieser Zeit stieg aber die Bedrohung durch die Saken, was beide Seiten dazu veranlasste, wohl im Jahr 206 v. Chr. einen Vergleichsfrieden zu schließen. Euthydemos I. durfte sein Königreich behalten, musste aber die Kriegselefanten abgeben, Antiochos als Oberherrn anerkennen und den Seleukiden Unterstützung zusichern.
Expansion nach Indien
Das Bündnis sollte durch eine Heirat zwischen Euthydemos’ Sohn Demetrios und der Tochter des Antiochos besiegelt werden, doch scheint es dazu nicht gekommen zu sein. Nach Antiochos’ katastrophaler Niederlage bei Magnesia gegen die Römer im Jahr 190 v. Chr. nutzte Demetrios die Gelegenheit, sich wieder unabhängig zu machen, und dehnte seinen Machtbereich auf die Gebiete südlich des Hindukusch aus. 185 v. Chr. übernahm er östliche Grenzgebiete des Seleukidenreiches, die dem heutigen Süd-Afghanistan und Belutschistan entsprechen. 183 v. Chr. fielen ihm drei westliche Provinzen des Maurya-Reiches anheim, das sich zu dieser Zeit im Zustand der staatlichen Auflösung befand.
Das Königreich in Baktrien hatte eine schmale makedonisch-griechische Oberschicht, die anfangs durch Siedler aus dem Westen gestärkt wurde. Nachdem die baktrischen Könige ihren Einflussbereich bis zur indischen Grenze ausgedehnt hatten, wurden Münzen (seit Demetrios II.) sowohl mit griechisch- als auch indischsprachigen Titeln geprägt. Die Qualität dieser Münzen war hoch – man hatte es nicht mit irgendeiner Lokalmacht zu tun. Gleichzeitig kam es zu einem Synkretismus von Hellenismus und Buddhismus, dem Graeco-Buddhismus.
Der Usurpator Eukratides I.
Möglicherweise unter Demetrios I. oder nach dessen Tode wurde das Reich infolge innerer Wirren geteilt. Der erste Teilherrscher, Demetrios II. (Sohn Demetrios’ I., vorher Vizekönig in Kabul) verlor seinen Thron an einen Abenteurer namens Eukratides I., angeblich einem Verwandten der Seleukiden, der bereits Demetrios I. besiegt hatte. Eukratides bemächtigte sich mit wenigen hundert Mann des Landes, als sich Demetrios I. im Feldzug in Indien befand. Die Griechen besetzten weite Teile des Maurya-Reichs und belagerten unter General Menander schon die Maurya-Hauptstadt Pataliputra, als Demetrios von der Rebellion erfuhr und umkehren musste. Er kam jedoch zu spät, seine Vizekönige (möglicherweise seine Brüder) Agathokles (in Sistan) und Antimachos (in Herat) waren schon geschlagen und wurden mitsamt seiner Familie getötet.[1]
Anschließend tötete Eukratides I. auch noch Demetrios’ Bruder (?) Apollodotos I. und eroberte Gandhara (165/4 v. Chr.). Er konnte aber offenbar die Nachkommen Euthydemos’ südlich des Hindukusch und vor allem den General Menander nicht völlig ausschalten. Für den Wohlstand seiner Herrschaft spricht die Herausgabe von Goldmünzen. Eukratides I. fiel angeblich 145 v. Chr. gegen die Parther unter dem Arsakiden Mithradates. Nach anderer Darstellung wurde er bei der Rückkehr nach Baktra/Balch von seinem Sohn und Mitregenten (Eukratides II.?) ermordet.
Invasion der Yuezhi
Eukratides’ Sohn König Heliokles (ca. 157–135 v. Chr.) war der letzte bedeutende griechische König Baktriens. Er soll auch Gandhara beherrscht haben. Die einfallenden Yuezhi eroberten zwischen 141 und 129 v. Chr. die Gebiete nördlich des Hindukusch. Archäologisch ist etwa die Aufgabe der heute Ai Chanum genannten, griechisch geprägten Stadt (der antike Name ist unbekannt) am Oxus um das Jahr 145 v. Chr. belegt. Südlich des Hindukusch konnten sich weitere griechische Machthaber behaupten, so in Indien Menandros, der sich um 165 v. Chr. zum König eines Indo-Griechischen Königreichs erkor. Diese Königreiche überdauerten mehr als ein Jahrhundert länger als die griechischen Herrschaften in Baktrien, hatten aber zuletzt nur noch regionale Bedeutung. Einsickernde Reiternomaden, die über den Hindukusch Richtung Indien vordrangen, beseitigten zu Beginn des ersten nachchristlichen Jahrhunderts auch diese Herrschaften vollständig. Als letzter indo-griechischer Herrscher gilt Straton II.
Datierung
Da das Griechisch-Baktrische Königreich aufgrund der räumlichen Lage nur selten bei den klassischen westlichen Autoren erwähnt wird und datierte Denkmäler aus Baktrien selbst eher die Ausnahme sind, gibt es nur wenige Anhaltspunkte für die genaue chronologische Einordnung der Ereignisse und Herrscher. Die wichtigsten Eckdaten sind:
- Marcus Iunianus Iustinus (xli. 4) berichtet, dass Diodotos I., der erste griechisch-baktrische Herrscher ungefähr zur gleichen Zeit sich vom Seleukidenreich löste, als dies auch die Parther unter Arsakes I. taten. Der letztere machte sich um 247 v. Chr. unabhängig.
