Anselm Lenz
Anselm Lenz (geboren 1980 in Hamburg) ist ein deutscher Dramaturg, Schriftsteller und Journalist. Er war Mitbegründer des Vereins Haus Bartleby. Lenz ist Mitorganisator von Protesten gegen staatliche Coronaschutzmaßnahmen und verbreitet Falschinformationen und Verschwörungstheorien zur COVID-19-Pandemie.
Leben und Werk
Lenz studierte Kulturwissenschaft, Kunstgeschichte und Rechtstheorie. Parallel dazu war er auf halber Stelle Arbeiter in der Metallverarbeitung. Seit 2006 ist er als Dramaturg tätig. Er befasste sich mit politischen und performativen Theaterformen und hat Inszenierungen in Hamburg, Wien, Braunschweig und Berlin betreut. Am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg trug er als Hausdramaturg die Verantwortung für die Inszenierungen der Szene-Reihe Explosion sowie für die Hamburger Inszenierungen der Regisseure Volker Lösch und Alexander Riemenschneider. Dazu fertigte er u. a. die Neuübersetzung und Dramatisierung von John Steinbecks Von Mäusen und Menschen an, die im Münchner Theaterverlag verlegt wurde. Die Inszenierung bekam den Rolf-Mares-Preis 2010.
Die Inszenierung Marat, was ist aus unserer Revolution geworden? (nach Peter Weiss’ Marat/Sade), die zum professionellen Ensemble Sprechchöre nach Interviews über die soziale Lage auf die Bühne brachte, wurde als beste Inszenierung des Schauspielhauses Hamburg zum Theatertreffen bei den Berliner Festspielen eingeladen. Beim Festival Theaterformen baute er anschließend mit Braunschweiger Bürgern einen „Chor der 500“ auf für die Inszenierung der Wiener Regisseurin Claudia Bosse nach Aischylos’ Die Perser. Eine 2010er-Produktion am Jungen Schauspielhaus, bei der Lenz gemeinsam mit Johan Heß und Timo Kocielnik Regie führte, trug den programmatischen Titel Sorge dich nicht, lebe. Die Anderen schaffen es doch auch![1] Lenz dramatisierte und kommentierte dafür das Sachbuch von Dale Carnegie.
Von 2010 bis 2012 produzierte er gemeinsam mit Sarah Drath das Filmspiel Taxi Altona.[2] Er war Gründungsmitglied der Bar Golem am Hamburger Fischmarkt, für die er wöchentlich den literarischen Newsletter Golem Cogitationes verfasste.[3][4] Dem Befassen mit den Trinkgewohnheiten des Großstädters entsprang 2013 auch der – gemeinsam mit Alvaro Rodrigo Piña Otey herausgegebene – Band Das Ende der Enthaltsamkeit.
Er lebt und arbeitet in Hamburg und Berlin. 2014 gründete er gemeinsam mit Alix Faßmann und Jörg Petzold in Neukölln das Haus Bartleby e.V., ein Zentrum für Karriereverweigerung.[5] 2015 publizierte er das Projekt das Buch Sag alles ab! mit Plädoyers für den lebenslangen Generalstreik, eine programmatische Anthologie zur Kritik der Arbeit.[6] 2016 organisierte er mit dem Haus Bartleby in Kooperation mit dem brut Wien, dem Club of Rome, dem Wiener Passagen Verlag und dem Dramaturgen Hendrik Sodenkamp – in Wien – Das Kapitalismustribunal, ein freies Theaterprojekt, in dem konkrete Fälle angeklagt und verhandelt wurden.[7] Die Veranstaltungsreihe wurde auf deutsch und englisch mittels Livestream im Internet übertragen und wird mit einer Buchpublikationen des Passagen Verlags begleitet.
