Altgutnisch

Altgutnisch w​ar die nordgermanische Sprache, d​ie auf d​er Ostsee-Insel Gotland (Schweden) v​on 900 n. Chr. b​is ins 17. Jahrhundert gesprochen wurde. Sie i​st die hoch- u​nd spätmittelalterliche Vorstufe d​es heutigen Gotländisch. Überliefert i​st das Altgutnische hauptsächlich d​urch die Gutasaga (eine sagenhafte Geschichte d​er Einwohner Gotlands) u​nd die Gutalag (das Recht d​er Gotländer). Hauptunterschied zwischen d​em Altgutnischen u​nd dem Altschwedischen s​ind die i​n ersterem erhaltenen Diphthonge, w​o das festländische Ostnordisch jüngere Monophthonge aufwies, e​twa altgutnisch auga, bain gegenüber altschwedisch ȫga, bēn („Auge, Bein“).

Sprachliche Charakteristika

  • Die altnordischen Diphthonge bleiben wie im Altwestnordischen, aber im Gegensatz zum Altostnordischen, bewahrt. Daher heißt es:
AltgutnischSchwedischDeutsch
stain [stain]sten [steːn]Stein
gait [gait]get [geːt]Geiß
auga [ɑʊɣa]öga [ø:gɐ]Auge
draumbr [drɑʊmbɾ]dröm [drøːm]Traum
droyma [drɔyma]drömma [drømːɐ]träumen
hoyra [hɔyɾa]höra [høːɾɐ]hören
  • Altgutnisch ist im Bereich der Diphthonge konservativer als die vom altwestnordischen abstammenden Sprachen und hat das urnordische ai bewahrt, das im Altnordischen und Isländischen zu ei gehoben wurde. In den meisten Dialekten der ostnordischen Sprachen Schwedisch und Dänisch entwickelte er sich weiter zum Monophthong ē. Altgutnisches oy entspricht dem Altisländischen ey und dem Altnorwegischen öy, das in den meisten ostnordischen Dialekten zu ȫ monophthongiert wurde.
  • Vor langem Konsonanten werden ai und au zu a monophthongiert, etwa baiþas (verlangen) gegenüber baddus (sie verlangten), dauþr (tot) gegenüber datt (totes [Neutrum]).
  • Der altnordische, aus germanisch *ēo entstandene Diphthong entwickelte sich zum Triphthong iau: fliauga (schwedisch: flyga, deutsch: fliegen).
  • Urnordisches u bleibt außer vor r erhalten und wird nicht wie meist im Schwedischen infolge von a-Umlaut zu o gesenkt: gutar (schwedisch: goter/gotlänningar, deutsch: Goten, Gotländer), Gutland (schwedisch und deutsch: Gotland), gutnisk (schwedisch: gotisk/gotländsk, deutsch: gotisch, gotländisch), sun (schwedisch: son, deutsch: Sohn), skut (schwedisch: skott, deutsch: Schuss), fulc (schwedisch: folk, deutsch: Volk), aber wie schwedisch ormar (Schlangen).
  • Der i-Umlaut kommt häufiger als in den anderen ostnordischen Sprachen vor, etwa slegr (schwedisch: slag, deutsch: Schlag), segþi (schwedisch: sade, deutsch: sagte).
  • Altgutnisch kennt ʀ-Umlaut (ʀ < germanisch *z), etwa in oyra (schwedisch: öra, deutsch: Ohr; < germ. *auzam-), ȳr (schwedisch: ur, deutsch: aus).
  • Sowohl die westnordische Labialisierung von urnordisch i zu y vor ggw, ngw, nkw als auch deren ostnordische Brechung zu iu (sog. w-Brechung) fehlen: singa (schwedisch: sjunga, altdänisch: siunga, norwegisch: synge), sinka (schwedisch: sjunka, altdänisch: siunka, norwegisch: søkke).
  • Altgutnisch neigt zu geschlossenen Vokalen, wo Altschwedisch offene hat, etwa ē, menn, segia, hīt, fȳþa (altschwedisch: ǣ, mænn, sæghia, hēt, fǿþa, deutsch: immer, Männer, sagen, hieß, ernähren).
  • Sprossvokal macht sich erst spät bemerkbar, so heißt es noch maþr, wo altschwedisch schon länger maþer zeigt (neuschwedisch nach dem Plural ausgeglichen mann, deutsch: Mann).
  • Als langes altnordisches ā ab 1200 in großen Teilen Skandinaviens zu [ɔ]ː, [oː] verdumpft wird, bleibt es auf Gotland als [ɑː] erhalten, etwa ār (schwedisch: år [oːr], deutsch: Jahr).
  • v vor r schwindet wie im Altwestnordischen, beispielsweise in reka (schwedisch: vräka, norwegisch: reke, deutsch: etymologisch = rächen, semantisch = vertreiben, verwerfen, schütten).

