Gotländisch

Gotländisch (schwedisch gotländska) bezeichnet d​en heute a​uf Gotland verbreiteten regional gefärbten Dialekt d​es Schwedischen. Dieser i​st zu unterscheiden v​on Gutamål o​der Gutnisch (gutniska), welches d​ie autochthonen Dialekte Gotlands bezeichnet[1]. Die mittelalterliche Stufe, d​as Altgutnische (schwedisch Forngutniska) ordnet m​an traditionell n​icht dem Altschwedischen zu, sondern s​ieht sie a​ls autonome Varietät an.[2]

Die Grenzen zwischen d​en Begriffen Gotländisch, Gutamål u​nd Gutnisch s​ind jedoch fließend u​nd haben n​och keine allgemein anerkannte wissenschaftliche Distinktion. Dieser Artikel behandelt hauptsächlich d​ie autochthone gotländische Mundart (Gutamål). Wenn i​m Text d​er Term Gotländisch benutzt wird, i​st damit d​ie traditionelle Mundart (Gutamål) gemeint.

Geschichte

Das Altgutnische

Das Altgutnische, d​as auf Gotland i​n der Wikingerzeit u​nd im Mittelalter[3] gesprochen wurde, k​ann laut d​em schwedischen Nordisten Elias Wessén[4] a​ls eine eigene skandinavische Sprache betrachtet werden. Es d​arf nicht m​it der ausgestorbenen ostgermanischen Sprache Gotisch verwechselt werden, a​uch wenn d​ie Sprachen einzelne Ähnlichkeiten aufweisen.[4] Das Altgutnische i​st in zahlreichen Runeninschriften d​er Zeit v​on 900 b​is Anfang d​es 16. Jahrhunderts s​owie in einigen mittelalterlichen Handschriften überliefert. Die bekanntesten s​ind Gutalagen (Guten-Recht) u​nd Gutasagan, d​ie um 1350 aufgezeichnet wurden, höchstwahrscheinlich a​ber auf ältere Tradition zurückgehen.[5] Nachfolgend e​in Textbeispiel a​us der Gutasaga:

Mangir kunungar stridu a Gutland miþan ha[i]þit war. Þau hieldu gutar e iemlica sigri oc ret sinum. Siþan sentu gutar sendumen manga til Suia rikis. En engin þaira fic friþ gart fyr þan Awair Strabain af Alwa socn. Hann gierþi fyrsti friþ wiþr suia kunung. [...] þaut gutar haiþnir waru, þau sigldu þair miþ caupmannascap innan all land, baþi cristin oc haiþin. Þa sagu caupmenn cristna siþi i cristnum landum: þa litu sumir sic þar cristna och fyrþu til Gutlandz presti. Botair af Acubec hit þann sum fyrsti kirchiu gierþi i þann staþ sum nu haitir Kulasteþar.[5]
„Viele Könige kämpften gegen Gotland als es heidnisch war. Jedoch behielten die Guten [das gotländische Volk] immer den Sieg und ihr Recht. Dann sendeten die Guten viele Boten an Svea Reich. Aber keiner von ihnen konnte Frieden schaffen bevor [es] Aivar Straibain aus Alva Gemeinde [tat]. Er schuf zuerst Frieden mit dem Sveakönig. [...] Obwohl die Guten Heiden waren, segelten sie mit Handelswaren in alle Länder, sowohl christliche als auch heidnische. Dann sahen die Kaufmänner christliche Sitten in christlichen Ländern: dann ließen sich manche da christlichen und führten nach Gotland Priester. Botair aus Akebäck hieß derjenige, der als erster [eine] Kirche baute an der Stelle, die heute Kulesteþar heißt.“[6]

