Aristide Maillol
Aristide Joseph Bonaventure Jean Maillol (* 8. Dezember 1861 in Banyuls-sur-Mer, Département Pyrénées-Orientales; † 27. September 1944 ebenda) war ein französischer Bildhauer, Maler und Grafiker. Er galt in Frankreich als der wichtigste Antipode Auguste Rodins und beeinflusste die europäische Plastik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachhaltig.
Leben
Aristide Maillol war das vierte von fünf Kindern des Tuchhändlers und Weinbergbesitzers Raphaȅl Maillol und seiner Gattin Cathérine, geb. Rougé. Er stammte aus einer Familie von Weinbauern, Seeleuten und Schmugglern. Der Geburtsort, das Fischerstädtchen Banyuls-sur-Mer, liegt am Mittelmeer nahe der spanischen Grenze. Die Muttersprache Maillols war Katalanisch; Französisch sprach er mit starkem Akzent.
Nach der Volksschule besuchte er das Collège Saint-Louis in Perpignan, wo sich im Kunstunterricht sein Wunsch, Künstler zu werden, herausbildete. Seine Familie hatte dafür anfangs kein Verständnis. Als 20-Jähriger zog Maillol 1881 nach Paris, um Kunst zu studieren. Zuerst nahm er als freier Schüler an einem Zeichenkurs der École des Beaux-Arts teil, der dem Maler und Bildhauer Jean-Léon Gérôme unterstand. Als er diesem nach einigen Monaten seine Zeichnungen zeigte, meinte Gérome, er gehöre in die Kunstgewerbeschule, wohin Maillol dann überwechselte. Dort belegte er Bildhauerkurse.[1] Nach einigen Monaten kehrte Maillol an die École des Beaux-Arts zurück und wurde in die Klasse des Salonmalers Alexandre Cabanel aufgenommen. Die offizielle Zulassung erhielt er nach mehreren Versuchen erst am 17. März 1885.[2] 80 von 223 Bewerbern wurden aufgenommen; Maillol belegte Platz 64. Bis 1893 blieb er Student der Akademie.
Fast zwanzig Jahre lebte Maillol in Paris und Umgebung in extremer Armut. 1894[3] nahm Maillol Clotilde Narcis, eine seiner Mitarbeiterinnen im Tapisserie-Atelier in Banyuls mit nach Paris und bezog mit ihr eine Wohnung in der Rue Saint-Jacques. Im Juli 1896 heirateten sie, und im Oktober desselben Jahres kam ihr einziges Kind Lucien zur Welt. Clotilde wurde für mehr als ein Jahrzehnt zu Maillols Idealmodell sowohl in der Malerei und Textilkunst als auch in der Plastik. 1899 zog das junge Paar nach Villeneuve-Saint-Georges, eine Gemeinde im Département Val-de-Marne. 1903 folgte der Umzug nach Marly-le-Roi bei Paris. Doch den Wohnsitz in seinem Heimatort Banyuls behielt der Künstler zusätzlich lebenslang bei. Gewöhnlich lebte er im Sommerhalbjahr bei Paris und im Winterhalbjahr am Mittelmeer. Den Lebensunterhalt verdiente er sich zunächst mit der Restaurierung von Stuckarbeiten.
