Ernst Schlegel (Ingenieur, 1882)
Ernst German Schlegel (* 21. Juni 1882 in Konstanz; † 4. Januar 1976 ebenda) war ein deutscher Flugpionier, Flugzeugkonstrukteur und Ingenieur.[1][2]
Werdegang
Nach dem Besuch der Oberrealschule in Konstanz schlug Ernst Schlegel, der Sohn eines Lokomotivführers, zunächst die mittlere Beamtenlaufbahn ein und wurde Eisenbahner wie sein Vater. Begeistert von der Fliegerei, experimentierte er ab 1908 mit selbstgebauten Flugmaschinen und unternahm auf dem Exerzierplatz des Konstanzer Regiments 114 erste Flugversuche. 1909 zog er nach Mainz, um dort die Ingenieurschule zu besuchen. Nach eigenen Entwürfen und Plänen konstruierte er zusammen mit seinem Schweizer Freund Robert Züst die „Flugmaschine Schlegel-Züst“.[3][4]
Die „Flugmaschine Schlegel-Züst“ basierte auf einem von den Aviatik Automobil- und Aviatikwerken (Leipzig-Heiterblick) hergestellten und selbst aufgebauten Eindecker, bei welchem es sich um einen Nachbau einer französischen „Hanriot“ handelte. Verspannte Tragflächen mit Steuerung über Verwindung, Holz-Stahlrohr-Rumpf mit Stoffverkleidung und starres Fahrwerk mit Hilfskufen sind charakteristische Merkmale für die sehr seltenen Apparate dieser Zeit.[5][6]
Zurück in Konstanz folgten weitere Flugversuche. Im April 1910 startete Ernst Schlegel mit dem selbstgebauten Motorflugzeug, kurze Geradeausflüge (Flughöhe 3 Meter, Strecke 150 Meter) gelangen, aber beim Versuch einer Platzrunde ging der Apparat mit Schlegel an Bord zu Bruch. Während manche Zeitgenossen die ersten Flugversuche der „Aviatiker“ belächelten („Das glitzernde Hirngespinst, durch Nachahmung des Vogelflugs, den Menschen auch ohne Gasballon durch die Lüfte zu tragen, spukt immer wieder in einigen Köpfen…“) erhielt Schlegel dagegen Zuspruch von Graf Zeppelin, der sein Flugzeugprojekt im Oktober 1910 mit 3.000 Goldmark unterstützte.[7]
1911 wurde Schlegel von der Aviatik-Gesellschaft Mülhausen als „theoretischer Lehrer für die ersten deutschen Fliegeroffiziere“ berufen und erhielt im Gegenzug bei den Elsässischen Automobil- und Aviatik-Werken eine Ausbildung zum Flieger.[8] Am 20. Mai 1912 legte er seine Flugzeugführer-Prüfung in einem Aviatik-Doppeldecker in Habsheim im Elsass ab und zählt zu den Alten Adlern (Nr. 209), den Fliegern, die vor Ausbruch des 1. Weltkriegs ihre Flugprüfung bestanden hatten.[9]
1912 wurde Schlegel zum Leiter der „Herzog-Carl-Eduard-Fliegerschule“ in Gotha ernannt und führte als Fluglehrer für Eindecker zahlreiche Ausbildungsflüge durch. In Gotha baute Schlegel zusammen mit Karl Grulich einen Doppeldecker.
