Autofreier Tag
Der Autofreie Tag ist ein Tag, an dem der Gebrauch von Automobilen und anderen Kraftfahrzeugen eingeschränkt werden soll.
In den 1950er und 1970er Jahren wurden autofreie Tage von den Behörden verfügt, weil ein Engpass der Versorgung mit Erdöl drohte.
In jüngerer Zeit gilt der autofreie Tag als Aktionstag verbunden mit der Forderung nach einer Verkehrswende, der von verschiedenen Organisationen (zum Beispiel Umweltverbänden und Kirchen) initiiert und unterstützt wird. Er findet jährlich am 22. September statt. In Kommunen, die an der Europäischen Mobilitätswoche teilnehmen, wird von diesem Datum jedoch auch gelegentlich um wenige Tage abgewichen.
Autofreie (Sonn-)Tage
Der Gedanke, einen Tag pro Jahr generell auf den Gebrauch des Autos zu verzichten, wird bereits von fast allen Staaten der Europäischen Union und darüber hinaus von den meisten Kommunen und Städten unterstützt. Tausende Gemeinden in Deutschland, hunderte in der Schweiz und in Österreich und ebenso in anderen Ländern haben entsprechende Aufrufe erlassen.
Anlass für autofreie Tage sind zum Beispiel Straßenfeste, Demonstrationen, andere Veranstaltungen oder auch die regelmäßig wiederkehrende Freigabe der Fahrbahn für nichtmotorisierte Fortbewegung, etwa Inline-Skates.
Zum jüdischen Feiertag Jom Kippur entfällt in Israel für 25 Stunden motorisierter Individualverkehr weitgehend.[1][2]
Geschichte
Sueskrise 1956
Ausgelöst durch die Sueskrise erließ die Schweizer Regierung am 16. November 1956 ein Sonntagsfahrverbot für vier Sonntage.[3]
Deutschland
Der Begriff Autofreier Sonntag wurde während der ersten Ölkrise 1973 allgemein verwendet und auch in ganz Deutschland bekannt. West-Deutschland reagierte auf die Ölkrise mit einer ungewöhnlichen Sparmaßnahme und verhängte mit dem Energiesicherungsgesetz vom 9. November 1973 insgesamt vier autofreie Sonntage (25. November, 2., 9. und 16. Dezember 1973) sowie Tempolimits. Staunend nutzten viele Bundesbürger die seltene Möglichkeit, einmal eine Autobahn zu Fuß oder per Fahrrad zu erkunden. Lediglich Taxis, Ärzte sowie Frischware-Lieferanten durften fahren. Am vierten Autofreien Sonntag gab es dann so viele Ausnahmen, dass es auf den Straßen wieder zu Staus kam.
Österreich
Im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland, in der bereits 1973 autofreie Sonntage festgelegt wurden, mussten sich in Österreich alle Autofahrer für einen individuellen autofreien Wochentag entscheiden. Ab dem 14. Jänner 1974 musste in Österreich jedes Auto ein Pickerl für den gewünschten Wochentag tragen. Dieser Wochentag wurde selbst in die Kfz-Steuerkarte eingetragen und durch einen etwa 10 × 6 cm (B x H) großen Zettel mit dem Wochentagskürzel (So, Mo, …) oben hinter der Windschutzscheibe ausgewiesen. Diese Zettel wurden z. B. in Zeitungen zum Ausschneiden abgedruckt. Im „Vorteil“ bezüglich Autoverfügbarkeit waren Haushalte mit 2 Pkw in der Familie. Es gab Ausnahmen etwa für Ärzte, die Hausbesuche per Pkw machten. Diese Sondergenehmigung wurde mit einem zusätzliches S-Pickerl gekennzeichnet. Behördenfahrzeuge, etwa Polizei, Straßendienst, Lkw generell waren ausgenommen. Die Regelung für den autofreien Tag dauerte nur fünf Wochen.[4][5]
Schweiz
Auch in der Schweiz wurden in der Folge des Jom-Kippur-Kriegs (6. bis 24. Oktober 1973) Autofreie Sonntage angeordnet. Ab dem 25. November galten an drei Sonntagen Fahrverbote. Gemäß Medienberichten machte die Bevölkerung daraus ein Volksfest: Die Straßen wurden zu Fahrrad- und Rollschuhbahnen, Spaziergänger flanierten auf großen Verkehrsachsen.[6]
Seit den 1980er Jahren