Allmählich wuchs Maillols Anerkennung. Julius Meier-Graefe nahm ihn 1904 in seine bedeutende Publikation „Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst“ auf.[4] Im selben Jahr lernte der Künstler seinen wichtigsten Mäzen, Harry Graf Kessler kennen, für den er einige seiner Hauptwerke ausführte. Zusammen reisten beide 1904 nach London, 1908 nach Griechenland[5], und 1930 nach Deutschland, vor allem nach Weimar und Berlin.[6]
Maillols Ruhm wuchs vor allem im Ausland, neben Graf Kessler erwarben andere deutsche Sammler, wie beispielsweise Karl Ernst Osthaus, Werke von ihm,[7] Wichtige Sammler waren außerdem das Ehepaar Hahnloser, Oskar Reinhart in Winterthur, Johannes Rump in Kopenhagen sowie das Ehepaar Kröller-Müller in Den Haag. Wichtige Sammler in Frankreich waren Octave Mirbeau, Gustave Fayet oder Jacques Zoubaloff.[8]
1913 fand im Kunstkring Rotterdam die erste Einzelausstellung außerhalb Frankreichs statt, gezeigt wurden zwei Bronzen, sechs Gipsfiguren und Fotografien. Im selben Jahr waren Werke Maillols in der berühmten Armory Show in New York vertreten. Der Künstler kam dem wachsenden Interesse an seinen Werken nur zögernd nach. In den Pariser Salons waren seine Werke selten zu sehen. Bei der ersten ausländischen Wanderausstellung 1925 bis 1927 in den USA wurden überwiegend Gipsreproduktionen gezeigt.[9]
Die bedeutendsten Ausstellungen fanden 1928 in Berlin in der Galerie von Alfred Flechtheim, 1933 in der Kunsthalle Basel die von Otto Roos mit organisiert wurde[10] und 1937 im Rahmen einer Begleitausstellung französischer Kunst zur Pariser Weltausstellung im Petit Palais statt. Wegen Maillols enger Verbindungen zu Graf Kessler wurde er im Ersten Weltkrieg verdächtigt, Spion für Deutschland zu sein. Im Zweiten Weltkrieg wurde er wegen seiner Bekanntschaft mit Arno Breker als Kollaborateur eingeschätzt.
1944 erlitt Maillol einen Autounfall auf einer Dorfstraße; wenige Tage später starb er in seinem Haus in Banyuls-sur-Mer.
Das Werk
Die künstlerischen Anfänge
Als Maler orientierte sich Maillol nicht an seinem Lehrer Cabanel, geprägt wurde er stattdessen durch Pierre Puvis de Chavannes und Paul Gauguin, mit dem er persönlich bekannt war. 1892 schloss er sich der Künstlergruppe Nabis an, deren dekorative und flächenbetonte Kunst seiner Malerei zu dieser Zeit entsprach.
In den 1890er Jahren wandte sich Maillol der Herstellung von Wandteppichen zu. Mit seinen Gemälden war er nicht mehr zufrieden; er störte sich an gewissen Manieriertheiten, die er sich auf der Akademie angewöhnt hatte. Bei den gestickten Teppichen dagegen war er gezwungen, langsam einen Ton neben den anderen zu setzen.[11]
Für die Umsetzung der Textilkunst richtete er 1893 in seinem Heimatdorf Banyuls ein kleines Tapisserie-Atelier ein und beschäftigte einheimische Frauen mit Webarbeiten, so auch seine spätere Ehefrau Clotilde Narcis (1873–1952) und deren Schwester Angélique. 1903 gab Maillol wegen einer Augenkrankheit die Herstellung von Wandteppichen auf.[12] Die bedeutendsten Tapisserien Maillols stehen am Ende seiner Beschäftigung mit der Textilkunst: zwei große Wandteppiche, die für Hélène Prinzessin Bibesco ausgeführt wurden.[13]
Der ausgebildete Maler betätigte sich seit der Mitte der 1890er Jahre vorrangig als Bildhauer. Zuerst schnitzte er kleine Reliefs, die er 1896 im Pariser Salon SNBA[14] ausstellte. Im Jahr darauf präsentierte er dort eine Vitrine mit Terrakotta-Figuren. Seine ersten bildhauerischen Arbeiten wurden noch in der Kunstgewerbeabteilung des Salons vorgestellt. Zum Bildhauer wurde Maillol eigentlich erst, als er Holzfiguren von etwa 60 cm Höhe zu schnitzen begann. Der entscheidende Schritt zur Bildhauerei wurde für das Publikum erst 1902 durch Maillols erste Einzelausstellung nachvollziehbar: Der Kunsthändler Ambroise Vollard präsentierte vom 15. bis zum 30. Juni 1902 33 Werke des Künstlers: elf Tapisserien, einen Wandbrunnen, die geschnitzte Wiege des Sohnes und schließlich Statuetten aus Gips, Holz und Bronze. Die Ausstellung war ein Erfolg; zum Beispiel kaufte der Schriftsteller Octave Mirbeau dort eine Holzstatuette (heute im Kröller-Müller-Museum, Otterlo) und einen Guss der berühmtesten Kleinbronze Maillols, der Leda (heute Sammlung Oskar Reinhart, Winterthur). Nach der Ausstellung kaufte Vollard dem Künstler fünf Gemälde und 13 plastische Arbeiten ab.