Seit der Nominierung des Kapitalismustribunals für den Nestroy-Theaterpreis 2016 ist Lenz eines von rund 200 Nestroy-Akademiemitgliedern auf Lebenszeit. Für eine Neuausgabe von Oscar Wildes Die Seele des Menschen unter dem Sozialismus (Übersetzung Christine Koschel und Inge von Weidenbaum) beauftragte ihn der Verlag Edition Nautilus mit dem Vorwort. Lenz legte in Bezug auf Wildes Werk und die Frühsozialisten des 18. und 19. Jahrhunderts eine essayistisch gehaltene Programmatik im Ausschlussverfahren unter dem Titel Der Koran des Bartleby – kein Buch wurde jemals von einem Gott verfasst, außer diesem einen vor.[8] Lenz stellt dabei den Kampf für die Errungenschaften der Aufklärung und deren Vollendung in den Vordergrund.
Als Journalist schrieb er für Magazine und für die Tageszeitungen taz, Die Welt und junge Welt, in denen er jeweils auch unter verschiedenen Pseudonymen publizierte. Für die junge Welt arbeitete Lenz nach Ende des Kapitalismustribunals ein Jahr lang als Redakteur im Inlandsressort, u. a. während der Proteste gegen die Politik des G-20-Gipfels in Hamburg. Er deckte ferner für das Feuilleton die Berichterstattung während der Krisenphase (2016 bis 2018) der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin ab.[9]
Verschwörungstheorien während der COVID-19-Pandemie
Während der COVID-19-Pandemie in Deutschland organisierte Lenz 2020 zusammen mit Hendrik Sodenkamp und einer Person namens Batseba N’Diaye, die nach Recherchen der taz vermutlich nicht existiert,[10] die sogenannten Hygienedemos auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin. Diese würden, so Erik Peter in einem taz-Artikel, von einer „Szene der Verschwörungstheoretiker“ besucht.[11] Die Journalisten Julius Betschka und Christoph Kluge bezeichneten diese Veranstaltungen im Tagesspiegel als Querfrontdemonstration.[12] Das Haus Bartleby und der Chef der Berliner Volksbühne Klaus Dörr distanzierten sich nach Beginn der Demonstrationen von Lenz.[13][14] Peter Laudenbach von der taz schrieb: „Früher tat er als Kulturbetriebs-Selbstvermarkter so, als sei er politischer Aktivist. Heute ist er beim Gegenteil angekommen: Er wäre gern ein Teil einer von ihm imaginierten Volksbühne und macht sich zum nützlichen Idioten der Rechtsradikalen, die seine Demonstration besuchen.“[15] Auf Demonstrationen am 1. Mai und 29. August 2020 wurde Lenz von der Polizei abgeführt bzw. kurzzeitig festgenommen.[16][17] Im Oktober 2021 begann in Berlin der Strafprozess gegen Lenz. Die Staatsanwaltschaft warf ihm unter anderem Aufforderung zu Straftaten und Körperverletzung vor.[18]
Lenz ist Autor des Blogs Rubikon und Mitherausgeber der Protestzeitung Demokratischer Widerstand, die auf Demonstrationen gegen die staatlichen Coronaschutzmaßnahmen verteilt wird.[19][20] Im Nachgang der Demonstration „Das Ende der Pandemie – Tag der Freiheit“, an der nach Medien- und Polizeiangaben etwa 20.000 Menschen teilnahmen, verbreitete die Zeitung eine Teilnehmerzahl von 1,3 Millionen. Auf der Website der Zeitung wurde daraufhin eine „lügnerische Berichterstattung der gleichgeschalteten System- und Konzernpresse“ behauptet.[21]
Lenz versteht die Corona-Regelungen als „größten und umfassendsten Angriff auf das Menschenrecht seit 1945“ und sieht einen „Angriff auf unsere Verfassung“. Bei seiner Festnahme am 1. Mai 2020 berief er sich auf den Artikel 20 Absatz 4 des Grundgesetzes. Der Politikwissenschaftler Florian Hartleb sieht in der Berufung auf diesen Grundgesetzartikel eine Zweckentfremdung. Der Widerstand von Lenz richte sich „gegen die staatliche Souveränität“, so Hartleb.[16]
