Ernst Haefliger
Ernst Haefliger (* 6. Juli 1919 in Davos; † 17. März 2007 ebenda) war ein Schweizer Opernsänger (Tenor), der auch und besonders als Bach-Interpret bekannt geworden ist.
Leben
Ausbildung und künstlerische Karriere
Nach der Ausbildung im Lehrerseminar Wettingen, wo er durch Musikdirektor Karl Grenacher eine starke Förderung erhielt, studierte Haefliger Gesang und Geige am Konservatorium in Zürich, später Gesang beim italienischen Tenor Fernando Carpi in Genf und danach bei Julius Patzak in Wien.
Haefliger trat zum ersten Mal 1943 als Evangelist in Johann Sebastian Bachs Johannespassion in Zürich beim Gemischten Chor Zürich auf; hier sang er regelmässig als Solist in den Oratorien und Konzerten des Chores bis 1984. Dem Debüt folgten sogleich zahlreiche Konzertverpflichtungen in der Schweiz und – nach Kriegsende – im nahen Ausland. Bald fiel er dem Dirigenten Ferenc Fricsay auf, der ihn für die Festspiele nach Salzburg holte. Dort begann 1949 Haefligers Weltkarriere als Tiresias in Carl Orffs Oper Antigonae.
1952 folgte er dem Ruf von Ferenc Fricsay an die Deutsche Oper Berlin, wo er als lyrischer Tenor die Tenorpartien in sämtlichen Mozartopern, in Rossinis Barbier von Sevilla und Le comte Ory, den Hans in Smetanas Verkaufter Braut, Hans Pfitzners Palestrina u. v. a. sang.
1971 wurde er zum Professor für Gesang an die Münchener Hochschule für Musik berufen, wo er bis 1988 unterrichtete. Weiter gab er Meisterkurse in Zürich, Japan und den USA und veröffentlichte das Standardwerk Die Kunst des Gesangs (Verlag Schott, Mainz), das er ganz unter den Leitgedanken des Belcanto stellte.
Dank seiner schlanken Stimmführung und klaren Diktion war Haefliger der ideale Interpret des Evangelisten in Bachs Passionen. Seine hohe Phrasierungskunst prädestinierte ihn ebenso für alle Tenorpartien in den Opern von W. A. Mozart, für den Liedgesang und für die Interpretation zeitgenössischer Werke wie Frank Martins Le vin herbé, Zoltán Kodálys Psalmus hungaricus, Wilfried Hillers Hiob.
Haefliger nahm mit dem Münchener Bach-Chor unter der Leitung von Karl Richter die Passionen und zahlreiche Kantaten von Bach sowie Händels Messias bei der Deutschen Grammophon Gesellschaft auf. Unter der Leitung von Ferenc Fricsay spielte er die Mozart-Opern Die Entführung aus dem Serail, Don Giovanni, Die Zauberflöte und Idomeneo sowie Kodálys Psalmus hungaricus ein. Als Liedinterpret trat Haefliger in zahlreichen Konzerten auf, zunächst mit der Berliner Pianistin Hertha Klust, mit dem Wiener Erik Werba und später mit dem Schweizer Dirigenten und Pianisten Jörg Ewald Dähler, der ihn auf seinem Hammerflügel in den großen Schubert-Zyklen begleitete und diese mit ihm bei Claves Records aufnahm. Denkwürdig und mehrfach ausgezeichnet war Haefligers Einspielung von Leoš Janáčeks Tagebuch eines Verschollenen bei DGG, mit Rafael Kubelík am Klavier.
Haefliger war Solist in vielen Uraufführungen, unter anderem in Werken von Willy Burkhard, Frank Martin, Peter Mieg, Othmar Schoeck, Carl Orff und Wilfried Hiller. Als einer der ersten Sänger interessierte sich Haefliger für historische Aufführungspraxis.
Privates
Haefliger, der zuletzt in Wien lebte, verstarb im Alter von 87 Jahren in Davos.[1] Seit 1954[2] war er verheiratet mit der Schweizer Innenarchitektin und Designerin[3] Anna Haefliger-Golin (* 14. Dezember 1931 als Anna Hadorn in Bern; † 30. August 2016 in Wien[4]). Die gemeinsamen Kinder, die an den berufsbedingten Wohnsitzen Berlin und später München aufwuchsen,[5][6] sind die Schauspielerin Christine Marecek (* 1956 in Berlin; seit 1985 verheiratet mit Heinz Marecek[7]), der Geiger[8] und Musikmanager[6] Michael Haefliger (* 1961 in Berlin), Intendant des Lucerne Festivals, und der in Wien lebende Pianist Andreas Haefliger (* 1962 in Berlin[9]). Die Schauspielerin und Filmemacherin Sarah und der Schauspieler Ben Marecek, beide durch ihre Mutter Christine ebenfalls Schweizer Staatsbürger, sind Haefligers Enkelkinder.