[15] Wie damals üblich, erwarb Vollard damit gleichzeitig die Reproduktionsrechte an diesen Werken. Vollard initiierte unlimitierte Editionen einiger der beliebtesten Kleinplastiken Maillols, die man in unzähligen Museen und Privatsammlungen findet. Da Maillol das Recht an diesen Werken abgetreten hatte, sind die Vollard-Bronzen legal. Der Künstler hatte mit deren Entstehung meist nichts zu tun, dennoch sind die meisten dieser Bronzen qualitätvoll ausgeführt, vermutlich deshalb, weil Vollard dieselben Gießer beauftragte, bei denen Maillol selbst zu Beginn seiner Karriere gießen ließ: Bingen et Costenoble[16] und Florentin Godard.[17]
Die Kleinplastiken aus Maillols Anfangszeit sind auch deshalb so überzeugend, weil der Künstler mit seiner Ehefrau Clotilde stets sein Idealmodell vor Augen hatte. Ihr Typ und ihre Proportionen wurden für sein bildhauerisches Werk wegweisend:
„Ich habe eine kleine Frau geheiratet. Ich habe immer kurze Beine vor Augen gehabt. Deshalb suchte ich die Harmonie der kurzen Beine. Wäre ich mit einer langbeinigen Pariserin verheiratet, dann hätte ich vielleicht die Harmonie der langen Beine gesucht.“
Der Mäzen
Am 21. August 1904 lernte Maillol seinen bedeutendsten Mäzen Harry Graf Kessler kennen. Diese erste Begegnung ist in Kesslers Tagebuch geschildert: „Er wohnt in einem ganz kleinen Häuschen sehr primitiv und ländlich mitten in grossen offenen Obstgärten. Als wir an die Thüre klopften (eine Klingel giebt es nicht,) erschien die Frau auf dem kleinen Balkon und rief in die Gärten hinaus: Aristide, Aristide! worauf ein Bauer in der blauen Bluse, einen breitkrempigen Arbeiter Strohhut auf dem Kopf herankam und uns in sehr breitem Patois bäuerlich bieder begrüßte. Er stellte sich nicht weiter vor, und kümmerte sich auch nicht viel um unsere Namen, sondern war eben Maillol: etwa 40 Jahre alt aussehend, langer unbeschnittener, schwarzer Vollbart, sehr ausdrucksvolle, leuchtende blaue Augen, hager und mit langer Adlernase von prononciert spanischem Typus. Er führte uns gleich ins Atelier, das ein kleiner Bau im Garten ist, und zeigte uns seine Arbeiten und Zeichnungen, die Büste von Mme Maurice Denis, eine kleine hockende weibliche Figur, die er lebensgross ausführen wollte und von der ich sofort das kleine Modell kaufte (800 frcs) … Ich fand unter seinen Zeichnungen eine Skizze von einer zusammengekauerten weiblichen Figur, die mir durch die wunderbare Arabeske der Linien und deren knappe Zusammenfassung so auffiel, dass ich Maillol, der von beabsichtigten Steinskulpturen gesprochen hatte, vorschlug, sie für mich in Stein auszuführen. Maillol plaidierte für Lebensgrösse; und wir einigten uns hierauf, wenn der Preis es erlaubte.“[19]
Sofort bei ihrer ersten Begegnung gab Graf Kessler also die Figur in Auftrag, die später den Titel La Méditerranée erhielt. Kesslers Tagebuch belegt, dass die Komposition auf einer Zeichnung beruhte und nicht über einen Zeitraum von mehreren Jahren in kleinen und großen Modellen ausgearbeitet wurde, wie man meist angenommen hatte.[20] Am 24. August 1904 begann Maillol mit dem Aufbau der großen Figur in feuchtem Ton. Ein Jahr lang arbeitete er an seinem Meisterwerk. 1905 wurde die fertiggestellte Gipsfassung im Salon d’Automne unter dem Titel „Femme“ ausgestellt. Maillol erreichte damit seinen ersten großen Erfolg. Die sitzende Frauengestalt in ihrer ausgewogenen, ruhigen Komposition ist das berühmteste Werk in seinem Schaffen. Die Vollendung in Kalkstein nahm noch etliche Jahre in Anspruch. Graf Kessler musste dieses Werk 1931 aus finanziellen Gründen verkaufen. Es befindet sich in der Sammlung Oskar Reinhart in Winterthur.