Seit dem Ende der 1980er Jahre gibt es in Deutschland, Österreich und der Schweiz[7] bzw. weltweit[8] zunehmend autofreie Straßen an einem Sonntag im Jahr, z. B. am 22. September den entsprechenden Aktionstag, bzw. entsprechende ganze Aktionswochen:[9] Dabei werden die Verkehrswege auf einer Länge zwischen 15 und 140 Kilometern tagsüber komplett für den motorisierten Verkehr gesperrt und Besuchern zu Fuß, auf Fahrrädern oder Rollschuhen zu Verfügung gestellt. Es hat sich eingebürgert, dass am Straßenrand von Anwohnern Getränke, Kuchen und andere Speisen angeboten werden. Die Straßen befinden sich oft in einem Flusstal, häufig sind sogar beide Seiten der Flüsse gesperrt, so zum Beispiel bei Happy Mosel oder bei Tal Total, dem „autofreien Rheintal“. Die Anzahl dieser Erlebnistage stieg laut Umwelt- und Prognose-Institut bis 2011 auf 77 pro Jahr in Deutschland, Österreich und der Schweiz an.[10]
In der Schweiz und bei entsprechenden grenzüberschreitenden Aktionen[11][12][13] werden diese Aktionstage Slowup genannt.
In Italien sind seit 2000 an vier Sonntagen im Jahr die Zentren von 150 Städten tagsüber vom Autoverkehr befreit. In Paris ist das rechte Seine-Ufer an allen Wochenenden des Jahres und den ganzen August tagsüber für Motorfahrzeuge tabu.
Seit 2002 wird in Brüssel das gesamte 160 km² große Gebiet innerhalb des umschließenden Autobahnringes an einem Sonntag im September innerhalb der jährlichen Europäischen Mobilitätswoche für den motorisierten Individualverkehr gesperrt.[14] Vergleichbare Sperrungen gelten inzwischen am gleichen Tag ebenfalls in vielen Städten der beiden anderen Landesteile Wallonie und Flandern.[15]
In Mexiko-Stadt ist die Hauptverkehrsader seit 2007 jeden Sonntag dem nicht-motorisierten Verkehr vorbehalten.[16] Die autofreien Straßen sind zu einem festen Event geworden.[17]
Anfang 2008 gründete sich in Berlin eine Initiative zur Durchsetzung eines autofreien Sonntags.[18][19]
Verschiedene Gruppen forderten bzw. veranstalteten darüber hinaus lokal einen „Autofreien Hochschultag“ (AFH). Sie stellten alternative Möglichkeiten der Mobilität vor und kritisierten Problematiken des gegenwärtigen Mobilitätsverhaltens unserer Gesellschaft. Dies traf auf Widerstand von Studierenden, die aus verschiedenen Gründen auf die Anfahrt per Auto angewiesen sind oder dies aus grundsätzlichen Erwägungen (Eingriff in persönliche Freiheit, Anprangerung von Autofahrern o. ä.) ablehnten.
Durchführungsarten
Viele Städte und Orte sperren ihre Zentren für die Dauer dieses Tages für den gesamten motorisierten Verkehr. In anderen wird genau das heftig kritisiert, vor allem von Autofahrerclubs und Wirtschaftsvertretern. Nicht wenige Kommunen legen den autofreien Tag auf einen Sonntag. So kommt es nicht zu der befürchteten Blockade von Wirtschaftsverkehr, sondern zu einem umsatzsteigernden Event.
- Paris, 27. September 2015, Polizei und freiwillige Helfer an einer Zufahrt der autofreien vier Arrondissements[20]
- 27. September 2015 am Ufer der Seine, gegenüber (rechts im Bild) die Conciergerie
- Die Champs-Élysées wurden am 27. September ihrem Namen „Freudenfeld“ gerecht.
- Radler zwischen der Place Charles-de-Gaulle und dem Anfang der autofreien Zone (gelbes Schild)
- Sperrung der A40 zwischen Dortmund und Duisburg für das Kulturfest Still-Leben Ruhrschnellweg.
Neben Umweltschutz-Verbänden, alpinen und anderen Vereinen und Organisationen, verschiedenen Politikern usw. treten auch einige Verkehrsclubs für solche Bedenktage ein – etwa der VCD und der VCÖ. Letztere propagieren auch sonst immer wieder den möglichst häufigen Verzicht auf den fahrbaren Untersatz sowie einige der möglichen Alternativen zum Auto.
