Félicien Kabuga
Félicien Kabuga (* 1935 in der Kommune Mukarange,[1] damals Völkerbundsmandat Ruanda-Urundi, heute Ruanda) ist ein ruandischer Geschäftsmann. Er war ein enger Vertrauter des ehemaligen ruandischen Präsidenten Juvénal Habyarimana. Nach Ende dessen Regimes war Kabuga mutmaßlicher Tatbeteiligter am Völkermord in Ruanda im Jahr 1994 und wurde mit mehreren internationalen Haftbefehlen gesucht. Nach jahrelangem Leben unter fingierter Identität wurde er am 16. Mai 2020 in Frankreich verhaftet.
Biografie
In Ruanda
Kabuga wurde während der belgischen Mandatsherrschaft geboren. Über seine Jugend und seine geschäftlichen Aktivitäten ist der Öffentlichkeit bisher nicht viel bekannt. Kabuga erwarb als Unternehmer, unter anderem als Besitzer von Teeplantagen im Norden Ruandas,[2] ein großes Vermögen. Obwohl er nicht selbst als Politiker aktiv wurde, erlangte er erheblichen Einfluss aufgrund seiner engen Bekanntschaft mit Juvénal Habyarimana, dem Präsidenten Ruandas, der von 1973 bis 1994 amtierte. Er finanzierte zu großen Teilen dessen Partei, das Mouvement républicain national pour la démocratie et le développement (MRND). Kabuga finanzierte auch die radikale Coalition pour la défense de la République (CDN; Koalition zur Verteidigung der Republik). Anfang der 1990er Jahre geriet das Hutu-Regime von Präsident Habyarimana in Bedrängnis, nachdem die vom benachbarten Uganda aus operierende Tutsi-Rebellenarmee Ruandische Patriotische Front (RPF) gegen ihn vorging und nur mit belgischer, zairischer und französischer Militärhilfe zunächst zurückgeschlagen werden konnte.[1][3]
Am 6. April 1994 kam Präsident Habyarimana beim Abschuss seines Flugzeuges nahe dem Flughafen Kigali ums Leben. Wer das Flugzeug abgeschossen hatte, konnte nicht abschließend geklärt werden. Das Ereignis bildete den Auftakt zum Völkermord in Ruanda, bei dem aufgestachelte Hutu gegen die Tutsi-Minderheit und auch gemäßigte Hutu vorgingen, die sie beschuldigten, mit der Tutsi-Rebellenarmee zusammenzuarbeiten. Binnen etwa 100 Tagen wurden zwischen 800.000 und 1 Million Menschen ermordet. Kabuga wurde vorgeworfen, dabei eine prominente Rolle gespielt zu haben, indem er militante Hutu-Milizen wie Interahamwe finanziell unterstützte, einfache Waffen (hunderttausende Macheten, Hacken, Messer) in großer Menge im Ausland einkaufte und verteilen ließ, und in seiner Rolle als führender MRND-Funktionär nichts unternahm, um den Gewalttätigkeiten ein Ende zu bereiten. Nachdem UN-Blauhelmsoldaten in Ruanda stationiert worden waren, um dem Morden ein Ende zu bereiten (UNAMIR – United Nations Assistance Mission for Rwanda), entfachte die MRND unter maßgeblicher Mitwirkung von Kabuga eine Kampagne gegen die Beteiligung belgischer Soldaten – Soldaten der ehemaligen Mandatsmacht. Im staatlichen Radio RTLM, für dessen Leitung Kabuga wesentlich verantwortlich war, wurde Hasspropaganda gegen die Tutsi verbreitet. Am 25. April 1994 kam es zu einem Treffen von radikalen Hutu-Führern in der Präfektur Gisenyi, bei der ein „nationaler Verteidigungsfonds“ aufgelegt wurde, mit dessen Hilfe im Ausland Uniformen und Waffen für die Hutu-Miliz Interahamwe gekauft werden sollten. Zeichnungsbevollmächtigter wurde Kabuga. Dabei sollen auch Listen unliebsamer Tutsi und Hutu erstellt und an die Interahamwe weitergegeben worden sein. Als sich die militärische Lage immer ungünstiger gestaltete und sich ein Sieg der RPF-Rebellenarmee abzeichnete, setzte sich Kabuga im Juni 1994 ins Ausland ab.[1][3]
Im Exil
Kabuga reiste im Juni 1994 zunächst in die Schweiz ein, wurde dort aber am 14. August 1994 ausgewiesen (hob aber mutmaßlich vorher noch große Geldsummen ab) und ließ sich auch die Kosten der Flugtickets in Höhe von 21 302 Schweizer Franken zur Ausreise seiner neunköpfigen Familie von den Schweizer Behörden bezahlen.[4] Er flog danach nach Kinshasa (damals Zaire, heute Demokratische Republik Kongo). Später nahm er einen Wohnsitz in Nairobi (Kenia), wo er wohl aufgrund von Bestechung Schutz höherer politischer Kreise aus dem Umfeld des kenianischen Präsidenten Daniel arap Moi genoss. Seit dem 26. November 1997 galt er offiziell als flüchtig, mit unbekanntem Aufenthaltsort.[1] Versuche, ihn zu orten und zu verhaften, schlugen fehl. 1998 wurde er bei einer Polizeirazzia in einem angeblich von ihm bewohnten Haus in Nairobi nicht angetroffen. Im Jahr 2003 wurde ein Polizeiinformant, der sich in Nairobi mit Kabuga hatte treffen wollen, ermordet.[5] In der Folgezeit verlor sich seine Spur, jedoch wurde er zumindest noch einige Jahre weiter in Kenia vermutet, was die kenianischen Behörden bestritten.[6]