Wie schon La Mediterranée, so schuf Maillol 1907/08 ebenfalls auf Anregung Graf Kesslers die männliche Bronzeplastik Le Cycliste (‚Der Radfahrer‘) und das Relief Le Desir. Bedeutsam ist die Verbindung zwischen Mäzen und Künstler auch deshalb, weil in den Tagebüchern Kesslers ausführlich Gespräche mit Maillol dokumentiert werden, aus denen man dessen künstlerische Überzeugungen herauslesen kann:
„Vor einer antiken Venus im Louvre, die an der afrikanischen Küste jahrhundertelang vom Meer bespült und von den Wellen wie von den Händen eines großen Künstlers geglättet und vereinfacht worden ist, aber um so gewaltiger heute in unverwüstlicher Schönheit dasteht, sagte mir Maillol einmal: »Sehen Sie, diese Figur ist meine Lehrmeisterin gewesen. Von einem Rodin, der das durchgemacht hätte, wäre nichts geblieben. Diese Figur hat mich gelehrt, was Plastik ist. Eine Statue muß schön sein, auch wenn ihre Oberfläche zerstört und kieselglatt geschliffen ist.«“
Die Modelle
Für Maillol waren die weiblichen Modelle eine sehr wichtige Anregung. Das bedeutendste und für das gesamte Werk entscheidende Modell war Maillols Ehefrau Clotilde. Bei späteren Modellen, bis zum letzten, Dina Vierny, suchte er immer wieder die gleichen Proportionen. In den zahlreichen Erinnerungsbüchern, die Gespräche mit Maillol wiedergeben, erzählte der Künstler aber nicht nur vom ersten und vom letzten Modell. Als schönste der jungen Frauen, die ihn zu Werken anregten, bezeichnete er Thérèse, das spanische Hausmädchen der Familie Maillol, das ihm nach dem Ersten Weltkrieg vier Jahre lang Modell stand. Sie war das Vorbild kraftvoller Statuetten sowie einer ersten Version von einem der Hauptwerke Maillols, der Venus. Nach ihrer Hochzeit konnte sie allerdings nicht mehr Modell stehen, worüber sich der Künstler sehr empörte. In der Mitte der 1920er Jahre war er wegen Depressionen kaum fähig zu arbeiten, und die Venus konnte er erst 1928 vollenden.
Unter den Modellen nahm Lucile Passavant eine besondere Rolle ein, denn sie war Maillols Schülerin; man kennt einige plastischen Arbeiten von ihr. Außerdem war sie die Geliebte des Bildhauers, den sie auf seiner Deutschlandreise 1930 begleitete. Als Modell war sie vor allem für die mittlere Figur der drei Nymphen von Bedeutung.
Am bekanntesten ist jedoch das letzte der Modelle: Die in Chișinău, Moldawien geborene Dina Vierny, deren jüdische Eltern aus Odessa wegen der Revolutionswirren mit der kleinen Tochter nach Paris geflohen waren. Sie wurde 1934 im Alter von nur 15 Jahren Maillols Modell. In den Schulferien posierte sie anfangs nur für Kopfdarstellungen; nach einiger Zeit bot sie sich dem Künstler auch als Aktmodell an. Zeichnungen und Gemälde hat Maillol nach ihr geschaffen. Nach den Angaben Viernys stand sie für die Großplastiken La Rivière (Der Fluss) und La Montagne (Das Gebirge) Modell. Vor allem aber war sie das Vorbild für die Statue Harmonie, die ursprünglich Die Rose heißen sollte. Jahrelang arbeitete Maillol an dieser Figur. Als die junge Frau 1943 von der deutschen Besatzungsmacht inhaftiert worden war, konnte er nicht weiterarbeiten. Eine Vollendung dieses letzten Werkes gelang dem greisen Künstler nicht.