Alternativen zum Auto
- stärkere Förderung des Öffentlichen Verkehrs
- vermehrtes Radfahren für Strecken bis zu 20 km
- vermehrtes Inlineskaten und Zufußgehen für Strecken bis zu 2 km und mehr
Individuell werden auch deutlich längere als die angegebenen Streckenlängen insbesondere als Erledigungsketten mit Muskelkraft zurückgelegt.
Effekte des Autoverzichts
Im Zuge der Vorbereitung des autofreien Tages 2004 wurde angemerkt, dass im Durchschnitt für jede Person, die pro Familie ganzjährig auf den Autogebrauch verzichtet, der CO2-Ausstoß um 490 Kilogramm pro PKW sinkt. Ein ähnlicher Wert dürfte auch dann gelten, wenn sich etwa in Gruppen von Carsharing einzelne zum „motorisierten Ausstieg“ entscheiden – falls die verbleibenden Personen den Gebrauch dieses PKW (wegen ja ohnehin sinkender Auslastung) nicht vermehrt nutzen.
Neben der Reduzierung des Treibhausgases Kohlendioxid sind eine Reihe anderer positiver Effekte – auch schon an einem einzelnen Tag wie dem 22. September – zu verzeichnen. Einige davon sind:
- Verringerung anderer Schadstoffe
- Verringerung von Lärm
- positiver Einfluss auf Gesundheit der Anwohner
- Erhöhung des Freizeitwertes
- Förderung des Umweltgedankens
Probleme und andere Auswirkungen:
- Sperrige oder schwere Güter lassen sich nur ausnahmsweise ohne Motorfahrzeug transportieren. So müssen Haushalte ohne eigenen PKW derartige Transporte schon bei weniger großen Gegenständen speziell organisieren als Haushalte mit PKW.
- Angeradelte Kunden geben zwar pro Einkauf im Durchschnitt weniger aus als mit dem PKW gekommene, aber dafür fahren sie häufiger einkaufen.[21]
- In vielen Fällen erhöhter Zeitaufwand für die Fortbewegung. Andererseits kann die Fahrzeit in öffentlichen Verkehrsmitteln oft für andere Aktivitäten genutzt werden und fördert Mobilität per Fahrrad als regelmäßiges körperliches Training die eigene Gesundheit.
- Steigt ein größerer Anteil der Bevölkerung vom Auto auf andere Verkehrsmittel um, so kann es eine Verlagerung von Handel und Gastronomie von leicht mit dem Auto erreichbaren zu leicht zu Fuß, per Rad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbaren Standorten geben. Raumplaner hoffen auf eine Umkehr des bisherigen Verlagerungstrends „auf die grüne Wiese“.
- Nicht wenige Menschen mit körperlichen Gebrechen sind so sehr auf Autos zur Fortbewegung angewiesen, dass sie entweder weiterhin entsprechende Dienstleistungen in Anspruch nehmen müssen, oder auf einen eigenen PKW nicht verzichten können.
Partieller Autoverzicht
Seit einigen Jahren praktizieren nicht wenige Menschen einen partiellen Autoverzicht:
- Bei Mitfahrgelegenheiten und Fahrgemeinschaften wird der PKW eines Besitzers gleichsam zum öffentlichen Verkehrsmittel für weitere Menschen mit oder ohne eigenes Auto. Die bessere Ausnutzung auf den Fahrten verbessert die Umweltbilanz des PKW-Verkehrs.
- Carsharing ist eine Option für Menschen, die nur einen geringen Teil ihrer Mobilität mit dem PKW bewältigen möchten, etwa zu Strecken und Zeiten mit schlechter ÖPNV-Bedienung oder eben Transporte größerer Gegenstände.