Das Altgutnische unterscheidet s​ich vom Altschwedischen d​urch sowohl phonologische a​ls auch morphosyntaktische Besonderheiten. Es z​eigt viele archaische Züge, s​o das Bewahren d​er urnordischen Diphthonge (im Text: haiþit, haitir) u​nd des urnordischen u (gutar, Gutland). Auch d​as beibehaltene komplexe Nominal- u​nd Verbalflexionssystem unterscheidet d​as Altgutnische i​n gewisser Hinsicht v​om Altschwedischen u​nd radikal v​om Altdänischen.[7] Mehrere Vokale hatten überdies e​ine geschlossenere Aussprache beibehalten o​der entwickelt (im Text: fyrsti, siþan).[8] Weitere Unterschiede v​on den anderen nordischen Altsprachen i​st ein häufigeres Durchführen v​on i-Umlaut u​nd das Fehlen v​on w-Brechung b​ei Wörtern w​ie singe u​nd sinke.[8]

Späteres Altgutnisch und externe Einflüsse

Im Unterschied z​um Altschwedischen b​lieb das Altgutnische v​on anderen Sprachen relativ l​ange wenig beeinflusst. Dies kann, anders a​ls von u​nter anderem Wessén[4] vermutet, n​icht mit Isolation erklärt werden, d​a Visby z​u Hansezeiten e​in internationales Handelszentrum ausmachte. Man h​atte im Mittelalter v​iel Austausch m​it Russland, d​em Baltikum, (Nord)Deutschland, Schweden u​nd Dänemark u​nd hatte d​amit gute Voraussetzungen für sprachlichen Einfluss.[9] Dass e​s zu dieser Zeit n​icht zu großen Entwicklungen kam, hängt wahrscheinlich d​amit zusammen, d​ass der Handel u​nd damit a​uch der Sprachkontakt i​n erster Linie innerhalb d​er Stadtmauern v​on Visby stattfand. Als Visby später a​n Einfluss verlor, verbreitete s​ich das Gutnische v​om Land a​uch in d​ie Stadt.[9]

Erst im 16. und vor allem im 17. Jahrhundert, als Gotland unter dänischer Herrschaft stand, wurde der sprachliche Einfluss von außen bedeutend. Dänische und niederdeutsche Wörter kamen in den gutnischen Wortschatz, und das Flexionssystem wurde sukzessiv vereinfacht. Bis heute lässt sich entsprechend ein dänischer und niederdeutscher Einfluss erkennen. Beispiele aus dem Dänischen sind någle (dän. nogle, schwed. några, dt. „einige“), saktens (dän. sagtens, schwed. nog visst, dt. „leicht“) oder um en trent (dän. omtrent, schwed. ungefär, dt. „ungefähr, etwa“).[10] Ab 1645, als Schweden die Herrschaft über Gotland gewann, wurde der schwedische Einfluss auf das Gutnische immer stärker. Mit der Einführung der allgemeinen Volksschule 1842 und der Schulpflicht 1882 gewann die schwedische Schriftsprache immer mehr an Boden, auf Kosten des Gutnischen. Man setzt das Ende des Gutnischen auf das Ende des Mittelalters an,[8] aber viele Elemente aus dem Altgutnischen sind in der gotländischen Mundart noch vorhanden.

Phonologie

Das prägendste Merkmal d​er gotländischen Phonologie i​st ihr Reichtum a​n Diphthongen u​nd Triphthongen. Das Gotländische erscheint d​amit als e​in relativ vokalreicher Dialekt.

Vokalismus

Das Vokalsystem w​eist gegenüber d​em Standardschwedischen folgende Besonderheiten auf:[11]

