Alexander Futran
Alexander Owsej Futran (* 18. August 1879 in Odessa, Russland; † 21. März 1920 in Köpenick bei Berlin) war Ingenieur und ein Kommunalpolitiker der USPD in Berlin, der beim Kapp-Putsch durch Freikorpsangehörige ermordet wurde.
Leben
Herkunft und Vorgeschichte
Futran, Sohn einer russischen Kleinbürgerfamilie, studierte in Berlin, München und Karlsruhe und gründete mit seinem Bruder Simon Futran ein Ingenieurbüro. Aus Protest gegen den Krieg trat Futran im November 1914 dem neu gegründeten pazifistischen Bund Neues Vaterland bei, dem auch Kurt Eisner, Albert Einstein, Ludwig Quidde und Gustav Landauer angehörten. Der Bund trat für friedliche Völkerverständigung ein und wurde 1916 verboten. Als russischer Staatsangehöriger während des Ersten Weltkriegs zunächst interniert, soll Futran nach der Novemberrevolution als Ministerialdirektor ins preußische Kultusministerium berufen, jedoch nach kurzer Zeit wieder amtsenthoben worden sein. Er gilt als einer der Gründer und Herausgeber der Arbeiterzeitung Der Volksbote.
Alexander Futran wurde 1917 von den Mitgliedern der USPD in der Stadt Köpenick zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Gleichzeitig kam er als Stadtverordneter in das kommunale Parlament.
Der Köpenicker Blutsonntag
Am 12. März 1920 gegen 22 Uhr formierte sich die Marinebrigade Ehrhardt vor dem Lager Döberitz zum Marsch auf Berlin. Um eventuellen Widerstand rücksichtslos brechen zu können, teilte Korvettenkapitän Ehrhardt der an der Spitze marschierenden Sturmkompanie eine 10,5 cm Haubitzenbatterie zu.[1]
Während der »Vorwärts« die Titelzeile für die Ausgabe des 13. März: »Die Republik ist in Gefahr!« druckte, standen Ehrhardts Truppen unter der kaiserlichen Reichskriegsflagge schon am Brandenburger Tor. Die Regierung der »Weimarer Koalition« unter Reichskanzler Gustav Bauer, SPD war geflohen. Mit dem Spruch »Truppe schießt nicht auf Truppe!« verweigerte General von Seeckt den Einsatz der Reichswehr zur Niederschlagung des Putsches.
Wolfgang Kapp übernahm die Spitze der Putsch-Regierung. Die geflohene Regierung, SPD und Gewerkschaften riefen zum Generalstreik auf. Am 14. und 15. März hatte der Generalstreik gegen die Putschisten-Regierung eine soziale Breite erreicht, wie es sie in Deutschland noch nicht gegeben hatte. Auch die Stadt Köpenick vor den Toren Berlins wurde von den Ereignissen ergriffen. Zunächst war die Stadtführung auch hier verwirrt. Erhoffte Weisungen, wie man sich den Putschisten gegenüber verhalten solle, blieben sowohl von der Regierung als auch von den Parteien aus. In dieser Situation griffen Arbeiter und Angestellte zur Selbsthilfe und bewaffneten sich. Am 15. März wurde die Albatros-Werft von ca. 20 bewaffneten Arbeitern angegriffen und die dort stationierten Soldaten entwaffnet. Die alarmierte Polizei konnte durch Verhandlungen mit dem Stadtverordneten Otto Nickel (SPD) nur erreichen, dass dieser zusagte, die Waffen in der 1. Gemeindeschule in der Amtsstraße einzulagern. Auf Grund des Drucks der Arbeiterschaft wurden schließlich diese Waffen unter Kontrolle des Stadtverordneten Alfred Rebe (KPD) an die Arbeiter ausgegeben. Parallel zu den spontanen Aktionen der Arbeiter liefen im Köpenicker Magistrat Verhandlungen über die Schaffung einer Einwohnerwehr.
Da der Streit um die paritätische Verteilung der Waffen zwischen Anhängern der verschiedenen Arbeiterparteien und der bürgerlichen Parteien nicht beigelegt werden konnte, kam es nicht zur Bildung einer Einwohnerwehr. Als sich aber die Gerüchte über in der Umgebung plündernde Truppen verstärkten, stimmte der Magistrat der Verstärkung der Wachen an den Lebensmitteldepots durch bewaffnete Arbeiter zu. Am 16. März wurde dann am Alten Markt 3, im Lokal Fuchs, von Vertretern der USPD und KPD das »Sozialistische Verteidigungskomitee« gegründet. Der Stadtverordnete Alexander Futran wurde Vorsitzender, militärischer Führer wurde der Stadtverordnete Alfred Rebe (KPD). Der Wirkungsbereich des Komitees ging über Köpenick hinaus – er betraf das gesamte südöstliche Vorfeld von Berlin. Es wurden Kampfgruppen gebildet und Barrikaden zur Verteidigung der Stadtzugänge errichtet. Der Zustrom zu den bewaffneten Kräften war so groß, dass in der Gaststätte Scheer am Köllnischen Platz ein Rekrutierungsbüro unter Leitung von Richard Schulz (USPD) eingerichtet werden musste. Von hier aus wurden die Kämpfer auf die einzelnen Wachen verteilt. Eine Wache war in der Schule in der Glienicker Straße aufgestellt und hatte u. a. die Aufgabe, die Getreidemühle Bion in der Grünauer Straße zu bewachen. Eine weitere Wache befand sich in der Schule in der Borgmannstraße.