Ende der 1960er Jahre[10] erwarben die Haefligers in Santa Gertrudis auf der Baleareninsel Ibiza eine rund 400 Jahre alte Finca, aus der sie bis 1971 einen Familiensitz schufen. Mitte der 2000er Jahre übernahmen die Tochter Christina und ihr Mann Heinz Marecek die Finca.[7][10]
Auszeichnungen und Ehrungen
- Deutscher Kritikerpreis (1955)
- Chapel Gold Medal (England) (1957)
- Berliner Kammersänger
- Bundesverdienstkreuz am Bande (28. November 1983)[11]
- Bundesverdienstkreuz 1. Klasse (15. September 1988)[11]
- Ehrenmitglied der Hochschule für Musik und Theater München
Nach Haefliger wurde der vom Schweizerischen Amt für Kunst und Kultur des Kantons Bern geförderte Gesangswettbewerb Concours Ernst Haefliger benannt, der erstmals 2006 in Gstaad und Bern stattfand und bei dem er als Jurypräsident mitwirkte. Der Concours Haefliger findet regelmäßig im Zweijahresrhythmus statt.
Werke
- Die Singstimme. Hallwag, Bern 1983 (Beilage: 1 LP).
- Neuauflage als Die Kunst des Gesangs. Geschichte – Technik – Repertoire. Schott, Mainz 2000, ISBN 3-7957-8720-3.
Literatur
- Paul Suter: Ernst Haefliger. In: Andreas Kotte (Hrsg.): Theaterlexikon der Schweiz. Band 2, Chronos, Zürich 2005, ISBN 3-0340-0715-9, S. 782 f.
- Paul Suter: Ernst Haefliger. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
Weblinks
- Werke von und über Ernst Haefliger im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Tondokumente von und über Ernst Haefliger im Katalog der Schweizerischen Nationalphonothek
- Haefliger Ernst: Biographie. In: Musinfo – Schweizerisches Musikinformationszentrum. Hochschule Luzern (Hrsg.).
- Ernst Haefliger erinnert sich an Karl Richter. (Transkript-Ausschnitt aus einem Video-Interview.) In: Karl Richter in München – Zeitzeugen erinnern sich (1951–1981). Johannes Martin (Hrsg.), 25. Juli 2005.
Einzelnachweise
- Allan Kozinn: Ernst Haefliger, Swiss Tenor, Dies at 87. (Nachruf; englisch) In: The New York Times, 20. März 2007, abgerufen am 28. September 2020.
- Paul Suter: Ernst Haefliger. In: Historisches Lexikon der Schweiz. Stand 23. August 2012, abgerufen am 28. September 2020.
- Anna-Golin-Weg In: nanu – Nachrichten aus Neubiberg & Unterbiberg. Gemeinde Neubiberg (Hrsg.), Ausgabe 2/2011, S. 25: „Anna Golin, Schweizer Architektin und Designerin, war Inhaberin des Unterföhringer Einrichtungshauses „Wunderhaus“. […] 1993 wurde anlässlich des fünfjährigen Bestehens des Umweltgartens einer der Wege nach Anna Golin benannt.“
- Anna Haefliger-Golin, geb. Hadorn. Traueranzeige vom 3. September 2016. In: trauer.NZZ.ch, abgerufen am 28. September 2020.
- Susanne Schmerda: Ernst Haefliger zum 100. Geburtstag. Edles Silbertimbre. Hier insbesondere im Abschnitt Daheim wurde gejodelt. In: BR-Klassik, 5. Juli 2019, abgerufen am 28. September 2020.
- Urs Mattenberger: Daheim hat der Evangelist gejodelt – zum 100. Geburtstag von Tenor Ernst Haefliger. … zu seinem 100. Geburtstag erinnern sich auch seine Söhne. In: St. Galler Tagblatt, 23. Juni 2019, abgerufen am 28. September 2020.
- Über den Autor (2015). In: Google Books zu: Heinz Marecek, Christine Marecek: Leben ohne Rezept. Amalthea Signum, Wien 2015: „Christine und Heinz Marecek sind seit 1985 verheiratet und leben heute auf Ibiza in dem Haus, das Christines Eltern 1971 als Familiensitz geschaffen haben. Tochter Sarah lebt in Berlin, Sohn Ben in Wien.“
- Florian Hauser: Opernsänger Ernst Haefliger. Der stille Startenor aus Davos. Vor 100 Jahren wurde Ernst Haefliger geboren: Der weltberühmte Schweizer Tenor mit der farbenreichen Stimme. (Radiosendung Diskothek Spezial am 1. Juli 2019). In: Webportal des SRF, 5. Juli 2019, abgerufen am 28. September 2020.
- Andreas Haefliger. In: Künstlerverzeichnis des Lucerne Festivals, Oktober 2018, abgerufen am 28. September 2020.
- Maria Gurmann: Heinz Mareceks Hotspots auf Ibiza. Der SOKO-Kitzbühel-Star Heinz Marecek kennt jeden Winkel in seiner zweiten Heimat. In: Kurier, 8. November 2016, abgerufen am 28. September 2020: „‚Meine Schwiegereltern haben vor 47 Jahren eine klassische, ganz authentische Finca gekauft. Christine und ich haben das Haus vor zehn Jahren übernommen‘, erzählt der SOKO-Kitzbühel-Koch …“ „Die Finca der Mareceks liegt genau in der Mitte der kleinen Insel – in Santa Gertrudis.“
- Bundespräsidialamt