Am 22. August 1998 klagte der 1994 eingerichtete Internationale Strafgerichtshof für Ruanda (ICTR) Félicien Kabuga in Abwesenheit an. Die Anklagepunkte lauteten Völkermord, Beihilfe zum Völkermord, Anstachelung und Verschwörung zum Völkermord u. a. m.[7] Seit 2001 wurde Kabuga via Interpol gesucht.[8] Das US-Außenministerium ließ Kabuga per internationalem Haftbefehl suchen und versprach eine Belohnung von bis zu 5 Millionen US-Dollar für Hinweise, die zu seiner Ergreifung führten.[9] Am 14. April 2011 ließ der Internationale Residualmechanismus für die Ad-hoc-Strafgerichtshöfe (MICT), die UN-Nachfolgeorganisation des mittlerweile wieder aufgelösten ICTR, Kabuga zur internationalen Fahndung ausschreiben.[1][10]
Verhaftung
Am 16. Mai 2020 wurde Félicien Kabuga in einer Wohnung in Asnières-sur-Seine nahe Paris durch die französische Polizei verhaftet.[11] Er hatte dort jahrelang unter falschem Namen gelebt. In einer Pressemitteilung dankte der Chef-Strafverfolger des MICT, Serge Brammertz, den französischen Behörden und erklärte, dass die Festnahme durch koordinierte Ermittlungsarbeit der Behörden von Ruanda, Belgien, dem Vereinigten Königreich, Deutschland, den Niederlanden, Österreich, Luxemburg, der Schweiz, den Vereinigten Staaten, Europol und Interpol möglich geworden sei.[12][13]
Am 26. Oktober 2020 wurde Kabuga von Frankreich nach den Haag überstellt.[14] Bei seiner ersten Anhörung vor dem MICT-Gericht am 11. November 2020 ließ er sich durch seinen Anwalt für „nicht schuldig“ erklären.[15]
Einzelnachweise
- CASE INFORMATION SHEET: FUGITIVE - FÉLICIEN KABUGA. (pdf) Mechanism for International Criminal Tribunals (“MICT”) / Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda, abgerufen am 16. Mai 2020 (englisch).
- Gicumbi: Félicien Kabuga property auctioned off. IGIHE, 12. Dezember 2013, abgerufen am 17. Mai 2020 (englisch).
- Felicien Kabuga. Trial International, 2. Mai 2016, abgerufen am 16. Mai 2020 (englisch).
- Ausweisung von Félicien Kabuga. Die Bundesversammlung — Das Schweizer Parlament, Anfrage von Jean-Nils de Dardel, 6. Oktober 1998, abgerufen am 16. Mai 2020.
- Fatales Ende einer US-Jagd auf Kriegsverbrecher. Neue Zürcher Zeitung, 26. Januar 2003, abgerufen am 16. Mai 2020.
- Security forces step up hunt for Kabuga. Daily Nation, 7. März 2010, abgerufen am 16. Mai 2020 (englisch).
- THE PROSECUTOR v. Édouard KAREMERA Mathieu NGIRUMPATSE Joseph NZIRORERA André RWAMAKUBA, Case No. ICTR-98-44-PT. (pdf) Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda, 7. Dezember 2004, abgerufen am 16. Mai 2020 (englisch).
- Rwanda genocide suspect arrested in France with INTERPOL support. 16. Mai 2020, abgerufen am 16. Mai 2020 (englisch).
- Wanted: Félicien Kabuga. US-Außenministerium, abgerufen am 16. Mai 2020 (englisch).
- INTERNATIONAL CRIMINAL TRIBUNAL FOR RWANDACase No. ICTR-98-448-I – THE PROSECUTOR V. FÉLCIEN KABUGA AMENDED INDICTMENT Pursuant to confirmation decision dated 13 April 20ll. (pdf) Abgerufen am 16. Mai 2020 (englisch).
- Simone Schlindwein: Aus für Félicien Kabuga. In: taz.de. 17. Mai 2020, abgerufen am 13. August 2020.
- Mechanism fugitive Félicien Kabuga arrested today. Office of the Prosecutor, 16. Mai 2020, abgerufen am 16. Mai 2020 (englisch).
- Génocide au Rwanda – la France annonce l'arrestation de Félicien Kabuga, en cavale depuis 25 ans. le Figaro, 16. Mai 2020, abgerufen am 16. Mai 2020 (französisch).
- Rwandan genocide suspect Felicien Kabuga arrives in The Hague to face trial. Deutsche Welle, 26. Oktober 2020, abgerufen am 9. Dezember 2020 (englisch).
- Millicent Zighe: Kabuga pleads not guilty to genocide charges. Journalists for Justice, 13. November 2020, abgerufen am 9. Dezember 2020 (englisch).