Ferrovia Decauville a Valona
Die Ferrovia Decauville a Valona (albanisch Dekovili Vlorë–Selenicë) war eine 1915 von den italienischen Streitkräften gebaute, 30 Kilometer lange Schmalspurbahn in Albanien, mit der anfänglich vor allem Kriegsgüter und später Asphalt von Selenica zum Hafen von Vlora (Valona) in Skela transportiert wurde.[1]:4
Ferrovia Decauville a Valona | |||||||||||||||||||||||||||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Die Ferrovia Decauville a Valona (unten links) und die von den italienischen Streitkräften gebaute Straße von Vlora zum Hafen mit Schienen der Pferdebahn Vlora–Skela | |||||||||||||||||||||||||||||||||
Streckenlänge: | 30 km | ||||||||||||||||||||||||||||||||
Spurweite: | 600 mm (Schmalspur) | ||||||||||||||||||||||||||||||||
|
Geschichte
Bau der Ferrovia Decauville a Valona
Im Ersten Weltkrieg wurde Albanien – mitunter – von italienischen und österreichisch-ungarischen Streitkräften besetzt. Zur Versorgung ihrer Truppen errichteten beide Armeen Feldbahnen. Die Italiener bauten vom Hafen Vlora aus eine rund 30 Kilometer[3] lange Bahn nach Selenica direkt an der Vjosa,[4] die über lange Zeit die Front bildete. Von dieser Stammstrecke bog nach der Brücke über die Shushica (227 Meter Länge)[5] eine Linie südlich nach Kota ab. Weitere Stichstrecken führten nach Gërnec im Osten und ins Gebiet von Llakatund nördlich von Vlora. Zudem baute das italienische Militär noch 15 Seilbahnen, um Güter an die Front zu bringen.[6][7] Der Tunnel bei Babica wurde im Oktober 1917 erbaut.[8]:39
Genutzt wurden zweiachsige Dampflokomotiven von Breda, Henschel und Hanomag.[8]:37, 40
Die Spurweite wird meist mit 600 mm angegeben.[9][10] Andere Quellen erwähnen eine Spurweite von 950 mm und dass sie zu einem unbekannten Zeitpunkt umgespurt worden sei.[11] Mölter begründet die Verwirrung durch Falschangaben in zeitgenössischen Dokumenten und verweist darauf, dass der Tunnelquerschnitt klar auf eine Spurweite von 600 mm hinweist.[8]:39 Die Albanische Akademie der Wissenschaften erwähnt eine Spurweite von 650 mm.[3]
Wahrscheinlich wurde bereits vor dem Krieg von den französischen Minenbetreibern in Selenica eine Feldbahn angelegt, die die Italiener für die Stammstrecke nutzen konnten.[8]:37[12]:28 Die Bahn wurde wohl auch während der Kriegsjahre für nicht-militärische Zwecke genutzt, insbesondere für den Transport von Asphalt.
Società italiana delle miniere di Selenizza
Bitumen als natürlicher Grundstoff für Asphalt wurde in Selenica schon seit 1875 kommerziell abgebaut. Die Bitumenlagerstätten lagen in Küstennähe, was den Export erleichterte. Die für den Abbau erforderliche Konzession, die von den Osmanen ursprünglich an ein französisches Unternehmen vergeben worden war, das mit der Osmanischen Bank in Verbindung stand, wurde 1918 auf das neu gegründete italienische Unternehmen Società Italiana delle Miniere di Selenizza von Leopoldo Parodi Delfino übertragen.[1]:13[13][14]:32 Den Konzessionäre der Mine wurde auch der Betrieb der Decauville-Bahn übertragen.[3][15] Die Nutzung dieser Konzession brachte bis zu 5000 Tonnen Asphalt und Bitumen pro Jahr. Der Staat erhielt anfangs der 1920er Jahre eine feste Lizenzgebühr von 5 Frs. pro Tonne und eine variable Lizenzgebühr von 5 % der Einnahmen.[15]
