Benno Jacob
Benno Jacob (auch Benno Jakob; * 7. September 1862 in Frankenstein in Schlesien; † 24. Januar 1945 in London) war ein deutscher liberaler Rabbiner in Göttingen und Dortmund, jüdischer Bibelkommentator, Apologet des Judentums und Kämpfer gegen den Antisemitismus.
Leben
Jacob studierte an der Universität Breslau (Abschluss Dr. phil. 1899) sowie am dortigen Jüdisch-Theologischen Seminar. Von 1891 bis 1906 war er Rabbiner in Göttingen, anschließend von 1906 bis zur Pensionierung 1929 in Dortmund. Im gleichen Zeitraum gab er am dortigen Städtischen Gymnasium[1] und am Bismarck-Realgymnasium[2] jüdischen Religionsunterricht. Danach zog er 1932 nach Hamburg um seiner dort verheirateten Tochter nahe zu sein und widmete sich weiterhin der Exegese. 1939 ermöglichte ihm der Oberrabbiner der vereinigten jüdischen Gemeinden des britischen Commonwealth Joseph Hertz die Flucht vor den Nationalsozialisten nach London.[3]
Obwohl er nicht zur Orthodoxie gerechnet werden kann, standen die Schlussfolgerungen aus seinen Textstudien in völligem Widerspruch zur neuzeitlichen (christlich geprägten) Bibelkritik. Seiner Meinung nach war der traditionelle Text zuverlässiger als die alten Übersetzungen, und die willkürlichen Textkorrekturen der Bibelkritik hielt er für unwissenschaftlich, weil ihr einziger Zweck in der Bestätigung deren eigener Voraussetzungen lag. Außerdem beschuldigte er die Vertreter der Bibelkritik, antisemitische Vorstellungen und Vorurteile gegen das Judentum zu pflegen. Seine Ansichten veröffentlichte er in Der Pentateuch, exegetisch-kritische Forschungen und Quellenscheidung und Exegese im Pentateuch.
Sein wichtigstes exegetisches Werk ist Das erste Buch der Tora: Genesis, übersetzt und erklärt. Jacob akzeptierte weder Moses Autorschaft des Pentateuchs noch die Idee der Verbalinspiration, fand aber im Aufbau der Thora so viel literarische Einheit und geistige Harmonie, dass jegliche Suche nach ihren „Quellen“ ihm als nutzlose hypothetische Übung erschien.
Gegen Ende des 1. Weltkriegs engagierte sich Jacob für Zwangsarbeiter aus dem von Deutschland besetzten Polen, die in der Ruhrindustrie arbeiten mussten und unter denen viele Juden waren. Nach dem Krieg half er bei der Integration jüdischer Einwanderer aus Osteuropa.[4] In den 1920er Jahren hielt Jacob in Dortmund und anderen Städten Aufklärungsvorträge gegen den aufkommenden Judenhass, die von zahlreichen Nicht-Juden besucht wurden und denen sich manchmal öffentliche Debatten mit später führenden Nazis anschlossen.[3]
Benno Jacob war Gründer der schlagenden und farbentragenden Studentenverbindung Viadrina im KC, einer jüdischen Verbindung, die 1886 in Breslau von jüdischen Studenten gegründet wurde, um den Antisemitismus an den Universitäten mit der Mensur zu bekämpfen. Er war ein Gegner des Zionismus nicht nur aufgrund seines Glaubens an eine deutsch-jüdische Synthese, sondern auch weil für ihn der Zionismus eine völlige Säkularisierung des Judentums und eine Grundlage für jüdischen Atheismus bedeutete.
Ein Enkel Jacobs ist der amerikanische Rabbiner Walter Jacob, Präsident des Abraham-Geiger-Kolleg Potsdam, Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes und Komtur des Päpstlichen Gregoriusordens.