Autofreier Tag und Mobilitätswoche konkret
Einige Stadtverwaltungen im deutschsprachigen Bereich Europas lehnen es generell ab, sich am 22. September an autofreien Zonen zu beteiligen. Andere ziehen ringförmige Verkehrseinschränkungen um die Altstädte vor wie z. B. Wien, wo sich jedoch offizielle Stellen (z. B. der Verkehrsstadtrat) vom Autofreien Tag distanzieren.[22] Die inneren Bereiche vieler Städte werden zumindest für einige Stunden autofrei gehalten und die Hauptverkehrsstraßen teilweise „den Leuten zurückgegeben“. Rad- und Fußgängerverkehr sowie öffentlicher Verkehr werden davon nicht nur ausgenommen, sondern verstärkt ermöglicht – unter anderem
- durch Gratisaktionen von Straßenbahn und Bus,
- Feste und andere Veranstaltungen,
- Speakers Corners von Abgeordneten, Stadträten, Bürgermeistern, Ministern oder anderen Politikern,
- vorübergehende Begehbarkeit von innerstädtischen Bundesstraßen in einigen jener Kommunen, die großflächigere oder gemeindeweite Sperrungen ablehnen
- Kunstaktionen von der Verteilung von Warnvierecken bis zu vielfältigen Begleitprogrammen
- Rasen am Ring – ein Stück der Wiener Ringstraße wird (autofrei) mit Rollrasen belegt für ein Picknick
- Skatenight in Wien und Tour de Graz rollen per Rad und Inline-Skates ein Stück über die Autobahn
Siehe auch
- Mobil ohne Auto, Bundesweiter Aktionstag am dritten Sonntag im Juni
Weblinks
- www.mobilityweek.eu (engl.), offizielle Webseite der Europäischen Kommission zur Woche der Mobilität (16. bis 22. September 2013) und zum autofreien Aktionstag (22. September 2013)
- Weltweiter autofreier Tag
- Autofreie Tage, Übersicht über die verschiedenen nationalen & internationalen autofreien Tage
- Liste autofreier Raderlebnistage in Deutschland, Österreich, Schweiz
- Website der Europäischen Mobilitätswoche in Deutschland (Nationale Koordinierungsstelle im Umweltbundesamt)
- Website des autofrei leben! e.V.
- Archivaufnahmen zum autofreien Tag in Österreich im Onlinearchiv der Österreichischen Mediathek
Einzelnachweise
- Transforming Urban: Tel Aviv. Hans-Dieter Edler, Martin Grabner. Österreich 2016, Film Länge: ca. 46 min. (englisch). - Gespielt 24. Juni 2016, Sommerkino, Haus der Architektur, Graz.
- http://www.hda-graz.at/event.php?item=10039 Sommerkino: Camera Austria, Haus der Architektur, Kunsthaus Graz. hda-graz.at > Kalender > 2016. 23. Juni – 6. Juli 2016, abgerufen am 24. Juni 2016.
- Bundesratsprotokoll 10. Dezember 1956 in der Datenbank Dodis der Diplomatischen Dokumente der Schweiz
- Sophie Gerber: Einführung eines „autofreien Tages“. Haus der Geschichte Österreich, abgerufen am 29. Juli 2020.
- Hermann Neumülle: Als die Autos plötzlich Pickerl trugen. OÖ Nachrichten, 6. Oktober 2015, abgerufen am 29. Juli 2020.
- Vor 40 Jahren: Sonntagsfahrverbot in der Schweiz. In: Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). 25. November 2013, abgerufen am 8. November 2016.
- Umwelt- und Prognose-Institut, upi-institut.de: Autofreie Sonntage (2012)
- worldcarfree.net
- mobilityweek.eu
- UPI-Bericht 37: Autofreie Sonntage
- velostation-loerrach.de
- basel-dreiland.ch
- slowup-hochrhein.info
- French Connect
- Stadt Brüssel
- Arte-Sendung „Dicke Luft“ vom 26. Januar 2016, ab Sendeminute 1:05:22
- Planet Mexiko
- Peter Neumann: Autofreier Tag am 1. Juni - aber ohne Zwang. In: Berliner Zeitung. 13. März 2008, abgerufen am 19. Juni 2015.
- Katharina Buess: Zwangspause für Autofahrer abgewehrt. Die überparteiliche Initiative für einen autofreien Sonntag ist gescheitert. In: die tageszeitung. 13. März 2008, abgerufen am 22. September 2017.
- Für Autos mit Ausnahme vieler Taxis und weniger Privat-PKW und Busse außer Linienbussen gesperrt waren die Arrondissements I, II, III und IV sowie die Champs-Élysées
- Autofreies Einkaufen (Memento vom 22. November 2015 im Internet Archive), RE TIMES
- Autofrei: Streit um Picknick am Wiener Ring, wienerzeitung.at, 23. September 2009, abgerufen am 15. April 2015