Am 25. Juli 1912 flog er die erste Flugpost in Thüringen, auf der Strecke Gotha – Erfurt.[10][11] Für diesen Flug gab die Flugpost Gotha eine halbamtliche Flugmarke heraus, diese wurde durch einen Stempel mit Namenszug „E. Schlegel“ entwertet. Die daneben zu klebende Postmarke wurde normal gestempelt.[12][13][14]
Schlegel baute das erste Wasserflugzeug, nahm an zahlreichen Städteflügen teil, errang viele Preise, wurde Erster oder Zweiter bei „Prinz-Heinrich-Flug“ und hielt Vorträge über das Flugwesen. Seinen größten Triumph erlebte Schlegel, als er im Oktober 1913 beim „Prinz-Heinrich-Flug“ den Nationalpreis mit 60.000 Goldmark[5] erhielt. Bei diesem überaus schwierigen und gefährlichen Wettbewerb war es darauf angekommen, von Mitternacht bis Mitternacht die weiteste Flugstrecke zurückzulegen. Dabei gab es für das Fliegen bei Nacht keinerlei zuverlässige Instrumente. Schlegel gelang es dennoch, eine Flugstrecke von 1606 Kilometer zu absolvieren, musste aber bei Labiau in Ostpreußen notlanden und zog sich dabei schwere Verletzungen zu.[7]
Schlegel wurde berühmt und zum Fluglehrer einer ganzen Generation von deutschen Piloten, es gab Zigarren mit seinem Namen und im Konstanzer Stadttheater wurde das ihm gewidmete Theaterstück „Die Fliegerbraut“ aufgeführt. Der „Flieger Schlegel“ war in aller Munde, er unternahm zahlreiche Gastflüge mit prominenten Zeitgenossen.
Schlegel war Postflieger, Testflieger, Wasserflieger und dann im Ersten Weltkrieg Kriegsflieger mit zahlreichen Einsätzen. Er wurde zum Leutnant befördert und erhielt das Eiserne Kreuz 1. und 2. Klasse.[15][16]
1916 erlitt er im Krieg einen Nervenzusammenbruch. Bald darauf erhielt den Auftrag, die erste deutsche Werkmeisterschule zu gründen und eine Versuchsabteilung zu leiten. Später war er leitender technischer Angestellter bei den Rumpler-Flugzeugwerken in Berlin und wurde 1917 von der Heeresverwaltung als Oberingenieur in die Flugzeugfabrik nach Speyer versetzt.[17]
Im April 1918 eröffnete Schlegel offiziell den Flugplatz Konstanz, der bald darauf dem kriegsbedingten allgemeinen Flugverbot zum Opfer fiel.[18]
In seiner im Januar 1919 verfassten Denkschrift über die Organisation des deutschen Flugwesens regte er eine Reichsluftorganisation sowie die Einrichtungen von Luftämtern an und setzte sich für eine Überleitung des „ursprünglich rein militärischen Flugbetriebs in den verkehrstechnischen“ ein. „Die Aufgaben der Verkehrsflugzeuge liegen in der Bedeutung des Wortes 'Verkehr'. Menschen, Pakete, Postsäcke, Briefe sind zu befördern. Das Verkehrsflugzeug soll Handel, Industrie und Wissenschaft zu Gute kommen.... An erster Stelle steht zum Ausbau bestimmt das Flugzeug als 'Verkehrsmittel'. Die 'verkehrstechnische' Gestaltung unseres Flugwesens ist aber keine rein badische oder deutsche, sondern mehr noch, eine internationale Sache.“ Schlegel erkannte damit frühzeitig die Chancen des zivilen Luftverkehrs. Für den Aufbau des Luftverkehrs nach dem 1. Weltkrieg ließen sich „Schulmaschinen“ (13 Maschinen) und „C Maschinen“ leicht verwenden, Tausende der letztgenannten stünden in Hallen untergebracht und gingen bei Nichtverwendung in Staub und Rost zugrunde, so begründete Schlegel seine Initiative zum Aufbau der Verkehrsluftfahrt nach dem Krieg.[19]
Im August 1919 nahm die Deutsche Luft-Reederei den ersten regulären Flugbetrieb auf der Strecke Konstanz – Berlin auf. Ernst Schlegel organisierte mit sechs Militär-Doppeldeckern einen Flugpassagier-Dienst zwischen Konstanz, Stuttgart, Berlin, Freiburg, München und Friedrichshafen mit Anschluss an den Zeppelinverkehr.