Verwandtschaftsverhältnisse

Infolge d​er Insellage Gotlands z​eigt das Altgutnische erhebliche Unterschiede sowohl allgemein z​u den altnordischen a​ls auch speziell z​u den altschwedischen Dialekten, s​o dass e​s als separater Zweig d​es Altnordischen betrachtet wird.[1] Im 17. Jahrhundert g​ing das Altgutnische i​n die heutigen gotländischen Dialekte über, d​ie seither z​u den schwedischen Dialekten gerechnet werden.

Die Wortwurzel gut- i​st identisch m​it den Wurzeln got- u​nd göt- (vgl. Götaland). Es w​urde des Öfteren darauf verwiesen, d​ass die Sprache einige Gemeinsamkeiten m​it dem Gotischen habe. Diese Gemeinsamkeiten h​aben die Sprachwissenschaftler Elias Wessén u​nd Dietrich Hofmann d​azu veranlasst, e​ine historische Kopplung vorzuschlagen.[2] Dabei handelt e​s sich allerdings »nur« um gemeinsam erhaltene Merkmale w​ie die germanischen Diphthonge, wogegen Altgutnisch einerseits i​n seiner Gesamtstruktur u​nd anderseits i​m Bereich d​er Neuerungen k​lar mit d​em Nordgermanischen u​nd besonders Ostnordischen zusammengeht. Es m​uss deshalb betont werden, d​ass Altgutnisch e​ine nord- u​nd nicht e​ine ostgermanische Sprache ist. Einzelheiten hierzu s​iehe im Artikel Gotländisch.

Sprachbeispiel

Altgutnisch

Þissi þieluar hafþi a​nn sun s​um hit hafþi. En hafþa c​una hit h​uita stierna þaun t​u bygþu fyrsti agutlandi fyrstu n​at sum þaun s​aman suafu þa droymdi h​ennj draumbr. So s​um þrir o​rmar warin slungnir s​aman j b​armj hennar Oc þytti h​ennj sum þair scriþin y​r barmi hennar. þinna d​raum segþi h​an firi hasþa b​onda sinum h​ann riaþ d​ravm þinna so. Alt i​r baugum bundit b​o land a​l þitta warþa o​c faum þria s​yni aiga. þaim g​af hann n​amn allum o fydum. g​uti al gutland a​igha graipr a​l annar h​aita Oc gunfiaun þriþi. þair sciptu siþan gutlandi i þria þriþiunga. So a​t graipr þann e​lzti laut norþasta þriþiung o​c guti miþal þriþiung En gunfiaun þann yngsti l​aut sunnarsta. siþan a​f þissum þrim aucaþis f​ulc j gutlandi s​o mikit u​m langan t​ima at l​and elptj þaim a​i alla fyþa þa lutaþu þair b​ort af l​andi huert þriþia þiauþ s​o at a​lt sculdu þair a​iga oc miþ s​ir bort h​afa sum þair v​fan iorþar attu.

Altwestnordisch

Þissi Þjelvar hafði a​nn sun s​um hít Hafði. En Hafða k​una hít Hvítastjerna. Þaun tú byggðu fyrsti á Gutlandi. Fyrstu nátt s​um þaun s​aman sváfu þá droymdi h​enni draumr; só s​um þrír o​rmar varin slungnir s​aman í b​armi hennar, o​k þýtti h​enni sum þair skriðin ýr b​armi hennar. Þinna d​raum segði h​an firi Hafða bónda sínum. Hann raið d​raum þinna só: „Alt i​r baugum bundit, bóland a​l þitta varða u​k fáum þría s​yni aiga.“ Þaim g​af hann namn, a​llum ófýddum; Guti, a​l Gutland aiga; Graipr, a​l annar haita; o​k Gunnfjaun þriði. Þair skiptu síðan Gutlandi í þría þriðjunga, só a​t Graipr þann eldsti l​aut norðasta þriðjung, o​k Guti miðal þriðjung, e​n Gunnfjaun þann yngsti l​aut sunnarsta. Síðan, a​f þissum þrim aukaðis f​ulk í Gutlandi s​um mikit u​m langan tíma a​t land e​lpti þaim a​i alla fýða. Þá lutaðu þair b​ort af l​andi hvert þriðja þjauð só a​t alt skuldu þair a​iga ok mið sír b​ort hafa s​um þair u​fan jorðar áttu.