Trotz des Endes des Krieges war das Gebiet des modernen albanischen Staates nach 1918 weiterhin von mehreren anderen Ländern besetzt. Im Waffenstillstandsvertrag vom 11. November 1918 war für Albanien vorerst einmal die Beibehaltung des Status quo vereinbart worden. Nach Kriegsende dauerte es einerseits, bis die im Kongress von Lushnja (Januar 1920) festgelegte Regierung international anerkannt wurde, andererseits weigerte sich Italien, sich aus dem Raum Vlora zurückzuziehen. Vlora und weite Teile von Südwestalbanien blieben bis zum September 1920 von Italien besetzt. Durch die Vertreibung der Italiener vom Balkan geriet die Società italiana delle miniere di Selenizza in eine rechtliche Grauzone, was wohl nicht den weiteren Betrieb, aber zumindest dessen Ausbau blockierte.[1]:13[15] Die albanische Regierung erhob Einwände gegen den Abbau der Bodenschätze.[15] Erst am 10. März 1925 schlossen das Königreich Italien und Albanien ein Handels- und Wirtschaftsabkommen, das auch die Konzession für die Minen in Selenica regelte. Neuer Konzessionär wurde die Azienda Italiana Petroli Albania, eine neugegründete Gesellschaft des italienischen Ministero delle Comunicazioni und den Ferrovie dello Stato Italiane. Den Betrieb der Mine wurde weiterhin von der Società Italiana delle Miniere di Selenizza ausgeführt.[1]:13 [16]
Die Società Italiana delle Miniere di Selenizza nutzte die Konzession für die Mine bis 1943 und verzeichnete eine Jahresproduktion von 20.000 Tonnen Bitumen.[17] Nach anderen Quellen gelang es lediglich, die Produktion von 2000 Tonnen im Jahr 1923 auf fast 13.000 Tonnen im Jahr 1938 zu steigern.[12] Der Konzessionär war verpflichtet, mit der Bahn kostenlos Post und Bedienstete zu befördern.[6] Nach Ablauf der Konzession sollten die Mine, die Decauville-Bahn und die Anlagen 1960 in das Eigentum des Staates übergehen.[15]
Verstaatlichung
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Mine komplett zerstört.[14][18]
Nach der Machtübernahme der Kommunisten im Jahr 1944 wurden die Bitumenförderung und die Bahnstrecke von der Sozialistischen Volksrepublik Albanien verstaatlicht.
Die Bahn diente dem Transport von Gütern und Arbeitern.[19] Dabei wurde meist den Güterzügen einfache Personenwagen angehängt und in allen durchfahrenen Orten gehalten.[8]:40 Es wurde während eines unbekannten Zeitraums eine vier Kilometer lange Stichstrecke von Peshkëpia nach Mavrova betrieben.[19][10] Spätestens Anfang der 1980er Jahre wurden das letzte Teilstück von Babica bis zum Hafen stillgelegt („provisorischer Endbahnhof ‚Babicë‘“ (Gerhard Gürsch)[9]) oder nur noch selten genutzt.[10] Gemäß albanischer Militärkarte aus dem Jahr 1982 endete die Strecke in einer Zementfabrik zwei Kilometer nordöstlich vom Hafen.[20][19]
Mitte der 1980er Jahre plante man, die Schmalspurstrecke auf einem Großteil zu verlegen und nach Novosela zwischen Fier und Vlora zu führen.[21] Novosela liegt wie Selenica am Südufer der Vjosa, etwa 17 Kilometer nordwestlich der Minen.