Im Gegensatz zu Maillol vermied Dina Vierny jeden Kontakt zu den deutschen Besatzern, nahm Verbindung zum französischen Widerstand auf und führte Flüchtlinge über die französisch-spanische Grenze. Der alte Maillol hatte ihr noch selbst den Weg nach Portbou gezeigt, der früher nur von Schmugglern, Maultieren und Ziegenherden genutzt wurde. Im Frühjahr 1943 wurde sie gefasst und landete im berüchtigten Gefängnis von Fresnes bei Paris, das sie nach einem halben Jahr dank des Einsatzes von Arno Breker verlassen konnte.
Dina Vierny eröffnete 1947 eine Kunstgalerie, die sie mit einer Maillol-Ausstellung eröffnete. 1978 wurde sie die Erbin von Maillols Sohn Lucien, den sie zuvor schon bei der Nachlasspflege unterstützt hatte. 1995 eröffnete sie die Fondation Dina Vierny - Musée Maillol. Dina Vierny hat sich um das Werk Maillols sehr verdient gemacht und ihn im öffentlichen Bewusstsein gehalten. Vielleicht nicht ganz uneigennützig: Der Vorwurf der deutschen Kunsthistorikerin Ursel Berger besteht, Dina Vierny habe etwa 200 illegale Kopien von Skulpturen als Originale in den Handel gebracht oder an Museen geschenkt.[23]
Die Skulptur
Maillol wird oft als „Cézanne der Bildhauerei“ bezeichnet, weil er der Plastik – so wie Cézanne der Grafik – den Weg zur Abstraktion ebnete.[24] Erst ab 1895 begann Maillol, sich der Bildhauerei zuzuwenden. Zunächst fertigte er Kleinplastiken aus Holz und Terrakotta, aus denen er dann seine monumentalen Stein- und Bronzefiguren entwickelte. 1902 trat er mit einer großen Ausstellung in der Galerie Ambroise Vollard mit seinen bildhauerischen Werken erstmals in die Öffentlichkeit.
Das Hauptthema seines bildhauerischen Schaffens war der weibliche Akt. Mit seinen voluminösen, sinnlich weiblichen Figuren in vollendetem Ebenmaß schuf Maillol eine plastische „Liebespoesie“ (Harry Graf Kessler). Maillol verzichtete weitgehend auf Details und individuelle Züge, dafür strahlen seine Akte in ihrem geschlossenen Volumen unendliche Ruhe und harmonische Ausgewogenheit aus.
1905 stellte er sein erstes monumentales Hauptwerk La Méditerranée (‚Das Mittelmeer‘) im Salon d'Automne aus. Seine Frau Clotilde hatte dafür Modell gestanden. Diese Großplastik verkörpert seine Verbundenheit mit der Mittelmeerkultur. Sie ist typisch für sein gesamtes bildhauerisches Schaffen. Mit harmonisch ausgewogenen Proportionen und einem leidenschaftslos ruhigen Ausdruck bewältigt er die monumentale Form. Die Oberfläche ist gleichmäßig geglättet und steht ganz im Gegensatz zu dem dramatischen Werk Rodins mit seinen aufgewühlten Oberflächen und bewegten Silhouetten. Für Maillol ist das allegorische Allgemeingültige von Bedeutung, das Individuelle wird nebensächlich. Seine Werke sind klar aufgebaut und ruhen in sich, ohne klassizistisch zu wirken.