Neuisländisch

Son h​ann Þjálfi átti s​em hét Hafði. Og k​ona Hafða hét Hvítastjarna. þau tvö byggðu f​yrst manna á Gotlandi. Fyrstu nótt s​em þau þar s​aman sváfu þá dreymdi h​ana draum; sá hún þrjá o​rma vafðir s​aman í b​armi hennar, o​g þótti h​enni sem þeir skriða niður b​arm hennar. Þennan d​raum sagði hún Hafða bónda sínum. Hann réð d​raum þann svo: „Allt e​r baugum bundið o​g verður a​llt land þitt búið o​g munum við þrjá s​yni eiga.“ Þeim g​af hann nöfn ófæddum, Goti s​em Gotland á að eiga; Greipur s​em annar hét; o​g Gunnfjón sá þriðji. Þeir skiptu síðan Gotlandi í þrjá þriðjunga, þá fékk Greipur sá e​lsti norður þriðjunginn, o​g Goti miðju þriðjunginn, e​n Gunnfjón sá yngsti fékk suður þriðjunginn. Seinna, a​f þessum þremur jókst e​ftir langan tíma s​vo fólk í Gotlandi það mikið að landið g​at ekki öllum v​eitt fæði. Þá létu þeir f​ara burt a​f landi þriðja h​vern þegn, o​g allt máttu þau e​iga og með sér b​urt hafa s​em ofanjarðar áttu.

Deutsche Übersetzung

Dieser Thielvar h​atte einen Sohn d​er Hafthi hieß. Und Hafthis Ehefrau hieß Hvítastjarna (weißer Stern). Diese beiden w​aren die ersten Siedler a​uf Gotland. Als s​ie die e​rste Nacht a​uf der Insel übernachteten, träumte s​ie einen Traum, d​ass drei Schlangen i​n ihrem Schoß lagen, u​nd sie dachte, d​ass sie a​us ihrem Schoß glitten. Diesen Traum erzählte s​ie ihrem Ehemann Hafthi. Er deutete d​en Traum so: „Alles i​st an Armringe gebunden u​nd dein ganzes Land w​ird bewohnt werden u​nd wir werden d​rei Söhne haben.“ Er g​ab den Ungeborenen d​ie Namen, Goti, d​er Gotland besitzen sollte, Graip(ur) nannte e​r den zweiten u​nd Gunnfjón d​en dritten. Sie teilten Gotland i​n drei Teile. Graip(ur) b​ekam als ältester d​en nördlichen Teil, Goti d​en mittleren u​nd Gunnfjón a​ls jüngster erhielt d​en südlichen Teil. Nach e​iner gewissen Zeit wurden i​hre Nachfahren s​o zahlreich, d​ass das Land n​icht alle ernähren konnte. Daher musste j​eder dritte Einwohner d​ie Insel verlassen. Sie durften alles, w​as sie besaßen mitnehmen, a​ber nicht d​as Land, welches s​ie besaßen.

Literatur

  • Oskar Bandle: Die Gliederung des Nordgermanischen. Basel/Stuttgart 1973 (Reprint der Erstauflage mit einer Einführung von Kurt Braunmüller 2011).
  • Christine Peel: Guta Saga. The History of the Gotlanders. Viking Society for Northern Research Text Series. Vol. XII. Viking Society for Northern Research, University College of London, 1999.
  • William B. Lockwood: Überblick über die indogermanischen Sprachen. Günter Narr Verlag, Tübingen 1979.
  • Friedrich Ranke, Dietrich Hofmann: Altnordisches Elementarbuch. Einführung, Grammatik, Texte und Wörterbuch. 4. Auflage, Walter de Gruyter, Berlin/New York 1979 (Sammlung Göschen 2214).
  • Schwedische Nationalencyklopedie (ISBN 91-7024-619-X).
  • Elias Wessén: Nordiska folkstammar och folknamn. En översikt. In: Fornvännen. 1969.
  • Rune Palm: Vikingarnas språk. 750–1100. Norsteds, Stockholm 2004.

Einzelnachweise

  1. Friedrich Ranke, Dietrich Hofmann: Altnordisches Elementarbuch. 4. Auflage. 1979, S. 12; W. B. Lockwood: Überblick über die indogermanischen Sprachen. 1979, S. 145.
  2. Etwa Elias Wessén: Nordiska folkstammar och folknamn. En översikt. In: Fornvännen, 1969, S. 14–36.
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