Gewindebohrer
Ein Gewindebohrer ist ein Bohrer zur Erzeugung eines Innengewindes (Gewindebohrung) in Metall, Plastik oder andere feste Werkstoffe. Das Verfahren nennt man „Gewindebohren“ (auch „Schraubbohren“). Ebenfalls bekannt sind die Bezeichnungen Mutterbohrer und Schraubbohrer, Gewindeschneidbohrer oder Gewindeschneider[1]. Der Name „Mutterbohrer“ verweist auf die Verwendung zur Herstellung von Schraubenmuttern. Der Name „Schraubbohrer“ impliziert, dass der Vorschub des Bohrers genau der Gewindesteigung entsprechen muss (der Bohrer „schraubt“ sich in das Gewindeloch).
Das entsprechende Werkzeug zum Schneiden von Außengewinden (zum Beispiel auf eine Schraube) ist das Schneideisen.
In der Regel schneidet der Gewindebohrer nur das Gewinde. Das eigentliche Loch muss zunächst mit einem gewöhnlichen Bohrer vorgebohrt werden. Das Gewindebohren zählt laut DIN 8580 als zerspanendes Fertigungsverfahren zur Hauptgruppe „Trennen“. Spezielle Gewinde können auch durch Kaltverformung mit einem Gewindeformer hergestellt werden. Das gehört jedoch nicht zu den spanenden Verfahren, da der Gewindeformer keine Schneidflächen besitzt, sondern das Gewinde ins Material hinein verformt.
Aufbau
Je nach Größe hat ein Gewindebohrer zwei oder mehr Schneiden. Die Schneiden haben Zähne, die von dem zu bearbeitendem Material je einen Span abtragen sowie das Material in geringem Maße plastisch verformen. Die Zähne an der Spitze des Gewindebohrers sind verschieden stark abgeflacht (Anschnitt). Dadurch nimmt beim Schneiden jeder Zahn einen Span in etwa der gleichen Breite mit. Die Zähne weiter hinten dienen lediglich der Führung des Gewindebohrers im bereits geschnittenen Teil des Gewindes. Am hinteren Ende haben Handgewindebohrer meist einen Außenvierkant (selten auch Sechskant oder rund), mit dem sie in einem Halter, dem Windeisen, eingespannt werden können.
Varianten
Je nach Art des Gewindeloches und je nach Werkstoff wird zwischen Einschnittgewindebohrern und Gewindebohrersätzen unterschieden. Außerdem wird zwischen Handbearbeitung und Maschinenbearbeitung differenziert.
Gewindebohrersatz
Ein Gewindebohrersatz besteht meist aus den drei Gewindebohrern Vorschneider, Mittelschneider und Fertigschneider. Der Vorschneider ist mit einem Ring am Schaft markiert, der Mittelschneider mit zwei Ringen. Der Fertigschneider trägt keinen oder (seltener) drei Ringe.
Einschnittgewindebohrer
Einschnittgewindebohrer bieten den Vorteil der Zeitersparnis, da nur ein Durchgang zur Fertigung des Gewindes nötig ist. Da ein breiterer Span als bei dreiteiligen Sätzen abgetragen wird und somit ein größeres Drehmoment notwendig ist, werden sie meist auf Maschinen eingesetzt.
Für Grundlöcher (also nicht durchgehend, Sackloch) werden bei Rechtsgewinden („normale“ Gewinde) Gewindebohrer mit rechts gedrehten Spiralnuten benötigt, die den Span entgegen der Schneidrichtung aus dem Loch fördern. Bei Durchgangsbohrungen werden Gewindebohrer mit geraden Nuten, seltener mit links gedrehten Spiralnuten verwendet.
Handgewindebohrer sind meist aus Schnellarbeitsstahl (HSS) gefertigt.
Anwendung
Gewinde-Kenngrößen
Die Gewinde-Kenngrößen von Regelgewinden (metrische ISO-Gewinde) haben festgelegte Werte, siehe Tabelle. Da zu jeder Gewinde-Kenngrößen-Kombination ein dazu passender Gewindebohrer notwendig ist, sind Nicht-Regelgewinde nur sehr selten anzutreffen.
Für jedes Gewinde können die Kenngrößen aus einer Konstruktionszeichnung ausgelesen oder an einem Bauteil gemessen werden. Der Außendurchmesser eines Gewindes wird mit dem Messschieber („Schieblehre“) gemessen, die Steigung wird an einer zugehörigen Schraube mit der Gewindelehre gemessen.
Kernloch bohren
Kennwerte metrischer ISO-Gewinde | ||
---|---|---|
Gewinde | Steigung [mm] | Kernloch ⌀ [mm] |
M12 | 1,75 | 10,2 |
M10 | 1,5 | 8,5 |
M8 | 1,25 | 6,8 |
M6 | 1,0 | 5,0 |
M5 | 0,8 | 4,2 |
M4 | 0,7 | 3,3 |
M3 | 0,5 | 2,5 |
Zum Schneiden eines Innengewindes wird zuerst ein Kernloch gebohrt, dessen Durchmesser ungefähr um die Steigung kleiner ist als der Nenndurchmesser des Gewindes. Beispielsweise soll bei einem Regelgewinde M10 mit einer Gewindesteigung von 1,5 mm eine Grundbohrung mit dem Durchmesser 10 mm − 1,5 mm = 8,5 mm gefertigt werden. Um beim Anschneiden eine bessere Einführung in die Bohrung zu erhalten und um zu verhindern, dass der erste und der letzte Gewindegang herausgedrückt werden, wird eine Kegelsenkung eingebracht. Diese entspricht der Größe des Gewindedurchmessers zuzüglich 10 %. Bei einem M10-Gewinde ist das 10 mm + 1 mm, also eine Senkung mit 11 mm Durchmesser.