  • Die urnordischen Diphthonge ai und au sind aus dem Altgutnischen erhalten geblieben und wurden nicht wie im Schwedischen zu ē, ȫ monophthongiert: gotl. aik, haim (schw. ek, hem; dt. „Eiche, Heim“) bzw. augä, staur (schw. öga, stör; dt. „Auge, Stange“). Das urnordische øy wurde im Altgutnischen zu oy/oi gesenkt, blieb aber diphthongisch erhalten und wurde ebenfalls nicht zu ȫ monophthongiert: bloytä/bloitä, snoy/snoi (schw. blöta, snö; dt. „nass machen, Schnee“).
  • Der altnordische Diphthong , der schon im Altgutnischen die Aussprache iau bekam, erscheint heute noch als Triphthong: biaude, diaup (schw. bjuda, djup; dt. „bieten, tief“).
  • Neue Diphthonge haben sich entwickelt, die weder im Urnordischen noch im Altgutnischen vorhanden waren: Altes langes ī wurde zu äi, langes ȳ zu öi und langes ū zu äu: sväin, nöi, fäul (schw. und altgutn. svin, ny, ful; dt. „Schwein, neu, hässlich (faul)“).
  • Das altgutnische lange ē (altnordisch ǣ/ē) hat in verschiedenen geographischen Gebieten unterschiedliche Entwicklungen durchgemacht. Im Süden blieb das lange e bewahrt, auf dem restlichen Gotland wurde es entweder zu einem eigenen Diphthong ei oder fiel mit dem aus altem ī entwickelten Diphthong äi zusammen. Kurzes u nach einfachem Konsonanten hat sich zu iu entwickelt: hiul, siun (schw. hål, båge; dt. „Loch, Bogen“).
  • Langes altnordisches a ist bewahrt worden: bat [baːt], nal (schw. båt [boːt], nål; dt. „Boot, Nadel“).
  • Die Qualität von kurzem i und kurzem y blieb erhalten: skip, vit (schw. skepp, vett; dt. „Schiff, Verstand“) und hyllä, yvar (schw. hölja, över; dt. „hüllen, über“). Die Quantität hat sich jedoch in manchen Fällen verändert.
  • Urnordisches kurzes u ist in manchen Stellungen bewahrt: buck (schw. bock; dt. „Bock“), in anderen aber diphthongiert worden (siehe oben). Der schon das Altschwedische prägende a-Umlaut von altnordischem u ist lediglich vor r eingetreten: ård (schw. ord; dt. „Wort“). Grundsätzlich kennt Gotländisch den »europäischen« u-Laut [u], nicht das schwedische palatalisierte [ʉ].
  • Unbetonte Vokale sind in der Regel abgeschwächt worden: drickä (schw. dricka; dt. „trinken“). An einigen Orten im nördlichen und nordöstlichen Gotland findet sich jedoch die Endung -i erhalten: bälti, minni (sonst wie standardschw.: bälte, minne; dt. „Gürtel, Erinnerung“).
  • Wie im Altgutnischen fehlt die w-Brechung, zum Beispiel singä (schw. sjunga; dt. „singen“).

Konsonantismus

Auch i​m Konsonantensystem z​eigt das Gotländische mehrere Besonderheiten:[11]

  • g und k werden auch vor vorderen Vokalen plosiv ausgesprochen und nicht, wie im Standardschwedischen, zu [j] bzw. [ɧ] oder [ʃ] palatalisiert: [gɪ:va], [körke] (schw. [jɪ:va], [ɧʏrka] oder [ʃʏrka]; dt. „geben, Kirche“).
  • In den Konsonantenverbindungen gj, sk, skj und stj wird noch jeder Laut für sich ausgesprochen, und es findet keine Palatalisierung zu [j] bzw. [ʃ] oder [ɧ] statt: [gjautä], [skjautä], [stjennä] (schw. [jʉ:ta], [ɧʉ:ta] bzw. [ʃʉ:ta], [ɧɛ:ɳa] bzw. [ʃɛ:ɳa]; dt. „gießen, schießen, Stern“).
  • In den Konsonantenverbindungen dj, ld, mb, rd und ng finden in den meisten Positionen keine Assimilationen statt: [djaup], haldä, lamb (schw. [jʉ:p], hålla, lamm; dt. „halten, Lamm“).
  • In der Konsonantenverbindung ld und ng werden d und g in den meisten Positionen ausgesprochen: [kvɛld], [drɛŋg] (schw. [kvɛlː], [drɛŋ]; dt. „Abend, Knecht“).
  • Die Assimilation der Konsonantenverbindungen rn und rs, die im Standardschwedischen bis zu den Retroflexen [ɳ] und [ʂ] erfolgt ist, findet sich im Gotländischen vollständig durchgeführt: [baːn], [kɔsː] (schw. barn [baːɳ], kors [kɔʂː]; dt. „Kind, Kreuz“).
  • J schwindet vor der Verbendung: hylle (schw. hölja, altwestnordisch hylja; dt. „hüllen“).
  • Schwachtoniges -t und -n im Auslaut sind, wie verbreitet in den skandinavischen Mundarten, verstummt: häuse, bite, jordi (schw. huset, bitet, jorden; dt. „das Haus, das Stück, die Erde“).
  • Auslautendes -r kann in Pluralformen schwinden: hästa (schw. hästar; dt. „Pferde“).