In einem Interview mit Ken Jebsen äußerte Lenz, die Pandemie mache offenbar, dass sich der Staat „mit Pharma- und Digitalkonzernen verbündet [habe], um die Demokratie abzuschaffen“. Mit der Coronakrise sei der „Zusammensturz des Finanzmarktkapitalismus, wie wir ihn kannten“ verbunden.[14]
Im Deutschlandfunk sprach Lenz am 8. August 2020 unter anderen Punkten von einer „fanatische[n] Überzeichnung der Gefährlichkeit des Virus“. Das Virus sei „nicht außergewöhnlich gefährlich“. Das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes lehnte Lenz ab, Masken seien „nachgewiesenermaßen vollkommen nutzlos […] und sogar schädlich […]“. Das Virus würde „quasi durch diese Maske hindurchflieg[en] wie ein Fußball durch ein Scheunentor“.[22][23]
Im Deutschlandfunk gab es vier Stunden nach dem Interview den Beitrag Corona und die Demonstrationen – Einordnung des Interviews mit Anselm Lenz, in dem Christine Sartori Äußerungen von Lenz zur Gefährlichkeit der Erkrankungen und zum Schutz durch Masken kommentierte.[24] In Übermedien kritisierte Jürn Kruse das Interview mit Lenz hinsichtlich der Gesprächsführung von Rainer Brandes. Interviews seien „das falsche Werkzeug“ für die Darstellung der Auseinandersetzung mit „Verschwörungsideologen und ihren Erzählungen“.[25]
Bei einer Demonstration gegen staatliche Coronaschutzmaßnahmen im August 2020 trat Lenz als Redner auf. Er forderte eine Revolution und bezeichnete die Regierung als „faschistoid“ und die Parteien als „völlig fertig“.[26]
Publikationen als Herausgeber
- (Hrsg.), gemeinsam mit Alvaro Rodrigo Piña Otey: Das Ende der Enthaltsamkeit. Über Bars, Cocktails, Selbstermächtigung und die Schönheit des Niedergangs. Hamburg: Edition Nautilus 2013, 272 Seiten. ISBN 978-3-89401-774-3.
- Haus Bartleby (Hrsg.): Sag alles ab! Plädoyers für den lebenslangen Generalstreik. Hamburg: Edition Nautilus 2015, 153 Seiten. ISBN 978-3-89401-824-5.
- Haus Bartleby (Hrsg.): Das Kapitalismustribunal. Zur Revolution der ökonomischen Rechte (Das rote Buch). Wien: Passagen Verlag 2016, 160 Seiten, ISBN 978-3-7092-0220-3.
Weblinks
- Literatur von und über Anselm Lenz im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Einzelnachweise
- Kultur-Server Hamburg: Junges Schauspielhaus, Mai, Juni und Juli Zweitausendzehn, abgerufen am 7. Mai 2016.
- Filmvorführung: "Taxi Altona" mit Gespräch und Abschlußfest. Abgerufen am 16. April 2018.
- Janny Schulte: Golem Hamburg – Ort des gepflegten Besäufnisses und des ernsthaften Gesprächs, Groupon Guide Hamburg, 13. Februar 2015, abgerufen am 7. Mai 2016.
- FALL: Anselm Lenz (Memento vom 7. Mai 2016 im Internet Archive), abgerufen am 7. Mai 2016.
- Contraste, Die Monatszeitung für Selbstorganisation: Karriereverweigerungszentrum Haus Bartleby, abgerufen am 7. Mai 2016.
- Frankfurter Allgemeine Zeitung: Auf zum Generalstreik – Eine Utopie ohne Zielgruppe, 14. Dezember 2015, abgerufen am 7. Mai 2016.
- Haus Bartleby: Das Kapitalismustribunal (Memento vom 7. Mai 2016 im Internet Archive)
- Anselm Lenz, in: Oscar Wilde: Die Seele des Menschen im Sozialismus: Der Koran des Bartleby - kein Buch wurde jemals von einem Gott verfasst, außer diesem einen. In: Utopien für Hand und Kopf. Edition Nautilus, Hamburg 2017, ISBN 978-3-96054-041-0.