„Maillol ist den größten Bildhauern an die Seite zu stellen. Sehen Sie, in dieser kleinen Bronze gibt es etwas, das den Werken der alten Meister gleichkommt, und an dem sich die jungen Anfänger ein Beispiel nehmen können. Ich bin glücklich, daß ich das gesehen habe. Wenn das Wort Genie, das heute so unangemessen vielen Leuten zuerkannt wird, überhaupt noch einen Sinn hat: Hier ist es angebracht. Ja, Maillol verkörpert in sich das Genie der Skulptur. Man muß schon böswillig oder sehr unwissend sein, um das nicht zu erkennen! Welche Sicherheit des Geschmacks! Welche im Einfachen zutage tretende Lebensweisheit! Ein flüchtig Vorübergehender bleibt niemals davor stehen, weil er vor dem, was einfach ist, nicht stehen bleibt. Er glaubt, die Kunst muß etwa Kompliziertes und Unverständliches sein. Er bleibt nur vor dem stehen, was mit unlauteren Mitteln seine Neugier erregt. Und genau das, was es an Maillols Kunst Bewundernswertes, ich möchte sagen Ewiges gibt, das ist die Reinheit, die Klarheit, die Durchsichtigkeit im Handwerklichen und im Gedanken. In keinem seiner Werke findet sich irgend etwas, das die Neugier des Vorübergehenden erregen könnte.“
Die Graphik
Zum graphischen Werk Maillols gehören neben Zeichnungen, Radierungen und Lithographien insbesondere Holzschnitte. Beispiel hierfür ist etwa der Gedichtband „Chansons pour elle. 25 Gedichte von Paul Verlaine“, Paris 1939, der mit 28 Holzschnitten Maillols illustriert wurde. Er wurde zu einem der bedeutendsten Illustratoren antiker Literatur; besonders bekannt sind seine Bildfolgen zu Vergils Eclogae et Georgica sowie Ovids Ars amandi. Wie die Plastik zeichnet sich auch sein graphisches Werk durch die Betonung einfacher Linien und Konturen aus.
Wirkung
Das Werk Maillols war von immensem Einfluss auf die europäische, insbesondere die deutsche Bildhauerei. Beispiele hierfür sind u. a. die Werke der deutschen Bildhauer Wilhelm Lehmbruck, Georg Kolbe und Arno Breker, der lange Zeit auf dem Montmartre ein Atelier unterhalten und bei Maillol gelernt hatte. Aber auch Constantin Brâncuși und Henry Moore wurden zur Erneuerung der klassischen Formensprache von Maillol inspiriert. Mit Henri Matisse war er zeitlebens befreundet. Das Musée Maillol in Paris, Rue de Grenelle 61, gewährt Einblicke in das Leben und Werk des Künstlers.
Einige der Werke Maillols wurden auf der documenta 1 (1955) und der documenta III im Jahr 1964 in Kassel gezeigt.
Einzelne Werke
- La Méditerranée, 1904/05
- L'Action enchaînée, 1905–08
- Flora, um 1910/12, Bronze, 163,5 × 49,5 × 39 cm, München, Neue Pinakothek, (Inv. Nr. B 154)
- Vénus, 1918–28, Tate Gallery, London
- L'Île-de-France, 1925
- Les trois nymphes, 1930/38, Tate Gallery London
- L'Air, 1940, Toulouse
- Harmonie, 1940/44
Literatur
- Ursel Berger u. Jörg Zuttner: Aristide Maillol. Prestel, München 1996.
- Carola Breker: Der frühe Maillol. Würzburg 1992.
- Pierre Camo: Maillol, mon ami. Lausanne 1950.
- Judith Cladel: Maillol. Sa vie, son oeuvre, ses idées. Grasset, Paris 1937.
- Henri Frère: Gespräche mit Maillol. Frankfurt am Main 1961.
- Gabriele Genge: Artefakt Fetisch Skulptur: Aristide Maillol und die Beschreibung des Fremden in der Moderne. Deutscher Kunstverlag, Berlin, München 2008.
- Waldemar George: Aristide Maillol. Berlin 1964.
- Emmanuelle Héran: Vollard éditeur des bronzes de Maillol: une relation controversée. In: De Cézanne à Picasso. Chefs-d'oeuvres de la galerie Vollard. Musée d'Orsay, Paris 2007.
- Harry Graf Kessler: Aristide Maillol. In: Aufsätze und Reden 1899–1933. (online)
- Linda Konheim Kramer: Aristide Maillol (1861-1944): Pioneer of Modern Sculpture. UMI Dissertation Services, Ann Arbor 2007.