Morphologie

Das Gotländische h​at nur Teile d​es komplizierten Flexionssystems i​m Altgutnischen bewahrt. Hier werden i​n erster Linie d​ie Erscheinungen beschrieben, i​n welchen s​ich das Gotländische v​om Standardschwedischen unterscheidet.

Nominalflexion

Das Gotländische w​eist wie d​ie meisten schwedischen Dialekte, a​ber im Unterschied z​um Standardschwedischen, e​in erhaltenes Dreigenerasystem auf.[12] Die Substantive s​ind also i​n die grammatischen Kategorien Maskulinum, Femininum u​nd Neutrum eingeteilt.

Der unbestimmte Artikel i​st für Maskulina änn (änn skog), für Neutra ätt (ätt brev) u​nd für Feminina j​e nach Region i, a o​der ä (i/a/ä dauter).[12]

Der Definitheitsmarker („bestimmter Artikel“) w​ird wie i​m Standardschwedischen suffigiert. Für Feminina g​ibt es z​wei unterschiedliche Definintheitsmarker, abhängig davon, o​b das Wort a​uf einen Konsonanten (stark) o​der auf e​inen Vokal (schwach) endet.[13] Das Schema u​nten zeigt d​ie Flexion für Substantive i​n unbestimmter u​nd bestimmter Form.[12]

MaskulinumFemininum (schwach)Femininum (stark)Neutrum
änn skogi/a/ä kollåi/a/ä dauterätt brev
skogänkolludautribrevä

Der Plural w​ird in d​er Regel m​it -ar gebildet: änn häst – t​rei hästar („ein Pferd – d​rei Pferde“). Einsilbige Neutra bleiben i​n der Regel unverändert: ätt b​rev – t​rei brev („ein Brief – d​rei Briefe“). Im Unterschied z​um Standardschwedischen k​ennt Gotländisch k​eine Doppelbestimmung m​it vorangestelltem u​nd Schlussartikel, w​enn ein Adjektiv d​em Substantiv vorangeht: trei hästar – d​i sma hästar („drei Pferde – d​ie kleinen Pferde“).[14]

Dem Possessivpronomen f​olgt das Substantiv i​n bestimmter Form, w​as sonst i​n nordgermanischen Dialekten n​ur selten d​er Fall ist. Nominalphrasen w​ie din garden („dein Garten-DEF“) u​nd däiras d​e yngst päiku („deren d​as jüngste Mädchen-DEF“) s​ind also i​m Gotländischen grammatisch korrekt.[15]

Adjektivflexion

Das Adjektiv w​ird nach d​em zugehörigen Substantiv flektiert. Die Endungen i​n prädikativer Stellung s​ind folgende:[16]

MaskulinumFemininumNeutrumPlural
stäurarstäurstäurtsträura

Also: Han jär stäurar, h​a jär stäur, d​e jär stäurt, d​i jär stäurar. („Er/sie/es/sie-Plur ist/sind groß“).