Futrans Streitmacht bestand insgesamt aus ca. 1000 Bewaffneten. An Bewaffnung standen zur Verfügung: ca. 15 leichte Maschinengewehre, 10 schwere Maschinengewehre, 1050 Karabiner, ca. 100 Pistolen, 2 Flammenwerfer und 2 Minenwerfer.
Die unruhigen Tage waren begleitet von Kundgebungen auf dem Friedrich-Wilhelm-Platz (heute Futranplatz). Hauptsächlich von Arbeitern besuchte Ansprachen Futrans hatten seit 1918 regelmäßig in dem am Friedrich-Wilhelm-Platz gelegenen Stadttheater (»Klein’s Hotel«) stattgefunden. Da sich der Veranstaltungsraum oftmals als zu klein erwies, standen manchmal Tausende (in Köpenick lebten damals etwa 20000 Handwerker und Industriearbeiter) vor dem Lokal und lauschten Futran, der vielseitig gebildet und ein beliebter Redner war. Unter seiner Führung war die USPD, obwohl sie mit ihren ca. 800 Mitgliedern wahrscheinlich nicht größer war als die SPD, die kampfstärkste Partei in Köpenick geworden.
Da nicht ersichtlich war, ob die im Ort befindlichen Uniformierten zu Kapp hielten oder nicht, wurden sie entwaffnet und ins Polizeigefängnis gebracht, welches sich damals noch im Rathaus befand. Später wurden die mittlerweile 35 Gefangenen ins Amtsgerichtsgefängnis überführt. Von hier aus organisierte Futran den Widerstand gegen den Kapp-Putsch. Er übernahm selbst die Leitung des Köpenicker Verteidigungskomitees, das die Einheiten der Reichswehr, die über Köpenick nach Berlin zur Unterstützung der putschenden Freikorps marschieren wollten, zurückschlug. Nach einem fingierten Telefonanruf am 19. März mit der Meldung, der Putsch sei erledigt, ordnete Futran die Auflösung der Bürgerwehr an.
Als dann aus Adlershof die Nachricht kam, dass sich Putschisten im Großtanklager Johannisthal verschanzt hätten, eilten Köpenicker, Grünauer und Bohnsdorfer Kämpfer den Adlershofern in ihrer bewaffneten Auseinandersetzung mit Teilen des Freikorps Lützow zu Hilfe. Neben diesen Aktivitäten der bewaffneten Gruppen, die – bedingt durch fehlende Nachrichtenmittel – nicht abgestimmt erfolgten, gab es immer wieder Bemühungen seitens des Magistrats und des Verteidigungskomitees, aus Berlin Auskunft über die politische Lage zu erhalten. Da in der Umgebung Köpenicks immer wieder Schießereien zu hören waren, herrschte große Unsicherheit und Unklarheit, ob es sich bei dem eingesetzten Militär um Freikorps oder um Regierungstruppen handelte.
Futran und seine Leute tendierten bei ihrer Beurteilung in Richtung irreguläre Truppen, der 1. Bürgermeister Köpenicks, Behnke, war jedoch der Auffassung, Regierungstruppen seien im Anmarsch. Um eine bewaffnete Konfrontation zwischen den Kämpfern des Verteidigungskomitees und den Regierungstruppen zu vermeiden, beschwor Behnke Futran, die Waffen niederzulegen. Diese Haltung wurde noch durch den Stadtverordneten Emil Lampe (USPD) bestärkt, der zur Sondierung der Lage nach Berlin geschickt worden war und nun mitteilte, dass der Putsch zusammengebrochen sei und der Generalstreik daher ausgesetzt werden könne. Futran, der ein gewaltloses Vorgehen grundsätzlich ebenfalls vorzog, befahl daraufhin gegen den Willen Rebes und anderer Mitkämpfer, die Waffen niederzulegen und davon auszugehen, dass sich Truppen der rechtmäßigen Regierung der Stadt näherten. So marschierte am Sonntag, dem 21. März 1920, die 2. Kompanie des Reichswehr-Schützenbataillons Nr. 15 aus Lichterfelde, verstärkt durch so genannte Zeitfreiwillige (zumeist Studenten), kampflos in Köpenick ein. Ebenso wie die am 13. März zum Sturz der rechtmäßigen Regierung in Berlin eingerückten Putschisten trugen sie weiße Hakenkreuze auf ihre Stahlhelme gemalt, denn die Kompanie hatte sich an den vorangegangenen Tagen der Putschistenregierung unterstellt. Auf Befragen, ob sie für die rechtmäßige Regierung seien, entgegneten die Soldaten, sie seien nur für ihre Offiziere.