- Anselm Lenz: Ein Menetekel. In: junge Welt. 28. Juni 2017, abgerufen am 20. April 2018.
- Erik Peter: Verschwörungsideologe Anselm Lenz: Das perfekte Alibi. In: Die Tageszeitung: taz. 3. April 2021, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 3. April 2021]).
- Erik Peter: Corona und Verschwörungstheoretiker: Mit Grundgesetz gegen den Verstand. In: Die Tageszeitung: taz. 31. März 2020, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 26. April 2020]).
- Das steckt hinter der Querfrontdemonstration in Berlin, Der Tagesspiegel, 18. April 2020
- Julius Betschka: Linker Gegenprotest gegen „Hygiene-Demonstration“ in Berlin. Coronavirus und Verschwörungstheorien. Der Tagesspiegel, 24. April 2020, abgerufen am 30. April 2020.
- Christoph Kluge: Verschwörungstheorien zum Coronavirus – und ein Streit um Bill Gates. „Hygienedemo“ am 1. Mai. Tagesspiegel.de, 1. Mai 2020, abgerufen am 1. Mai 2020.
- Peter Laudenbach: Selbstvermarkter Anselm Lenz : Aluhüte am Rosa-Luxemburg-Platz. In: taz. 7. Mai 2020, abgerufen am 8. Mai 2020.
- Bernd Oswald: #Faktenfuchs: Wie der Begriff "Widerstand" zweckentfremdet wird. Bayerischer Rundfunk, 27. Juni 2020, abgerufen am 15. August 2020.
- dpa/epd/gub/jr/sebe/lep/mre/cwu: Corona-Demo Berlin: 300-400 Menschen besetzten Reichstagstreppe. In: welt.de. 30. August 2020, abgerufen am 30. August 2020.
- Straftaten bei Corona-Protest? Mitorganisator vor Gericht. 20. Oktober 2021, abgerufen am 20. Oktober 2021.
- Joana Lehner: Sicherheitsbehörden warnen vor russischer Propaganda in der Corona-Krise – sehen aber keinen direkten Einfluss auf jüngste Demos. businessinsider.de, 5. August 2020, abgerufen am 15. August 2020.
- Sebastian Engelbrecht: Händewaschen ist keine Bürgerpflicht. Deutschlandfunk Kultur, 5. Juni 2020, abgerufen am 15. August 2020.
- Cornelie Barthelme: Wer hinter der Anti-Covid-Demo in Deutschland steht. Der IT-Unternehmer Michael Ballweg sieht in Berlin eine "Diktatur" am Werk. DerStandard.de, 3. August 2020, abgerufen am 15. August 2020.
- Hitzige Debatte über Corona-Maßnahmen. Deutschlandfunk, 9. August 2020, abgerufen am 15. August 2020.
- Deutschlandradio - Mediathek. Abgerufen am 29. März 2021.
- Corona und die Demonstrationen – Einordnung des Interviews mit Anselm Lenz, Interview mit Christina Sartori, 6:06 Minuten, Deutschlandfunk 8. August 2020
- Oder soll man es lassen? Ja. In: Übermedien. 12. August 2020, abgerufen am 29. März 2021 (deutsch): „Trotzdem ist es natürlich richtig, sich mit Verschwörungsideologen und ihren Erzählungen auseinandersetzen. Privat wie auch im Journalismus. Das Interview ist als Darstellungsform dafür aber gänzlich ungeeignet, es ist das falsche Werkzeug. Es ist das Sieb, das man mit an den Strand nimmt, um Wasser zu schöpfen.“
- Konrad Litschko, Mitsuo Iwamoto: Abstand? Fehlanzeige. Demonstration gegen Corona-Regeln. taz.de, 30. August 2020, abgerufen am 1. September 2020.