- Rolf Linnenkamp: Aristide Maillol – Die großen Plastiken. München 1960.
- Bertrand Lorquin: Aristide Maillol, Skira, Genève 1994.
- Aristide Maillol: Hirtenleben – 36 Holzschnitte. Insel-Verlag, Wiesbaden 1954.
- Hans Dieter Mück: Aristide Maillol & Harry Graf Kessler: eine Dokumentation nach Quellen. Utenbach 2005.
- Hans Albert Peters (Hrsg.): Maillol. 17. Juni – 3. September 1978, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden. Baden-Baden 1978.
- John Rewald: Maillol. Hyperion, Paris 1939
- Sabine Walter: Harry Graf Kessler: Sammler und Mäzen der modernen Kunst und seine Beziehung zu Aristide Maillol. Magisterarbeit, Tübingen 1995.
- Hugo Weber: Erinnerung an Aristide Maillol. In: Architektur und Kunst, Bd. 31, Heft 12, 1944, S. 365–370.
Weblinks
- Literatur von und über Aristide Maillol im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Materialien von und über Aristide Maillol im documenta-Archiv
- Maillol-Museum in Paris
- Aristide Maillol und Maurice Denis – Eine Künstlerfreundschaft. Ausstellung im Clemens-Sels-Museum, 2011/2012
- Aristide Maillol In: E-Periodica
Einzelnachweise
- Judith Cladel: Aristide Maillol. Sa vie - Son oeuvre - Ses idées, Paris 1937, S. 18–20. Schüler von Gérome, wie häufig behauptet wird, ist Maillol somit eigentlich nicht gewesen.
- Ursel Berger: Daten zu Leben und Werk in: Ursel Berger u. Jörg Zutter (Hrsg.): Aristide Maillol. Katalogbuch anläßlich der Ausstellung "Aristide Maillol" im Georg-Kolbe-Museum, Berlin (14. Januar bis 5. Mai 1996), Städtische Kunsthalle Mannheim (25. Januar bis 31. März 1997). Prestel, München 1996, S. 9.
- Bertrand Lorquin: Aristide Maillol, Skira, Genève 1994, S. 160.
- Julius Meier-Graefe: Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst, Stuttgart 1904, Bd. 2, S. 61–66.
- Sabine Walther: Graf Kessler, Maillol und Hofmannsthal in Griechenland, in: Ursel Berger u. Jörg Zutter (Hrsg.): Aristide Maillol. Katalogbuch anläßlich der Ausstellung "Aristide Maillol" im Georg-Kolbe-Museum, Berlin (14. Januar bis 5. Mai 1996), Städtische Kunsthalle Mannheim (25. Januar bis 31. März 1997). Prestel, München 1996, S. 145–150.
- Hans-Dieter Mück, Maillols Deutschland-Reise, Sommer 1930, in: Aristide Maillol, 1861–1944, Ausstellungskatalog Apolda 2005, S. 11–23.
- Ursel Berger: Maillols internationale Karriere. Zur Rolle der ausländischen Sammler und Förderer, in: Ursel Berger u. Jörg Zutter (Hrsg.): Aristide Maillol. Katalogbuch anläßlich der Ausstellung "Aristide Maillol" im Georg-Kolbe-Museum, Berlin (14. Januar bis 5. Mai 1996), Städtische Kunsthalle Mannheim (25. Januar bis 31. März 1997). Prestel, München 1996, S. 145–150.
- Collection Jacques Zoubaloff, Galérie Georges Petit, Paris 1927, Auktionskatalog.
- Linda Konheim Kramer: Aristide Maillol [1861–1944]: Pioneer of Modern Sculpture, Ann Arbor 2007, S. 200
- Otto Roos: Fotograf Paul Senn, Aristide Maillol. (1933). Abzug im Nachlass von Otto Roos, rückseitig beschriftet: „Maillol liest ihren Brief“. Foto: Album Roos (Nachlass Otto Roos, Depositum Riehen Gemeindearchiv). Abgerufen am 30. September 2019.