Zitat
„Wenn ein Kulturland keinen Raum für Freiheit hat, dann verzichtet der Diener Gottes auf Kultur.“
Veröffentlichungen (Auswahl)
- Das Buch Ester bei den LXX, in ZAW 10 (1890), S. 241–298
- Im Namen Gottes, Berlin 1903
- Der Pentateuch, exegetisch-kritische Forschungen. Leipzig 1905
- Die Abzählungen in den Büchern Leviticus und Numeri, Frankfurt a. M. 1909
- Die Thora Moses, Frankfurt a. M. 1912/13
- Quellenscheidung und Exegese im Pentateuch, Leipzig 1916
- Krieg, Revolution und Judentum. Philo-Verlag, 1919
- Auge um Auge, Berlin 1929
- Das erste Buch der Tora, Genesis. Übersetzt und erklärt von Benno Jacob, Schocken Verlag, Berlin 1934 (Neudruck 2000/ Calwer Verlag Stuttgart)
- Das Buch Exodus, Stuttgart 1997
Literatur
- Walter Jacob: Benno Jacob: Kämpfer und Gelehrter. Mit einer Einführung von Hanna Liss, aus dem Englisch von Esther Kontarsky. Centrum Judaicum, Hentrich & Hentrich, Berlin 2011, ISBN 978-3-942271-32-5 (= Jüdische Miniaturen. Band 115).
- Salomon Wininger: Große Jüdische National-Biographie. Bd. III, S. 254; Bd. VII, S. 114; 1925 ff.
- Ernest I. Jacob (Springfield, Missouri): Benno Jacob als Rabbiner in Dortmund, in: Hans Chanoch Meyer (Hrsg.): Aus Geschichte und Leben der Juden in Westfalen. Eine Sammelschrift. Frankfurt am Main 1963, S. 89–92
- Almuth Jürgensen: Die Thora lehren und lernen. Rabbiner Benno Jacob in Dortmund (1906-1929). In: Jan-Pieter Barbian; Michael Brocke; Ludger Heid (Hrsg.): Juden im Ruhrgebiet. Vom Zeitalter der Aufklärung bis in die Gegenwart. Essen : Klartext, 1999, ISBN 3-88474-694-4, S. 67–104
- Christian Wiese: Wissenschaft des Judentums und protestantische Theologie im wilhelminischen Deutschland. Tübingen 1999
- Günter Birkmann: Benno Jacob. Ein liberaler Rabbiner in Dortmund. In: Heimat. Dortmund 2/2000
- Walter Jacob, Almuth Jürgensen (Hrsg.): Die Exegese hat das erste Wort. Beiträge zu Leben und Werk Benno Jacobs. Stuttgart 2002
- Trumah 13 (2003), Benno Jacob – der Mensch und sein Werk.
- Till Magnus Steiner, Hans-Christoph Aurin: Jacob, Benno. In: Michaela Bauks, Klaus Koenen, Stefan Alkier (Hrsg.): Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex), Stuttgart 2006 ff., abgerufen am 18. Juli 2017.
Weblinks
- Jüdische Schriftsteller in Westfalen: Benno Jacob
- Benno Jacob, Rabbiner in Dortmund auf der Internetseite des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe
- Literatur von und über Benno Jacob im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Einzelnachweise
- 4. Lehrplan (= Städtisches Gymnasium zu Dortmund [Hrsg.]: Jahresbericht über das Schuljahr 1909/10). Dortmund 1910, S. 9 (uni-duesseldorf.de).
- III. Die Lehrer. (= Bericht über das Schuljahr 1929/30. 50 Jahre Städtisches Bismarck-Realgymnasium zu Dortmund 1879-1929. Erstattet von Oberstudiendirektor Dr. Wenderoth). Eigenverlag, Dortmund 1930, S. 27 (zdb-services.de).
- Jacob: Benno Jacob, S. 92
- Jacob: Benno Jacob, S. 90f.
- Der wöchentliche Toraabschnitt, kommentiert von Nechama Leibowitz (Memento vom 11. Oktober 2007 im Internet Archive)