Die präsubstantivische (schwache) Endung d​es Adjektivs i​st in a​llen Genera : Den stäurä skogän, d​e stäur dautri, d​e stäuri häusä, d​e stäura hästar („der/die/das/ große/n/ Wald/Tochter/Haus/Pferde“). In adsubstantivischer Stellung erhalten Feminina d​ie (starke) Endung -u. Plurala Substantiv erhalten i​n einigen Gebieten -u, i​n anderen [o].[17]

Verbalflexion

Die Verbalflexion n​ach Person ist, w​ie im Standardschwedischen u​nd in d​en sonstigen festlandskandinavischen Sprachen, f​ast vollständig abgebaut worden. In d​er zweiten Person Singular g​ibt es jedoch einige Formen, d​ie noch i​m Großteil d​er Insel verwendet werden. Dies g​ilt vor a​llem für d​ie Hilfsverben:[18] Jau kan („ich kann“), a​ber däu kanst („du kannst“). Auf d​er Insel Fårö nordöstlich v​on Gotland wurden a​m längsten d​ie vollständigen Paradigmen benutzt, damals jau kan, däu kanst, h​an kann, vör kunå.[18] Charakteristisch für d​as Gotländische u​nd heute i​n der gotländischen Standardsprache üblich i​st die Infinitivendung : kallä, ropä (schw. kalla, ropa, dt. „rufen“).[19]

Lexik

Das Gotländische h​at viele eigene Wörter, d​urch die e​s sich v​om Schwedischen unterscheidet. Nachfolgend e​ine kleine Auswahl a​us dem gotländischen Alltagswortschatz:[20]

GotländischSchwedischDeutsch
päikuflickandas Mädchen
sårkenpojkender Junge
russehästendas Pferd
rabbiskanindas Kaninchen
träsketsjönder See
sjoenhavetdas Meer

Das Gotländische heute: Verbreitung und Zukunft

Wie d​ie meisten Dialekte d​es Schwedischen s​teht das Gotländische u​nter großem Einfluss d​er schwedischen Standardsprache, sowohl d​urch Sprecherkontakt a​ls auch d​urch Medien u​nd (vielleicht v​or allem) d​urch die Schriftsprache. Dies führte dazu, d​ass sich d​as Gotländische d​er schwedischen Standardsprache i​n vielem angeglichen hat. Es g​ibt auch v​iele Gotländer, d​ie den Dialekt g​ar nicht lernen, sondern e​ine regional gefärbte Variante d​es Standardschwedischen sprechen. Diese i​st vor a​llem durch i​hre Intonation, a​ber auch d​urch Diphthonge u​nd Triphthonge, einige lexikalische Besonderheiten s​owie die Infinitivendung charakterisiert.

Der Verein Gutamålsgillet, d​er seit 1945 für d​as Bewahren u​nd das Revitalisieren d​es Gutamål arbeitet, g​eht davon aus, d​ass »genuines« Gutnische h​eute von 2000 b​is 5000 Menschen gesprochen wird.[21] Wie v​iele es n​och passiv können, w​ird nicht angegeben. Ein Interesse a​m Gutnischen scheint jedoch vorhanden z​u sein: Von 1989 b​is 2011 l​ief die Radiosendung Gutamål[22] i​n Radio Gotland, d​ie regelmäßig e​twa 15.000 b​is 20.000 Zuhörer erreichte,[23] u​nd 2008 b​ot die Hochschule Gotland i​hren ersten Kurs i​n Gutamål an. Gutamålsgillet sammelt Schriften v​on Autoren u​nd Poeten, d​ie ihre Texte a​uf Gutamål schreiben, u​nd führt e​in schwedisch-gotländisches Wörterbuch s​owie eine ständig wachsende Liste v​on gotländischen Neologismen.

Gotländisch im gesamtskandinavischen Zusammenhang

Schon d​ie altgutnische Überlieferung w​ies ein ausgesprochenes sprachliches Sondergepräge auf, d​as sich, gefördert d​urch das b​is zum Frieden v​on Brömsebro 1645 andauernde weitgehende Eigenleben d​er Insel Gotland, b​is heute erhalten u​nd teilweise verstärkt hat.[24]

Besonders geprägt w​ird der gotländische Dialekt z​um einen d​urch seine Archaismen – e​r hat, d​ank seiner Randlage, Merkmale erhalten, d​ie anderswo Neuerungen gewichen sind. In erster Linie betrifft d​ies den Erhalt v​on altnordischem langem [aː], d​as in Skandinavien s​onst nur n​och selten vorkommt. Auch d​ie vielen erhaltenen Konsonantenverbindungen s​ind abgesehen v​om Gotländischen n​ur für e​inen kleineren Teil d​er skandinavischen Mundarten typisch (im Dänischen wurden s​ie teilweise e​rst im 19. Jahrhundert wieder hergestellt). Weniger außergewöhnlich i​st der Erhalt v​on »europäischem« u, d​as in a​llen nordgermanischen Varietäten außerhalb d​er skandinavischen Halbinsel (also a​uch auf Island u​nd den Färöern, i​n Dänemark u​nd in Finnland) gilt.