Schneidöl
Zur Steigerung der Standzeit der Werkzeuge und für optimale Oberflächenqualitäten werden Schneidöle oder auch andere Kühlschmiermittel zur Schmierung verwendet. Damit wird die Reibung zwischen Span und den Schneiden des Gewindebohrers und somit auch das notwendige Drehmoment verringert. Bei nicht industrieller Fertigung wird auch einfaches Motoröl verwendet, bei Aluminium eignet sich auch Spiritus, der zudem den Vorteil hat, dass er nach Gebrauch restlos verdunstet.
Gewinde schneiden
Der Einschnittgewindebohrer – bzw. der Reihe nach die drei Gewindebohrer – werden langsam hinein- und wieder herausgedreht. Durch Schneiden der Gewindeflanken entsteht dabei der endgültige Kernlochdurchmesser, der z. B. bei M10 8,38 mm beträgt.
Der Gewindebohrer soll während des Schneidens möglichst nicht zurückgedreht werden, da häufiges Abscheren der Späne und Neuanschneiden zu vorzeitiger Abstumpfung der Gewindebohrerschneiden führen. Ausnahme: Bei langspanenden Werkstoffen (Thermoplaste, Alu-Bronze, einzelne Bronze-, Messing- oder Aluminiumsorten) und bei größeren Gewinden ist ein wiederholtes Brechen der Späne erforderlich. Das geschieht durch Zurückdrehen des Gewindebohrers um etwa 1⁄4 Umdrehung oder indem man dreht bis man ein leichtes "Knacksen" hört. Zugleich gelangt dadurch frischer Schmierstoff an die Schneidkanten.
Kurze Gewinde schneiden
Insbesondere bei Gewinden, die nicht wesentlich länger sind als ihr Durchmesser, gerät die Achse des Gewindes beim Schneiden von Hand sehr leicht schräg. Dagegen hilft eine Schneideisenführung bzw. eine Gewindebohrerführung. Die Schneideisenführung besteht aus einem Rundwerkstück, welches auf das Schneideisen aufgesetzt wird und eine Auflagefläche planar zum Werkstück herstellt. Die Gewindebohrerführung besteht aus einer Druckgusshülse, welche auf das Werkstück aufgesetzt wird und den Gewindebohrer in einem allseitigen 90°-Winkel führt. Die Hülse kann auch bereits zum Bohren verwendet werden.
Bei hohen Ansprüchen an die Winkeltreue hilft oft nur maschinelles Schneiden. Alternativ kann die Spindel einer Ständer- oder Säulenbohrmaschine mit eingespanntem Gewindebohrer manuell gedreht werden. Genormte kleine und mittlere Innengewinde lassen sich leicht und preiswert an der Drehmaschine mittels Gewindebohrer fertigen.
Windeisen
Ein Windeisen, auch Wendeeisen, ist ein Werkzeug zum Einspannen eines Gewindebohrers. Üblich sind verstellbare Windeisen, die das rückseitige Vierkant-Ende verschieden großer Gewindebohrer einspannen können. Neben den weitverbreiteten Backenwindeisen gibt es auch Kugelwindeisen, die die Vierkant-Aufnahme zwischen zwei Kugelhälften einspannen.
Das Windeisen hilft beim händischen Schneiden eines Innengewindes.
Bei verstellbaren Windeisen kann einer der beiden Griffe gedreht werden, was eine der Spannbacken in einem Gewinde verstellt und somit das Einspannen des Gewindebohrers erlaubt. Der andere Griff ist entweder festsitzend oder abschraubbar, damit auch in beengten Bereichen, in denen das komplette Windeisen zu wenig Platz hätte, ein Gewinde geschnitten werden kann.
Ein Windeisen kann auch andere Werkzeuge einspannen, wie beispielsweise Reibahlen oder Linksausdreher.
Weitere Verfahren zur Gewindeherstellung
Weitere Geräte und Herstellungsarten sind:
- Schneideisen für Außengewinde
- Gewindewalzen für Außengewinde
- Gewindedrehen für Außen- und Innengewinde
- Schraubfräsen für Außen- und Innengewinde
- Gewindeformende Schrauben
- Einschraub-Dübel
Literatur
- EMUGE-FRANKEN (Hrsg.): Handbuch der Gewindetechnik und Frästechnik – Anwendungen, Tipps, Tabellen, 2004, 183–255, 284–296
- Thomas Zeus: Gewindebohren in: Uwe Heisel, Fritz Klocke, Eckart Uhlmann, Günter Spur: Handbuch Spanen. 2. Auflage, Hanser, München 2014, S. 1034–1040
Weblinks
Einzelnachweise
- Heinz Tschätsch: Praxis der Zerspantechnik. Verfahren, Werkzeuge, Berechnung. 11. Auflage, Springer Vieweg, Wiesbaden 2014, S. 122