Im Jahr 1921 richtete Schlegel den Flugpostverkehr zwischen Konstanz und Stuttgart ein. Ab 11. April 1921 wurde auch der Flugverkehr von Konstanz nach München aufgenommen, täglich wurden Flugpostsendungen mitgenommen.[20][18]
1934 berief das Reichsluftfahrtministerium Schlegel als erfahrenen Flieger in den höheren Ingenieurdienst nach Stuttgart. Doch der Oberstabsingenieur wurde wegen kritischer Äußerungen wiederholt strafversetzt und 1944 wegen eines Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ angeklagt. Sein Verfahren wurde von Anwälten hinhaltend behandelt und mit Kriegsende entging er einem Urteil der NS-Justiz.[7][21]
In den Nachkriegsjahren war Schlegel als Ingenieur bei verschiedenen Unternehmen in Deutschland und der Schweiz tätig. Den Ruhestand verbrachte er in seiner Heimatstadt Konstanz, wo er im Alter von fast 94 Jahren starb.
Einzelnachweise
- Geburtsregister der Stadt Konstanz, Nr. 207/1882
- Chronik in Alt-Konstanz
- J. de J., „Da haben Sie aber ein wackliges Fuhrwerk“, Südkurier Konstanz vom 19. Juni 1957, Stadtarchiv Konstanz
- Flugmaschine Züst und Schlegel. In: Zeitschrift Flugsport – Jahrgang 1910. Redaktion und Verlag Flugsport, Frankfurt am Main 1910, S. 139 (Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Die Pionierzeit der Fliegerei Chronik des Flugplatzes Konstanz. Abgerufen am 30. Januar 2018
- Aviatik-Eindecker: Luftiger Pilotensitz mit „Navi“ Flugzeug Classic, Ausgabe 11/2015. Abgerufen am 30. Januar 2018
- Helmut Jacobsen: Melodie eines Fliegerlebens. „Alter Adler“ Ernst Schlegel 80 Jahre alt – Einem „Hirngespinst“ verfallen. Südkurier Konstanz, 20. Juni 1962, Stadtarchiv Konstanz
- Persönlicher Brief von Ernst Schlegel vom 3. Mai 1933, Stadtarchiv Konstanz, SII 4269
- Alte Adler Liste Deutscher Flugzeugführer vor Kriegsausbruch 1914. Abgerufen am 30. Januar 2018
- Geschichte der Luftfahrt in Erfurt 1909–1914 Chronik auf luftfahrt-erfurt.de. Abgerufen am 30. Januar 2018
- Geschichte der Luftfahrt in Erfurt 1956–1966 Chronik auf luftfahrt-erfurt.de. Abgerufen am 30. Januar 2018
- Luftpost Gotha – Erfurt Artikel von Thorsten Berndt vom 23. Mai 2012 auf briefmarkenspiegel.de. Abgerufen am 30. Januar 2018
- Deutsche Briefmarkenzeitung 26/2012 Artikel von Thorsten Berndt vom 13. Dezember 2012 in der DBZ. Abgerufen am 30. Januar 2018
- Flugpost Gotha. Halbamtliche Briefmarke Briefmarke Flugpost Gotha 1912
- Hans Schuhmacher: Der „Alte Adler“ fliegt nicht mehr… Nachruf Südkurier Konstanz vom 9. Januar 1976, Stadtarchiv Konstanz
- W.Q.: Der Flieger vom Bodensee. Südkurier Konstanz vom 21. Juni 1952, Stadtarchiv Konstanz
- Persönlicher Brief von Ernst Schlegel vom 3. Mai 1933, Stadtarchiv Konstanz, SII 4269
- Vom Exe zum Verkehrslandeplatz Festschrift Flughafen-Gesellschaft Konstanz GmbH. Abgerufen am 30. Januar 2018 (PDF)
- Flieger Ernst Schlegel, Konstanz, Januar 1919, Denkschrift über die Organisation des deutschen Flugwesens, Landesarchiv Baden-Württemberg, Stuttgart (Digitalisat)
- Stadtarchiv München: Stadtchronik 1921 – Flugpost aus München
- wt, Der Konstanzer Lilienthal heißt Schlegel, Südkurier Konstanz, 4. Januar 1986