1994 wurde der Betrieb der Bahn, die nie zur Eisenbahngesellschaft Hekurudha Shqiptare gehört hatte, eingestellt.[11] Im Herbst 1996 waren sämtliche Schienen bereits demontiert. Eine Lokomotive und Rollmaterial der Bahn waren damals in Babica, andere bei der Salinenbahn in der Lagune von Narta nordwestlich von Vlora abgestellt.[10]
1985 wurden in Babica folgende Lokomotiven gesichtet:[9]
- Dampflokomotive 03, 1954 von Lokomotivbau Karl Marx Babelsberg erbaut (Nr. 127 091)
- zwei Diesellokomotiven, 1978 von Aktiebolaget Gävle Vagnverkstad geliefert (Nr. 456 und 457)[10]
- zwei Diesellokomotiven, von Lokomotivfabrik 23. August erbaut (Nr. 458 und 459)[11]
Die Dampflokomotiven, von den es drei gab, waren bis Mitte der 80er Jahre im Einsatz.[11]
Verlauf
Zur Zeit der größten Ausdehnung führte die Bahnlinie vom Hafen von Vlora über eine Hügelzug ins Tal der Shushica, überquerte diese bei Peshkëpia, folgte dem Flusslauf nach Norden in der flachen Ebene bis zur Mündung in die Vjosa, um dann an deren südlichem Ufer nach Osten bis nach Selenica zu führen. Das Bergwerk liegt nördlich des Ortes.[8]:39
Auf den ersten rund sechs Kilometer bis Babica musste die Bahn rund 100 Höhenmeter gewinnen, sich in zahlreichen Kurven hochwindend.[20] Den Pass unterquerte die Bahnstrecke in einem kurzen Scheiteltunnel.[10] Auf der Ostseite des Hügelzugs fällt die Strecke leicht ab bis zur rund acht Kilometer entfernten Shushica-Brücke (ca. 40 m ü. A.), die sie sich wohl mit der Straße teilte.[20] Von der Brücke bei Peshkëpia soll eine rund vier[8]:39[19] bis sieben[10] Kilometer lange Stichstrecke nach Süden geführt haben bis kurz vor Mavrova.
In Babica östlich des Tunnels befand sich das Betriebswerk der Bahn.[8]:39
Weitere Schmalspurbahnen
Während des Ersten Weltkriegs haben die Streitkräfte von Österreich-Ungarn in Albanien Feldbahnen von Shkodra (Scutari) nach Durrës (Durazzo), Lushnja und Berat mit Zweigstrecken nach Tirana, Elbasan und Fier (Fieri) gebaut, die in der Nachkriegszeit um 1922 noch weitgehend in renovierungsbedürftigem Zustand erhalten waren.[15]
Rund um den Hafen von Vlora wurde im Zweiten Weltkrieg ein kleines Bahnnetz mit einer Spurweite von 950 mm erbaut.[10][22]
Literatur
- Gerhard Gürsch: Mit Bus und Bahn durchs Land der Skipetaren. Bufe-Fachbuch-Verlag, Egglham 1986, S. 72 (Reisebericht von einer Besichtigung im Jahr 1985).
- R.A. Bowen: Albanische Schmalspur. In: Deutsche Gesellschaft für Eisenbahngeschichte e. V. (Hrsg.): Die Albanischen Eisenbahnen. Ein Statusbericht vom Herbst 1996 (= Eisenbahnen und Museen. Monographien der DGEG. Folge 44). Eigenverlag, Karlsruhe 1998, ISBN 3-921700-76-0, S. 29–31.
- Romano Mölter: Die vergessene Eisenbahn: Eine Reise in die Geschichte der albanischen Eisenbahnen 1916–2020. Railway-Media-Group, Wien 2020, ISBN 978-3-902894-87-8, Die erste Eisenbahn, S. 39–47.
Weblinks
Einzelnachweise
- United States Department of the Interior. Bureau of Mines – Economics and Statistics Service (Hrsg.): Foreign Minerals Survey: A Regional Review of Mineral Resources, Production and Trade. Band 1, 3 – The Mineral Resources of Albania. Washington D.C. Januar 1944 (Volltext in der Google-Buchsuche).
- Ciro Paoletti, Giancarlo Marzocchi: Treni e militari italiani. Hrsg.: Associazione culturale Commissione Italiana di Storia Militare. Rom 2017, S. 162–167 (calameo.download [abgerufen am 24. November 2019]).
- Pandeli Çaçi: Fjalor enciklopedik shqiptar. Hrsg.: Akademia e Shkencave e RPSSH. Tirana 1985, Stichwort Rrjeti hekurudhor, S. 938.
- The First Albanian Railroad. In: Railway Age Gazette. Band 63, Nr. 10, 7. September 1917, S. 429 f.
- Robert Vaucher: Avec les Italiens en Albanie. In: L'Illustration. Nr. 3853. Paris 6. Januar 1917, S. 20 (issuu.com [abgerufen am 31. Januar 2021]).