Die Köpenicker hatten nicht begriffen, dass sich innerhalb weniger Stunden die politische Situation grundlegend gewendet hatte: Nach dem Zusammenbruch des Putsches am Abend des 17. März hatten Reichspräsident Friedrich Ebert und der neue Reichswehrminister Otto Geßler den großen Belagerungszustand ausgerufen. Demzufolge konnte jeder, der mit der Waffe in der Hand angetroffen wurde, standrechtlich erschossen werden. Von diesem Befehl waren auch die bewaffneten Arbeiter betroffen, die sich zur Verteidigung der Regierung Bauer und des Reichspräsidenten Ebert zusammengefunden hatten. Die wenige Tage zuvor noch mit den Putschisten ausgerückten und nun der Regierung unterstehenden Verbände nutzten diese Situation, um gegen die Arbeiter vorzugehen und für die bei dem Putsch erlittene Niederlage Rache zu nehmen.
Am 21. März wurde Futran ins Rathaus geladen und sofort dem Standgericht überstellt. Als Jude und Sozialist hatte er vor diesem Gericht, das aus dem Kompaniechef Hauptmann Egon von Loebell, Leutnant Kubich, Unteroffizier Hedal und dem Zeitfreiwilligen Jacks bestand, keine Chance auf eine gerechte Verteidigung. Leutnant Kubich kommandierte auf dem Hof der damaligen Niederlassung der Bötzow-Brauerei in der Grünauer Straße 74 (heute Nr. 21) die Erschießung Futrans. Die Ermordung wurde mit einem gegenrevolutionären Kampflied des Jägerbataillons im Potsdamer Infanterie-Regiment 9 verherrlicht, das Loebells Kompanie noch im gleichen Jahr übernahm. Es gipfelte in dem Vers: „Neben Futran auf dem Mist, lag so mancher Bolschewist.“
Die Mörder schreckten auch nicht davor zurück, Futrans Leiche zu schänden und seiner Ehefrau, Mutter von drei Kindern, unter dem Vorwand, ihr Mann sei ins Gefängnis nach Moabit überführt worden, 200 Mark abzupressen. Futrans Leiche fand man auf dem Hof der Bötzow-Brauerei in der Grünauer Straße.
Ehrungen
In Köpenick wurde am 31. Juli 1947 der 1894 angelegte und nach Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg, bezeichnete Platz nach Alexander Futran umbenannt. Dazu hatte man den hier bereits vorhandenen Gedenkstein umgenutzt. Vorherige Inschriften wurden abgemeißelt, dafür kamen neue Bronzebuchstaben und ein Porträtmedaillon darüber. Die Inschrift lautet nun:
„Alexander Futran. Unserem Arbeiterführer der am 21. März 1920 im Kapp-Putsch ermordet wurde.“
An die Köpenicker Opfer des Kapp-Putsches erinnert ein weiterer Gedenkstein in Berlin-Grünau.
Lage des Futranplatzes: 52° 26′ 47,8″ N, 13° 34′ 44,1″ O
Eine Zeitlang verkehrte ein Passagierschiff auf Berliner Gewässern, das den Namen Alexander Futran trug. Vor 2004 erhielt das 1936 ursprünglich unter dem Namen Stolzenfels in Dienst genommene Motorschiff der Reederei Spree & Havelschiffahrt Grimm & Lindecke nach mehreren Umbenennungen den neuen Namen Pinguin.[2]
Werke
- Politischer Relativismus. Charlottenburg ohne Jahr
Literatur
- Gerd Lüdersdorf: Der Köpenicker Blutsonntag vom 21. März 1920. In: Berlinische Monatsschrift (Luisenstädtischer Bildungsverein). Heft 3, 2000, ISSN 0944-5560, S. 37–45 (luise-berlin.de).
- Rudi Hinte: März 1920 – der Kapp-Putsch und Adlershof. (PDF) In: Adlershofer Zeitung, Nr. 191, März 2010, S. 12.
Weblinks
- Futranplatz. In: Straßennamenlexikon des Luisenstädtischen Bildungsvereins (beim Kaupert)
Einzelnachweise
- Hermann Ehrhardt, Friedrich Frecksa (Hrsg.): Kapitän Ehrhardt, Abenteuer und Schicksal. Berlin 1924, S. 175.
- Schiffsnamen auf berliner-verkehr.de, abgerufen am 25. November 2012