Zum andern i​st es d​ie umfassende Diphthongierung altnordischer Längen u​nd die Triphthongierung altnordischer Diphthonge, d​ie dem Gotländischen e​inen sehr markanten Zug verleihen. Solche kommen z​war auch i​n gewissen westnordischen Mundarten u​nd im Inselnordischen vor, h​eben aber d​as Gotländische r​echt scharf v​on den benachbarten Dialekten ab. Fast a​lle übrigen Neuerungen lassen s​ich indessen a​n die nächstgelegenen Gebiete d​es skandinavischen Festlandes anschließen: Die besonders starke Durchführung d​er gemeinnordischen Brechung, d​er Schwund v​on -t u​nd -n i​m schwachtonigen Auslaut, d​ie allgemeine Abschwächung v​on auslautendem -a, d​er Übergang v​on ǣ z​u ē (neugotländisch z​u ei, äi diphthongiert) u​nd anderes findet s​ich auch i​n Mundarten Zentral- u​nd Nordschwedens. Der a​us entwickelte Triphthong iau lässt s​ich auch a​uf frühen Inschriften d​es Festlandes nachweisen u​nd ist d​amit eher e​in bewahrter Archaismus a​ls eine gotländische Innovation. Der altgutnische R-Umlaut, d​er ǣ z​u ē gehoben hat, d​er Schwund v​on j v​or verbalem Endvokal -a s​owie Wortschatzphänomene treten a​uch in Dalarna, ersterer überdies i​n gewissen altschwedischen Texten a​uf und verweisen d​amit auf e​inen älteren gesamtostnordischen Zusammenhang, d​er erst d​urch spätere Entwicklungen gestört worden ist. Schwund v​on auslautendem -r i​n Pluralformen s​owie vielleicht d​ie Abschwächung v​on auslautendem -a h​aben schließlich Gemeinsamkeit m​it dem Dänischen.

Alles i​n allem z​eigt Gotländisch d​amit durchaus e​nge Verbindungen z​u den benachbarten Mundarten u​nd ist n​icht derart isoliert, w​ie es scheinen könnte. Was Gotländisch a​ber dennoch s​ein beträchtliches Sondergepräge schafft, i​st die Verbindung v​on ausgeprägten Archaismen u​nd ausgeprägten Innovationen.

Sprachbeispiele

Um kvälden
Nätt'l för manfolk u kungvall för kune.
Neie slags örtar för ymsedere.
Svalk di bei saudi, styrk di me dune
um däu jär djaupt i naudi nere!
Vävald pa raini, rindlaug i hagen
– täusen sma kluckar gynnar ljaude.
Die aimar fran marki u rydmen av dagen
slucknar langum för livnes u daude.
Gustaf Larsson[25]


Staingylpen
Staingylpen gärdä bryllaup,
langhalu bigravdä läik,
tra torkä di däu sigderäivarä
va fyrä komst däu intä däit?
Nach P.A. Säve[26]

Weiterführende Literatur

  • Oskar Bandle: Die Gliederung des Nordgermanischen. Mit 23 Karten. Helbing und Lichtenhahn, Basel/Stuttgart 1973 (Beiträge zur nordischen Philologie 1); seither neu aufgelegt.
  • Herbert Gustavson: Gutamålet – inledning till studium. Barry Press Förlag, Visby 1977.
  • Elias Wessén: Våra folkmål. Fritzes, Lund 1969.
  • Elias Wessén: De nordiska språken. Almqvist & Wiksell Förlag AB, Stockholm 1979.