- Maillol erklärte so Harry Graf Kessler seine Hinwendung zur Textilkunst. Vgl. Ursel Berger: Schöner als ein Tafelbild in: Ursel Berger u. Jörg Zutter (Hrsg.): Aristide Maillol. Katalogbuch anläßlich der Ausstellung „Aristide Maillol“ im Georg-Kolbe-Museum, Berlin (14. Januar bis 5. Mai 1996), Städtische Kunsthalle Mannheim (25. Januar bis 31. März 1997). Prestel, München 1996, S. 29.
- Ursel Berger: „Schöner als ein Tafelbild“. Maillols Tapisserien in: Ursel Berger u. Jörg Zutter (Hrsg.): Aristide Maillol. Katalogbuch anläßlich der Ausstellung „Aristide Maillol“ im Georg-Kolbe-Museum, Berlin (14. Januar bis 5. Mai 1996), Städtische Kunsthalle Mannheim (25. Januar bis 31. März 1997). Prestel, München 1996, S. 34.
- Ursel Berger u. Jörg Zutter (Hrsg.): Aristide Maillol. Katalogbuch anläßlich der Ausstellung „Aristide Maillol“ im Georg-Kolbe-Museum, Berlin (14. Januar bis 5. Mai 1996), Städtische Kunsthalle Mannheim (25. Januar bis 31. März 1997). Prestel, München 1996, Kat.Nr. 16, 17.
- Societé nationale des beaux-arts
- Emanuelle Héran: Vollard éditeur des bronzes, in: De Cézanne à Picasso. Chefs-d'oeuvres de la galérie Vollard, Musée d'orsay, Paris 2007, S. 184–193
- Beim historisch nachweisbaren Gießerstempel "A. Bingen et Costenoble Fondeurs Paris" erscheint "fondeurs" im Plural. Seit den 1980er Jahren ist eine große Anzahl von Maillol-Bronzen mit variierender Gießersignatur aufgetaucht: "A. Bingen et Costenoble Fondeur Paris" vgl. Ursel Berger: Es gibt auch einen Skandal um Maillol, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. Juni 2012; vgl. auch: Élisabeth Lebon: Fondeurs de bronzes d'art, Perth 2003, S. 111 und Errata-Zettel!
- Emanuelle Héran: Vollard éditeur des bronzes, in: De Cézanne à Picasso. Chefs-d'oeuvres de la galérie Vollard, Musée d'Orsay, Paris 2007, S. 188
- Zitiert nach Ursel Berger u. Jörg Zutter (Hrsg.): Aristide Maillol. Katalogbuch anläßlich der Ausstellung "Aristide Maillol" im Georg-Kolbe-Museum, Berlin (14. Januar bis 5. Mai 1996) ... Städtische Kunsthalle Mannheim (25. Januar bis 31. März 1997). Prestel, München 1996, S. 45.
- Harry Graf Kessler: Das Tagebuch, 3. Bd. 1897–1905, hrsg. von Carina Schäfer und Gabriele Biedermann, Stuttgart 2004, S. 695.
- Z. B. in: Dina Vierny, Bertrand Lorquin, Antoinette Le Normand-Romain: Maillol, La Méditerranée, Les dossiers du Musée d’Orsay, No. 4, Paris 1986
- Harry Graf Kessler: Aristide Maillol (1925), in: Aufsätze und Reden 1899-1933. Künstler und Nationen, tredition (Projekt Gutenberg), Berlin 2011, S. 257 f.
- Nach Umbauten der Verkehrsführung seitens der Stadt Hamburg befindet sich die Skulptur heute nicht mehr im öffentlichen Außenraum, sondern in den Räumen der Hamburger Kunsthalle.
- Ursel Berger: Falsche Bronzen. Es gibt auch einen Skandal um Maillol, faz.net, 25. Juni 2012, abgerufen am 13. September 2012
- Vgl. W. Grohmann, Bildende Kunst und Architektur, Berlin 1953, S. 238: „Maillol ist der Wendepunkt in der Plastik wie Cezanne in der Malerei“.
- Rodin über Maillol, Bericht von Octave Mirbeau, zitiert nach: Waldemar George, Aristide Maillol, Berlin 1964, S. 213