- Almarina Gegvataj: Vlorë-Selenicë-Kotë, pikënisja e sistemit hekurudhor në Shqipëri para 100 vjetësh. In: Agjencia Telegrafike Shqiptare. 21. Juli 2014, abgerufen am 3. Januar 2020 (albanisch).
- Mölter (S. 37) erwähnt noch weitere Strecken, die aber außer einer kurzen Stichstrecke nach Ujë i ftohtë wenige Kilometer südlich des Hafens nicht lokalisiert werden können resp. in von Österreich-Ungarn besetzte Gebiete (Devoll) geführt hätten.
- Romano Möller: Die vergessene Eisenbahn: Eine Reise in die Geschichte der albanischen Eisenbahnen 1916–2020. Railway-Media-Group, Wien 2020, ISBN 978-3-902894-87-8, Die erste Eisenbahn, S. 39–47.
- Gerhard Gürsch: Mit Bus und Bahn durchs Land der Skipetaren. Bufe-Fachbuch-Verlag, Egglham 1986, S. 72 (Reisebericht von einer Besichtigung im Jahr 1985).
- R.A. Bowen: Albanische Schmalspur. In: Deutsche Gesellschaft für Eisenbahngeschichte e.V. (Hrsg.): Die Albanischen Eisenbahnen. Ein Statusbericht vom Herbst 1996 (= Eisenbahnen und Museen. Monographien der DGEG. Folge 44). Eigenverlag, Karlsruhe 1998, ISBN 3-921700-76-0, S. 29–31.
- Frank Valoczy, Geoff Sarbutt: SIMS – Societa Italiana delle Miniere di Selenizza. In: HSH Albanian Railways – Hekurudha e Shqiperise. 7. März 1998, abgerufen am 8. Juli 2013 (englisch).
- Gian Paolo Caselli, Grid Thoma: La storia economica albanese 1912–1939 e lo stabilirsi dell’ egemonia italiana. Modena Oktober 2000 (PDF; 1,1 MB (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive)).
- Roberto Almagià: SELENIZZA in "Enciclopedia Italiana". In: treccani.it. 1936, abgerufen am 3. Januar 2020 (italienisch).
- Carlo Giavarini: La nuova Albania e l’asfalto di Selenizza. (PDF; 398 kB) (Nicht mehr online verfügbar.) Rassegna del bitume 65/10, 2010, archiviert vom Original am 5. März 2016; abgerufen am 8. Juli 2013 (italienisch): „Nel 1945 tutto il complesso industriale e la ferrovia furono distrutti per gli eventi della guerra e le azioni deipartigiani.“
- Albert Calmès: The Economic and Financial Situation of Albania. Hrsg.: League of Nations, Committee of the Provisional Economic and Financial Committee. Genf 1922, S. 9 u. 14 (archive.org).
- Owen Pearson: Albania and King Zog. Independence, Republic and Monarchy 1908–1939 (= Albania in the Twentieth Century: A History. Volume 1). I.B. Tauris, London 2004, ISBN 1-84511-013-7, March 10th 1925, S. 245.
- Carlo Giavarini: Petrolio e bitume d'Albania, ritorno al passato. In: Società Chimica Italiana (Hrsg.): La Chimica & l'Industria. Nr. 92, 2010, S. 91–94.
- Karl Schappelwein: Bergbau und Energiewirtschaft. In: Klaus-Detlev Grothusen (Hrsg.): Albanien (= Südosteuropa-Handbuch). Band VII. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1993, ISBN 3-525-36207-2, S. 376–390.
- Gerhard Gürsch: Mit Bus und Bahn durchs Land der Skipetaren. Bufe-Fachbuch-Verlag, Egglham 1986, S. 79.
- Offizielle Karte 1:50'000 des militärischen kartographischen Amtes Albaniens, Blatt K-34-124-C, 2. Auflage 1982.
- Gerhard Gürsch: Mit Bus und Bahn durchs Land der Skipetaren. Bufe-Fachbuch-Verlag, Egglham 1986, S. 72 und 92.
- Eberhard Rieber: Albania Railway Map/Eisenbahnkarte Albanien. Quail Map Company, Exeter 1990, ISBN 0-900609-68-0.