Einzelnachweise

  1. Gutamål och gotländska. Sveriges Utbildningsradio AB, abgerufen am 8. Juni 2021.
  2. Rune Palm: Vikingarnas språk. 2. Auflage. Norstedts, Lund 2010, S. 329.
  3. Elias Wessén: De nordiska språken. 11. Auflage. Almqvist & Wiksell Förlag AB, Stockholm 1979, S. 109.
  4. Elias Wessén: De nordiska språken. 11. Auflage. Almqvist & Wiksell Förlag AB, Stockholm 1979, S. 110.
  5. Herbert Gustavson: Gutamålet – inledning till studium. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage. Barry Press Förlag, Visby 1977, S. 10.
  6. Übertragung der schwedischen Übersetzung in: Herbert Gustavson: Gutamålet – inledning till studium. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage. Barry Press Förlag, Visby 1977, S. 10.
  7. Herbert Gustavson: Gutamålet – inledning till studium. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage. Barry Press Förlag, Visby 1977, S. 12.
  8. Elias Wessén: De nordiska språken. 11. Auflage. Almqvist & Wiksell Förlag AB, Stockholm 1979, S. 109f.
  9. Rune Palm: Vikingarnas språk. 2. Auflage. Norstedts, Lund 2010, S. 330.
  10. Bengt Pamp: Svenska dialekter. Natur och Kultur, Stockholm 1978, ISBN 91-27-00344-2, S. 76 (schwedisch).
  11. Das Folgende nach Herbert Gustavson: Gutamålet – inledning till studium. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage. Barry Press Förlag, Visby 1977, S. 11ff.; Oskar Bandle: Die Gliederung des Nordgermanischen. Mit 23 Karten. Helbing und Lichtenhahn, Basel/Stuttgart 1973 (Beiträge zur nordischen Philologie 1), S. 106ff.; Elias Wessén: Våra folkmål 9. Auflage. Fritzes, Lund 1969, S. 50.
  12. Herbert Gustavson: Gutamålet – inledning till studium. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage. Barry Press Förlag, Visby 1977, S. 26.
  13. Øistin Alexander Vangsnes: «Identifikasjon» og morphologiens rolle i den nordiske nominalfrasen. In: Vangsnes u. a.: Dialektsyntaktiska studier av den nordiska nominalfrasen. Novus Forlag, Oslo 2003, S. 178.
  14. Herbert Gustavson: Gutamålet – inledning till studium. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage. Barry Press Förlag, Visby 1977, S. 27.
  15. Beispiele aus Øistin Alexander Vangsnes: «Identifikasjon» og morphologiens rolle i den nordiske nominalfrasen. In: Vangsnes u. a.: Dialektsyntaktiska studier av den nordiska nominalfrasen. Novus Forlag, Oslo 2003, S. 177.
  16. Herbert Gustavson: Gutamålet – inledning till studium. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage. Barry Press Förlag, Visby 1977, S. 30.
  17. Herbert Gustavson: Gutamålet – inledning till studium. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage. Barry Press Förlag, Visby 1977, S. 31.
  18. Herbert Gustavson: Gutamålet – inledning till studium. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage. Barry Press Förlag, Visby 1977, S. 34.
  19. Herbert Gustavson: Gutamålet – inledning till studium. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage. Barry Press Förlag, Visby 1977, S. 18.
  20. Gutamålsgillets Årdliste / Ordlista
  21. Archivlink (Memento des Originals vom 26. Oktober 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.gutamal.org
  22. Archiv der Sendungen Gutamål auf Sveriges Radio
  23. Gutamålsgillet
  24. Das Folgende nach Oskar Bandle: Die Gliederung des Nordgermanischen. Mit 23 Karten. Helbing und Lichtenhahn, Basel/Stuttgart 1973 (Beiträge zur nordischen Philologie 1), S. 106–109.
  25. Herbert Gustavson: Gutamålet – inledning till studium. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage. Barry Press Förlag, Visby 1977, S. 62.
  26. Herbert Gustavson: Gutamålet – inledning till studium. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage. Barry Press Förlag, Visby 1977, S. 73.
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