- Zwischen 209 und 206 v. Chr. führte Antiochos III. einen Feldzug gegen Baktrien, um es wieder dem Seleukidenreich einzuverleiben. Der Feldzug endete um 206 v. Chr. mit einem Friedensvertrag. Dort regierte zu dieser Zeit Euthydemos I.
- Eukratides I. soll zur gleichen Zeit wie der Partherherrscher Mithridates I. den Thron bestiegen haben. Dies geschah mit hoher Wahrscheinlichkeit im Jahr 171 v. Chr. Er regierte mindestens 24 Jahre.
- Antimachos I. bezeichnete sich als theos. Dies ist auch für Antiochos IV. (regierte 175–164 v. Chr.) bezeugt, wobei Antimachos I. wahrscheinlich Antiochos IV. kopierte.
Siehe auch
Literatur
- Franz Altheim, Joachim Rehork (Hrsg.): Der Hellenismus in Mittelasien (= Wege der Forschung. Bd. 91, ISSN 0509-9609). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1969.
- Osmund Bopearachchi: Monnaies gréco-bactriennes et indo-grecques. Catalogue raisonné. Bibliothèque nationale de France, Paris 1991, ISBN 2-7177-1825-7 (französischsprachiges Standardwerk zu den Münzprägungen der Griechen in Baktrien und Indien).
- Jörg-Dieter Gauger, Johannes Nollé: Baktrien. In: Hatto H. Schmitt, Ernst Vogt (Hrsg.): Lexikon des Hellenismus. Harrassowitz, Wiesbaden 2005, S. 177–190 (knappe Darstellung mit umfassenden Literaturangaben).
- Simon Glenn: Money and Power in Hellenistic Bactria: Euthydemus I to Antimachus I (= Numismatic Studies. 43). New York 2020, ISBN 978-0-89722-361-4.
- Frank L. Holt: Thundering Zeus. The Making of Hellenistic Bactria (= Hellenistic Culture and Society. 32). University of California Press, Berkeley CA u. a. 1999, ISBN 0-520-21140-5.
- Frank L. Holt: Alexander the Great and the Mystery of the Elephant Medallions (= Hellenistic Culture and Society. 44). University of California Press, Berkeley CA u. a. 2003, ISBN 0-520-23881-8.
- Frank L. Holt: Into the Land of Bones. Alexander the Great in Afghanistan (= Hellenistic Culture and Society. 47). University of California Press, Berkeley u. a. 2005, ISBN 0-520-24993-3.
- Rachel Mairs: The Hellenistic Far East. Archaelogy, Language, and Identity in Greek Central Asia. University of California Press, Oakland CA 2014, ISBN 978-0-520-28127-1.
- Rachel Mairs (Hrsg.): The Graeco-Bactrian and Indo-Greek World. Routledge, London 2020, ISBN 978-1-138-09069-9.
- Abodh K. Narain: The Greeks of Bactria and India. In: I. E. S. Edwards u. a.: The Cambridge Ancient History. Band 8: Alan E. Astin, Frank W. Walbank, Marten W. Frederiksen (Hrsg.): Rome and the Mediterranean to 133 B.C. 2nd Edition. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 1989, ISBN 0-521-23448-4, S. 399 ff., doi:10.1017/CHOL9780521234481.012.
- Coloru Omar: Da Alessandro a Menandro. Il regno greco di Battriana. Fabrizio Serra editore, Pisa/Rom 2009.
- Walter Posch: Baktrien zwischen Griechen und Kuschan. Untersuchungen zu kulturellen und historischen Problemen einer Übergangsphase. Mit einem textkritischen Exkurs zum Shiji 123. Harrassowitz, Wiesbaden 1995, ISBN 3-447-03701-6 (Zugleich: Tübingen, Universität, Dissertation, 1994).
- Homayun Sidky: The Greek Kingdom of Bactria. From Alexander to Eucratides the Great. University Press of America, Lanham MD u. a. 2000, ISBN 0-7618-1695-X, (fachwissen. Besprechung).
- Richard Stoneman: The Greek Experience of India. From Alexander to the Indo-Greeks. Princeton University Press, Princeton 2019.
- William W. Tarn: The Greeks in Bactria and India. 3rd Edition, updated with a preface and a new bibliography by Frank Lee Holt. Ares, Chicago IL 1985, ISBN 0-89005-524-6 (Nachdruck 1997; PDF der 2. Auflage in der Digital Library of India).
- Osmund Bopearachchi: Indo-Greek Dynasty. In: Ehsan Yarshater (Hrsg.): Encyclopædia Iranica. 9. November 2004 (englisch, iranicaonline.org [abgerufen am 6. Juni 2011] inkl. Literaturangaben).
- Pierre Leriche, Franz Grenet: Bactria. In: Ehsan Yarshater (Hrsg.): Encyclopædia Iranica. 15. Dezember 1988 (englisch, iranicaonline.org [abgerufen am 6. Juni 2011] inkl. Literaturangaben).
- Werner Widmer: Hellas am Hindukusch. Griechentum im Fernen Osten der antiken Welt. Fischer, Frankfurt am Main 2015.
Weblinks
- Münzsammlung (Memento vom 21. Februar 1999 im Internet Archive)
Anmerkungen
- Vgl. Narain, S. 399 ff.; ein Großteil der Darstellung ist jedoch spekulativ, da die Quellen kaum genaue Aussagen erlauben.